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Frauenpapier des Richtervereins

Zur Verbesserung der Situation und Aufstiegschancen insbesondere der teilzeitbeschäftigten und beurlaubten Kolleginnen hält der Hamburgische Richterverein folgende Maßnahmen für erforderlich:

1)
Durch die Bereitstellung und Besetzung hinlänglich vieler Vertretungsrichterstellen ist dafür Sorge zu tragen, daß Richterinnen und Staatsanwältinnen während des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubes vollen Umfanges vertreten werden, ohne daß dies zu einer Mehrbelastung ihrer Kolleginnen und Kollegen führt.

2)
Für Kolleginnen, die für längere Zeit beurlaubt sind, ist die Möglichkeit zu schaffen, im Rahmen von 1/10-Stellen (entsprechend der für Hochschulprofessoren geltenden Regelung) tätig zu bleiben.

3)
Beurlaubten Kolleginnen ist die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen zu ermöglichen.
Es sind besondere Fortbildungsveranstaltungen anzubieten, in denen über die wichtigen Änderungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung informiert und damit der Wiedereinstieg erleichtert wird.

4)
Um eine gleichmäßige Belastung zu gewährleisten, eine vorurteilsfreie Zusammenarbeit zu ermöglichen und um organisatorische Schwierigkeiten zu vermeiden, sind Kammern/Senate einzurichten, die ausschließlich mit halbtags tätigen Kollegen/innen besetzt werden.

5)
Teilzeitbeschäftigten sind die gleichen beruflichen Aufstiegschancen einzuräumen. Daher muß die Möglichkeit geschaffen werden, bei den Senaten auch halbtags beschäftigte Kollegen/innen zu erproben.

6)
Es sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beteiligung der jeweils zuständigen Frauenbeauftragten an der Entscheidung über Erprobungen und Beförderungen zu schaffen; insbesondere müssen sie, um ihre Aufgabe sachgerecht wahrnehmen zu können, das Recht erhalten, Einsicht in die Personalakten der Bewerber/innen zu nehmen.
Bis zur erforderlichen Gesetzesänderung sind die Frauenbeauftragten bei den entsprechenden Entscheidungen anzuhören und ist mit ihr eine möglichst offene Diskussion über die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen zu führen.

Der Hamburgische Richterverein bittet den Präses der Justizbehörde und die Präsidenten der Gerichte und die Behördenleiter der Staatsanwaltschaften, diesen Forderungen Rechnung zu tragen und, soweit gesetzliche Änderungen erforderlich sind, alsbald die nötigen Initiativen zu ergreifen.

Erläuterungen:
zu 1.
In den letzten Jahren haben die durch Mutterschutz bedingten Ausfallzeiten, in denen die Planstellen - anders als bei der Gewährung von Sonderurlaub von mehr als 6 Monaten Dauer - nicht neu besetzt werden können, allein bei den ordentlichen Gerichten einen Umfang von durchschnittlich zusammengerechnet jährlich mehreren Stellen erreicht. In diesen Zeiten müssen die im Mutterschutz befindlichen Richterinnen und Staatsanwältinnen von den Kolleginnen und Kollegen vertreten werden. Das entspricht nicht einer gerechten und angemessenen Lastenverteilung und birgt für die Richterin/die Staatsanwältin die Gefahr in sich, daß sie nach ihrer Rückkehr ein mangels Vertretungsreserve nur notdürftig in Ordnung gehaltenes Dezernat aufarbeiten muß.

Diesen Wirkungen muß durch die Bereitstellung von Vertretungskapazitäten, in den Kategorien der Personalbedarfsberechnung gesprochen also durch die Anerkennung von ausreichenden Pensen für die Mutterschaftsfehlzeiten begegnet werden.
Die Sicherstellung der Vertretung würde die Akzeptanz der Frauen
im Justizdienst erhöhen.

zu 2. und 3.
Die Rückkehr mehrjährig beurlaubter Mütter in den Beruf wird erschwert, wenn sie in den Jahren des Sonderurlaubs den Anschluß an die Rechtsentwicklung verloren haben und ihnen die beruflichen Routinen fremdgeworden sind. Dem kann nicht nur durch das Angebot von Fortbildungsveranstaltungen entgegengewirkt werden, sondern auch dadurch, daß den Kolleginnen die Möglichkeit eröffnet wird, mit einem kleinen Dezernat ,,im Geschäft" zu bleiben.

Als Modell bietet sich die Tätigkeit von Hochschullehrern an, die neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit mit einem geringeren Teil ihrer Arbeitskraft Richter sind. Dafür sind die Haushalts- und dienstrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

zu 4.
Schwierigkeiten können sich in einem Kollegialgericht in der Zusammenarbeit und der Organisation ergeben, wenn bei der Gestaltung der Arbeitsabläufe volltätige und jederzeit zur Mitwirkung bereite Mitglieder des Spruchkörpers auf eine lediglich zeitweilig zur Verfügung stehende Kollegin Rücksicht nehmen müssen oder umgekehrt diese ihren Tagesablauf so strukturieren muß, daß die Teilzeitbeschäftigung gar nicht optimal ausgenutzt werden kann. Es ist plausibel, daß Kammer- und Senatsmitglieder, die alle nur teilzeitbeschäftigt sind, ihren jeweiligen Einsatz besser aufeinander abstimmen kunnen. Dabei sollte allerdings vermieden werden, daß durch die Zusammenfassung von teilzeitbeschäftigten Richterinnen reine ,,Mütterkammern" entstehen. Vielmehr sollten auch andere Richter und Richterinnen, die nur teilweise in der Rechtsprechung tätig sind, etwa Richter/in in der Verwaltung oder Arbeitsgemeinschaftsleiter/innen, einbezogen werden. Es ist zu erwarten, daß solche ,,Teilzeitspruchkörper" umso leichter zusammengestellt werden können, je mehr es in Zukunft entsprechend dem Altersaufbau der Richterschaft auch Vorsitzende Richterinnen in Teilzeitbeschäftigung geben wird.

zu 5.
Der Erprobung von teilzeitbeschäftigten Richterinnen können nach Ansicht des Hamburgischen Richtervereins wesentliche Hindernisse nicht entgegenstehen.

zu 6.
Die Frauenbeauftragten haben kraft Institution die Aufgabe, den in den Leitlinien formulierten Zielen zur Geltung zu verhelfen. Auch auf dem Felde des beruflichen Fortkommens sind die Frauenbeauftragten dazu berufen, sich für die Gleichstellung der Richterinnen einzusetzen und darüber zu wachen. Deshalb sind ihnen unbeschadet der Befugnisse der Dienstvorgesetzten in Personalangelegenheiten und der Zuständigkeit des Präsidialrats jedenfalls die gleichen gesetzlichen Möglichkeiten einzuräumen, wie sie für andere Personengruppen zur Wahrung ihrer spezifischen Belange bestehen. Ferner sollten die Frauenbeauftragten in gleicher Weise beteiligt werden, wie es beispielsweise im Falle des Präsidialrats teilweise bereits im Vorfeld der Beförderungsentscheidungen informell geschieht oder wie die Richterräte in grundsätzlichen und allgemeinen Fragen, die sich auf die Beförderungspraxis auswirken, mitwirken können.

(Anm. des HP-Betreuers: Das Frauenpapier stammt vom 25.09.1986. Etliches daraus wurde bereits verwirklicht.)