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(aus: ÖTV in der Rechtspflege, Heft 69, Seite 7)

 

Institutionelle Autonomie der Justiz in Europa

 

von Nicola Behrend (Ri'inLSG NRW)

 

Geringfügig überarbeitete Fassung eines am 6. 6. 1999 auf der Tagung "50 Jahre Grundgesetz" des ötv-Bildungs- und Begegnungszentrums Klara Sahlberg und des Fachausschusses RichterInnen und StaatsanwältInnen in der ÖTV gehaltenen Vortrags 

 

1. Einleitung

 

1.1. als Richterin in Nordrhein-Westfalen hatte ich in letzter Zeit Veranlassung, mich mit dem Verhältnis von Justizverwaltung und richterlicher Unabhängigkeit zu befassen: Wie den meisten von Ihnen sicher bekannt ist, hat der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens im Juni 1998 im Rahmen der Verschlankung der Landesregierung das Justizministerium, das eigentlich eine Art "Oberministerium" sein sollte, weil es mit der Rechtsprechung eine der drei Gewalten im Staat repräsentiert, dem Innenressort zugeschlagen. Mit der Zusammenlegung der beiden Ressorts wurde die dem Prinzip der Machtbegrenzung verpflichtete historisch gewachsene Zuordnung der Gerichtsbarkeit und der allgemeinen Verwaltung zu zwei verschiedenen Ministern mit weitreichenden Konsequenzen in Frage gestellt. Von dem vorübergehenden Doppelminister für Justiz und Inneres wurde nahezu Übermenschliches verlangt: Einerseits sollte er die Politik der Landesregierung, z.B. im Demonstrations- und Asylrecht, effektiv durchsetzen. Auf der anderen Seite sollte er die Kontrolle der Rechtsförmigkeit des Verwaltungshandelns durch die Rechtsprechung sicherstellen. Er hätte auch gegenüber denjenigen Richterinnen und Richtern völlig unbefangen auftreten müssen, unter deren Mitwirkung er u. U. zuvor einen Rechtsstreit und möglicherweise einen Teil seines politischen Ansehens als Innenminister verloren hat. Bekanntlich machte der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens die Zusammenlegungsentscheidung erst nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts vom Februar 1999 widerstrebend rückgängig. Die Diskussion um die Zusammenlegung und ähnliche Entwicklungen in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, wo das Justizministerium der Staats- bzw. Senatskanzlei zugeschlagen ist, werfen jedoch die Frage auf, ob die in Bund und Ländern bestehenden Richtergesetze wirklich eine den Vorentscheidungen des Grundgesetzes entsprechende Ausgestaltung der Richterverhältnisse gebracht haben.

 

1.2. Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt allein "den", d.h. allen, Richtern (und nicht den Gerichten) anvertraut, ohne dass Mitwirkungsbefugnisse der Exekutive oder Legislative vorgesehen sind. Art. 97 GG bestimmt, dass die Richter unabhängig und "nur" dem Gesetz unterworfen sind. Ist es mit diesem Richterbild wirklich vereinbar, dass die Richter durch die Exekutive, also von einem Minister und seinem Staatssekretär als oberste Dienstbehörde, beaufsichtigt werden und dass Richter einem Beurteilungs- und Beförderungssystem unterworfen werden, das maßgeblich durch die Exekutive und die tatsächliche Vorrangstellung der Präsidenten und Vorsitzenden Richter geprägt wird? Ist es weiter sachgerecht, dass die Richter auf das gesamte Management ihrer Tätigkeit, also insbesondere auf Personal- und Sachausstattung sowie die Betriebsabläufe keinen Einfluss haben?

 

1.3. Im Folgenden möchte ich drei europäische Justizorganisationen vorstellen, durch die die aufgeworfenen Fragen anders als in der Bundesrepublik beantwortet werden. Zur Sicherung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung wurde eine in den Verfassungen dieser Länder verbürgte institutionelle Autonomie der Justiz geschaffen. Gemeint ist damit, dass die in der Bundesrepublik von den Justizministerien wahrgenommenen und teilweise auf die Gerichtspräsidenten übertragenen Justizverwaltungsaufgaben aus dieser herausgelöst und rechtlich verselbstständigten Trägern der Rechtspflege - sog. Obersten Räten der Gerichtsbarkeit - zur eigenständigen und weisungsfreien Wahrnehmung übertragen sind. Eine derartige institutionelle Autonomie der Justiz in anderen europäischen Ländern umfasst häufig auch die Stellung der Staatsanwälte; dies aus der in Deutschland wenig diskutierten Überlegung heraus, dass der Richter seine Entscheidungen nur über jene Fälle treffen kann, die ihm vom Staatsanwalt unterbreitet werden. Bei einer Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Exekutive - so dieser Ansatz - entscheide in der Konsequenz die Regierung über die Kontrollmöglichkeiten der Gerichte.

 

Wenn von einer Autonomie der Justiz in Europa die Rede ist, führt kein Weg an einer Würdigung des italienischen Modells vorbei. Dort hat der mehrheitlich mit Richtern und Staatsanwälten besetzte Oberste Rat der Gerichtsbarkeit (Consiglio Superiore Della Magistratura - CSM -), dank seiner Funktion und Zuständigkeit eine hervorgehobene Rolle. Die Beschäftigung mit der italienischen Justizorganisation ist aber auch aus einem anderen Grund von Interesse: Italien musste sich in gleicher Weise wie Deutschland nach Ende des Faschismus mit der Frage auseinandersetzen, welche Regelungen erforderlich sind, um den Rechtstaat wiederherzustellen und ihm für die Zukunft ein solideres verfassungsrechtliches Fundament zu geben. Das deutsche Grundgesetz enthält nur wenige Vorschriften zur Rechtsstellung der Richter. Die 1947 in Kraft getretene italienische Verfassung schreibt demgegenüber eine deutlich stärkere Rolle der Dritten Gewalt bereits auf der Verfassungsebene fest. Andere europäische Länder haben sich seitdem am italienischen Vorbild orientiert, insbesondere Portugal und Spanien. Dort wurden die Verfassungen von 1976 und 1978 gleichfalls nach dem Ende diktatorischer Regime ausgearbeitet. Bei den Diskussionen um einen einheitlichen europäischen Rechtsraum geben Justizorganisationen mit einer institutionellen Autonomie der Justiz die Richtung vor. Insofern enthält die vom Europarat initiierte "Europäische Charta über das Statut für die Richter" - so auch Justizministerin Däubler-Gmelin anlässlich eines Symposiums zur richterlichen Unabhängigkeit im März 1999 - interessante und diskussionswürdige Überlegungen zur Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit.

 

2. Italien

 

2.1. Die Verfassung von 1947 wollte mit der faschistischen Tradition endgültig brechen. Sie wollte die Verwaltungsmacht des Ministers beseitigen, die zuvor dafür genutzt worden war, Richterschaft und Staatsanwaltschaft unter politischer Kontrolle der Exekutive zu halten. Die italienischen Verfassungsbestimmungen sehen daher eine Verwaltung der ordentlichen Gerichtsbarkeit (zur Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. Art. 100 der italienischen Verf.) durch einen Obersten Rat der Gerichtsbarkeit sowie eine unabhängige Staatsanwaltschaft vor. Art. 104 der italienischen Verfassung bestimmt, dass Richter und Staatsanwälte einen selbstständigen und von jeder anderen Gewalt unabhängigen Stand bilden. Es besteht eine vereinte Laufbahn mit gleichem Einstieg und Ernennungsmodus für Richter und Staatsanwälte. Die Verfassung enthält für die Staatsanwaltschaft besondere Unabhängigkeitsgarantien, die sie im Wesentlichen in eine Position versetzen, in der sie – ähnlich wie die Richter – nur dem Gesetz unterliegt. Allgemeine oder spezifische Anweisungen seitens des Ministers an einzelne Staatsanwälte sind nicht mehr denkbar. Den Staatsanwälten in Italien sind damit die materiellen und juristischen Mittel für die Leitung und Kontrolle der Staatsanwaltschaft in die Hand gegeben.

 

2.2. Für den italienischen Obersten Rat der Gerichtsbarkeit ist kennzeichnend, dass sich unter seinen 33 Mitgliedern keine Parlamentarier finden. Kraft Amtes gehören ihm der Präsident der Republik als Vorsitzender sowie der Präsident und der Generalstaatsanwalt beim Kassationsgericht an. Die weiteren 30 Mitglieder werden für eine Amtszeit von vier Jahren ohne sofortige Wiederwahlmöglichkeit zu 1/3 vom Parlament und zu 2/3 von allen Dienst habenden Richtern und Staatsanwälten aus allen Gruppen der Richter- und Staatsanwaltschaft gewählt (Art. 104 ital. Verf.). Die 10 vom Parlament, also politisch zu bestimmenden, Mitglieder, müssen aus den Reihen der ordentlichen Universitätsprofessoren der Rechtswissenschaft und der Rechtsanwälte mit mindestens fünfzehnjähriger Praxis ausgesucht werden. Entscheidungen im Obersten Rat werden mit einfacher Mehrheit getroffen. Damit könnten die von den Richtern und Staatsanwälten gewählten Mitglieder grundsätzlich ihre Auffassung durchsetzen. Andererseits ist der Oberste Rat nur dann beschlussfähig, wenn mindestens 2/3 der politisch Gewählten und 2/3 der Richter anwesend sind. Das bedeutet, dass 4 der 10 politisch gewählten Mitglieder durch ihren Auszug eine Abstimmung blockieren können. Aus der Gruppe der Universitätsprofessoren bzw. Rechtsanwälte stammt der stellvertretende Präsident des Obersten Rates, dem in der Praxis zumeist alle Leitungsbefugnisse vom Präsidenten der Republik übertragen werden.

 

Zur Zeit werden Die Richter und Staatsanwälte im Obersten Rat der Gerichtsbarkeit von allen 4 italienischen Richter- und Staatsanwaltsorganisationen gestellt, die ihrerseits alle der italienischen nationalen Richtervereinigung (Associazione Nazionale Magistrati angehören. Der italienische Richter Marco Pivetti, bis vor kurzem Mitglied des Obersten Rates, führte im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Justiz auf dem Weg nach Europa" der ÖTV NW im November 1998 aus, seit Einführung des Verhältniswahlrechts für die Wahl der Mitglieder im Obersten Rat im Jahre 1975 – vorher gab es ein striktes Mehrheitswahlsystem – trete auch in strittigen Fragen ein Pluralismus verschiedener ideologischer Ausrichtungen zu Tage, der nicht notwendig mit den Positionen übereinstimme, welche die Richtervereinigungen und die politischen Parteien einnähmen. Da die Sitzungen des Obersten Rates öffentlich seien und sämtliche Entscheidungen schriftlich begründet werden müssten, sei eine hohe Transparenz der Entscheidungsstrukturen gegeben. Entsprechend erfahre der Oberste Rat der Gerichtsbarkeit oft heftige Kritik von den Richtern und Staatsanwälten.

 

Die Beschlüsse des Obersten Rates werden durch verschiedene Kommissionen vorbereitet und ausgeführt, wobei jedes Mitglied einer oder mehreren Kommissionen, z. B. zu Beurteilungs- und Besetzungsfragen, angehört. Es gibt auch eine Kommission, in der Stellungnahmen und Gutachten zu Gesetzgebungsvorhaben erarbeitet werden, soweit Angelegenheiten der Justiz betroffen sind. Das Komitee des Präsidenten bzw. Vizepräsidenten hat die Steuerungsfunktionen und verwaltet das Budget, welches im Staatshaushalt für die Justiz bereit gestellt wird.

 

2.3. Die Machtbefugnisse des Obersten Rates werden durch die so genannten Gerichtsräte (Consigli giudiziari) eingeschränkt, die als weitere "Basis nähere" Organe gleichfalls Justizverwaltungsaufgaben übernehmen. Diese sind an jedem Berufungsgericht eingerichtet und bestehen aus dem Präsidenten und Generalstaatsanwalt dieses Gerichts sowie weiteren 5 Magistrati als ständigen Mitgliedern. Letztere werden alle 2 Jahre von den Richtern und Staatsanwälten des Gerichtsbezirks gewählt.

 

2.4. Die beschriebenen Organe der Justizverwaltung in Italien sind für sämtliche Entscheidungen zuständig, die den Status der Richter und Staatsanwälte betreffen - Art. 105 der italienischen Verfassung nennt die Einstellung, Aufgabenzuweisung, Versetzung, Beförderung und das Disziplinarverfahren -, wobei die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen des Obersten Rates vor dem regionalem Verwaltungsgericht in Latium in erster Instanz und vor dem Staatsrat in zweiter Instanz überprüft werden kann (Art. 103, 108, 111 ital. Verf.).

 

Das Auswahlermessen des Obersten Rates bei der Einstellung von Richtern und Staatsanwälten ist nach Art. 106 der italienischen Verfassung eingeschränkt. Hier ist vorgesehen, dass die Ernennung auf Grund einer Anwärterprüfung ("Concorso") erfolgt. Die Bewerber müssen drei schriftliche Prüfungen und ein Vorstelllungsgespräch vor einer vom Obersten Rat bestellten Auswahlkommission erfolgreich absolvieren, wobei jährlich rd. 8.000 Bewerber auf rd. 300 zu besetzende Stellen kommen.

 

Eine Geschäftsverteilung durch Gerichtspräsidien kennt das italienische Modell nicht. Die Zuweisung der einzelnen Richter und Staatsanwälte an verschiedene Abteilungen in Zivil- oder Strafsachen, erfolgt zentral durch den Obersten Rat mittels jährlich erstellter "Tabellen". Diese enthalten auch die Kriterien für die weitere Geschäftsverteilung innerhalb der Abteilungen sowie die Ersetzung verhinderter Richter. Die Tabellen""  werden von den Präsidenten der Gerichte in Abstimmung mit den Gerichtsräten vorbereitet und müssen vom Obersten Rat der Gerichtsbarkeit genehmigt werden. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass dieses Modell der Geschäftsverteilung, welches den Vorschlägen der leitenden Richter und Staatsanwälte eine hohe Bedeutung zumisst, nicht unumstritten ist; dies insbesondere in Fällen, in denen in Folgejahren Funktionen zugewiesen werden, die mit den bis dahin ausgeübten nicht übereinstimmen und der Verdacht aufkommen muss, dass in Wirklichkeit darauf abgezielt wird, den betreffenden Richter oder Staatsanwalt bestimmter Funktionen zu entheben. Zu den wenigen Regelungen in der deutschen Justizorganisation, welche die italienischen Kollegen interessieren, gehört daher die Geschäftsverteilung durch Präsidien.

 

Richterkarriere und Disziplinargewalt

 

Der Karriereverlauf der Richter und Staatsanwälte, also die mit Beurteilungen und Beförderungen zusammenhängenden Fragen, werden im Zusammenwirken von Oberstem Rat und den Gerichtsräten gesteuert. Die Gerichtsräte fertigen regelmäßige gutachterliche Stellungnahmen zum Wirken der Richter und Staatsanwälte des Bezirks. Hierbei werden vom Gerichtspräsidenten erstellte Berichte verwertet. Die Stellungnahmen sind im Ergebnis zu 90 % positiv im Sinne einer untadeligen Amtsführung, so dass die nach dem Dienstalter anstehende Laufbahnstufe mit ihren ökonomischen Konsequenzen erreicht werden kann. Wie Marco Pivetti ausführt, ist diese "quasi automatische Beförderung" Konsequenz des italienischen Verständnisses, nach dem ein Richter "sine spe ac metu", also ohne Furcht und Hoffnung, sein müsse. Ein italienischer Richter und Staatsanwalt könne heute ohne Furcht vor Nachteilen und Hoffnung auf Vorteile für seine Karriere nach seinem eigenen Gewissen entscheiden. Entsprechend bestimmt der europaweit viel beachtete Art. 107 der ital. Verfassung, dass sich Richter und Staatsanwälte nur durch die Verschiedenartigkeit ihrer Aufgabenbereiche voneinander unterscheiden. Diese Verfassungsregelung zielt auf die Ausscheidung von hierarchischen Verhältnissen innerhalb der Richterschaft und die damit verbundenen Gefährdungen für die richterliche Unabhängigkeit. In der Praxis bewirkt sie, dass kein Richter oder Staatsanwalt gezwungen ist, eine Funktion auszuüben, die seiner nach Dienstalter erreichten Karrierestufe und Bezahlung entspricht. Eine Stärke dieses Systems der Gleichwertigkeit der in der Gerichtsbarkeit wahrgenommenen Funktionen ist, dass die italienischen Richter und Staatsanwälte diejenigen Aufgaben übernehmen können, für die sie am besten geeignet sind, ohne hierbei finanzielle Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. So haben nach Angaben von Marco Pivetti Staatsanwälte in Mailand, die die Bestechungsverfahren gegen Berlusconi und in Sachen "Tangentopoli" geführt haben, bereits den Status von Richtern am Kassationshof erreicht, mit ihrer Tätigkeit haben sie aber weiterhin die Funktion eines Staatsanwaltes in erster Instanz ausgeübt. Dieses italienische Modell mit zwei nicht notwendigerweise verbundenen Strängen von Beförderung und ausgeübter Funktion ist eine interessante Variante der in der Bundesrepublik diskutierten Stärkung der Eingangsgerichte. 

 

Der Oberste Rat kann nicht von sich aus Disziplinarmaßnahmen einleiten, sondern nur auf Antrag des Generalstaatsanwalts und des Justizministers. Der gesonderten Disziplinarabteilung im Obersten Rat gehören zwei vom Parlament gewählte Vertreter sowie 6 von ihres gleichen vorgeschlagene Richter und Staatsanwälte an, die von den Mitgliedern des Obersten Rates gewählt werden. Präsident des Gremiums ist der Vizepräsident des Obersten Rates. Zahlreiche der in Italien eingeleiteten Disziplinarverfahren betreffen den Vorwurf der verspäteten Urteilsabsetzung oder des ungenügenden Engagements bei der Aufgabenerfüllung.

 

Ärger mit den Staatsanwälten

 

1998 beantragte der Justizminister die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen zwei Staatsanwälte aus Mailand. Beiden wurde vorgeworfen, ihre Meinung über die Regierungspolitik betreffend den Kampf gegen die Korruption und über die geplanten Verfassungsreformen in der Justiz öffentlich verkündet zu haben. Die - zwischenzeitlich offenbar wieder zu den Akten gelegten - Pläne zu einer Verfassungsreform betrafen den Vorschlag, den Anteil der politisch gewählten Mitglieder des Obersten Rates auf mehr als 50 % zu erhöhen. In engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufdeckung politischer Korruptionsskandale wird ferner immer wieder die Trennung von Richterschaft und Staatsanwaltschaft mit dem Ziel einer Unterstellung der Staatsanwaltschaft unter die Exekutive gefordert, sicherlich kein Zufall. Vielmehr deutet das darauf hin, dass die Aufdeckung der schweren Bestechungsskandale bei einem weniger unabhängigen Justizwesen nicht in gleicher Weise möglich gewesen wäre.

 

3. Portugal

 

3.1. Nach der sog. Nelkenrevolution im April 1974 hat der politische Wechsel in Portugal auch auf das dortige Justizsystem zurückgewirkt. In Anlehnung an das italienische Modell wurden mehrere Oberste Räte zur Schaffung einer eigenständigen Justizverwaltung eingerichtet. Dem italienischen Modell eines einheitlichen Korps von Richtern und Staatsanwälten wurde eine getrennte Organisationsstruktur von Richterschaft und unabhängiger Staatsanwaltschaft (Art. 221 Abs. 2 und Art. 222 portug. Verfassung: Generalstaatsanwaltschaft und Oberster Rat der Staatsanwaltschaft) vorgezogen. So steht neben den Obersten Räten für die ordentliche Gerichtsbarkeit sowie für die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit ein Oberster Rat der Staatsanwaltschaft. Hiermit wird vor allem Kritik aus Teilen der Anwaltschaft am italienischen Modell begegnet. Diese wendet gegenüber einer einheitlichen Verwaltungsstruktur beider Gruppen ein, dass zwischen den in einem Prozess auftretenden Richtern und Staatsanwälten ein stilles (reales oder vermutetes) Einverständnis bestehe, da diese Kollegen in einem einheitlichen Organ seien.

 

3.2. In der personellen Zusammensetzung und in der Frage der Wahlberechtigung für die Mitglieder der portugiesischen Obersten Räte finden sich zahlreiche Unterschiede zum italienischen Modell. Während sich im italienischen Gremium überwiegend richterliche Mitglieder und keine Parlamentarier finden, sieht das portugiesische Modell eine gemischte Besetzung aus Richtern und Parlamentariern vor. Im Einzelnen bestimmt Art. 220 der portugiesischen Verfassung, dass der Oberste Rat für die ordentliche Gerichtsbarkeit unter dem Vorsitz des Präsidenten des obersten Gerichtshofes steht und 16 weitere Mitglieder hat. Jeweils 7 Mitglieder werden von den Parlamentariern (Art. 166 Abs. 1 port. Verf.: Versammlung der Republik) und von der Richterschaft aus ihrer Mitte nach den Grundsätzen der verhältnismäßigen Repräsentation gewählt. Zwei Mitglieder, von denen einer dem Richterstand angehören muss, werden vom Präsidenten der Republik ernannt. Der Präsident der portugiesischen Richtervereinigung (Associao Sindecal dos Juizes Portugueses) und jetzige Präsident der europäischen Richtervereinigung MEDEL (Magistrats Européens pour la Democratie et les Libertés), Orlando Alfonso, wies auf einer Tagung zur Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte in Europa 1996 darauf hin, dass mit dieser Lösung die demokratische Legitimation des Gremiums erhöht und die Herausbildung eines Korpsgeistes innerhalb der Richterschaft vermieden werden solle.

 

3.3. Die Obersten Räte in Portugal sind für Ernennungen von Richtern und Staatsanwälten, deren Verwendung und Versetzung sowie für Beförderungsfragen und die Ausübung der Disziplinargewalt zuständig (Art. 219 portug. Verf.). Gegen ihre Entscheidungen kann der Betroffene die Vollversammlung des Rates und anschließend den Kassationshof anrufen.

 

Auch in Portugal sind die Kompetenzen der Obersten Räte bei der Einstellung von Richtern und Staatsanwälten eingeschränkt. Entsprechend der Anwärterprüfung in Italien müssen auch die portugiesischen Kandidaten einen Wettbewerb durchlaufen. In Portugal eröffnet dieser den Zugang zu einer ca. zwei Jahre dauernden Ausbildung an dem 1979 gegründeten Zentrum für juristische Studien in Lissabon. Die Schule ist rechtlich und organisatorisch verselbstständigt und untersteht dem Justizministerium.

 

Beförderungen, für die die Obersten Räte die alleinige Entscheidungskompetenz haben, sind in Portugal nur auf die Ebene des Berufungsgerichts und des Kassationshofes möglich. Grundlage für diese Entscheidungen sind Berichte über die Tätigkeit der Richter, welche alle drei Jahre von einer Beurteilungskommission  erstellt werden. Diese Kommission besteht aus Richtern, sog. Inspektoren, die von den Obersten Räten für maximal 6 Jahre ernannt werden. Hier liegt ein Unterschied zum italienischen System, wo sowohl die Gerichtspräsidenten  als auch die mehrheitlich mit gewählten Richtern besetzten Gerichtsräte Einfluss auf Beurteilungen haben. Wie Orlando Alfonso betonte, ist die umfangreiche Übernahme von Aufgaben durch einen Obersten Rat mit einem weitgehenden Abbau von Hierarchien auf der Ebene der Gerichte verbunden. So gibt es nicht die hervorgehobene Rolle des von der Exekutive oder vom Obersten Rat eingesetzten Präsidenten. Das portugiesische System sieht vielmehr vor, dass die Präsidenten und Vizepräsidenten jedes Jahr von den Richtern des jeweiligen Gerichts aus ihrer Mitte gewählt werden und so ein Wechsel zwischen der Verwaltungs- und der Rechtsprechungstätigkeit stattfindet. Auch die Präsidenten der Obersten Gerichte werden von den jeweiligen Richtern aus ihrer Mitte gewählt (Art. 212 Abs. 2, Art. 214 Abs. 2 portug. Verf.). In den Kollegialgerichten führt jeder Richter den Vorsitz in "seiner" Sache.

Vergleicht man diese gerichtsinterne Enthierarchisierung im kleinen Land Portugal mit der Situation in der Gerichtsbarkeit Italiens, so zeigt sich, dass die Einführung einer Autonomie der Justiz offenbar mit verschiedenen Gestaltungen auf der Ebene der Gerichte verbunden sein kann und vielleicht auch muss.

 

 

Resolution des 25. Richterratschlags vom 31.10.1999 in Freising/München zur Einführung einer umfassenden Selbstverwaltung der Dritten Gewalt

 

"Nach dem Grundgesetz haben die rechtsuchenden Bürger einen Anspruch auf eine unabhängige, demokratische und transparente Dritte Gewalt. Damit ist der umfassende Einfluß der Exekutive auf die rechtsprechende Gewalt nicht zu vereinbaren, denn die Exekutive wählt die Richter aus, befördert sie, übt Dienstaufsicht über sie aus und steuert ihre finanzielle Ausstattung.

Wir fordern, daß die Gewaltenteilung verwirklicht wird, indem in allen Bundesländern Richterwahlausschüsse eingerichtet werden.  Darüber hinaus muß eine umfassende Selbstverwaltung der Dritten Gewalt eingeführt werden - und zwar durch ein Gremium, das aus Abgeordneten und aus Richtern besteht, die unmittelbar nach den Grundsätzen der Verhältniswahl  jeweils vom Parlament und der Richterschaft gewählt werden.

 

Damit folgen wir den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates zur "Unabhängigkeit, Wirksamkeit und Rolle der Richter" vom 13.10.1994 (Recommandation No. R (94) 12), nach der ein von der Regierung und der Verwaltung unabhängiges Gremium über die Auswahl und die Laufbahn von Richtern entscheiden soll.

In zahlreichen europäischen Ländern - wie Italien, Spanien, Portugal, Polen und Ungarn - hat sich die richterliche Selbstverwaltung nach einem solchen Modell bereits bewährt."

 

 

 

4. Spanien

 

4.1. Auch die Form der institutionellen Autonomie der spanischen Justiz zeigt in ihrer konkreten Ausgestaltung wiederum zahlreiche Unterschiede zu ihren Vorgängern. Das nach Überwindung des Franco-Regimes demokratisierte Spanien hatte die Möglichkeit, sich bei der Schaffung seiner jungen Verfassung 1978 in ganz Europa umzusehen und aus den europäischen Verfassungen jeweils die besten Lösungen auszuwählen. Erneut findet sich eine Orientierung am italienischen Vorbild. Da eine einheitliche Gerichtsbarkeit besteht (Art. 117 Abs. 5 span. Verf.) gibt es als Organ der Justizverwaltung nur einen für die gesamte Richterschaft zuständigen Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Art. 122 Abs. 2 span. Verf. - Consejo General del Poder Judicial). Für die Staatsanwaltschaft ist ein eigener Oberster Rat vorgesehen, dessen Befugnisse jedoch dadurch eingeschränkt sind, dass dieser bei der politischen Ernennung des Generalstaatsanwalts nur angehört wird (Art. 124 span. Verf.).

 

4.2. Für die personelle Zusammensetzung des Generalrates und für die Frage, wer seine Mitglieder bestimmt, gilt Folgendes: Zwar sind die 20 für einen Zeitraum von 5 Jahren ernannten Mitglieder mehrheitlich Richter. Die Richter selbst haben jedoch keinerlei Mitspracherechte bei der Frage, wer von ihnen in das Gremium entsandt wird. Sämtliche Mitglieder des Generalrates werden jeweils zur Hälfte auf Vorschlag des Kongresses und des Senates - also parlamentarisch - ernannt. Neben 12 Richtern aller Kategorien (Art. 122 span. Verf.) stammen die 8 weiteren Mitglieder aus den Reihen der Anwälte und anderer juristischer Berufe (anerkannte Kompetenz und mehr als 15jährige Berufserfahrung). Der von außen kommende Präsident des Generalrates wird von den 20 Mitgliedern gewählt und muss nicht Richter sein.

 

Die spanische Diskussion um die Frage der Vorschlagsberechtigung für die richterlichen Mitglieder im Generalrat der rechtsprechenden Gewalt macht deutlich, dass die Frage der Justizorganisation nicht unabhängig von der demokratischen Entwicklung des jeweiligen Landes gesehen werden kann. Sie soll daher kurz dargestellt werden. Hierbei kann auf den im März 1999 in Düsseldorf gehaltenen Vortrag des Dekans der Gerichtsbarkeit in Barcelona, Joaquim Bayo, im Rahmen der bereits erwähnten ÖTV-Veranstaltungsreihe "Justiz auf dem Weg nach Europa" Bezug genommen werden. Während die richterlichen Mitglieder des Generalrates nach Inkrafttreten der spanischen Verfassung zunächst von der Richterschaft gewählt wurden, erließ die neue sozialistische Regierung 1985 ein Gesetz, nach dessen Inhalt auch die Wahl der richterlichen Mitglieder jetzt durch den Kongress und den Senat erfolgt. Diese Änderung des Wahlmodus hatte nach Aussage von Joaquim Bajo zwei Gründe: Zum einen sei sicher zu stellen, dass die Mitglieder des Generalrates durch die Instanz mit der höchsten demokratischen Legitimation, d. h. dem Parlament, gewählt würden. Zum anderen sei ein bedeutender politischer Grund das Streben nach Erneuerung und Demokratisierung der Justiz nach der Ära Franco. Es habe nach dem Ende des Franco-Regimes keine Justizerneuerung oder Überprüfung der Frage gegeben, ob und inwieweit die Justiz den Faschismus unterstützt habe. Nur durch die Änderung des Wahlmodus habe man neue und demokratische Richter in die Justiz bringen können. Von großen Teilen der Richterschaft werde diese Änderung des Wahlmodus mit dem Argument abgelehnt, die Wahl der richterlichen Mitglieder durch das Parlament führe zu einer Politisierung der Richterschaft. Die demokratische Richtervereinigung (Juez par la democratia) plädiere für eine Beibehaltung des bisherigen Wahlmodus; dies vor dem Hintergrund, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt auch in der Richterschaft wiederfinden solle.

 

4.3. Wie das italienische System sieht auch das spanische Modell Elemente basisnaher Mitwirkung vor. Neben dem Generalrat existieren Richterräte bei den Obersten Gerichten der 17 autonomen Regionen Spaniens. Diese bestehen aus den Präsidenten dieses Obersten Gerichtes, den Präsidenten der Berufungsgerichte und dem/den Präsidenten der Eingangsgerichte. Hinzukommt eine gleiche Anzahl von durch die Richterschaft gewählten Richtern, die nach einem viel kritisierten strikten Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Diese Richterräte haben die Aufgabe, die einzelnen Gerichtsbarkeiten organisatorisch zu verwalten und sind vor allem für die Verhängung von bestimmten Disziplinarmaßnahmen, die Aufstellung von Regeln zur Geschäftsverteilung sowie deren Überwachung zuständig.

 

4.4. Der Generalrat hat eine umfassende Zuständigkeit für sämtliche, den Status von Richtern sowie ihre Tätigkeit betreffenden Entscheidungen. Die dort eingerichtete Disziplinarkommission ist in Ergänzung zur disziplinarischen Kontrolle durch die Richterräte für die Ahndung schwerer Fälle, also z. B. bei chronischer Abwesenheit oder Verlassen des Postens, zuständig. Die Rechtmäßigkeit sämtlicher Akte des Generalrates wird auf entsprechenden Antrag von der 3. Kammer des Obersten Gerichts Spaniens (Tribunal Supremo) überprüft.

 

Der Zugang zum Beruf des Richters oder Staatsanwalts hängt auch in Spanien vom Bestehen eines Wettbewerbs und dem anschließenden Besuch einer Richterschule (Centre D'Études judiciaires) ab. Das Prüfungsgremium wird vom Obersten Rat gestellt und besteht aus 2 Rechtsprofessoren, einem Anwalt sowie einem Richter und Staatsanwalt am Obersten Gericht. Seit 1985 sind neue Zugangsmöglichkeiten zum Richterberuf eröffnet. Es können sich auch berufserfahrene Praktiker, in erster Linie Rechtsanwälte, vor dem beschriebenen Prüfungsgremium um eine Stelle als Richter bewerben. Angestrebt ist, ein Viertel der frei werdenden Stellen mit berufserfahrenen Anwälten zu besetzen.

 

Die Kompetenz zur Beurteilung der richterlichen Tätigkeit liegt beim Obersten Rat. Er stellt Regeln zur Bewertung richterlicher Tätigkeit auf. Die Arbeit des einzelnen Richters wird wie in Portugal alle zwei bis drei Jahre durch sogenannte Inspektoren überprüft, wobei es in erster Linie um die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten geht. Die Inspektoren werden vom Obersten Rat auf Zeit benannt. Voraussetzung für die Ausübung einer Inspektorentätigkeit ist die Ernennung zum Magistrado (Berufungsrichter) sowie eine anschließende mindestens dreijährige Berufserfahrung.

 

Bei Bewerbungen um Beförderungsstellen gibt  es nur drei Laufbahnstufen:  "Juez", "magistrado", "Richter am obersten Gericht". Dabei spielen in erster Linie das Dienstalter, daneben die Prüfberichte der Inspektoren und die Fortbildungsbereitschaft eine Rolle. Die Präsidenten der Berufungsgerichte (Audiencias Provinciales) und der Obersten Gerichte in den autonomen Regionen Spaniens (Tribunales superiores de justica de comunidad autonoma) sowie am Obersten Gericht (Tribunal supremo) werden nur zeitlich befristet auf 5 Jahre vom Obersten Rat gewählt (Wiederwahl ist möglich; Entscheidung liegt im Ermessen des Consejo; es werden 10 bzw. 15 Jahre Berufserfahrung vorausgesetzt). Die Präsidenten der Gerichte in erster Instanz (umfasst sind alle Gerichtszweige) werden von allen im jeweiligen Gerichtsbezirk tätigen Richtern für die Dauer von 5 Jahren gewählt (bei mehr als 10 Richtern). Dieser "Dekan" hat die Verwaltungszuständigkeit (z.B. EDV-Ausstattung, Überwachung der Geschäftsverteilung). Über verbindlich vorgeschriebene monatliche Generalversammlungen aller Richter der ersten Instanz ist diesen eine effektive Mitbestimmung hinsichtlich ihres Arbeitsumfeldes und ihrer Arbeitsbedingungen eingeräumt.

 

5. Schlussfolgerungen

 

5.1. Ich bin bereits auf die Unterschiede in den Justizorganisationen Italiens, Portugals und Spaniens eingegangen. Was lässt sich nun an Gemeinsamkeiten festhalten? Dies ist zunächst der Umstand, dass den Regelungen zur Schaffung und Sicherung einer institutionellen Autonomie der Justiz in Italien, Portugal und Spanien ein modernes Richterbild zu Grunde liegt. Nach diesem besteht ein objektiver, unlösbarer Zusammenhang zwischen der Qualität der Rechtsgewährung durch die Richter und Staatsanwälte und den äußeren Bedingungen ihres Wirkens. Es erfolgt eine umfassende Übertragung der Justizverwaltung auf Oberste Räte der Gerichtsbarkeit als von Regierung und Parlament unabhängigen Organen. Dies entspricht dem Gedanken, dass die den Status der Richter und Staatsanwälte betreffenden Entscheidungen, die Ausübung der Dienstaufsicht, die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen sowie auch Fragen der Ausstattung mit personellen und sachlichen Mitteln und der Arbeitsorganisation an den Gerichten, dazu benutzt werden können, das Bewusstsein der Richter und Staatsanwälte zu beeinflussen. Insbesondere können damit unerwünschtes Verhalten bestraft oder Entscheidungen im Sinne der Exekutive belohnt werden. Dabei geht es nicht notwendig um eine direkte Beeinflussung des Inhalts richterlicher Entscheidungen. Auch Vorgaben der Exekutive zur effizienten, kostensparenden Durchführung richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit, etwa im Rahmen sog. Neuer Steuerungsmodelle, können hierunter fallen.

 

5.2. In der Bundesrepublik ist eine befriedigende Antwort auf diese Gefährdungen nicht gefunden. Eine eigenständige Justizverwaltung der rechtsprechenden Gewalt mit einem mehr oder weniger selbstständigen Status namentlich in Bezug auf die Dienstaufsicht, Personalentscheidungen und Haushaltsrecht, ist zwar im Zusammenhang mit dem Verfassungsauftrag aus Artikel 98 GG zur Schaffung eines Richtergesetzes diskutiert, jedoch nicht verwirklicht worden. Die in einigen Bundesländern bestehenden, z.T. auch mit gewählten Vertretern der Richterschaft besetzten Richterwahlausschüsse haben zwar bedeutende Mitwirkungsmöglichkeiten bei den den Status von Richtern betreffenden Entscheidungen, insbesondere bei der Auswahl von Richtern. In einigen Bundesländern ist jedoch nach wie vor lediglich eine Stellungnahme des Präsidialrates zu dem von der Justizverwaltung favorisierten Kandidaten vorgesehen (§ 33 LRiG NW, § 27 LRiG Nds). Bei Beförderungsentscheidungen ist die tatsächliche Einflussnahme begrenzt, da Grundlage der Stellungnahmen stets die vorliegenden Beurteilungen sind und diese ohne Mitwirkung der Richter und Staatsanwälte erstellt werden. Als oberste Dienstaufsichtsbehörde beeinflusst die Exekutive die Ausübung richterlicher und staatsanwaltschafticher Tätigkeit über den Umfang der Bereitstellung von personellen und sächlichen Ressourcen. Die bestehenden Mitwirkungsrechte der Richterräte in personellen und organisatorischen Angelegenheiten, etwa bei der in vielen Bundesländern bereits eingeführten dezentralen Ressourcenverwaltung durch Budgetierung, sind unbefriedigend.

 

Als richterliche Selbstverwaltung im Sinne einer eigenständigen, weisungsfreien Wahrnehmung von Justizverwaltungsaufgaben ist nach herrschendem Verfassungsverständnis wohl nur die Geschäftsverteilung in den Präsidien der Gerichte geschützt. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch die Schaffung der wesentlichen materiellen und immateriellen Voraussetzungen für eine effektive Wahrnehmung von Rechtsprechungsaufgaben der Dritten Gewalt zuzurechnen und von der richterlichen Unabhängigkeit umfasst ist.

 

5.3. Sicher ist keine der dargestellten Justizorganisationen auf die Verhältnisse der Bundesrepublik übertragbar. Zu verschieden sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben (z. B. hinsichtlich der föderalen Struktur der Bundesrepublik) sowie auch die Justiztraditionen. Sicher scheint auch zu sein, dass Schwachstellen in der einen Justizorganisation ebensolche in anderen Justizorganisationen gegenüberstehen. Der Umfang der teilweise bei den Obersten Räten konzentrierten Macht könnte eine solche sein. Die dargestellten Diskussionen zur Zusammensetzung der Obersten Räte machen auch deutlich, dass die Frage, in welchem Umfang ihre Anbindung an den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber für erforderlich gehalten wird, höchst unterschiedlich beantwortet werden kann. Der grundlegende Unterschied der Justizverwaltungen in Italien, Portugal und Spanien zur deutschen Justizorganisation besteht jedoch darin – und dies kann nicht oft genug betont werden - , dass man sich nicht mit einer organisatorischen Sonderstellung der Richter und Staatsanwälte begnügt hat. Es wurde vielmehr eine echte institutionelle Autonomie der Justiz mit eigenen Organen geschaffen. Da die Justizverwaltung und die Gewährleistung richterlicher Unabhängigkeit damit nicht mehr unmittelbar von der Person und der Politik des jeweiligen Justizministers bzw. der jeweiligen Landesregierung und ihrer Ministerialbürokratie abhängen, lohnt es sich, über die Übertragbarkeit dieses Modells auf die deutsche Justiz nachzudenken. Bezogen auf die Rechtsstellung der Richter könnte eine autonome Justiz in der Bundesrepublik etwa wie folgt aussehen:

 

Einem auf Länderebene und nach Gerichtsbarkeiten getrennt einzurichtenden Obersten Rat – man könnte ihn als Justizkommission bezeichnen – sollten zahlreiche heute in der Zuständigkeit des Justizministeriums liegende Justizverwaltungsaufgaben übertragen werden. Unter Beachtung der verfassungsrechtlich gebotenen demokratischen Legitimation dieses Organs sollten seine Mitglieder möglichst je zur Hälfte von den Landtagen und von der Richterschaft des betreffenden Bundeslandes gewählt werden. Die Wahl der Mitglieder sollte nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts und auf Zeit erfolgen. Bei der personellen Zusammensetzung der Justizkommission ist eine pluralistische Lösung anzustreben. Die Richterschaft sollte vertreten sein, da auf Grund ihrer Berufserfahrung und Kenntnis formeller und informeller Justizstrukturen eine besondere Sensibilität für die Bedeutung richterlicher Unabhängigkeit besteht und so ein Gegengewicht zu parteipolitischen Kräften geschaffen werden kann. Der Gefahr der Parteipolitisierung der Mitglieder der Justizkommission, aber auch der Gefahr des Korporatismus sollte dadurch entgegengewirkt werden, dass – wie dies die italienische und spanische Verfassung vorsehen – einige Mitglieder der Justizkommission aus den Reihen der Universitätsprofessoren der Rechtswissenschaft und der Rechtsanwälte und anderer berufserfahrener Juristen gewählt werden.

 

Diese Justizkommissionen sollten in weitem Umfang Träger der Dienstaufsicht über Richter und sonstige Justizmitarbeiter sein. Ihnen sollten alle statusrelevanten Entscheidungen übertragen werden. Hierzu zählen insbesondere das Beurteilungswesen, die Entscheidungen über Beförderungen, Abordnungen, Versetzungen sowie Maßnahmen der Dienstaufsicht. Entsprechend den Regelungen der portugiesischen Verfassung ist eine Mitwirkung für dem Richterstand nicht angehörende Justizbeschäftigte, die an der Rechtspflege beteiligt sind, vorzusehen (Art. 220 portug. Verf.; vgl. auch Art. 108 ital. Verf.). Abweichend von den italienischen, portugiesischen und spanischen Justizorganisationen sollte erwogen werden, die Kompetenz zur Verhängung von Disziplinarmaßnahmen ausschließlich bei Richtern, also bei von den Justizkommissionen getrennten Dienstgerichten, zu belassen. Jedenfalls erscheint die spanische Regelung, nach der ein ausschließlich von Parlamentariern gewählter Generalrat für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen zuständig ist, nicht erstrebenswert. Sowohl der Justizminister als auch die Justizkommissionen sollten die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen beantragen können. Richterwahlausschüsse könnten mit ihren Kompetenzen bei der Auswahl von Richtern weiterhin neben den Justizkommissionen bestehen. Anders als in den Verfassungen Italiens, Portugals und Spaniens ist nach Art. 98 Abs. 4 GG für die Anstellung von Richtern die Zuständigkeit der Landesjustizminister unter möglicher Beteiligung von Richterwahlausschüssen festgeschrieben. Die Justizkommission sollte ferner die Befugnis zur eigenständigen Veranschlagung der benötigten Haushaltsmittel für Personal- und Sachbedarf einschließlich des nicht-richterlichen Personals sowie zur eigenständigen Verwaltung der genehmigten Haushaltsmittel besitzen. Zur Vermeidung einer zu starken Machtkonzentration sollten den Justizkommissionen auf der Ebene der Gerichte basisnahe Mitwirkungsstrukturen gegenüberstehen. Dabei ist davon auszugehen, dass die nach der deutschen Präsidialverfassung bestehende alleinige Zuständigkeit der Präsidien für die Geschäftsverteilung einer zentralen Aufgabenzuweisung durch einen Obersten Richterrat, wie etwa in Italien, vorzuziehen ist. Die bisherigen Aufgaben der Präsidien könnten um Leitungskompetenzen auch in Fragen der sächlichen und personellen Ressourcen sowie der Arbeitsorganisation an den Gerichten erweitert werden.

 

5.4. Die auf europäischer Ebene geführten Diskussionen machen deutlich, dass es an der Zeit ist, die überkommenen Justizstrukturen in der Bundesrepublik zu überdenken. Die bereits 1993 auf einer Konferenz der Europäischen Richterorganisation MEDEL verabschiedeten Elemente eines europäischen Richterstatuts enthalten Regelungen zur Schaffung eines Obersten Rates der Gerichtsbarkeit mit einer Zuständigkeit für alle statusrelevanten Entscheidungen sowie für die Verwaltung und Dienstaufsicht in der Gerichtsbarkeit. Ähnliche Überlegungen finden sich auch in der von einer Expertengruppe des Europarats erstellten “europäischen Charta über das Statut für die Richter”, in der ein dem italienischen Modell vergleichbarer Oberster Richterrat gefordert wird. Hieran gilt es bei einer Reform der deutschen Justiz anzuknüpfen.