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Tagung der Richterakademie in Wustrau vom 27. bis 30.04.2006 zum Thema

"Berufsalltag von Richtern, Rechtsanwälten und Staatsanwälten

im Spannungsverhältnis von Berufs-Ethik und Ökonomie"

 

Staatsrat Dr. Detlef Gottschalck (Finanzbehörde Hamburg)

Rede „Sparzwänge und Justiz“

Wustrau, 28.04.2006

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

angekündigt ist mein Beitrag unter der Fragestellung, ob die Freiheitsrechte der Bürger und die Unabhängigkeit der Richter den fiskalischen Sparzwängen in der Justiz Grenzen setzt.  

 

Da drängt sich die Frage auf, ob wir zurzeit als Staat überhaupt sparen.  Was ist also begrifflich unter „Sparen“ zu verstehen? Sie und ich sparen, wenn wir weniger Geld ausgeben, als wir einnehmen und so die Möglichkeit haben, Geld auf die hohe Kante zu legen, um für schlechte Zeiten oder  das Alter vorzusorgen oder zu einem späteren Zeitpunkt eine größere Anschaffung oder eine Urlaubsreise finanzieren zu können.

 

Legt man diese – allgemein gebräuchliche – Definition des Begriffes „Sparen“ zugrunde, muss man feststellen, dass keine einzige Gebietskörperschaft in Deutschland tatsächlich „spart“.  Wenn Bund, Länder und Kommunen versuchen, ihre Haushalte zu konsolidieren und dabei ihren Bürger – zum Teil schmerzhafte und politisch umstrittene – Einschnitte zumuten oder ihren eigenen Verwaltungen oder Gerichten so genannte „Sparmaßnahmen“ auferlegen, bedeutet dies im Ergebnis lediglich, dass sie sich etwas weniger verschulden, als sie es ohne die Konsolidierungsmaßnahmen getan hätten. Dies würden weder Sie noch ich im privaten Bereich als solide Haushaltsführung bezeichnen!

 

Wie dramatisch ist die Lage der öffentlichen Haushalte? Die Mehrheit der Länder war in den letzten Jahren nicht in der Lage, verfassungsgemäße Haushalte vorzulegen, das heißt ihre Nettokreditaufnahme überstieg ihre Investitionsausgaben, so dass sie gegen die Verschuldungsobergrenze des Art. 115 GG in Verbindung mit ihren jeweiligen Landesverfassungen verstießen. Der Bund erklärt in diesem Jahr wiederum die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, um zumindest den Anschein der Verfassungsmäßigkeit zu wahren, was angesichts der sich aufhellenden konjunkturellen Lage verfassungsrechtlich nicht unbedenklich ist und allein mit der hohen Arbeitslosigkeit gerechtfertigt wird.

 

In Hamburg ist es uns dank verantwortungsbewussten Konsolidierungspolitik gelungen, ab diesem Jahr den Betriebshaushalt strukturell auszugleichen, das bedeutet, dass wir zumindest die laufenden Ausgaben mit den laufenden Einnahmen bestreiten können und hierfür kein Vermögen mehr mobilisieren müssen, wovon die Mehrheit der Länder noch weit entfernt ist. Dennoch haben wir in 2005 650 Mio. € neue Schulden machen müssen – auch wenn dies der niedrigste Stand seit 1992 ist. Wenn wir den eingeschlagenen Weg – gegen viele Widerstände – konsequent weitergehen, haben wir die Chance, bis zum Jahr 2012 einen Haushalt aufzustellen, der ohne neue Schulden auskommt.

 

Aber selbst wenn es Bund, Ländern und Kommunen in absehbarer Zeit gelänge, ausgeglichene Gesamthaushalte aufzustellen, blieben ihnen jeweils gigantische Schuldenberge. Beispiel Hamburg: Bei einem Haushaltsvolumen von gut 10 Mrd. € haben wir 21,7 Mrd. € Schulden, was in etwa dem Vermögen der Gebrüder Albrecht (ALDI) oder einer pro Kopf Verschuldung von 12.500 € eines jeden Hamburgers entspricht. Wenn es uns gelänge, ab 2012 keine neuen Schulden mehr zu machen und von da an 300 Mio. € jährlich zu tilgen, hätten wir das große Glück, etwa im Jahre 2104 schuldenfrei zu sein!

 

Bedeutet dies nun, dass sich alle Bereiche des Staates und somit auch die Justiz auf weitere Sparrunden einstellen müssen?

 

Zur Beantwortung dieser Frage möchte auch ich noch einmal die Bedeutung einer funktionsfähigen Justiz herausstreichen: Mein Vorredner hat zu Recht herausgestrichen, dass die Justiz einen wichtigen Standortfaktor darstellt, der im globalen Wettbewerb für Deutschland sprechen kann und muss. Wir haben hervorragend ausgebildete Richter und müssen die Gerichte personell und sachlich so ausstatten, dass diese Richter auch weiterhin in der Lage sind, Verfahren in angemessener Zeit unter Wahrung eines hohen Standards durchzuführen, weil die Gewissheit, in Deutschland verlässlichen Rechtsschutz zu erhalten, ein harter Standortfaktor ist, der Investitionsentscheidungen genauso mit beeinflussen kann, wie der Ausbildungsstand deutscher Arbeitnehmer oder eine gute Verkehrsinfrastruktur. Die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandorts steht und fällt mit der Möglichkeit, zivilrechtliche Forderungen zügig und mit allseits akzeptiertem Ergebnis durchsetzen zu können, schnelle Rechtssicherheit bei der Planung von Großprojekten erhalten zu können und sich auf eine effektive und schnelle Strafverfolgung verlassen zu können. So gesehen sind Ausgaben für die Justiz auch „Investitionen“ in die Zukunftsfähigkeit dieses Landes – wenn auch natürlich nicht im haushaltsrechtlichen Sinne.

 

Der gemeinsame Grundkonsens lautet daher: Wir dürfen und wollen die Justiz nicht kaputt sparen! Hamburg stellt der Justizbehörde dementsprechend auch jährlich rund 450 Mio. € zur Verfügung – dies sind gut 5 % unserer Betriebsausgaben.

 

Nichts desto trotz erfordert die dramatische Lage der öffentlichen Haushalte, dass wir bei allen staatlichen Ausgaben fortlaufend prüfen, ob wir die mit ihnen verfolgten Ziele nicht auch qualitativ gleichwertig (oder sogar besser) mit geringerem Kostenaufwand erreichen können. Und natürlich ist bei allen organisatorischen Maßnahmen und sonstigen Veränderungen zur Steigerung der Effizienz innerhalb der Justiz die richterliche Unabhängigkeit zu beachten. Dabei besteht sicherlich in diesem Kreise Einigkeit, dass aus der richterlichen Unabhängigkeit des Art. 97 GG kein Anspruch der Richter hergeleitet werden kann, dass alles so bleibt, wie es schon immer war.

 

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat das in einem Aufsatz aus dem Jahre 2001 so ausgedrückt: Die Unabhängigkeit sei kein Standesprivileg, sondern sichere die ausschließliche Bindung des Richters an Recht und Gesetz gegen sachfremde Einflussnahmen von außen ab. Mit anderen Worten: Art. 97 GG enthält keine institutionelle Garantie eines Haushaltsvorrechts der Dritten Gewalt. Auch ist aus ihm kein Anspruch der Justiz auf vorrangige Behandlung gegenüber anderen Politikbereichen abzuleiten.

 

Im Zusammenhang mit organisatorischen Veränderungen wurde in den letzten Jahren die Einführung  des „Neuen Steuerungsmodells“ auch in der Justiz lebhaft diskutiert. Dieses beinhaltet bekanntlich die aufeinander aufbauenden Elemente „Produktbildung“, „Kosten- und Leistungsrechnung“, „Controlling“, „Leistungs- und Budgetvereinbarungen“,  „Qualitätsmanagement“ sowie „Personalmanagement“. Als Problem hat sich allerdings bereits die Einführung eines wirksamen Controllings der richterlichen Tätigkeit erwiesen, weil ein Controlling die Einführung von Sollzahlen voraussetzt, um danach überhaupt einen Soll-Ist-Abgleich vornehmen zu können, was im Ergebnis aber wohl an der richterlichen Unabhängigkeit scheitert, weil damit eine unzulässige inhaltliche Steuerung der richterlichen Tätigkeit verbunden werden könnte. Weiteres Potential steckt dagegen noch in der Implementierung des „Neuen Steuerungsmodells“ für die Arbeit des nichtrichterlichen Personals. Zumindest in Hamburg konnte man den Eindruck gewinnen, dass dies in der – unberechtigten – Sorge kritisch gesehen wurde, dass damit durch die Hintertür weitere Elemente des „Neuen Steuerungsmodells“ für das richterliche Personal eingeführt werden sollten. Meines Erachtens ist das „Neue Steuerungsmodell“ innerhalb der Justizverwaltung ebenso gut anwendbar wie in der allgemeinen Verwaltung. Umso wichtiger scheint mir vor diesem Hintergrund allerdings, dass jeder einzelne Richter sich selbst ausreichend „controlled“, wenn er denn ein Controlling von außen – ob zu Recht oder zu Unrecht – ablehnt. Denn mit steigenden Fallzahlen wächst auch die persönliche Belastung eines jeden einzelnen Richters. Es wird angesichts der geschilderten, dramatischen Lage der öffentlichen Haushalte nur sehr begrenzt – wenn überhaupt – möglich sein, auf gestiegene Fallzahlen mit zusätzlichem richterlichem Personal zu reagieren. Die Richterschaft ist insoweit – wie alle Bediensteten des Staates – in der Pflicht, der Arbeitsverdichtung mit geeigneten eigenorganisatorischen Maßnahmen zu begegnen.

 

Dies ist Herausforderung und Verpflichtung zugleich: Die Verpflichtung, die anfallende Arbeit auch unter schwierigen Rahmenbedingungen qualitativ gleich bleibend gut zu erledigen, besteht gegenüber dem Staat, der als Arbeitgeber an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gelangt ist, und gegenüber der Allgemeinheit, was im Fall der Richterschaft noch durch die allgemeine Justizgewährungspflicht verstärkt wird. Ich habe den Eindruck, dass die Richterinnen und Richter sich dieser Herausforderung in ihrer großen Mehrzahl auch stellen. Papier bemerkte bezogen auf eine Einführung des Neuen Steuerungsmodells in der Justiz, dass der Rechtsstaat schlicht auf das Amtsethos des Richters vertrauen müsse und könne – das wollen wir tun.

 

Es wurden und werden aber noch weitere – notwendige - Anstrengungen unternommen, um die auch der Justiz nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen noch besser einzusetzen. Zu nennen sind insbesondere: Die Vereinfachung von Verfahrensabläufen, z.B. durch die diskutierte Vereinheitlichung von Gerichtsverfassungen und Prozessordnungen, die zumindest denkbare, das heißt prüfungswerte Zusammenlegung von Gerichten auch über die Landesgrenzen hinweg oder die noch intensivere Nutzung von elektronischen Medien. Weiterhin bleibt die Prüfungsaufgabe nach einer Übertragung von Aufgaben innerhalb der Justiz vom Richter auf den Rechtspfleger bzw. vom Rechtspfleger auf den einfachen Justizdienst. Und schließlich die Privatisierung und Ausgliederung nicht hoheitlichen Aufgaben.

 

Das Thema „Aufgabenkritik“ spielt in der Justiz mittlerweile eine ebenso große Rolle wie in der Verwaltung. Die Frage ist also, inwieweit sich auch die Justiz auf Kernaufgaben beschränken kann und muss. Hier ist zwischen den hoheitlichen Aufgaben zu unterscheiden, die notwendigerweise bei der Justiz verbleiben müssen, und so genannten „Gewährleistungsaufgaben“, die auch von Dritten erledigt werden können. Aber auch bei den „Gewährleistungsaufgaben“ darf Privatisierung kein Selbstzweck sein, sondern ist aus der Sicht eines „Finanzers“ eigentlich nur dort sinnvoll, wo Ausgaben des Staates bisher nicht durch kostendeckende Einnahmen refinanziert werden. Diskutiert wird eine Privatisierung außerhalb des richterlichen Bereichs vor allem in den folgenden Bereichen, wobei auch bei diesen stets im Detail geprüft werden muss, ob Freiheitsrechte der Bürger einer Verlagerung der Aufgabe auf private Dritte im Wege stehen:

 

Aufgabenübertragung auf Notare: Hamburg hat sich dafür eingesetzt, die einvernehmliche Scheidung auf Notare zu übertragen, was auf der Justizministerkonferenz allerdings nicht mehrheitsfähig war. Hier wäre allerdings eine nennenswerte personelle Entlastung der Justiz zu erwarten. Der verfassungsrechtlich geschützte Wert der Ehe hängt unserer Ansicht nach nicht davon ab, wer bei ihrem Scheitern die Scheidung ausspricht. Die Weichen für die Übertragung von Aufgaben auf die Notare im Nachlasswesen sind dagegen gestellt. Notare werden damit zu Nachlassgerichten 1. Instanz.

 

Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens: Diskussionswürdig erscheint hier vor allem das Modell, die Aufgaben der bislang beamteten Gerichtsvollzieher auf beliehene Private zu übertragen, zumal die Vergütung eines Gerichtsvollziehers schon heute nicht der eines klassischen Beamten entspricht. So bliebe die Aufgabe hoheitlich und der Private als Beliehener lediglich zu ihrer Erfüllung herangezogen. Dies sollte nach meiner Einschätzung jedenfalls mit allen bisher entdeckten Freiheitsrechten vereinbar sein.

 

Privatisierung der Registerführung: Die vollständige Übertragung der Registerführung auf die Industrie- und Handelskammern war – trotz Hamburger Unterstützung noch aus FDP-Zeiten – politisch nicht durchsetzbar, ohne das dabei verfassungsrechtliche Gründe im Wege standen. Das Beispiel Handelsregister zeigt jedoch sehr eindrucksvoll, dass auch die Justiz selbst in der Lage ist, effiziente und kundenfreundliche Verfahren mit Hilfe moderner technischer Lösungen zu entwickeln: Hamburg war das erste Bundesland, das sämtliche Daten des Handelsregisters für Jedermann im Internet zur Verfügung stellen konnte. 

 

Diese Beispiele zeigen und ich gebe zu: Das Potential für die Ausgliederung von Aufgaben der Justiz zur Entlastung der öffentlichen Haushalte ist zwar überschaubar, aber noch nicht vollständig ausgeschöpft. Es gibt in Zeiten knapper Kassen und haushaltsrechtlicher Notlagen keine einfachen und für alle bequemen Lösungen. Vieles von dem, was für eine optimale Ausstattung der Justiz wünschenswert wäre – in personeller oder sachlicher Hinsicht, wird auf absehbare Zeit nicht finanzierbar sein.

 

Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unterstützung: Nur wenn die Richterschaft – wie alle Bediensteten des Staates – dessen finanzielle Notlage akzeptieren und es als persönliche Herausforderung begreifen, auch unter schwierigen Bedingungen optimale Leistungen zu erbringen, wird es möglich sein, auch künftig mit dem Faktor Justiz im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte zu punkten.

 

Ich kann Ihnen im Gegenzug versichern, dass die Bedeutung eben dieses Standortfaktors Justiz auch in den Finanzministerien bekannt ist und wir deshalb gemeinsam mit den Kollegen der Justizministerien weiterhin dafür sorgen werden, die Justiz im Rahmen des Möglichen finanziell gut auszustatten. Im Ergebnis verhält es sich aber genauso wie mit den anderen eingangs beispielhaft genannten Standortfaktoren „Ausbildungsstand der Bevölkerung“ oder „Verkehrsinfrastruktur“: Nicht alles, was zur Stärkung dieser Standortfaktoren wünschenswert und manchmal vielleicht auch nötig wäre, ist auch finanzierbar - jedenfalls nicht sofort.