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Teil XIII
- Die Bürokratie -

Abenteuerliche Vorstellungen entwickelte Landgerichtspräsident Dr. Julius Engel in seinem Schreiben vom 21. März 1911 über eine Erweiterung des Ziviljustizgebäudes. Er hielt Anbauten in den Höfen, parallel zur Sievekingplatzfront für möglich und legte sogar eine eigene Skizze mit zwei Varianten dazu vor. Sie weisen zwischen Altbau-front und eingeschobenem Gebäuderiegel 11 bzw. 15 Meter Zwischenraum aus und hätten einen Flächenzuwachs von 1000 qm erbracht. Daß damit die gesamte großzügige und lichte Architektur des alten Ziviljustizgebäudes zerstört worden wäre, liegt auf der Hand.

Aber Engel ging es nicht um Ästhetik. Dr. Julius Engel war ein Mann der Tat. Sein Zeitgenosse Dr. Gustav Schiefler - Landgerichtsdirektor in Engels Gericht - zitiert eine offenbar charakterische Begebenheit. In einem Gespräch zwischen dem kunstliebenden Schiefler, Engel und dem Oberingenieur Sperber über den von Schiefler gerade erstellten Katalog der Werke des Malers Liebermann wandte sich Engel an Sperber und bemerkte: "Sie in Ihrer verantwortungsvollen Stellung haben wohl zu solchen Beschäftigungen keine Zeit?"

Richtig an Engels Überlegungen war aber unbestritten, daß das erst 8 Jahre zuvor fertiggestellte Ziviljustizgebäude zu klein geworden war für die wachsenden Bedürfnisse der Handelsstadt.

Die Anregung Dr. Engels wurde aus diesem berechtigten Grunde auch aufgegriffen.

"Der Justizverwaltung wäre es zu wissen erwünscht, ob das Ziviljustizgebäude einer Erweiterung durch Anbauten auf den Höfen fähig ist, oder ob die Luft- und Lichtverhältnisse bei solchen Anbauten so ungünstig würden, daß die Anbauten sich nicht empfehlen" schrieb der Vorstand der Senatskommission für die Justizverwaltung, Bruno Luis Schaefer, unter dem 24. März 1911 an die Baudeputation. Die Baudeputation nahm am 24. April 1911 Stellung. Sie wies darauf hin, daß die Lichtverhältnisse bei Durchführung des Vorschlages etwa denen in den Innenhöfen des Oberlandesgerichts entsprechen würden. Man hielt den Vorschlag für vertretbar, wenngleich auch die Fundamentierung im östlichen Hof teuer werde, weil der dortige Bauteil über dem alten Stadtgraben errichtet werden müsse.

Die Hochbauabteilung fügte diesem Schreiben eine Zeichnung bei, in der sie die Alternative des Abstandes von 11 Metern ausführte:

 

 

Hiermit endet die Initiative zunächst. Für die Zeit ab 1914, in die der Weltkrieg und die Jahre des Umsturzes und des wirtschaftlichen Chaos fallen, ist das verständlich. Warum die Überlegungen schon 1911 abbrachen, ist den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen.

Erst 1926 dachte man wieder an das Projekt. Es gibt ein kleines Begleitschreiben vom 16. Januar 1926, wonach die das Ziviljustizgebäude betreffend Akten an Oberbaudirektor Schumacher übersandt wurden. Die Baupolizei wurde eingeschaltet und sah keine Bedenken gegen den alten Plan, zwei Querriegel in die Innenhöfe zu bauen. Allerdings könnten einige Räume nur "zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen als Akten- oder Anwaltszimmer nutzbar gemacht....werden". Dies werde etwa RM 700.000.- kosten. Gegebenenfalls, schrieb die Baudeputation am 23.1.1926, komme auch eine Aufstockung des Ziviljustizgebäudes in Betracht.

In ihrer Antwort auf diese Zuschrift lehnte die Senatskommission für die Justizverwaltung mit Schreiben vom 20.2.1926 den "Lichthofeinbau" ab. Wegen der geringen zu gewinnenden Nutzfläche und der schlechten Lichtverhältnisse komme diese Lösung nicht in Betracht. Auch durch eine Aufstockung sei nicht genug Raum zu gewinnen; diese ergäbe nur 2000-2300 qm Nutzfläche. Man brauche aber ca. 7600 qm. Die Senatskommission für die Justizverwaltung schlug stattdessen einen Neubau am Holstenwall vor, den man durch einem Gang mit dem Ziviljustizgebäude verbinden könne.

Auch der Amtsgerichtspräsident Blunck war nicht mehr mit den früher angedachten Lösungen zufrieden, wie er am 6.2.1926 an die Senatskommission für die Justizverwaltung schrieb. Der durch eine Aufstockung zu gewinnende Raum sei ungeeignet für die besonders benötigten Sitzungssäle. Der architektonische Eindruck wäre mangelhaft, im übrigen verwies auch er auf den "sumpfigen Untergrund", auf dem das Justizgebäude dann errichtet werden müsse. Auch er sprach sich für einen Neubau außerhalb des alten Gebäudes aus.

Für die dringendsten Raumbedürfnisse wurde 1927 durch die Auslagerung der Justizkasse, der Hinterlegungsstelle, der Abteilung für Testament- und Nachlaßsachen, der Konkursabteilung sowie der Abteilung für Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in den Erweiterungsbau an der Drehbahn Abhilfe geschaffen. 1571 qm wurden dadurch im Ziviljustizgebäude frei.

Amtsgerichtspräsident Blunck sah in seinem Schreiben vom 20. Februar 1926 Bedarf für zwölf neue Abteilungen. Für sie werde der zu gewinnende Raum benötigt, ohne daß dann noch ein Zuwachs möglich sei. Er wünschte zudem - im Interesse der Hausmakler und Rechtsanwälte - das Grundbuchamt wieder im Ziviljustizgebäude unterzubringen. Bei einem Anbau am Holstenwall bestehe die Möglichkeit, die zur Drehbahn ausgelagerten Abteilungen und das im Oberlandesgerichtsgebäude befindliche Handels- und Genossenschaftsregister zurückzuführen. Allein für das Grundbuchamt ergab die Rechnung des Präsidenten einen Raumbedarf von 3545 qm, unter denen 300 qm für eine Wartehalle waren.

Dieses Schreiben dürfte die erste urkundliche Erwähnung unserer heutigen "Grundbuchhalle" sein. Seine langen Ausführungen schloß der Amtsgerichtspräsident mit einem speziellen Wunsch:

"Dringend empfehlen möchte ich schließlich noch, im Ziviljustizgebäude die Gasbeleuchtung, die schon zu vielen Klagen Anlaß gegeben hat, durch elektrische Beleuchtung zu ersetzen, die im Gebrauch viel billiger und weniger feuergefährlich, auch vom gesundheitlichen Standpunkt aus vorzuziehen sein würde". Wir schreiben das Jahr 1926. Das neue Gebäude erhielt elektrisches Licht.

Oberbaudirektor Schumacher hatte nun den Vorgang auf seinem Schreibtisch. Er legte unter dem 13.4.1926 seine Vorstellungen nieder und wurde mit handschriftlichem Vermerk vom 24.4.1926 - so schnell ging das damals - "zum gefl. Vortrag in der Sitzung" gebeten.

Schumacher sah drei Möglichkeiten, die er in den Plänen A-C darstellte:

Lösung A sah eine Erweiterung in Richtung auf den heutigen Karl-Muck-Platz und das DAG-Gebäude vor. Schumacher kommentierte diese Lösung dahin, es werde den Dienstbetrieb schwer und weitläufig gestalten und wegen der Gründung über dem alten Wallgraben teuer werden. Er hielt diese Lösung aber schon deswegen für untragbar, weil sie den Zusammenhang der Grünanlagen zerreißen und das Gefüge des Sievekingplatzes aus dem Gleichgewicht brächte.

Könnte Schumacher doch den heutigen zerrissenen und aus dem Gleichgewicht gebrachten Zustand des Sievekingplatzes kommentieren. Vielleicht wäre dieser großartige Mann imstande, wozu Oberbaudirektor Kossack heute die Kraft fehlt: Den Verantwortlichen Beine zu machen angesichts der Verschandelung eines Platzes, der bei seiner Anlage einer der schönsten und großzügigsten der Stadt war. Die Herstellung des Sievekingplatzes hat heute keine Priorität - ebensowenig wie offensichtlich die Justiz überhaupt bedeutsamen Rang einnimmt: In der Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung ("Eine kleine Hamburg-Kunde") über Senat und Bürgerschaft, Behörden, Hamburgs Kultur- und Wirtschaftsleben kam bis zur Neuauflage 1995 die Justiz nicht vor.

Die von Schumacher aufgezeigte Lösung B bestand in einem langgestreckten Trakt am Holstenglacis, gegenüber dem Heiligengeistfeld. Schumacher schloß diese Lösung aus. Sie werde das Landschaftsbild erheblich stören und die Verwendbarkeit des offenen Geländes zwischen Holstenwall und Heiligengeistfeld beeinträchtigen.

Lösung C entsprach von der Lage her der heutigen Lösung. Schumacher fand in diesem Vorschlag keine der Nachteile der anderen Lösungen: Die gedrängte Form erlaube einen guten inneren Betrieb und eine wirtschaftliche Anlage. Wenn es unvermeidlich sei, in der Umgebung des Ziviljustizgebäudes Raum zu opfern, so könne dies dort am leichtesten geschehen. Die architektonische Wirkung sei eine befriedigende. Das Gebäude werde einen Raum von ca. 58.900 cbm umfassen und Baukosten von etwa 2,5 Mio Mark verursachen. Die gewünschten 7600 qm für Amts- und Landgericht könnten ohne weiteres gewonnen werden.

Die dazu angehörte Behörde für das Gartenbauwesen äußerte sich wie folgt (von Schumacher zitiert):

"Es ist außerordentlich bedauerlich, daß immer wieder noch Teile der alten Wallanlagen für Bauwerke in Anspruch genommen werden. Ich empfehle zu prüfen, ob es nicht zweckmäßig ist, den Neubau an anderer Stelle auszuführen. Ich fürchte, daß, wenn jetzt einer der geplanten Anbauten gemacht wird, in einigen Jahren das Gebäude wiederum zu klein ist und daß dann wieder Stücke der umgebenden Anlagen in Anspruch genommen werden. Von den vorgelegten Skizzen würde der Vorschlag C, wenn er auch eine erhebliche Beeinträchtigung der Anlagen bedeutet, nach Ansicht des Gartenwesens der günstigste sein".

Die Bitte um Erwägung anderer Standorte kommentierte Schumacher mit den Worten: "Für einen Neubau an anderer Stelle, der mit dem Betrieb des Altbaus in bequemer Verbindung steht, weiß ich keinen Vorschlag zu machen".

Am 15. April 1926 tagte die Baudeputation. Schumacher trug seinen Bericht vor. Das Protokoll ist uns erhalten. Begeistert war man nicht. Es erging folgender Beschluß:

"I. Dem Senat unter Übersendung des technischen Berichts vom 13.d.M. nebst drei Lageplanskizzen ergebenst zu berichten, die Baudeputation bedaure es außerordentlich, daß wiederum ein landschaftlich reizvolles Stück der alten Wallanlagen für Bauzwecke geopfert werde solle. Sie würde es sehr begrüßen, wenn dem Raumbedürfnis der Justizverwaltung auf andere Weise abgeholfen werden könne. Da die Bebauung des hamb. Stadtgebietes stetig fortschreite und die Einwohnerzahl ständig zunehme, werde nach Ansicht der Mehrheit der Baudeputation rechtzeitig auf eine Dezentraliseriung der Gerichte Bedacht zu nehmen sein....

II. ....daß die Baudeputation, falls eine Inanspruchnahme der alten Wallanlagen nicht zu umgehen sei, für die Erweiterung des Ziviljustizgebäudes das Projekt C zur Ausführung kommen solle."

Die Besorgnis der Baudeputation um die alten Wallanlagen herrschte nicht ohne Grund. Schon damals war das ringförmig um die innere Stadt gelegene Gelände ständiges Objekt der Begierde. Es war ursprünglich eine im englischen Stil gestaltete naturnahe Parkanlage. Der alte Stadtgraben war nur noch teilweise erhalten. Schon während der Gewerbeausstellung 1889 war dieser großzügige Grünzug zwischen Ziviljustizgebäude und Museum für Hamburgische Geschichte erheblich umgestaltet worden. Gustav Schiefler, Zeitzeuge auch hier, schreibt dazu: "Die Gewerbeaussellung von 1889 gab Anlaß, die Partie zwischen Holstenplatz und Millerntor unter Einbeziehung des Stadtgrabens und seiner Böschungen zugleich anspruchsvoll und doch, im Sinne der Zeit, kleinlich - mit Hängebrücken, Uferbuchten, sinnigen Baumgruppen - gärtnerisch auszubauen. Kurz vor Kriegbeginn 1914 hatte man auf der ehemaligen Bastion Henricus, ebenfalls Teil der Wallanlagen, mit dem Bau des von Fritz Schumacher entworfenen Museums begonnen, das 1923 fertiggestellt wurde. Die sich heute im Gebiet zwischen Ziviljustizgebäude und Millerntor ausdehnende wenig ansprechende Rasen-, Beton- und Wegelandschaft, die nur gelegentlich durch die stetig abnehmende Zahl von Bäumen und Sträuchern aufgelockert wird, ist eine Hinterlassenschaft der Gartenbauausstellung von 1962, anläßlich derer auch die ursprünglichen Anlagen auf dem Sievekingplatz und insbesondere das dort befindliche große Wasserbecken, zerstört wurden.

1995/96 wurden erneut zahlreiche Bäume und Büsche gerodet wurden, um eine Minigolfanlage und breite Wege zu errichten. Ein landschaftlich reizvolles Stück der alten Wallanlagen wird daraus nicht werden. Die täglichen Benutzer des Parks, die im Großstadtgetriebe ruhiger Oasen bedürften, hat niemand nach ihren Wünschen gefragt.

Oberbaudirektor Schumacher hatte Wert und und Notwendigkeit dieser stillen Parks und Gärten für Großstadtbewohner erkannt und seine Überlegungen in die Planung und Anlage großzügiger Parkanlagen mit schattigen angenehmen Plätzen umgesetzt. Vergessen sind wohl auch seine Gedanken zu diesem Thema.

In ihrer Sitzung vom 28.9.1926 beschloß die Finanzdeputation, sich mit der Ausführung nach dem Schumacher Vorschlag C einverstanden zu erklären und die Baudeputation um einen spezifizierten Kostenvoranschlag zu bitten.

Noch im Herbst 1926 begann eine rege Korrespondenz zwischen Schumacher und den Präsidenten von Amts- und Landgericht über deren Raumbedarf. Amtsgerichtspräsident Blunck beschrieb am 1. November 1927 der Baudeputation seine Raumwünsche unter Hinweis darauf, daß er sich "größtmögliche Beschränkung bei der Berechnung des Raumbedürfnisses auferlegt" habe. Es ergaben sich jedoch trotzdem circa 7600 qm allein für das Amtsgericht.

Der Landgerichtspräsident verlangte Raum für "25 Zivilkammern und 25 Kammern für Handelssachen, um den voraussichtlichen Bedarf der nächsten 50 Jahre zu decken. Man benötige für jede Zivilkammer neben dem für zwei Kammern bestimmten Sitzungssaal 4 Räume: für den Vorsitzenden, für zwei Beisitzer, für die Gerichtsschreiberei und für den Leiter der Gerichtsschreiberei. Es ergab sich für das Landgericht ein Bedarf von 3500 qm Raum und 145 Doppelfenstern. Der Landgerichtspräsident - nach Dr. Engel und Johannes Ipsen war es jetzt Dr. Friedrich Ewald (Gerichtspräsident von 1924-1931) - schloß sein Schreiben an die Baudeputation vom 1. November 1926 mit diesen Worten:

"Zum Schluß bitte ich noch, dabei zu berücksichtigen, daß das Präsidialzimmer und die Räume des Sekretariats in die Hinterfront des Erweiterungsbaus verlegt werden, damit diesen jetzt nach Nordosten gelegenen Räumen durch die Verlegung nach der Südwestlage die stets entbehrte Besonnung zu teil wird." An die Sonne strebte nicht nur der Landgerichtspräsident. So bat Hausmeister Kalis um den Einbau einer Wohnung auf der (neuen) Sonnenseite, da er sonst nach dem Anbau in einer Kellerwohnung leben müsse, der Sonne und Licht fast vollständig entzogen seien. Seine Tochter sei lungenkrank, seine Frau habe Rheumatismus.

Auf die an ihn herangetragenen vollkommen überzogenen Raumwünsche reagierte Fritz Schumacher mit einem deutlichen Brief an die Senatskommission für die Justizverwaltung vom 8. November 1926. Er erinnerte daran, daß gebeten worden sei, einen Erweiterungsbau von insgesamt 7600 qm zu projektieren, nunmehr würden vom Amtsgericht 7600 qm und vom Landgericht weitere 3600 qm gefordert. In einem vergleichsweise gereizten Ton beendete Schumacher sein Schreiben:

"Diese Bedürfnisse in dem Anbau zu befriedigen, ist gänzlich unmöglich. Bevor das geplante Projekt jetzt weiter bearbeitet werden kann, bedarf es deshalb zunächst einer Reduzierung der Raumforderungen, um sie in Einklang mit den wirklich zu erzielenden Nutzflächen zu bringen. Ich bitte deshalb um möglichst beschleunigte Angabe, welcher Teil des Programms erfüllt werden, bzw. wie es abgeändert werden soll."

Im Zusammenhang mit seiner Arbeit am Bau der Finanzbehörde auf dem Gänsemarkt prägt Schumacher ein treffendes Wort für seine Leiden am Bauherrn: "Baumartyrium". Ein solches erlitt er während der Planung und Ausführung des Anbaus zum Ziviljustizgebäude, wie noch zu zeigen sein wird.