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Kaiser und Könige über dem Portal des Ziviljustizgebäudes einer Stadtrepublik? Beinahe wäre den Stadtvätern dieser Widersinn gelungen. Zum Schmuck des Portals am Ziviljustizgebäude wurden der oströmische Kaiser Justinian, der deutsche Kaiser Maximilian I., der preußische König Friedrich der Große und Kaiser Wilhelm I. vorgeschlagen. Sie sollten Marksteine der Rechtsentwicklung symbolisieren:
Justinian steht dabei für die Sammlung des Corpus Iuris Civilis in den Jahren 529 - 535, Maximilian für die Reichskammergerichtsordnung von 1495. Die Darstellung des Großen Friedrich war vorgesehen als Erinnerung an die preußische Justizreform, die er durch Kabinettsorder 1780 aus Anlaß des berühmten Rechtsfalles um den Müller Arnold initiierte und die 1793 zur Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten führte, sowie 1783 zur Neufassung der Hypothekenordnung und 1791 zum Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten (ALR). Wilhelm I. schließlich wurde auf Grund der in seiner Regierungszeit entstandenen Gesetzeswerke, insbesondere der Reichsjustizgesetze von 1879 (Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz und Konkursordnung) in die Wahl gezogen.
Der einzige unter ihnen, der sein Denkmal erhielt, war Kaiser Wilhelm. Seinem Reiterstandbild, das Enkel Wilhelm II. im Jahre 1903 feierlich auf dem Rathausmarkt enthüllte, standen allegorische Figuren zur Seite. Sie repräsentieren die in seiner Regierungszeit geschaffenen Gesetzeswerke. Die innige Verbindung des Kaisers mit seinen Werken ist heute verloren: Der Kaiser reitet einsam und gnädig versteckt neben dem Ziviljustizgebäude, seine Gesetzeswerke harren - von Passanten verkannt und verspottet - zusammenhanglos auf einem Grasplatz vor dem Gebäude des Oberlandesgerichts eines einsichtigen Verantwortlichen, der eine Zusammenführung der versprengten Teile ins Werk setzt.
Die übrigen Monarchen fielen der überraschenden Besinnung auf die eigenen Werte zum Opfer. Justizsenator Gustav Hertz - "Präses der Kommission für die Justizverwaltung" von 1888 bis 1904 - schlug vor, Hamburgische Juristen auszuwählen. Hier boten sich eine ganze Reihe verdienstvoller und für das Recht in Hamburg bedeutender Juristen an. Nicht in die engere Wahl kam Bürgermeister Langenbeck, der Herausgeber des Stadtrechts von 1497, den der Stadtarchivar Hagedorn vorgeschlagen hatte, und der eine gute Wahl gewesen wäre.
So kommt es, daß heute die Standbilder der Herren Moller, Schlüter, Heise und Baumeister wegweisend über dem Portal stehen - 2,20 m hoch und in Bronzeguß bzw. Kupfertreibarbeit mit "Rücksicht auf die Dauerhaftigkeit und die außerordentliche Wirkung, welche das Klima hierorts dem Kupfer durch die Patina ... verleiht". Man sieht: Die Stadtväter wollten etwas Durables für ihr Geld.
Vincent Moller vom Hirsch (1560-1621), seit 1596 Ratsherr und ab 1599 Bürgermeister, war Hauptredakteur und Koordinator des Stadtrechtes von 1603. Er selbst trug neben dem Gesamtplan unter anderem das Prozeßrecht bei und besorgte die Revision im Jahre 1605 allein. Reincke meint, diese Leistungen seien aller Ehren wert, besonders habe sich Moller aber durch seine politische Haltung ausgezeichnet, die beispielhaft sei für das Hamburgische Rechts- und Verfassungsleben. Bestreben nach Ausgleich der Gegensätze zeichne es aus. Diese Haltung stehe den Wirklichkeiten des Lebens und des Menschlichen viel näher als eine in abstrakten Höhen mit Begriffen spielende Jurisprudenz.
Matthäus Schlüter (1648-1719, Abb. 18), seit 1675 Advokat in Hamburg, wurde 1703 Ratsherr. Seinen Ruhm begründeten zivilrechtliche Abhandlungen, die das Hamburger Privatrecht nachhaltig prägten: Sein berühmtestes Werk ist das "Tractat von denen Erben in Hamburg", dessen erste Auflage 1698 erschien. Benecke charakterisierte dieses Buch als Muster gelehrter Detailmalerei. Es behandelt die Rechtsverhältnisse des Grundeigentums. 1703 kam das "Tractat von dem Verlassungsrecht" heraus, das sich mit der Auflassung von Grundstücken befaßt. In seinem 1856 erschienenen Buch zum Hamburger Privatrecht weist Baumeister darauf hin, daß Schlüters Werke "noch jetzt von erheblichem Werthe" seien.
Georg Arnold Heise verdankt den Ehrenplatz seinem Wirken am Oberappellationsgericht. Am 13. November 1820 wurde das Oberappellationsgericht der vier Freien Reichsstädte Deutschlands in Lübeck eröffnet, das bis zum Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze 1879 die letzte Instanz für alle "bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Kriminalsachen" der Städte Bremen, Lübeck, Hamburg und - bis 1866 - Frankfurt war. Zu seinem ersten Präsidenten wurde Georg Arnold Heise (1778-1851) berufen. Heise hatte zuvor als angesehener Rechtslehrer an den Universitäten Göttingen und Heidelberg gewirkt. Die Einteilung des Stoffes für seine Pandektenvorlesungen und der daraus entstandene "Grundriß eines Systems des Gemeinen Rechts" (1807) wurden zur Basis des Bürgerlichen Gesetzbuches, das am 1.1.1900 in Kraft trat und seither das Zivilrecht dominiert. Insbesondere die Voranstellung eines Allgemeinen Teils und die Einteilung in fünf Bücher ist auf Heise zurückzuführen. Er war als Präsident des Oberappellationsgerichtes ein hochangesehener Jurist, der half, den weitverbreiteten Ruhm dieses Gerichtes zu begründen und zu festigen.
Hermann Baumeister schließlich, 1806 geboren, war zunächst Advokat, dann - von 1835 bis 1859 - Richter am Niedergericht (Abb 19). 1848/49 beeinflußte er als Präsident der Konstituierenden Versammlung die Kämpfe um eine zeitgemäße Hamburger Verfassung. Von 1859 bis zu seinem Tode 1877 gehörte Baumeister dem Obergericht an, dessen Präsident er 1876 wurde. Für die Jahre 1869-1877 diente er der Stadt darüberhinaus als Präsident der Bürgerschaft, der er seit 1859 angehört hatte. Baumeisters Lehrbuch (1. Auflage 1856) galt als Standardwerk zum Hamburgischen Privatrecht.
Die vier Standbilder waren teuer. 50.000,-- Mark sollten die geplagten Stadtväter sie aufbringen. Hierin enthalten sind die Kosten für zwei Herolde, die bis heute unermüdlich ihre Aufgabe erfüllen, zum Gerichtstag zu laden, und eine Justitia. Die Gerechtigkeit hat ihr Werk bereits getan und hält zum Zeichen des eben gesprochenen Urteils ihr Schwert waagerecht - der Streitfall ist zum Ausgleich gebracht worden.
Doch der Reihe nach: Konkreten Anlaß zu neuen Bauplänen für die Justiz gab die Einrichtung eines dritten Senates am Hanseatischen Oberlandesgericht 1885. Der Senat der Stadt informierte mit Schreiben vom 28. Januar 1885 die Baudeputation darüber, daß "eine Abänderung der Lokalitäten in der Dammthorstraße erforderlich werde" und bat darum, Vorschläge dafür zu erarbeiten, ein Ziviljustizgebäude zu bauen, das neben dem Hanseatischen Oberlandesgericht das Landgericht, das Amtsgericht, die Vormundschaftsbehörde und das Gerichtsvollzieheramt aufnehmen sollte.
Im Neuen Wall 71 waren das Erbschaftsamt und die Vormundschaftsbehörde eingerichtet. Das Gerichtsvollzieheramt lag im Neuen Wall 29; Amtsgericht und Oberlandesgericht schließlich hatten ihre Geschäftsräume an der Dammthorstraße 10. Dort stellte anläßlich einer Besichtigung das Medizinalkollegium fest, die Zimmer seien trotz der draußen scheinenden Sonne "dunkel und nicht ventiliert". Das "Gas mußte brennen, die Zimmer waren mit Bürobeamten überfüllt, erträgliche Luft war nur in den Audienzzimmern zur Dammthorstraße". Die Kommission erklärte die Räume wegen "Mangel an Luft und Licht als gesundheitsschädlich für die darin beschäftigten Beamten".
Mit dem Schreiben vom 28. Januar 1885 begannen 12 Jahre der Diskussion über Standort, Größe und Ausstattung eines Ziviljustizgebäudes. Weitere sechs Jahre dauerte der Bau. Richten wir uns also auf einen langsamen Gang der Dinge ein:
Die Stadt hatte in diesen Jahren eine Fülle großer Bauwerke zu planen und zu finanzieren. Der Zollanschluß machte es notwendig, große Flächen für den heiß umkämpften Freihafen bereit zu stellen. Ganze Straßenzüge - reizvolle und traditionsreiche übrigens - wurden eingeebnet; Hafenbecken, Kaianlagen und die Speicherstadt entstanden. Welche gewaltigen Erdbewegungen hierzu nötig waren, zeigen eindrucksvolle Bilder von den Bauarbeiten. Große Aufgaben und Ausgaben brachten auch der Bau der neuen Elbbrücke (1887), des Rathauses (1897) und der Abriß des Gängeviertels zwischen Rathausplatz und Hauptbahnhof, auf dessen Gelände 1909 die Mönckebergstraße entstand. Dringend erforderlich war der Bau des neuen Filterwerkes in Kaltehofe, der nach der schweren Choleraepidemie (1892) in Angriff genommen wurde, und des Elbtunnels (1911). Die Planungen zum Ziviljustizgebäude fallen in eine Zeit, in der sich eine gealterte Stadt, deren Baulichkeiten den Anforderungen der Zeit und den eigenen Ambitionen nirgends mehr genügten, in eine moderne Großstadt zu verwandeln begann.
Baudirektor Zimmermann - um erste Entwürfe und Kostenanschläge gebeten - jagte den Stadtvätern den hellen Schrecken ein, indem er Überlegungen präsentierte, deren Kosten sich auf 4 Millionen Mk. beliefen. Man wandte sich 1886 eilig einer billigeren Lösung der Raumprobleme zu. Verschiedene leerstehende öffentliche Gebäude sollten bezogen werden. Dem Oberlandesgericht diente die Stadt die alte preußische Post am Gänsemarkt an. Dem Amtsgericht sollten die Räume in der Dammthorstraße allein überlassen bleiben (Protokoll des Senats vom 16. Juli 1886). Diese Rechnung hatten die Verantwortlichen jedoch ohne den Wirt gemacht. Das Vorhaben stieß auf den erbitterten Widerstand des Oberlandesgerichtspräsidenten. Seit Gründung des Gerichts war Dr. Ernst Friedrich Sieveking (1836-1909) im Amt. Seiner Entschlossenheit ist die Entstehung des Sievekingplatzes in nicht unbeträchtlichem Maße zu verdanken. Er ist damit einer der wenigen Menschen, nach denen ein Platz mit gutem Grund benannt wurde. Sein Bild können wir in Lebensgröße auf einem Gemälde sehen, das im ersten Stock des Oberlandesgerichts hängt und den "Chefpräsidenten" mit seinen Senatspräsidenten zeigt; Kalckreuth malte es 1904. Sieveking schrieb am 19. April 1887 an den zur Lösung des Bauproblems eingerichteten Ausschuß. Einem entschiedenen Verriß des Planes stellte er einleitend einige Bemerkungen voran:
<Weshalb für die Zwecke der Strafjustiz vornehme und würdige Räume geschaffen werden, während die Civilgerichte in verschiedenen theils alten, theils notdürftig hergerichteten, zerstreut liegenden Gebäuden untergebracht werden, vermag ich nicht einzusehen. Die Majestät des Gesetzes ist dieselbe für die Civil- wie für die Strafjustiz . . . Und vor Allem: Die erste deutsche Handelsstadt wird sich doch auf die Länge der Verpflichtung nicht entziehen können, die Justiz nicht nur für Geschworene und Angeklagte, sondern auch für die Civiljustiz würdig und ebenso auszustatten, wie dies jetzt in allen Großstädten geschieht. Warum soll denn nicht die gegenwärtige Generation schon der Freude theilhaftig werden, welche der Besitz großer und schicklicher Räume gewährt ?>
Aus solch' berufenem Munde verfehlte die Mahnung ihre Wirkung nicht. Sie war immerhin so eindrucksvoll, daß der Bürgerschaftsausschuß im Januar 1888 den Sparantrag des Senats ablehnte und den Senat ersuchte, eine Vorlage für den Neubau herstellen zu lassen. 1889 wurde die Ausführung dieses Auftrages angemahnt (Abb. 20):
Es tat sich zunächst nichts. Als der Senat im Januar 1890 um Bewilligung neuer Richterstellen nachsuchte, nahm die Bürgerschaft dies zum Anlaß für eine erneute Mahnung: (Abb. 21)
Nach wiederholter Bitte der Bürgerschaft, die Planungen zu beschleunigen, um "wenn auch mit weiser Sparsamkeit, auch der Civil-Justiz eine der Hansa und Hamburgs würdige Stätte zu bereiten" legte der Senat schließlich am 30. November 1894 nach Beratung mit den beteiligten Gerichten der Bürgerschaft Pläne und Kostenberechnungen des Baudirektors Zimmermann vor und bat um Bewilligung der Mittel von 3.310.000,-- Mark.
Die Bürgerschaft setzte - man kann es dem ungeduldigen Leser nicht ersparen - einen Ausschuß ein. Um die Zeit zu überbrücken, bis von der Vorlage eines Berichtes erzählt werden kann, wollen wir einen Blick auf die öffentliche Meinung werfen:
Die Morgenausgabe der Hamburger Nachrichten brachte am 15. Januar 1885 einen besorgten Artikel, unterzeichnet mit "mehrere Kunstfreunde". Diese wiesen darauf hin, daß der Bau eines öffentlichen Gebäudes in anderen Städten gemeiniglich eine Art von künstlerischem Ereignis zu sein pflege. Die Frage der äußeren Gestaltung eines derartigen Monumentalwerkes erwecke bei allen Bürgerschaften, denen die künstlerische Physiognomie ihrer Stadt nicht gleichgültig sei, den lebhaften Wunsch, das Werk möge der Stadt zur dauerhaften Zierde gereichen. Diesen Wunsch vermisse man bei den Hamburgischen gesetzgebenden Körperschaften. Werde doch die äußere Gestalt abgetan mit dem Hinweis darauf, daß sie sich der des gegenüberliegenden Strafjustizgebäudes anschließe. Die "Kunstfreunde" plädierten für eine zeitgemäße Lösung anstelle des Abklatsches und verwiesen schließlich darauf, daß die Baukunst - offenbar unbemerkt von den Stadtvätern - in den letzten zwölf Jahren doch neue Entwicklungen genommen habe.
Neben dem Mißfallen an der äußeren Gestaltung, das auch unser Kollege, der damalige Landgerichtsrat Gustav Schiefler teilte, kommt in diesem Aufsatz auch Kritik an der mangelnden Beteiligung der Öffentlichkeit zum Ausdruck:
Man plante nun also drei Justizgebäude. Dies war der endgültige Durchbruch für die Idee "Justizforum". Beschlossene Sache war allerdings auch, den überlebten Neorenaissance-Stil des Strafjustizgebäudes für die Ziviljustiz zu übernehmen. Mag sein, daß die noch neue Zugehörigkeit zum Kaiserreich, die Expansion der Stadt und ein neu entstandenes und eigentlich ganz unhanseatisches - nicht von allen geteiltes - Bedürfnis nach Größe und Glanz die Geister erfüllte. Jedenfalls befriedigte diese äußere Gestalt jenes Repräsentationsbedürfnis. Und, gemessen an wilhelminischen Auswüchsen der Architektur anderorts: Ist nicht der Eindruck unserer Bauten der Neorenaissance ein geradezu leichter und schlichter (Abb. 22) ?