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Reform der Juristenausbildung
Erneuerung oder Sparopfer?*
I. Problemaufriß

Über die Reform der Juristenausbildung wird, wenn man die Literatur richtig deutet, schon so lange gestritten, wie es Juristen gibt. Zuletzt haben sich die Justizministerinnen und -minister auf ein "Reform"modell geeinigt, das eine grundlegende Erneuerung verspricht. Wird hier – und in anderen Vorschlägen – wirklich eine zielorientierte Reform angesetzt, oder stehen finanzielle Interessen im Vordergrund, also Verbilligung der Ausbildung für den Staat und Vermeidung unerwünschter Konkurrenz bei den etablierten Berufsträgern? Und wie könnte eine nicht nur schlanke, sondern auch effiziente und international wettbewerbsfähige, "nachfrageorientierte" Juristenausbildung heute aussehen? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, ohne allerdings Anspruch auf Perfektion und Vollendung zu erheben, was übrigens auch kein anderer bisher publizierter Vorschlag tut. Aber die Diskussion sollte noch nicht beendet sein, auch wenn die Justizminister offenbar noch in der ersten Hälfte des Jahres 2000 verbindlich entscheiden wollen.

Weitgehend unstreitig ist, daß die derzeit in Deutschland praktizierte Ausbildung des juristischen Nachwuchses zu lang dauert. § 5a I 1 DRiG sieht eine Mindestdauer des Studiums von dreieinhalb Jahren vor, landesrechtliche Regelungen ermöglichen weitgehend den sog. "Freischuß" nach dieser Zeit. Die Referendarzeit (Vorbereitungsdienst, § 5b I 1 DRiG) beträgt zwei Jahre. Dennoch ist die Masse der Assessoren bei Abschluß der Ausbildung, wie Verf. aus eigener, intensiver Prüfungstätigkeit weiß, zwischen 28 und 30 Jahren alt. Dies liegt nicht nur an dreizehn Schuljahren bis zum Abitur und (bei Männern) Wehrdienst (zehn Monate, § 5 I 4 WPflG), sondern auch an wirtschaftlichen Notwendigkeiten, der Situation an den Universitäten und der Wartezeit auf einen Platz als Referendar/in – bis zu 24 Monaten in einigen Bundesländern. Verschiedene Bemühungen zur Verkürzung waren im Ergebnis nicht nachhaltig erfolgreich. Zwar werden etwa im Bereich des Gemeinsamen Prüfungsamtes die Klausuren vor der letzten Station geschrieben, so daß die mündliche Prüfung regelmäßig im (fast) direkten Anschluß an diese stattfinden kann und Wartezeiten wie beim früheren Hausarbeitsexamen entfallen. Demgegenüber stieg aber die Zahl der Teilnehmer an der Ausbildung fast stetig an. Gleichzeitig wurde die Zahl der vom Staat finanzierten Referendarplätze im Zuge der allgemeinen Sparübungen ständig reduziert. Damit ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volljuristen im europäischen Vergleich, auf den es zunehmend ankommt, in den letzten Jahren nicht verbessert worden, denn die Qualität der Ausbildung hat eher gelitten, vor allem in der praktischen Ausrichtung.

Ein weiteres Problem liegt darin, daß ein berufsqualifizierender Abschluß erst mit der Großen Staatsprüfung erworben wird, viele – dann nicht mehr ganz – junge Menschen sich also "erst nach einem langen, vergeblichen Studium [plus Warte- und Referendarzeit, Verf.] anderweitig beruflich orientieren müssen". Andererseits wird das Idealbild des "Volljuristen" weiterhin aufrecht erhalten oder doch nur wenig relativiert. Zu den notwendigen Fertigkeiten – wesentlich mehr als Grundlagen leistet die heutige Ausbildung selbst im Idealfall nicht angesichts der rasch wachsenden Zahl der Vorschriften und praktischen Problemstellungen – gehört aber auch die Kenntnis von Anforderungen und Arbeitsweisen im jeweils anderen juristischen Beruf. Das Unverständnis insbesondere zwischen Anwälten einer- und Richtern bzw. Verwaltungsjuristen andererseits hat heute schon Ausmaße angenommen, die Verf. gelegentlich erschreckend findet. Daß die gemeinsame Arbeit, nämlich das Finden einer rechtlich und praktisch akzeptablen Lösung für ein gestelltes Problem, hierunter leidet, muß wohl nicht näher ausgeführt werden. Lobenswerte Versuche, etwa des Hamburgischen Anwaltvereins, im Rahmen eines "Workshop Verwaltungsrecht" Praktiker aus allen Berufsfeldern zusammen zu bringen, zeigen nur die bestehende Misere auf und setzen viel zu spät an.

II. Praxisintegrierte
Juristenausbildung als Chance?

Die Justizministerinnen und –minister planen eine Ausbildung als "praxisintegriertes Universitätsstudium von zehn Semestern" zuzüglich Prüfungszeit, also eine Wiederauflage der früheren einstufigen Juristenausbildung. Allerdings soll jetzt nicht mehr das Assessorexamen als volljuristischer Abschluß am Ende stehen, sondern nach dem Staatsexamen soll eine "Berufseinarbeitungsphase" folgen. Diese ist für die verschiedenen Berufe differenziert angelegt. Sie soll, ähnlich einem Trainee-Programm, "für die klassischen juristischen Berufe obligatorisch sein und dort jeweils mindestens ein Jahr umfassen". Dies meint wohl Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsbeamte (RR z. A., jeweils natürlich auch die Weiblichen). Hier ist daran gedacht, das erste Jahr der "Probezeit" (bei niedrigerer Eingangsbesoldung?) mit unselbständiger "Hospitation" und obligatorischen "Fortbildungsveranstaltungen" zu verbringen. In der Anwaltschaft soll eine – wegen der fehlenden dienstrechtlichen Probezeit – zweijährige Phase als – ebenfalls unselbständiger – "Rechtsanwaltsassessor" folgen. Danach ist keine weitere Prüfung vorgesehen, sondern die Ernennung (nach Absolvierung der vollständigen Probezeit) bzw. die Zulassung als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt. Hiernach soll dann wiederum der Zugang zu den anderen juristischen Berufen ohne weitere Einarbeitungszeit möglich sein.

Die eigentliche Zielsetzung wird deutlich, wenn Goll auf die Finanzen zu sprechen kommt. Einerseits soll die Anhebung des Curricular-Normwertes an den Universitäten "die Anzahl der Studierenden einer Fakultät bei unveränderter Personalausstattung nahezu halbieren". Zumindest sollen die Anfängerzahlen nicht über 75% des heutigen Wertes liegen. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, daß durch die wegfallende staatliche Alimentierung gegenüber dem früheren einstufigen Modell erhebliche Finanzmittel frei würden, die immerhin teilweise zur Aufstockung des Personals an den Universitäten eingesetzt werden könnten, vorrangig wohl für (billigere) nebenberufliche Praktiker. Diese erwerben in der Tat keinen Festanstellungs- oder Pensionsanspruch und könnten bei weiterer Reduzierung der Anfängerzahlen in die Nähe von 50% (durch NC?) oder noch engeren Haushalten leicht wieder verabschiedet werden. Insoweit verwundert es auch nicht, daß angeblich die Kultusminister der Länder bereit sind, den Normwert zu verbessern und dadurch "zum Gelingen der dringend notwendigen Reform beizutragen". Das Modell entlarvt sich also als ein weiterer Versuch, an den Kosten der juristischen Ausbildung zu sparen. Nun ist Sparen an sich legitim, Steuergelder sollen nicht verschwendet werden. Sichert der Vorschlag denn wenigstens eine Verbesserung der Ausbildung, einen höheren Leistungsstand der Absolventen? Dies ist nicht zu erkennen.

Wer etwas verändern will, trägt die Beweislast dafür, daß das Neue besser ist als das Alte, wobei jetzt "billiger" nicht mehr zur Begründung ausreichen soll. Was ist besser, welche Probleme der derzeitigen Ausbildung werden tatsächlich gelöst?

Inhaltliche Schwerpunkte: Die Ausrichtung auf den Justizjuristen, die mangelnde Einbeziehung europäischer und internationaler Fragen, die fehlende "Berufsfeldorientierung" des Studiums, hierzu finden sich keine handfesten Antworten. Allein das Arbeiten in Kleingruppen führt nicht weiter, wenn dort Orchideen gezüchtet werden. Ob eine weitreichende Eigenverantwortung der Universitäten für die Inhalte und den Ablauf des Studiums eine Qualitätsverbesserung bringt und gleichzeitig weitgehend einheitliche Standards bei den Absolventen sicherstellt, wird hier bezweifelt. Andererseits ist die Chance nicht zu vernachlässigen, bestimmte Leistungseliten verstärkt zu fördern.

Verkürzung der Ausbildung: Zehn Semester plus Examen sind gegenüber dem derzeitigen Stand keine Verbesserung, da die vorgesehene Praxiszeit nicht dazu führt, daß die Absolventen eher als bisher auf dem freien Arbeitsmarkt tätig sein werden. Dabei geht es nur um den Bereich der Rechtsanwälte, die sich verstärkt europäischer Konkurrenz stellen müssen. Richter und Staatsanwälte werden dann vielleicht ein bis eineinhalb Jahre früher als jetzt eingestellt, aber eben auch nur als bessere – und vermutlich teurere – Referendare. Ein berufsqualifizierender Abschluß wird weiterhin erst nach Durchlaufen der gesamten Dauer von mehr als fünf Jahren erreicht, wer vor Eintritt in die Praxisphase seine wissenschaftlichen Leistungen studienbegleitend nachgewiesen hat, kann damit auch zukünftig nichts anfangen.

Berufsfeldorientierung: Hier ist zuzugestehen, daß eine stärkere Ausrichtung auf einzelne Berufe die Folge dieses Modells wäre, allerdings erst nach Abschluß der Universitätsausbildung. Die vorgesehene Einarbeitungsphase würde zielgenau auf das jeweilige Berufsfeld ausbilden, allerdings sofort dazu führen, daß die vielseitige Einsetzbarkeit, der Wechsel zwischen unterschiedlichen juristischen Berufen, dahin wäre. Vor allem der Justiz gingen vermutlich zahlreiche Bewerber verloren, die heute, unterschiedlich lange, Erfahrungen in der Anwaltschaft sammeln. Denn wenn sie einen Einarbeitungsplatz gefunden haben, werden sie diese Kanzlei so schnell nicht wieder verlassen, dagegen sprechen schon ganz einfache betriebswirtschaftliche Kalkulationen des ausbildenden Anwalts(büros). Es ist kaum vorstellbar, daß derartige Verträge ohne eine Klausel über die Rückzahlung von Ausbildungskosten abgeschlossen werden, übrigens eine in der Wirtschaft und auch der Verwaltung (z. B. bei Anwärtern für den gehobenen Steuerdienst) schon lange verbreitete Erscheinung. Aber auch die schon angesprochene Barriere zwischen den einzelnen (Teil-)Berufen würde größer. In einer Zeit, die immer mehr Vernetzung und Informationsaustausch fordert und fördert, ein eklatanter Rückschritt. Fraglich ist auch, ob die Gerichtsassessoren wirklich besser ausgebildet würden als heutige Referendare, wer dies nach der angestrebten Justizreform überhaupt noch tun soll, und sie nicht lieber ein – relativ – objektives Examen absolvieren, als ein Jahr auf Wohl und Wehe einem Anleiter ausgeliefert zu sein.

III. Eigener Vorschlag

Wie könnte nun eine Ausbildung aussehen, die die hier gestellten Forderungen (einigermaßen) erfüllt?

6 Monate LG Zivilkammer – 3 Klausuren (ZR I, II, ZPO)

6 Monate StA – 3 Klausuren (StrR I, II, III – Wahlklausur)

12 Monate RA – nach 9 Monaten 2 Klausuren (ÖR I, II oder Anwaltsklausur)

oder

6 Monate RA – 3 Klausuren (ZR, ZPO, Anwaltsklausur)

9 Monate Verwaltungsbehörde (auch mehrere oder ergänzend z.B. Speyer) –

3 Klausuren (ÖR I, StrR I, II)

9 Monate VG/OVG – nach 6 Monaten 2 Klausuren (ÖR II, III)

oder

3 Monate StA, 3 Monate AG – Zivilabteilung – 3 Klausuren (ZR I, StrR I, II)

6 Monate Rechtsabteilung eines Wirtschaftsunternehmens – 3 Klausuren (ZR

II, ZPO, Anwaltsklausur)

6 Monate EG-Kommission

6 Monate Wirtschaftsverband oder Kammer – nach 3 Monaten 2 Klausuren (ÖR I, II).

Andere Kombinationen sind natürlich möglich und wünschenswert, am Ende der letzten Station sollen die Klausuren vollständig benotet vorliegen und sich dann eine mündliche (Staats-) Prüfung anschließen. In dieser wäre ein Querschnitt des notwendigen Wissens aus allen Bereichen abzufragen, möglichst unter großer Beteiligung auch der ausbildenden Praktiker. Und schließlich wäre es wünschenswert, diesem Abschluß auch noch eine international verständliche Bezeichnung mitzugeben, die die Absolventen dann auf ihrem Berufsweg begleiten kann. Daß dieser auch zukünftig geradeaus und immer in dieselbe Richtung verlaufen wird, ist mehr als unwahrscheinlich, deshalb gilt umso mehr der Grundsatz des be prepared. Gleichzeitig müßte darüber nachgedacht werden, interessierten Kandidaten zu ermöglichen, eine evtl. Wartezeit dadurch abzukürzen, daß sie ohne Referendarbezüge eine Ausbildungsstation beginnen, und in der – jedenfalls stark verkürzten – Wartezeit erbrachte Ausbildungsleistungen anzurechnen, etwa Tätigkeit bei einem Anwalt.

Einwände gegen dieses "Modell" werden erwartet und sind erwünscht, diskutiert wurde schon sehr lange, passiert ist wenig, aber der Vorschlag der Justizministerinnen und –minister ist keineswegs so durchdacht und überzeugend, daß er nun gleich nach der Sommerpause 2000 im Gesetzblatt stehen dürfte. Die hier gemachten Vorschläge sind allerdings – abgesehen von der Zweistufigkeit der Ausbildung – auch nicht so weit entfernt, daß nicht gegenseitige Befruchtung möglich erschiene. Allerdings lehren die Gründung juristischer Fachhochschulbereiche und einer privaten Juristenhochschule in Hamburg (Bucerius Law School), daß dringender Handlungsbedarf in Richtung Qualität und Praxisnähe besteht. Und die aktuelle Diskussion um die sog. "green card" für EDV-Spezialisten sollte gezeigt haben, daß es sich immer rächt, in die Ausbildung des junger Menschen nicht zu investieren. Bei aller Notwendigkeit der Konsolidierung öffentlicher Haushalte: wenn nicht ausgebildet wird, verliert der Standort Deutschland seine Attraktivität und damit Arbeitsplätze und Steuerzahler. Eine gut ausgestattete Justiz mit exzellenten Richtern und Staatsanwälten ist ein wichtiger Standortfaktor. Eine gleichwertige, ebenbürtige Anwaltschaft gehört unverzichtbar dazu.

Rechtsanwalt Hans Arno Petzold, Hamburg