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Erprobungsrichtlinien
– auf halber Strecke
stehengeblieben

Am 9. Mai 2000 fand im Plenarsaal des Landgerichts eine Veranstaltung der Richterräte von Amtsgericht, Landgericht und Hanseatischem Oberlandesgericht statt, in welcher der aktuelle Entwurf der Erprobungsrichtlinien für Richterinnen und Richter kontrovers diskutiert wurde.

Aus der Vielzahl von Kritikpunkten, die zu diesem Entwurf vorgebracht wurden, halte ich einen für besonders erwähnens- und nachdenkenswert.:

Zu dem dortigen § 3 hieß es u.a., das OLG könne nicht ernsthaft die fachliche und persönliche Eignung und Befähigung für ein (oder gar jedes) richterliche/s Beförderungsamt beurteilen (bis auf das des RiOLG).

Nimmt man diese zutreffende Kritik ernst, dann muß daraus zwingend die Überlegung folgen, wie eine Alternative oder Ergänzung auszusehen hätte, weil auf die Erprobung beim HansOLG auch in Zukunft nicht verzichtet werden kann. Denn zum einen käme es ansonsten zu Schwierigkeiten in der Bewertung der bereits beim HOLG erprobten und zur Beförderung anstehenden Kolleginnen und Kollegen. Zum anderen ist die Erprobung beim HOLG die einzige Möglichkeit, um im Regelfall eine einheitliche Beurteilung auch für Seitenaufsteiger zu ermöglichen.

Die bisherigen Vorschläge in den Erprobungsrichtlinien wollen den bisherigen status quo festschreiben und lassen völlig außer Acht, dass auch die Auswahlkriterien für Führungspositionen den neuen Verhältnissen angepasst werden müssen.

Auf das Amtsgericht bezogen heißt das: Will man die Eignung eine/r/s Bewerber/s/in für die Leitung eines amtsgerichtlichen Dezernates feststellen, dann braucht man zusätzliche Erkenntnisse. Zu der (in juristischer Hinsicht ohne Zweifel maßgeblichen) Erprobung beim OLG müssten Komponenten hinzugefügt werden, welche auf die Belange eines amtsgerichtlichen Dezernates abstellen. Diese könnte z. B. aus einer besonders ausgewählten Folge von Fortbildungen bestehen. Diese Fortbildungen hätten den Vorzug, dass sie auch ohne Erlangung des Beförderungsamtes eine eigenständige - bereichernde - Bedeutung für den/die Absolventen/in haben können. Jede Fortbildung sollte sich an den Anforderungen an das angestrebte Beförderungsamt orientieren. Das bedeutet für das Amt des/der Dezernatsleiter/s/in insbesondere Kenntnisse in den folgenden Bereichen:

Hinzu kommen sollte das zeitweilige Mitlaufen in einem (anderen) Dezernat als zusätzliche/r Dezernatsleiter/in (zur Übung). Durch die vorübergehende Übertragung von Dezernatsleiter-Aufgaben könnte sich der/die Bewerber/in zum einen selbst darauf überprüfen, ob die angestrebte Tätigkeit den eigenen Fähigkeiten entspricht. Zum anderen wäre durch die Beurteilung der Dezernatsleitung eine zusätzliche Bewertung vorhanden, die über das juristische Vermögen der/der Kandidat/en/in hinausginge.

Die de-luxe-Lösung wäre das zusätzliche Durchlaufen eines Assessmentcenters (AC), in welchem der/die Kandidat/in auf das Vorhandensein von Führungsqualitäten überprüft wird. Gute Ergebnisse aus derartigen Verfahren haben einen hohen Stellenwert. AC’s werden nicht nur auf konkrete Stellen hin durchgeführt, sondern auch zur Ermittlung dessen, was der/die Kandidat/in schon jetzt kann (abgesehen vom fachlichen Inhalt) und welche Fortbildungen anzuraten wären.

Die gesamte Erprobungszeit wäre mit einem Jahr zu veranschlagen. 6 Monate OLG, danach (oder vorher) die jeweils 2 bis 5 Tage dauernden Seminare im Kupferhof, in der Richterakademie und in weiteren Eirichtungen. Parallel zu den Fortbildungen sollte die halbjährige Mitarbeit als zusätzliche/r Dezernatsleiter/in erfolgen. Die richterliche Belastung sollte in dieser Zeit reduziert sein. Die Fortbildungen sollten auch während der OLG-Erprobung zum Teil absolviert werden können.

Die gesamte Erprobungs-/Fortbildungs-phase über sollte der/die Kandidat/in betreut werden. Die Einrichtung einer zusätzlichen Stelle eines Fortbildungskoordinators bei den Gerichten unterliegt im Hinblick auf die schlechte Stellensituation Bedenken und sollte zugunsten der richterlichen Tätigkeit unterbleiben. Eine Betreuung seitens der Justizbehörde hätte den Vorzug, dass die einzelnen Fortbildungsveranstaltungen auf kürzerem Weg (sie werden schon jetzt in der Justizbehörde verteilt) vorbereitet und besetzt werden könnten.

Die Einführung in das Personalgeschäft sowie in weitere Verwaltungsabläufe könnte auch in einer Art Praktikum an geeigneter Stelle in der Justizbehörde erfolgen. Die Tätigkeit als Präsidialrichter mit Personalaufgaben wäre dem gleichzusetzen.

Ein wesentlicher Vorteil der dargestellten Fortbildungen wäre, dass sie auch unabhängig von der tatsächlichen Möglichkeit der Beförderung wahrgenommen werden könnten. Dazu würden sich auch schon jüngere Kolleg/en/innen anbieten, denen eine Erprobung bislang im Regelfall verwehrt ist.

Die Fortbildung würde durch mehr interne Kompetenz auch zu einer Stärkung der Dezernate führen. Einzelne Projekte (wie z.B. interne Schulungen, Workshops) könnten im Dezernat von den fortgebildeten Richtern durchgeführt werden. Bei entsprechender Häufigkeit könnte eine Reduzierung ihrer richterlichen Aufgaben in Betracht gezogen werden. Ein Zusammenhang mit der Beförderung wäre nicht nötig. Entsprechende Tätigkeiten würden jedoch für die Beurteilung des Einzelnen von Bedeutung sein. Grundsätzlich sollte man für die Eignung jeder Erprobungsstelle voraussetzen, dass bei ihr über die Tätigkeit in einer Beförderungsstelle und über den/die Erprobte/n an dieser Stelle etwas Sinnvolles ausgesagt werden kann.

Nach Durchführung sämtlicher Abschnitte hätte der/die Kandidat/in auf jeden Fall gezeigt, dass er/sie wesentlich erhöhten Anforderungen gewachsen ist. Die angedachten Fortbildungen sind teilweise derart konzipiert, dass eine intensive Mitarbeit der Teilnehmer erforderlich ist. Ähnlichkeiten mit Trainee-Programmen von Wirtschaftsunternehmen sind durchaus gewollt.

Die Erweiterung der Erprobung würde nur in geringem Umfang zu höheren Kosten führen. Diese Mehrausgaben dürften angesichts der auf die Gerichte und insbesondere auf das Amtsgericht zukommenden neuen Aufgaben gut investiert sein. Ein Verbleib bei der bisherigen Praxis des learning by doing wäre zumindest fahrlässig und würde uns zu Recht dem Vorwurf der mangelnden Professionalität aussetzen.

Thorsten Lange