Druck und Presse
Die von der WELT eingeholten Reaktionen aus der Politik, dargestellt am folgenden Tag, reichten offenbar von "die Justiz muß sich dem gesellschaftlichen Druck stellen und lernen, mit der Kritik professionell umzugehen" (Freiberg, GdP) über "natürlich gibt es gerade bezogen auf den A 380 einen hohen Erwartungsdruck, ... jeder Richter muß aber Manns genug sein, die öffentliche Diskussion mit der erforderlichen Distanz zu sehen" (Klooß, rechtspol. Sprecher der SPD Bürgerschaftsfraktion) bis "natürlich sind Richter nicht unantastbar und müssen sich der Kritik von außen stellen; ... Kritiker müßten jedoch alle Feinheiten der Urteilsfindung berücksichtigen und Entscheidungen nicht zu sehr simplifizieren" (rechtspolitische Sprecherin der GAL) und "Gegenüber dem einzelnen Urteil ist der Politik besondere Zurückhaltung auferlegt" (Justizsenatorin).
Niemand scheint in Frage gestellt zu haben, daß in Sachen Airbus auf die Verwaltungsgerichte von den Interessierten in besonderer Weise Druck ausgeübt worden ist - die Wahrnehmung, es habe keinen nennenswerten Druck gegeben, hat wohl (abgekoppelt von der großen Mehrheit der Richterschaft des VG) erst der Vorstand der Vereinigung der Verwaltungsrichter vertreten, der, so war es den Worten unserer Vorsitzenden auf der Mitgliederversammlung zu entnehmen, dem Richtervereinsvorstand offenbar auch die Berechtigung absprechen will, die zahllosen Versuche der Einflußnahme auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit öffentlich zu monieren.
Hat aber die Verwaltungsrichtervereinigung hier ein Monopol, begründet die Untätigkeit des dortigen Vorstandes gegenüber den Einflußnahmeversuchen einen Anspruch darauf, daß auch andere Richtervertretungen untätig bleiben, war Untätigkeit das richtige?
Die Antworten sind eindeutig: Der Druck auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit war enorm - und spätestens seit dem Ergehen der ersten Baustop-Entscheidung des Verwaltungsgerichts (die bekanntlich in ihrer materiellen Begründung von dem OVG, das prozessual einen anderen Weg gegangen ist, bislang nicht widerlegt worden ist) für niemanden, der am öffentlichen Leben teilnahm, zu übersehen. Zum Beleg reicht eigentlich der Verweis auf die allgemeine Presseberichterstattung; vielleicht muß aber an die besonderen Auslenkungen erinnert werden. So ist es schon besonders bemerkenswert, wenn der Erste Bürgermeister laut (unwidersprochener) Presse vom 29. 12. die Entscheidung des Verwaltungsgerichts als (zumindest) "in der Nähe von abwegig" gekennzeichnet hat, der Anwaltverein per Aktionsbündnis-A-380 den eigenen Mitgliedern gleichsam nach dem Motto "Beim (von uns definierten) Gemeinwohl hört der Rechtsschutz auf" in den Rücken fällt oder wenn die öffentlich-rechtliche, von Zwangsmitgliedern finanzierte Handelskammer pauschal in das allgemein-politische SuperAirbus-Standort-Horn stößt, anstatt nüchtern ökonomisch das eigentliche Interesse an der Ausweitung der Produktion der kleineren Typen zu begründen. Übertroffen wurde dies allerdings noch von dem Aufruf der Regierungspartei SPD zur Teilnahme an einer Demonstration "für den A 380", die einzig und allein das in der Entscheidungsfindung begriffene OVG zum Adressaten hatte.
Diese Versuche der Einflußnahme hätten den Richterverein schon in seiner Rolle als gewichtigster Richterverband, der auch eine Reihe von Verwaltungsrichtern zu seinen Mitgliedern zählt, zu einer Intervention selbst für den Fall genötigt, daß es sich um eine Sache nur der Verwaltungsgerichtsbarkeit gehandelt hätte.
Hier aber war die Rechtsprechungsfunktion insgesamt angegriffen; hier ging und geht es auch allgemein u.a. um die drohende Verfestigung eines falschen und schädlichen Verständnisses der Öffentlichkeit von der Aufgabenstellung der Gerichte. Wollen die politischen Akteure die Gerichte mit politischen Mitteln - von der Resolution bis zur Demonstration, d.h. dem Versuch, die (zahlenmäßige) Gewichtigkeit (nicht die "Richtigkeit") einer Willensrichtung zu belegen - beeinflussen, dann hält man offenbar dieses politisch-demokratische Moment für das auch in der richterlichen Entscheidungsfindung maßgebliche. Genau dies aber, nämlich freie, allenfalls politisch gesteuerte Dezision, ist gerade nicht die Kompetenz und Aufgabe der Rechtsprechung. Gerade diese Differenz zu den Gesetzmäßigkeiten der anderen Gewalten begründet ihre Legitimation. Die Rechtsprechung steht und fällt nicht mit der Popularität aktueller Judikate, sondern mit ihrer Gesetzesbindung und -beachtung, welche bestehendes Recht gegen aktuell widerstrebendes Wollen zu schützen hat (alles, was sich die rechtsprechende Richterschaft über Vorverständnis und Methodenwahl, über die Grenzen des Positivismus etc. im Bewußtsein halten muß, steht dazu ja nicht im Widerspruch, sondern liefert nur die notwendige Relativierung).
Schon wegen dieser Relevanz für das allgemeine rechtsstaatliche Bewußtsein wäre hier nicht einmal die Frage erheblich, ob "ein Richter Manns genug" sein muß, diesen Druck auszuhalten.
Mit der Formulierung, die die Widerstandskraft offenbar nur den männlichen Kollegen zuerkennt, braucht man sich nicht lange abzugeben; skurril ist sie schon, bedenkt man, daß es just drei Kolleginnen des Verwaltungsgerichts waren, die trotz klaren Bewußtseins der Mißliebigkeit ihrer Entscheidung das richterliche Amtsethos gewahrt haben. Jedenfalls ist es höchst zweifelhaft, ob man in der hamburgischen Justiz eine statistisch relevante Zahl von Kollegen und Kolleginnen findet, die den dann noch gesteigerten Druck, der auf das OVG ausgeübt worden ist, in einer Weise hätten verarbeiten können, daß er nur im methodengerechten Rahmen der rechtlichen Erheblichkeit wie alles andere in die Sachverhaltsaufbereitung und -würdigung eingeflossen wäre. Wie die betroffenen Richter des OVG mit diesem Druck umgegangen sind, kann und will ich nicht beurteilen (es ist in diesem Zusammenhang auch unerheblich); für die meisten von uns würde es sich wohl doch um eine spürbare und erhebliche Beeinflussung in der Entscheidungsfindung handeln, wenn auch nicht im Sinne einer klaren Entscheidungsvorgabe. Derartige Pressionen mögen zwar allgemein unser Berufsrisiko ausmachen; sie können aber, da nicht zum vorgesehenen Streitstoff gehörig, in einem Rechtsstaat nicht erwünscht sein und es muß das Mögliche zu ihrer Begrenzung unternommen werden.
Mit seiner Stellungnahme hat der Vorstand des Richtervereins allen Kollegen das notwendige, ihre innere Unabhängigkeit stärkende Signal gegeben: Jedenfalls dann, wenn sie eine unpopuläre, aber sorgfältige, methodengerechte Entscheidung treffen, werden sie nicht ganz allein im Hagel der öffentlichen Empörung stehen; es gibt eine relevante Kraft, die dann ebenso öffentlich gegenhalten wird. Dafür gebührt dem Vorstand Dank und Anerkennung, nicht Kritik; dies war und ist seine Aufgabe, auch für die Kollegen der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
RiVG Michael Bertram