(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/01)  < home RiV >
Wahlkampf

Zwei Veröffentlichungen in der letzten Ausgabe der MHR werfen für mich die Frage auf, ob der Vorstand und einzelne Mitglieder des Hamburgischen Richtervereines sich in genügendem Maße bewußt sind, dass unser Verein keinen Wahlkampf betreiben und unser Mitteilungsblatt nicht als Wahlkampfforum missbraucht werden sollte.

Der Vorstand hat am 16.11.00 eine Presseerklärung herausgegeben (S.8 der MHR 4/00), in der dem derzeitigen CDU-Wahlkämpfer Dr. Kusch vorgeworfen wird, sich "wider besseres Wissen geäußert" (also gelogen) und "durch ein Pauschalurteil das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet" zu haben. Diese Presseerklärung ist in einem Maße erstaunlich, dass sie selbst vielleicht unabsichtlich jedenfalls in die Nähe einer Wahlkampfmaßnahme gerät. Wenn der Vorstand formuliert, Herr Kusch müsse entweder falsch zitiert worden sein, oder habe sich wider besseres Wissen geäußert, so zeigt dies, dass der Vorstand davon ausgeht, Dr. Kusch habe gelogen, denn die angebliche Alternative, Dr. Kusch könne falsch zitiert worden sein, hätte ja durch einen Anruf bei dem vermeintlichen Übeltäter Kusch verifiziert werden können. Ein solches Gespräch hat es nicht gegeben. Begeben wir uns also auf die Suche nach der Lüge, d.h. auf die Suche nach den unrichtigen Tatsachenbehauptungen, denn nur insoweit könnte gelogen worden sein. Dr. Kusch soll erklärt haben (und hat dies meiner Erinnerung nach auch getan), es gebe in der Hamburger (Straf-) Justiz eine "allgemeine Tendenz zur Laschheit", was nach Meinung des Vorstandes auch bedeute, dass Staatsanwälte Straftaten nicht mit der gebotenen Strenge verfolgten, zu milde Anträge stellten und keine an sich gebotenen Rechtsmittel einlegten. Eine unrichtige Tatsachenbehauptung vermag ich nicht zu erkennen, sondern nur eine subjektive Bewertung der hamburger Strafverfolgungspraxis dahingehend, sie zeige eine allgemeine Neigung und/oder Entwicklung zur Schlaffheit oder Lässigkeit (so zur Begrifflichkeit der Duden). Die "scharfe Zurückweisung" dieser Bewertung durch den Vorstand rechtfertigte sich m.E. allenfalls dann, wenn diese Bewertung abwegig wäre. Dies erscheint schon deshalb fraglich, weil diese Bewertung jedenfalls zum Teil auch von Repräsentanten der Regierungspartei SPD vorgenommen worden ist oder sogar vorgenommen wird. Wir alle haben entsprechende Äußerungen des früheren Bürgermeisters Dr. Voscherau im Gedächtnis und auch das aktuelle STOPP-Projekt der Innenbehörde und Justizbehörde, welches Anlass für die inkriminierten Äußerungen des Dr. Kusch waren, geht doch davon aus, dass es im Bereich von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten Defizite gibt, nämlich im Bereich der Verfolgung jugendlicher Intensivtäter (vgl. Erklärung der Staatlichen Pressestelle v. 14.11.00). Dass die in Rede stehende Bewertung nicht abwegig ist, kann auch derjenige nicht bestreiten, der sie für falsch hält. Vergegenwärtigen wir uns die nicht unbeträchtliche Anzahl von BZR-Auskünften, die eine überraschende Häufung von Einstellungen von Verfahren auch schwereren Kalibers gemäß §§ 45 oder 47 JGG aufzeigen, schauen wir uns die teilweise nicht mehr nachvollziehbaren Begründungen für die Annahme einer positiven Prognose gemäß § 56 StGB an, berücksichtigen das Ausufern sogenannter "deals" mit deutlich unterdurchschnittlichen Strafmaßen, beziehen wir ein, dass das Mittel der "Weihnachtsamnestie" immer großzügiger eingesetzt wird und dass einige Jugendrichter eine zwangsweise Vorführung zu rechtskräftig erkanntem, dann aber nicht angetretenem Arrest ablehnen, so erscheint mir die von Dr. Kusch vorgenommene Bewertung jedenfalls nicht abwegig, ohne dass es darauf ankommt, ob man sich ihr anschliesst. Berücksichtigt man außerdem die häufigen diesbezüglichen Werturteile von Nichtjuristen, die wir nicht immer als "Stammtischgeschwätz" abtun sollten, so sollte jedenfalls erkannt werden, dass viele Bürger, in deren Auftrag wir tätig sind, die von Dr. Kusch vorgenommene Bewertung nicht für abwegig halten. Viele Richter und Staatsanwälte erwidern nun zu Recht, sie wendeten die Gesetze konsequent an und empfänden die Pauschalität der Bewertung als ungerecht. Dem ist m.E. entgegenzuhalten, dass wir nun einmal Teile des Gesamtladens "Justiz" sind und uns von daher auch gefallen lassen müssen, in eine Gesamtbeurteilung einbezogen zu werden, zumal überzogenen Formulierungen von Politikern in Wahlkampfzeiten gelassen begegnet werden sollte. Der Hamburgische Richterverein aber hat auch die Aufgabe, die o.g. Phänomene daraufhin zu untersuchen, ob sie möglicherweise auch darauf zurückzuführen sind, dass Staatsanwälte und Richter in Folge immer größer werdender Belastungen immer häufiger zu der "Notbremse" der Verfahrenseinstellung oder des "deals" greifen. Derartige Äußerungen hört man im Strafjustizgebäude nicht gerade selten. Der Vorstand macht es sich zu leicht, wenn er (nach dem Motto "Haltet den Dieb") Dr. Kusch vorwirft, das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet zu haben, geht doch der im Sinne meiner obigen Ausführungen nicht abwegige Vorwurf Kuschs dahin, dass die Justiz durch ihre Entscheidungen das erforderliche Vertrauen gefährde.

Das Vereinsmitglied Dr. Raabe –Vereinsvorsitzender a.D.- hat unter der Überschrift "Politischer Magerquark" einen Dr. Kusch ungewöhnlich massiv beschimpfenden Beitrag verfasst (S. 23 der MHR 4/00), der von G. Bertram zutreffend als Wahlkampfmaßnahme qualifiziert worden ist (S. 24 der MHR 4/00). Das SPD-Mitglied Dr. Raabe und das CDU-Mitglied Dr. Kusch sollen einander persönlich ehrgeizig und wahlkämpferisch beharken , soviel sie wollen, aber bitte nicht in dem Mitteilungsblatt unseres Vereines.

Der Hamburgische Richterverein, der stets um parteipolitische Neutralität bemüht sein sollte, steht bei nicht wenigen Kolleginnen und Kollegen in dem Ruf, etwas zu sehr auf Gerichtspräsidenten- und Regierungskurs zu sein. Ob dieses Urteil zutrifft, kann weder belegt, noch widerlegt werden, sollte jedoch Anlass geben, auch nicht den Eindruck zu erwecken, es an der gerade in Zeiten des Stellenabbaus und der mit der Budgetierung verbundenen Verfolgung von Partikularinteressen erforderlichen Unabhängigkeit fehlen zu lassen.

Lutz von Selle