Das Recht ist einer der letzten Felsen in der Brandung unserer Gesellschaft zu Beginn des 21. Jh. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz, glaubt man Umfragen, hat sich in höherem Maße erhalten als dasjenige in die meisten anderen Institutionen. Mithin: Die Justiz und ihre Angehörigen tragen die Verantwortung für ein ausgewogenes Verhältnis von Bewahren und Fortentwickeln.
Vor dreihundert Jahren wurde ein Mann geboren, der gerade diese Verantwortung klar gesehen hat: Johann Jacob Moser. Er stand dafür, daß Recht sich nicht im Interessenwiderstreit auflösen dürfe: "Recht ist bei mir Recht, Unrecht Unrecht, mag es meinen Herrn oder wen es will, betreffen."
Solche Zitate und das ihnen gemäß geführte Leben waren im absolutistischen 18. Jahrhundert von größerer Tragweite als heute. Seine Haltung trug ihm am 12. Juli 1759 die Verhaftung als "gefährliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft" ein. Er wurde ohne Gerichtsurteil 5 Jahre auf der Festung Hohentwiel festgesetzt. Jeder Bodenseeurlauber kennt sie - abgelegen, hoch auf einem Bergkegel, unwirtlich.
Aber das ist nur eine Episode seines bewegten und langen Lebens, das für Interessierte im Folgenden nachgezeichnet werden soll. In den dürren Worten des Lexikons aus dem Jahre 1909 klingt das so:
Er besuchte das Stuttgarter Gymnasium "Illustre" und bezog 1717 die Landesuniversität Tübingen. Sein Studium konzentrierte sich auf ein bestimmtes, ihn faszinierendes Fach, das seinen Lebensweg begleiten sollte: Das Staatsrecht des Heiligen Römischen Reiches. Er strebte nach "brauchbaren Dingen und würklichen Fällen und Begegenheiten". Mit 19 Jahren beendete er sein konzentriertes dreijähriges Studium mit dem Lizentiat und nahm die Tätigkeit eines - unbezahlten - außerordentlichen Professors auf. Die Hörer, auf deren Studiengelder er angewiesen war, blieben jedoch aus. Er warf der Fakultät "Nepotismus" vor, zu vermuten ist jedoch, daß auch sein jugendliches Alter zum Mangel an Reputation beitrug. Jedenfalls gelang es nicht, eine berufliche Existenz in Tübingen aufzubauen.
1791 suchte Moser ohne eine Empfehlung, ohne einen Menschen dort zu kennen, sein Glück in Wien. Dort in der "Hauptstadt des heiligen Römischen Reiches", in der Kaiserstadt, so hoffte er, werde er Gelegenheit haben, sich in Reichsangelegenheiten fortzubilden und auf Grund seiner Studienrichtung eine Anstellung finden.
Der Auftakt war vielversprechend. Moser fand Zugang zu den Wiener Reichsbehörden. Er gewann im Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn einen Förderer, der ihn mit der Erstellung eines Gutachtens über die Rechte des Reiches in der Toscana beauftragte.
In ein festes Dienstverhältnis wollte sich der Protestant Moser, der sich um 1730 dem Pietismus zuwandte, im katholischen Wien nicht pressen lassen. Er kehrte schon 1722 nach Stuttgart zurück und heiratete im selben Jahr Friederike Rosine Vischer, die Tochter eines württembergischen Regierungsrates.
Lange hielt es Moser nicht im heimischen Stuttgart. Der Reichshofrat Graf Nostiz rief ihn als wissenschaftlichen Hilfsarbeiter nach Wien zurück. Hier erwarb er sich weitere Lorbeeren als Ideengeber und Berater. Immerhin zwei Jahre blieb er, bis er 1726 zum wirklichen Regierungsrat nach Stuttgart berufen wurde. Dieses Amt versah er ein halbes Jahr. 1727 wechselte er an das lutherische Adelskolleg Collegium Illustre in Stuttgart und war als Hofhistoriograf und Titularprofessor tätig. Das daniederliegende Kolleg ließ ihm Zeit zur Entwicklung seiner Lehrsysteme des Staats- und Völkerrechts. Seine ungewöhnlichen praxisnahen Vorlesungen zur "Kanzleipraxis" zogen viele Hörer an.
Seine Hoffnungen auf eine ordentliche Professur an der juristischen Fakultät erfüllen sich jedoch nicht, und so finden wir den selbst nach heutigen Maßstäben überaus flexiblen Mann 1734 als Mitglied der württembergischen Regierung des Herzog Karl Alexander. Katholisch und absolutistisch gesinnt, weckte dessen drückendes Regime großem Unmut. Es ist voraussehbar, daß Mosers Bleiben nicht lange war.
Einen Ruf der Universität Göttingen, lehnt Moser ab, folgt aber 1736 einer Berufung nach Frankfurt an der Oder und wurde Rektor dieser Universität. Seine Aufgabe war es, die in Verfall geratene Bildungsstätte wieder emporzubringen. Schon in seiner Antrittsrede erschreckte er die Kollegen Professoren. Er nannte die Universität die "hohe Schule aller derjenigen Wissenschaften, wodurch wir selbst mit uns und durch unsern Dienst so viele andere in Zeit und Ewigkeit glückselig werden können und sollen. Die Erfordernisse der gesellschaftlichen Wirklichkeit sollten den akademischen Unterricht bestimmen". Und: "Die Akademien sollten", so schrieb er 1736 in einer Kolleganzeige, "nicht nur bloße Gelehrte (mit denen Gott und der Welt wenig oder gar nichts gedienet ist), sondern brauchbare und dem gemeinen Wesen nützliche Gelehrte hervorbringen."
Unabhängigen Geistes wie immer, berichtet er über die vorgefundenen Mißstände nach Berlin. Die Beaufsichtigung seiner Kollegen und deren Begutachtung war ihm zuwider, ihr Widerstand gegen jede Reform machte eine weitere Zusammenarbeit unmöglich, und Moser zog sich 1739 vorerst in das zurück, was er Privatleben nannte.
Im Kreise der pietistischen Gemeinde Ebersdorf im Vogtland begann er mit den Arbeiten für sein Hauptwerk, dem 52bändigen "Teutschen Staatsrecht". Er bezeichnete die acht Jahre, die er in Ebersdorf verbrachte als die "vergnügtesten und seeligsten" seines Lebens. Ruhe fand Moser jedoch auch dort nicht. Er übernahm diplomatische Missionen, wie zB bei der Teilnahme an den Wahlen der Kaiser Karl VII. (1741-1742) und Frank I. (1745), an denen er als juristischer Berater den kurbrandenburgischen Gesandten Freiherr von Münchhausen begleitete.
Ein neues Dienstverhältnis trat Moser 1747 als Geheimer Rat und Kanzleichef des Landgrafen von Hessen-Homburg an. Hessen-Homburg war bis 1866 als Landgrafschaft ein souveräner Staat und Mitglied des Deutschen Bundes. Friedrich Prinz von Homburg, den kleistschen, fand Moser nicht mehr in Person vor. Er war 1724 gestorben, nachdem er Homburg seit 1681 regiert hatte. Legendär wird er aber noch in aller Munde gewesen sein: Schwedischer Offizier im Dreißigjährigen Krieg, seit dem Verlust eines Beines 1659 vor Kopenhagen mit einem Holzbein versehen, danach brandenburgischer General, zeichnete er sich 1675 in der Schlacht von Fehrbellin aus.
Homburg vor der Höhe war die Residenzstadt. Bereits Landgraf Philipp August Friedrich hatte in seiner Regierungszeit zwischen 1839 und 1846 eine Spielbank gegründet und damit den Ruhm des Städtchens vermehrt, das von dem 1680 erbauten Schloß überragt wurde. Moser fand also einen angenehmen Wohnort vor. Sein Ziel, eine Reform der Verwaltungs- und Finanzreform der Grafschaft einzuleiten, erreichte er jedoch nicht und verließ den gastlichen Ort 1748 .
Er gründete 1749 in Hanau eine private "Staats- und Kanzleiakademie". Ihre Aufgabe war es, Verwaltungsjuristen und Diplomaten auszubilden. Der Landgraf von Hessen-Hanau hatte ihm die Zensurfreiheit dafür eingeräumt. Auch hier wirkte er "im Sinne des Nützlichen, Praktischen und Brauchbaren". Schon 1751 gab Moser diese Tätigkeit auf, als er einen Ruf als "Landschaftskonsulent" der württembergischen Landstände antrug, also des Rechtsberaters der Ständevertretung.
Hierzu schreiben Kleinheyer/Schröder:
Als jedoch bei Ausbruch des Siebenjahrigen Krieges 1756 der katholische Herzog Karl Eugen sich gegen den Willen der protetantischen Landstände auf die Seite des katholischen Österreich stellt und zur Bereitstellung der erforderlichen Truppen widerrechtliche Aushebungen vornimmt und unter Übergehung des landständischen Steuerbewilligungsrechts einseitig Steuern ausschreibt, verteidigt M. bedingungslos die Rechte der Landschaft und sucht selbst im Ausland Unterstützung für deren Sache zu gewinnen. Am 12. Juli 1759 wird M. nach Ludwigsburg bestellt, dort verhaftet und als "ein so gefährliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft" ohne Gerichtsverfahren für mehr als fünf Jahre auf der Festung Hohentwiel gefangengehalten.
Auch nach Kriegsende will die württembergische Regierung M.s Entlassung von einem Schuldgeständnis abhängig machen, doch M. weigert sich, die Entlassung als "hochverdiente Gnade" hinzunehmen.
Erst auf einen Spruch des Reichshofrates wird M. am 25. September 1764 aus der Haft entlassen. "
Seine Wiederbestellung zum Landschaftskonsulenten allerdings wurde von den Reformgegnern verhindert. Im Jahr des Erbvergleichs zog sich Moser nun - diesmal endgültig - ins Privatleben zurück. Er widmete sich die ihm verbleibenden 15 Jahre seiner schriftstellerischen Arbeit. Mehr als 140 Bände erschienen noch, so u.a. Teile des "Neuen teutschen Staatsrechts" und sein "Versuch des neuesten Europäischen Völkerrechts in Friedens- und Kriegszeiten".
Johann Jacob Moser starb am 30. September 1785 in Stuttgart. Er hinterließ neben seinen Lebenserinnerungen ein immenses juristisches Werk.
Seine Bedeutung für die Rechtsgeschichte hat vielerlei Facetten. So sieht Schömps ein zukunftsweisendes Verdienst um die Staatsrechtswissenschaft "in der methodisch klaren Lehre vom positiv geltenden Staatsrecht gegenüber einer Grenzverwischung zu den übrigen Wissenschaften vom Staat".
"M. war der erste Jurist, der sich bemühte, die komplizierte Rechtslage des Reiches an Hand von Dokumenten darzustellen.
Uwe Wesel nennt ihn "das Orakel der deutschen Staatsrechtslehre, ein Mann von unglaublicher Produktivität in einem wechselvollen Leben." Er hebt hervor, Moser habe methodisch ruhig und abgewogen gearbeitet. Die Reichspublizistik Mosers habe mit der ungeheuren Stoffsammlung als feste Grundlage einer sicheren Methode, die man schon als positivistisch bezeichnen könne, indem sich aus dem positiv vorgegebenen und gesammelten Material und, wie man meinte, ohne eigene politische Wertung, die Lösung eines Streitfalles ergab.
Bei Mitteis-Lieberich heißt es: "Zu einer wirklich verarbeitenden, systematischen Darstellung des deutschen Verfassungsrechts gelangte jedoch erst das 18. Jahrhundert. Größtes Ansehen gewannen Joh. Jacob Moser und Johann Stephan Pütter mit Darstellungen von enzyklopädischer Breite."
Das Feld, das Moser vorfand, erwies sich als nahezu unbeackert. Die Reichsverfassung seiner Zeit mit einem ohnmächtigen Kaiser, einem unbeweglichen Reichstag und Fürsten, die nach Gusto auf der europäischen Bühne agierten, entzog sich jeder Einordnung in eine verfassungsrechtliche Konzeption. Man stritt darüber, ob das Reich eine Fürstenrepublik oder eine kaiserliche Monarchie sei. Johann Jacob Moser brachte die Situation auf den Punkt:
Kroeschell bezeichnet Moser, gemeinsam mit Johann Stephan Pütter als die bedeutendsten Vertreter der öffentlichen Rechts im 18. Jh. Er nimmt an, Rousseau habe an diese beiden Autoren gedacht, als er 1761 äußerte, das öffentliche Recht werde gerade von den Deutschen so gründlich studiert.
Mosers Urenkel schließlich, der Staatsrechtler und Politiker Robert von Mohl, rühmte seinen Ahnen als "Vater des deutschen Staatsrechts", als "Gründer des positiven Völkerrechts" und "unbeugsamen Märtyrer für die Verfassung seines Vaterlandes"
Zusammenfassend sind Mosers Verdienste zu sehen in der neuen Methode der Quellensammlung und akribischen Quellenkritik und seiner "Völkerrechtswissenschaft der Erfahrung", die die Existenz des Völkerrechts ableitet aus Verträgen zwischen Staaten, aus dem Herkommen, den allgemeinen Gebräuchen in Krieg und Frieden und nicht aus naturrechtlichen, theoretischen Grundlagen. Seine Bücher stellen eine historiographische Quelle ersten Ranges dar. Laufs kennzeichnet diesen Aspekt mit der Bemerkung, Moser lebe als zuverlässige historische Auskunftsperson fort.
Moser leistete zudem für die Fortentwicklung der deutschen Rechtssprache Wesentliches: Er benutzte nicht das zu seiner Zeit in der Wissenschaft übliche Latein. Er schrieb in deutscher Sprache. Und nicht zuletzt liegt seine Bedeutung für den Juristenstand in seinem beispielhaften Rechtsbewußtsein.
Zu Mosers Zeit war die Hervorhebung der Rechtsposition des einzelnen gegenüber dem Staat und der damit verbundenen Pflichten des Staates, durchaus ungewöhnlich. So erklärte er:
Karin Wiedemann