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"Kollaps der Rechtspflege"
Presseerklärung
der Richterinnen und Richter des
Landgerichts Hamburg

Mit außerordentlicher Sorge sehen die Richterinnen und Richter des Landgerichts Hamburg die zunehmend negativen Auswirkungen, die das seit Jahren laufende Stellenstreichprogramm des Senats auf unser Gericht hat. Seit 1995 hat sich die Zahl der Richterstellen beim Landgericht von 245 auf jetzt noch 207 - also um fast 16 % - verringert. Entsprechend ist die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Geschäftsstellenbereichen reduziert worden. Dagegen ist die Zahl der Eingänge in Straf- und Zivilsachen im selben Zeitraum nahezu gleich geblieben.

Dies hat in allen Bereichen unseres Gerichts zu einer Pro-Kopf-Belastung geführt, die nicht mehr nach rechtsstaatlichen Regeln zu bewältigen ist.

Der hohe Arbeitsdruck und Zeitmangel bei den noch verbleibenden Richterinnen und Richtern wird nicht ohne schwerwiegende Folgen bleiben.

Abgesehen davon, dass Arbeitsüberlastung und hoher Arbeitsdruck die Gefahr von richterlichen Fehlentscheidungen erhöhen, müssen wir vor allem im Strafverfahren in Zukunft vermehrt damit rechnen,

Die Strafrichter lehnen es ab, zukünftig zu sogenannten "Deals" mit ungerechtfertigt hohen Strafnachlässen nur deshalb greifen zu müssen, weil nicht genügend Richter zur Verfügung stehen.

Auch im Zivilverfahren drohen wesentliche Gefährdungen des Rechtsstaats, insbesondere

Die innere Sicherheit wird nicht nur durch eine effiziente Arbeit der Polizei und der Strafverfolgungsorgane gewährleistet, sondern zu ganz wesentlichen Teilen auch durch eine funktionierende Rechtspflege. Wenn das Landgericht durch die erfolgten Stellenstreichungen nun in seiner Funktionsfähigkeit wesentlich eingeschränkt wird, so beeinträchtigt dies auch die innere Sicherheit in unserer Stadt. Ebenso wird der Wirtschaftsstandort Hamburg leiden, wenn er auf eine gut und schnell funktionierende Rechtspflege verzichten muss. Wir fordern deswegen mit Nachdruck die Rücknahme der Streichpolitik.

Wir erkennen an, dass die Justizsenatorin uns in einer Richterversammlung am 31. Mai 2001 zugesagt hat, fünf für dieses Jahr bereits zur Einsparung vorgesehene Richterstellen (zwei Vorsitzende und drei Beisitzer) könnten zunächst wiederbesetzt werden, müssten dann aber voraussichtlich spätestens im Jahre 2003 gestrichen werden. Dies ist keine Lösung, weil dadurch die Probleme nur in die Zukunft verschoben werden.

Hamburg, 5. Juni 2001

u
Presseerklärung
der Richterinnen und Richter des
Hanseatischen
Oberlandesgerichts

Die Richterinnen und Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichts haben in der heutigen Richterversammlung folgende Erklärung einstimmig beschlossen:

Wir teilen die Sorgen und Befürchtungen der Richterschaft des Landgerichts und des Amtsgerichts. Die Sparpolitik der letzten Jahre hat in weiten Bereichen der Rechtsprechung zu untragbaren Zuständen geführt. Der in der Verfassung, der Menschenrechtskonvention und den Gesetzen garantierte Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf eine zügige und effektive Rechtsprechung kann nicht mehr in der gebotenen Weise gewährleistet werden. Das gilt für die Verfahren beim Landgericht und beim Amtsgericht. Auch beim Hanseatischen Oberlandesgericht ist die Verfahrensdauer in vielen Fällen unangemessen lang. Sie wird sich wegen der erheblichen Zunahme von Verfahren im Jahre 2001 insbesondere in Zivilsachen noch verlängern. Daran ändert auch die angekündigte Einrichtung eines "neuen" Zivilsenates nichts. Denn dieser Senat muss aus dem vorhandenen Stellenbestand gebildet werden.

Das Hanseatische Oberlandesgericht wurde bereits im November 1999 wegen überlanger Verfahrensdauer von dem Bundesverfassungsgericht gerügt. In dem Beschluß heitß es klar und unmissverständlich:

"Das Rechtsstaatsprinzip verlangt eeine funktionsfähige Rechtspflege. Dazu gehört auch eine angemessene Personalausstattung der Gerichte."

Dieses verfassungsrechtliche Gebot setzt den Einsparungen in der Justiz Grenzen.

Mit Unverständnis haben wir die teilweise abwiegelnden Reaktionen auf die bundesweit einmalige Presseerklärung der Richterinnen und Richter des Landgerichts zur Kenntnis genommen. Denn die Kolleginnen und Kollegen des Landgerichts haben nicht mehr und nicht weniger getan als die tägliche Realität in der hamburgischen Justiz zu beschreiben.

Unsere Sorge ist, dass wir in allen Instanzen unsere Aufgabe nicht mehr mit der notwendigen Effektivität und Qualität erfüllen können. Wir forern daher im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ein, dass das Rechtsstaatsprinzip gewahrt und die volle Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wieder hergestellt wird. Das ist die Justiz der Bevölkerung schuldig.

Hamburg, den 14. Juni 2001

 

u
Presseerklärung
der Dezernatsleiter des Amtsgerichts Hamburg, der Direktoren der
Stadtteilgerichte, des Richterrats der Hamburger Amtsgerichte und des
Präsidenten des Amtsgerichts Hamburg.

In der vergangenen Woche sind die Richterinnen und Richter des Landgerichts an die Öffentlichkeit getreten und haben ihre große Sorge um Zustand und Zukunft der nach jahrelangen Sparmaßnahmen angeschlagenen Rechtsprechung in Hamburg zum Ausdruck gebracht. Ihr Vorgehen hat große Resonanz hervorgerufen.

Mit Befremden haben wir festgestellt, dass diese Sorgen teilweise nicht ernstgenommen werden und vielmehr versucht wird, die kritische Analyse der Richterschaft als Ausfluss eines egoistisch motivierten Sonderinteresses abzutun.

Weil dem nicht so ist, sondern es allein um die Qualität der Rechtspflege in unserer Stadt geht, erklären wir mit allem Nachdruck, dass wir die von den Kollegen des Landgerichts geäußerten Einschätzungen in vollem Umfang teilen.

Sie treffen auch für das Amtsgericht Hamburg und die Stadtteilgerichte zu.

Zunehmender Arbeitsdruck und Zeitmangel führen in weiten Bereichen zu Qualitätseinbußen, die schon jetzt unmittelbare Auswirkungen für die Rechtsuchenden haben:

Es hat auf vielen Gebieten zu unhaltbaren Zuständen geführt, dass durch Pensionierung oder Kündigung frei gewordene Stellen im Servicebereich nicht wieder besetzt werden konnten. Von der Sache her notwendig schnelle Entscheidungen in Nachlaß-, Vormundschafts- und Familiensachen verzögern sich über Gebühr. Hauptverhandlungen in Strafsachen müssen schon heute häufiger abgesetzt werden, weil Ladungen nicht rechtzeitig geschrieben werden konnten. Führerscheinsachen können nicht zeitnah bearbeitet werden.

Dies sind nur einige Beispiele von vielen.

Wir wissen sehr wohl um die Notwendigkeit, den Haushalt zu konsolidieren. Aber wir sehen es auch als unsere Pflicht an, uns zu Wort zu melden, wenn der Rechtsgewährungsanspruch des Bürgers gefährdet ist.

Die Dezernatsleiterinnen und -leiter des Amtsgerichts Hamburg: Dr. Bartels, Bernet, Breuer, Ewe, Goritzka, Hrubetz, Jaeger, Mittenzwei, Möller, Peters, Rotax, Stello, Schulze-Kirketerp, Spetzler, Wegemer, Wehr, Dr. Weintraud, Wiedemann

Die Direktorin und Direktoren der Stadtteilgerichte: Andreß, Betz, Cassel, Dr. Gotham, Tonat

Der Präsident des Amtsgerichts:Dr. Raabe

Für den Richterrat des Amtsgerichts:
Focken, Walz

Hamburg, den 14.6.2001