Justizpolitik in Hamburg
Am 27.04.2001 fand in der
Grundbuchhalle eine Podiumsdiskussion zur Hamburger Justizpolitik statt
mit folgenden Teilnehmern (in der Reihenfolge ihrer Vorträge):
Klooß (SPD)
Dr. Gottschalck (CDU)
Dr. Kähler (GAL)
Rogalla (Regenbogen)
Müller-Sönksen (FDP)
Krüger (STATT)
Schill (PRO)
Dr. Peschel-Gutzeit, Justizsenatorin
(SPD)
Moderation: RAe Uecker und
Wenke
Veranstalter: Hamburgischer
Anwaltverein
Der stellenweise tumultähnliche
Verlauf und die Diskussion darüber soll hier nicht näher beschrieben
werden; das ist bereits in der Presse erfolgt. Hier sollen vielmehr unkommentiert
und ungeprüft die Argumente der Diskussionsredner wiedergegeben werden.
Vortragsrunde
Klooß (SPD):
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Die Beschleunigung der Prozesse müsse weiter vorangetrieben werden.
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Dem diene auch MESTA.
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Opfer- statt Täterschutz müsse im Vordergrund stehen.
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Die Hamburger Initiative zur Stärkung der Verletztenrechte sei zu
begrüßen. Das gelte auch für die Betreuung von Zeugen,
insbesondere für die Einrichtung von Zeugenbetreuungszimmer.
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Bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität sei die Vermögensabschöpfung
zu verbessern. Die Personalausstattung von Polizei und StA sei auf diesem
Gebiet erhöht worden. 1,2 Mio. DM seien abgeschöpft worden und
die StA und die Polizei sei damit finanziell gefördert worden.
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Gewaltstraftaten müßten auch im häuslichen Bereich bekämpft
werden. Hierzu sei eine Initiative erfolgt.
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Im Bereich des Strafvollzugs sei das Konzept "Schwitzen statt Sitzen" zu
verfolgen. Die gemeinnützige Arbeit müsse ausgebaut und die Überbelegung
der JVA abgebaut werden. Die Sicherheit müsse erhöht und die
Bewirtschaftungskosten gesenkt werden. Gefördert würden Notruftelefon,
psychologische Betreuung und Berufsförderung. Zu erwähnen sei
der Neubau einer JVA in Billwerder und die Fertigstellung einer Männer-Vollzugsanstalt
ab 2004.
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Nachdem das Projekt Justiz 2000 abgeschlossen sei, gehe es weiter mit Teilaspekten
dieses Projekts: Personalentwicklung, EDV-Vollausstattung, Internetausbau,
elektronischer Rechtsverkehr.
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Im Hinblick auf die Segmentierung sei auch der Gesetzentwurf zur Schaffung
des AG Barmbek eingebracht worden und werde Gleiches hinsichtlich des AG
Ost folgen.
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Die außergerichtliche Streitbeilegung sei auszubauen.
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Die Verfahrensdauer beim LG betrage nur 6,4 Monate; auch im Strafbereich
sei sie gesunken.
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Die rechtspolitische Diskussion müsse mehr sein als das Gespräch
über Stellenzahlen; mehr Stellen könnten nicht versprochen werden.
Dr. Gottschalck (CDU):
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Für Prozesse und Vollstreckung müsse es angemessene Zeiträume
geben.
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Die Justiz sei nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen, denn
sie sei mangelhaft ausgestattet.
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Die Sozialgerichtsverfahren dauerten zu lange; die neuen Maßnahmen
würden nicht ausreichen.
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Ein CDU-geführter Senat würde neue Prioritäten im Haushalt
setzen: es würde neue Richterstellen im Straf- und Zivilbereich geben.
Bei der StA würden die Stellen wiederbesetzt.
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Im Strafvollzug müsse für eine zusätzliche Motivation der
Bediensteten gesorgt werden.
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20 neue Gerichtsvollzieher würden eingestellt werden.
Dr. Kähler (GAL):
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Aus ihrer Zeit als Referendarin in der StA habe sie die StA als prähistorisch
in Erinnerung. Seitdem sei die StA jedoch unter den Bedingungen der Haushaltskonsolidierung
in die Moderne katapultiert worden.
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Das Projekt Justiz 2000 habe zu Dezentralisierung und Flexibilisierung
geführt. Der Sparzwang habe daher auch sein Gutes gehabt. Justiz 2000
sei allerdings ein Projekt der Justizverwaltung geblieben, denn die Richter
hätten es sich nicht zu eigen gemacht.
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Eine Vermehrung der Personalausstattung sei wünschenswert bei den
Gerichtsvollziehern, aber nicht generell finanzierbar. Der Betriebshaushalt
müsse ausgeglichen werden, denn künftige Generationen dürften
nicht zu sehr belastet werden mit den Folgekosten zu hoher Ausgaben in
der Justiz.
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Eine Lobby habe die Justiz in der Justizsenatorin und hinsichtlich der
Sozialgerichte in der Bürgerschaft.
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Man dürfte nicht immer nur nach härteren Strafen rufen. Es dürfe
keine Entsolidarisierung geben. Zu wünschen sei eine liberale und
rechtsstaatliche Justiz mit Mut zu differenzierenden Lösungen, die
soziale Probleme nicht einfach wegsperre.
Rogalla (Regenbogen):
Die Einladung von Schill sei ein Affront gegenüber den parlamentarischen
Fraktionen. Schill sei kein Justizpolitiker. Schill habe ein rassistisches
Begründungsmuster. Die angeblich überproportionale Ausländerkriminalität
sei nur konstruiert. Nur Dank der Springer-Presse sei Schill auf über
9 % gekommen. Regenbogen unterstütze den rechtspolitischen Arbeitskreis
der ÖTV, der sich mit Schill beschäftige. (Nach seinem Vortrag
verließ Herr Rogalla die Veranstaltung.)
Müller-Sönksen (FDP):
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Die Justiz solle wie in Berlin stärker als beim Finanzgericht mit
dem Signaturgesetz experimentieren.
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Gerichtsmanager seien nicht erforderlich. Die herkömmliche Gerichtsführung
müsse ausreichend mit Finanzmitteln ausgestattet werden.
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Die Gerichtsvollzieher würden zu gering bezahlt.
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Bei der ZPO-Novelle verkenne Rot-Grün, dass ein Rechtsstaat Geld koste.
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Die Kürzungen im Justizhaushalt beschnitten auch Bürgerrechte.
Krüger (STATT):
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Zwar habe die STATT-Partei als kleine Partei kein ausgefeiltes Justizprogramm;
aber 2 Justizminister seien von ihr gestellt worden.
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Die Geschäftsstellen der Gerichte sähen zum Gottserbarmen aus.
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Man könne keine Versprechungen machen, die Geld kosten; erst müsse
ein Kassensturz gemacht werden.
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Ob Gerichtsmanager sinnvoll sind, das käme auf ihre persönliche
Kompetenz und auf ihre konkreten Aufgaben an.
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STATT sei gegen einen Maulkorb für "Beamte".
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Posten in der Justiz seien nicht da zur Versorgung von Parteigenossen.
(Nach seinem Vortrag verließ Herr Krüger die Veranstaltung.)
Schill (PRO):
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Nicht die Ziviljustiz sei krank, sondern die Strafgerichte seien es. Ziviljustiz
koste kaum Geld.
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Die geplante ZPO-Reform werde das OLG belasten und werde durch die verschärften
richterlichen Hinweispflichten die Verfahren verlängern.
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Notwendig seien mehr Richter, mehr Geschäftsstellenbeamte und mehr
Gerichtsvollzieher, zumal die Aufgaben insbesondere bei den Gerichtsvollziehern
erhöht worden seien.
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Gerichtsmanager seien unnötig.
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Zusätzliche Stadtteilgerichte seien überflüssig; die Verfahren
würden dadurch weder schneller noch billiger.
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Die SPD habe Hamburg zur Hauptstadt des Verbrechens gemacht: Hamburg belege
Platz 1 bei Raubdelikten, erlebe die größte offene Drogenkriminalität
und habe die niedrigste Aufklärungsquote.
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Ein Versäumnis der SPD sei es, trotz Verdoppelung der Eingänge
in den letzten 20 Jahren die Richterzahl nicht nennenswert erhöht
zu haben.
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Es seien mehr JugendStA'e erforderlich, um mehr Rechtsmittel gegen die
Urteile der Jugendrichter einlegen zu können.
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Erforderlich sei die Verabreichung von Brechmitteln an Dealer und geschlossene
Heime für jugendliche Intensivtäter.
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Es dürfe keine routinemäßige Begnadigung geben.
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Mit der JVA Billwerder verschwende Hamburg 100 Mio. DM Steuergelder, zumal
der Abriss der JVA Neuengamme für eine KZ-Gedenkstätte nicht
notwendig sei, weil dort bereits eine wenn auch kleine Gedenkstätte
bestehe.
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Der Küchenbau in der JVA Fuhlsbüttel sei als zu luxuriös
zu kritisieren.
Dr. Peschel-Gutzeit (Justizsenatorin, SPD):
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Die Einführung von IUK in Gerichtsverfahren erfordere teilweise Gesetzesänderungen.
Videoverhandlungen sollen ermöglicht werden.
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Zur ZPO-Reform und ihrer Experimentierklausel könne sie wegen Änderungen
im laufenden Gesetzgebungsverfahren nichts sagen. In 2002 würden die
Ausführungsgesetze in den Ländern auf den Weg gebracht, so dass
Ausführungsgesetze frühestens 2003 inkrafttreten würden.
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Das derzeitige AG-Mitte sei zu groß, wie auch das Kienbaum-Gutachten
belege. Eine Größe von 150 bis 200 Mitarbeitern sei optimal.
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Es sei falsch, dass sie sich in Haushaltsverhandlungen nicht durchsetzen
könne. Sie habe gerade die Neugründung eines OLG-Senats erreicht.
Auch beim FG würden ein oder zwei neue Senate eingerichtet. (Anm.
d. Verf.: Nach der Veranstaltung teilte ein OLG-Richter mit, bei dem "zusätzlichen
OLG-Senat" handele es sich lediglich um die Hebung einer R2-Stelle auf
R3; der Rest werde aus dem Bestand finanziert, d.h. die Stellen würden
aus anderen Senaten abgezogen.)
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Die JVA Billwerder sei erforderlich, weil die Neuengammer Opfer um eine
Gedenkstätte gebeten hätten.
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Die Neubestellung von Gerichtsvollziehern sei in der Tat schlecht gelaufen.
Ursache sei gewesen, dass ein Bundesgesetz den GV zusätzliche Aufgaben
aufgebürdet habe und die hiergegen gerichteten Bedenken der Länder
damit beruhigt worden seien, dass durch die InsO eine Entlastung der GV
eintreten werde, was aber nicht geschehen sei. Jetzt bilde Hamburg zusätzliche
GV aus und stelle ein.
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Die von Schill ausgewählten Punkte zur Begründung seiner These
von der Hauptstadt des Verbrechens seien demagogisch einseitig ausgewählt.
Diskussionsrunde
Dr. Peschel-Gutzeit
(Justizsenatorin, SPD):
Es sei zu beklagen, dass das Sozialgericht in Hamburg - anders als
in Berlin - nicht bei der Justizbehörde ressortiere. Das sei historisch
bedingt und nicht zu ändern.
Klooß (SPD):
Beim Sozialgericht seien dauerhaft 3 neue Richter und 6 nichtrichterliche
Mitarbeiter bewilligt worden. Außerdem würde es dort für
die nächsten 4 Jahre 5 zusätzliche Richter und 8 nichtrichterliche
Mitarbeiter geben. Damit werde die Verfahrensdauer dort auf den Bundesdurchschnitt
von 15 Monaten gesenkt werden können.
Schill (PRO):
Er sei für die Wiederanwendung eines kurzen aber harten Wochenendarrests
gegen erstmals straffällige Jugendliche z.B. in Fällen von Aufbruch
oder Gewalt.
Dr. Gottschalck (CDU):
Schill habe mit seiner Analyse bedauerlicherweise Recht. Brechmittel
seien anzuwenden. Die Möglichkeit langfristiger Aufenthaltsverbote
für Dealer müsse eingeführt werden; das wäre ein Schwerpunkt
der CDU.
Ein CDU-geführter Senat würde die Experimentierklausel der
ZPO-Reform nicht durchführen.
Dr. Peschel-Gutzeit (Justizsenatorin, SPD):
Wenn man nach den Ursachen des gesellschaftlichen Wunsches nach Drogen
suchen würde, würde der Wunsch nach strafrechtlicher Verfolgung
von Drogendelikten schwächer.
Brechmittel würden auch in denjenigen Ländern kaum angewandt,
in denen dies zulässig sei, denn die gesetzliche Frist zwischen richterlichem
Beschluss und Verabreichung sei dafür zu kurz.
Mehr Referendarstellen seien in Hamburg nur schwer zu bewilligen, weil
viele auswärtige Referendare nach Hamburg kämen.
Müller-Sönksen (FDP):
Die lange Wartezeit für Referendare als qualifiziert Ausgebildete
sei eine volkswirtschaftliche Verschwendung.
Abschlussrunde
Klooß (SPD):
Stellen könnten nicht versprochen werden.
Prostituierten müsse der Ausstieg ermöglicht werden.
Frauen seien gegen häusliche Gewalt zu schützen.
Dr. Gottschalck (CDU):
Sparzwänge in der Justiz seien ein falsches Signal.
Die CDU würde durch andere Prioritätensetzung für eine
finanzielle Besserstellung der Justiz sorgen.
Dr. Kähler (GAL):
Schill stehe in der Tradition der furchtbaren Juristen, verkleidet
in der Gestalt des Biedermanns. Resozialisierung trage indirekt auch zum
Opferschutz bei.
Müller-Sönksen (FDP):
Schills Richterschelte gegen Jugendrichter sei zu kritisieren.
Übereinstimmung mit Schill bestehe darin, dass es keinen Automatismus
bei der Anwendung von Jugendrecht auf Heranwachsende geben dürfe.
Insofern sei an die politische Weisungsmöglichkeit gegenüber
StA'en zu erinnern.
Die Kienbaumstudie tauge wegen ihres Alters nicht mehr als Argument.
Eine Dezentralisierung des Familiengerichts wäre schlecht.
Dr. Peschel-Gutzeit (Justizsenatorin, SPD):
Die Justiz sei bei der Konsolidierung seit 8 Jahren Schonbereich. 10
Richter oder StA'e würden 50 bis 60 Mio. DM kosten. Solche Zukunftslasten
dürften wir nicht zum Nachteil unserer Kinder begründen.
Eine ministerielle Anweisung an StA'e hinsichtlich Rechtsmitteleinlegung
käme nicht infrage.
Hamburg liege bei der Anwendung von Jugendrecht im Bundestrend, wenn
man das Verkehrsstrafrecht herausrechne.
Eine Dezentralisierung der Familiengerichte wäre nicht schlecht,
weil auch die Stadtteilgerichte im Familienrecht gute Arbeit leisteten.
Die Ursachen der Verzögerungen im Engelverfahren lägen in
erster Linie in Italien.
RiLG Wolfgang Hirth