(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/01) < home RiV >
Der Geheimbeschluß

Schon gehört? Präsidium des AG Hamburg beschließt neue Grundsätze über die Umsetzung von Richterinnen und Richtern

Das Präsidium des AG Hamburg hat in einer Sitzung Ende Mai diesen Jahres neue Grundsätze über die Umsetzung von Richterinnen und Richtern bei Änderungen des GVP und in Vertretungsfällen beschlossen. Nach Kenntnis des Verfassers ist diesem Beschluß – entgegen üblicher Usance – eine Befragung oder Diskussion zu diesem Thema mit den Kolleginnen und Kollegen durch die Mitglieder des Präsidiums in den jeweiligen Dezernaten nicht vorausgegangen. Der Beschluß ist zur Zeit der Abfassung dieses Artikels (Stand: 22.8.01) auch den Kolleginnen und Kollegen im Nachhinein von Seiten des Herrn Präsidenten immer noch nicht bekannt gemacht worden. Eine Anhörung des Richterrates ist vor Beschlußfassung nicht erfolgt.

Was hat es mit diesem Vorgehen auf sich und wie ist es zu bewerten ?

Bisher galten für die Umsetzung von Kollegen im Bereich des AG Hamburg die "Grundsätze" vom 28.10.1987. Diese sind den Kollegen auch bekannt gemacht worden. Neu eingestellte Proberichter(innen) erhielten z.B. diese Grundsätze bei der Einstellung jeweils vom ersten Präsidialrichter oder ihrem Dezernatsleiter (so auch damals der Verfasser). Das Präsidium des AG Hamburg ist bekanntermaßen ein Organ der Selbstverwaltung der Richterschaft. Gegen seine Beschlüsse ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (so die nunmehr gefestigte Rechtsprechung). Die verabschiedeten und veröffentlichten "Grundsätze" stellen eine Selbstbindung des Verwaltungsorgans dar. Rechtsfolge ist, daß aus Gründen der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes ein Abweichen von dieser Selbstbindung nur in begründeten Ausnahmefällen möglich ist (dazu: Stelkens/Bonk/Sachs, Komm. zum VwVfG, § 40 Rz.113, 124; von Münch-Gubelt, Kommentar zum GG, Art. 3 Rz. 39–41). Die Verletzung von Selbstbindungsgrundsätzen bildet für den Beschwerten einen klagbaren Einwand.

Die "Grundsätze" von 1987, nebst Klarstellungsvermerk des ehemaligen Präsidenten Herrn Metzinger v. 10.11.1987, regelten im Kern zwei Vertrauensschutzgesichtspunkte für ernannte Kollegen ( so übrigens auch schon die vor 1987 geltenden Grundsätze, die weniger ausführlich waren):

  1. (Teil II. Ziff. 2a.) Umsetzung ohne Einverständnis nur möglich, wenn ein anderer Kollege die Abteilung zu besetzen wünscht und der derzeitige Inhaber diese mindestens fünf Jahre innehat oder ein wichtiger Grund besteht oder die zu besetzende, vakante Abteilung für Proberichter ungeeignet ist und kein anderer Richter zur Verfügung steht.
  2. Keine Umsetzung gegen den Willen des derzeitigen Inhabers einer Abteilung, wenn dieser älter als fünfzig ist, auch, wenn er die Abteilung länger als fünf Jahre innehat.
Die neue Version der "Grundsätze 2001" kennt diesen Vertrauensschutz nicht mehr. Die vormals auf drei Seiten niedergelegten Grundsätze sind nunmehr auf folgende, dürre Regelungen betreffend Lebenszeitrichter(inne)n zusammengeschrumpft:

1. Das Präsidium hält es für wünschenswert, wenn Kollegen (innen) in regelmäßigen Abständen zu einem Wechsel in andere Bereiche des Gerichtes bereit sind. Dies gilt auch für Dezernatsleiter (hier ohne weibliche Form im Original (!), Anm. d.Verf.).

2. Umsetzungen sollen möglichst einvernehmlich erfolgen.

Ansonsten sollen neben den organisatorischen Erfordernissen des Gerichtes unter anderem folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden:

Der Verfasser hält diese neuen Grundsätze für eine deutliche "Aufweichung" der vorher geltenden. Vor diesem Hintergrund sind die Verheimlichung dieses Beschluß und die Merkwürdigkeiten seines Zustandekommens vollständig nachvollziehbar.

Allerdings dürfte dies Procedere aus mehreren Gründen rechtswidrig sein:

  1. Gemäß § 21e Abs.2 GVG ist vor der Geschäftsverteilung den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, rechtliches Gehör zu gewähren. Gemäß § 21e Abs. 3 Satz 2 GVG ist dieses Gehör auch vor einer Änderung der laufenden Geschäftsverteilung zu gewähren. Literatur und Rechtsprechung wenden diese Vorschrift auch auf den Fall der jährlichen Neu-Erstellung des Geschäftsverteilungsplanes an, soweit Umsetzungen vorgesehen sind. Die Anhörung ist auf Verlangen mündlich vor dem gesamten Präsidium durchzuführen. Der Verfasser ist der Auffassung, daß diese Vorschriften analog anzuwenden sind, wenn eine so bedeutende Änderung der Selbstbindungsgrundsätze des Präsidiums zur Umsetzung erfolgen soll, wie vorliegend geschehen. Insbesondere sollte dies gelten, wenn die alten "Grundsätze" zuvor, wie vorliegend im Bereich des AG Hamburg, veröffentlicht wurden.
  2. Die Abänderung von Selbstbindungsgrundsätzen der Verwaltung für die Zukunft ist möglich. Jedoch nur, wenn von der Sache her geboten, und, wenn eine Übergangsregelung für diejenigen, die bereits in den Bereich eines Vertrauenschutztatbestandes gelangt sind, aufgenommen ist, (Kopp, VwVfG, § 40 Rz.25/ Stelkens-Bonk-Sachs, § 40 Rz. 124). Weder ist im vorliegenden Fall eine sachliche Notwendigkeit zur Änderung der alten Grundsätze bekannt geworden noch gibt es in den neuen Grundsätzen eine Übergangsregelung. Dies dürfte im Besonderen die älteren Kollegen interessieren.
  3. Das zuständige Personalvertetungsorgan der Richterschaft, der Richterrat, wurde vollständig übergangen. Der Richterrat hat gegenüber dem Präsidium gem. §§ 52 DRiG, 66, 67, 68 Bundespersonalvertetungsgesetz ein Überwachungs- und Initiativrecht (ausführlich: Priepke, DRiZ 1985, S. 281 (S. 290 –293)). Dieses berechtigt zur Anhörung über Änderungen des Geschäftsverteilungsplanes und zu Anhörungen über den jeweiligen neuen Jahresgeschäftsverteilungsplan (Priepke, a.a.O., S. 291/292). Die durchgeführte Änderung der Selbstbindungsgrundsätze des Präsidiums ist als so gewichtig einzuschätzen, daß es geboten gewesen wäre, den Richterrat unter genauer Mitteilung der beabsichtigten Neu-Fassung anzuhören. Dies ist nicht geschehen. Dem Richterrat wurde die Rechtslage durch den Verfasser bekanntgemacht. Er hat es leider mehrheitlich abgelehnt, eine nachträgliche Anhörung vor dem Präsidium zu verlangen.
Diese Vorgänge dürften wie folgt zu bewerten sein:

Vor dem Hintergrund der zukünftigen Ausgründungen der Stadtteilgerichte Barmbek und St.Georg ist die Verwaltung ersichtlich bemüht, sich den notwendigen Freiraum zu unfreiwilligen Umsetzungen im Bereich des AG Hamburg bei dann später stark reduzierter Richterzahl – und demgemäß engerer "Manövriermasse" - zu verschaffen. Lästiger Vertrauensschutz dürfte da erheblich stören.

Dies mag aber nur ein Grund für die Initiative zur Neufassung der Grundsätze sein. Zugleich verfolgen die maßgebenden Personen in der Verwaltung erklärtermaßen das Credo "der Amtsrichter/die Amtsrichterin kann alles". Diese Auffassung ist ideologisch eingebettet in die "Modernisierungsbemühungen" im Bereich der Hamburgischen Gerichte, die bekanntlich Forderungen und Konzepte aus dem Bereich des Wirtschaftslebens in den gerichtlichen Alltag zu implementieren suchen ("Das Urteil als Produkt"). In diesem Zusammenhang findet sich wiederholt die Forderung nach dem "flexiblen" Mitarbeiter. Dieser ist zu einer betrieblichen Umsetzung jederzeit bereit. Fraglich ist nur, ob dies auf den richterlichen Bereich sinnvoll übertragbar ist.

Die Auffassung "der Amtsrichter kann alles" ist für sich genommen richtig (hoffentlich). Allerdings muß die Frage erlaubt sein – insbesondere vor dem Hintergrund der beschlossenen ZPO-Reform und dem erklärten Willen der jetzigen Justizsenatorin, Hamburg zum "Erprobungsland" zu machen - : Kann der Amtsrichter alles richtig gut ?

Viele Bereiche der Rechtsprechung sind in den letzten Jahren durch gesetzgeberische Maßnahmen zunehmend verkompliziert und bis ins kleinste Detail durchgeregelt worden. Das Vormundschaftsrecht, das Familienrecht, das Mietrecht oder das Insolvenzrecht sind weitgehend erst nach gründlicher mehrjähriger Einarbeitung so zu durchdringen, daß eine angemessene Spruchpraxis entsteht. Teilweise sind die Regelungen – und die dazu ergangene Rechtsprechung - nur Eingeweihten noch verständlich. Dies wird teilweise sicherlich durch die Übernahme von "know-how" von Kolleginnen und Kollegen ausgeglichen (was wiederum auf deren Seite Mehrarbeit verursacht). Gleichzeitig steht der/die Amtsrichter(in) – gerade in einer Großstadt wie Hamburg – im jeweiligen Rechtsgebiet einer Fülle von Großkanzleien gegenüber, deren Rechtsanwälte sich auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisiert haben und die zu entsprechenden Darlegungen mit Spezialwissen in der Lage sind.

Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht unangemessen, sondern richtig, sein, wenn das Prinzip der Kontinuität der Abteilungsbesetzung – Einverständnis der betreffenden Kollegen vorausgesetzt – bei der Erstellung von Geschäftsverteilungsplänen und /oder deren Änderung im Vordergrund bleibt – und nicht dasjenige des "regelmäßigen Wechsels" (siehe neue Grundsätze). Die jetzige Entwicklung im Bereich des AG Hamburg scheint in die gegenteilige Richtung zu laufen. Dies bietet, insbesondere im Lichte des bemerkenswert undemokratischen Procedere, großen Anlaß zur Sorge (nicht um die vermeintlichen "Pfründe" des langjährigen Abteilungs-"Besitzers", sondern um die Qualität der Rechtsprechung).

Frind, Richter am Amtsgericht