Schon gehört? Präsidium des AG Hamburg beschließt neue Grundsätze über die Umsetzung von Richterinnen und Richtern
Das Präsidium des AG Hamburg hat in einer Sitzung Ende Mai diesen Jahres neue Grundsätze über die Umsetzung von Richterinnen und Richtern bei Änderungen des GVP und in Vertretungsfällen beschlossen. Nach Kenntnis des Verfassers ist diesem Beschluß entgegen üblicher Usance eine Befragung oder Diskussion zu diesem Thema mit den Kolleginnen und Kollegen durch die Mitglieder des Präsidiums in den jeweiligen Dezernaten nicht vorausgegangen. Der Beschluß ist zur Zeit der Abfassung dieses Artikels (Stand: 22.8.01) auch den Kolleginnen und Kollegen im Nachhinein von Seiten des Herrn Präsidenten immer noch nicht bekannt gemacht worden. Eine Anhörung des Richterrates ist vor Beschlußfassung nicht erfolgt.
Was hat es mit diesem Vorgehen auf sich und wie ist es zu bewerten ?
Bisher galten für die Umsetzung von Kollegen im Bereich des AG Hamburg die "Grundsätze" vom 28.10.1987. Diese sind den Kollegen auch bekannt gemacht worden. Neu eingestellte Proberichter(innen) erhielten z.B. diese Grundsätze bei der Einstellung jeweils vom ersten Präsidialrichter oder ihrem Dezernatsleiter (so auch damals der Verfasser). Das Präsidium des AG Hamburg ist bekanntermaßen ein Organ der Selbstverwaltung der Richterschaft. Gegen seine Beschlüsse ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (so die nunmehr gefestigte Rechtsprechung). Die verabschiedeten und veröffentlichten "Grundsätze" stellen eine Selbstbindung des Verwaltungsorgans dar. Rechtsfolge ist, daß aus Gründen der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes ein Abweichen von dieser Selbstbindung nur in begründeten Ausnahmefällen möglich ist (dazu: Stelkens/Bonk/Sachs, Komm. zum VwVfG, § 40 Rz.113, 124; von Münch-Gubelt, Kommentar zum GG, Art. 3 Rz. 3941). Die Verletzung von Selbstbindungsgrundsätzen bildet für den Beschwerten einen klagbaren Einwand.
Die "Grundsätze" von 1987, nebst Klarstellungsvermerk des ehemaligen Präsidenten Herrn Metzinger v. 10.11.1987, regelten im Kern zwei Vertrauensschutzgesichtspunkte für ernannte Kollegen ( so übrigens auch schon die vor 1987 geltenden Grundsätze, die weniger ausführlich waren):
1. Das Präsidium hält es für wünschenswert, wenn Kollegen (innen) in regelmäßigen Abständen zu einem Wechsel in andere Bereiche des Gerichtes bereit sind. Dies gilt auch für Dezernatsleiter (hier ohne weibliche Form im Original (!), Anm. d.Verf.).
2. Umsetzungen sollen möglichst einvernehmlich erfolgen.
Ansonsten sollen neben den organisatorischen Erfordernissen des Gerichtes unter anderem folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden:
Allerdings dürfte dies Procedere aus mehreren Gründen rechtswidrig sein:
Vor dem Hintergrund der zukünftigen Ausgründungen der Stadtteilgerichte Barmbek und St.Georg ist die Verwaltung ersichtlich bemüht, sich den notwendigen Freiraum zu unfreiwilligen Umsetzungen im Bereich des AG Hamburg bei dann später stark reduzierter Richterzahl und demgemäß engerer "Manövriermasse" - zu verschaffen. Lästiger Vertrauensschutz dürfte da erheblich stören.
Dies mag aber nur ein Grund für die Initiative zur Neufassung der Grundsätze sein. Zugleich verfolgen die maßgebenden Personen in der Verwaltung erklärtermaßen das Credo "der Amtsrichter/die Amtsrichterin kann alles". Diese Auffassung ist ideologisch eingebettet in die "Modernisierungsbemühungen" im Bereich der Hamburgischen Gerichte, die bekanntlich Forderungen und Konzepte aus dem Bereich des Wirtschaftslebens in den gerichtlichen Alltag zu implementieren suchen ("Das Urteil als Produkt"). In diesem Zusammenhang findet sich wiederholt die Forderung nach dem "flexiblen" Mitarbeiter. Dieser ist zu einer betrieblichen Umsetzung jederzeit bereit. Fraglich ist nur, ob dies auf den richterlichen Bereich sinnvoll übertragbar ist.
Die Auffassung "der Amtsrichter kann alles" ist für sich genommen richtig (hoffentlich). Allerdings muß die Frage erlaubt sein insbesondere vor dem Hintergrund der beschlossenen ZPO-Reform und dem erklärten Willen der jetzigen Justizsenatorin, Hamburg zum "Erprobungsland" zu machen - : Kann der Amtsrichter alles richtig gut ?
Viele Bereiche der Rechtsprechung sind in den letzten Jahren durch gesetzgeberische Maßnahmen zunehmend verkompliziert und bis ins kleinste Detail durchgeregelt worden. Das Vormundschaftsrecht, das Familienrecht, das Mietrecht oder das Insolvenzrecht sind weitgehend erst nach gründlicher mehrjähriger Einarbeitung so zu durchdringen, daß eine angemessene Spruchpraxis entsteht. Teilweise sind die Regelungen und die dazu ergangene Rechtsprechung - nur Eingeweihten noch verständlich. Dies wird teilweise sicherlich durch die Übernahme von "know-how" von Kolleginnen und Kollegen ausgeglichen (was wiederum auf deren Seite Mehrarbeit verursacht). Gleichzeitig steht der/die Amtsrichter(in) gerade in einer Großstadt wie Hamburg im jeweiligen Rechtsgebiet einer Fülle von Großkanzleien gegenüber, deren Rechtsanwälte sich auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisiert haben und die zu entsprechenden Darlegungen mit Spezialwissen in der Lage sind.
Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht unangemessen, sondern richtig, sein, wenn das Prinzip der Kontinuität der Abteilungsbesetzung Einverständnis der betreffenden Kollegen vorausgesetzt bei der Erstellung von Geschäftsverteilungsplänen und /oder deren Änderung im Vordergrund bleibt und nicht dasjenige des "regelmäßigen Wechsels" (siehe neue Grundsätze). Die jetzige Entwicklung im Bereich des AG Hamburg scheint in die gegenteilige Richtung zu laufen. Dies bietet, insbesondere im Lichte des bemerkenswert undemokratischen Procedere, großen Anlaß zur Sorge (nicht um die vermeintlichen "Pfründe" des langjährigen Abteilungs-"Besitzers", sondern um die Qualität der Rechtsprechung).
Frind, Richter am Amtsgericht