(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/01) < home RiV >
Grenzenlose
Volksverhetzung
- Lea Roshs fatale Selbstinszenierung -

Lea Rosh hat ihre Plakataktion vom Juli/August d.J.

"den Holocaust hat es nie gegeben" (in riesigen weißen Lettern vor einer Gebirgsidylle) und darunter in winzigem Druck: "Es gibt noch viele, die das behaupten. In 20 Jahren könnten es noch mehr sein. Spenden Sie deshalb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ..." - inzwischen abgeblasen und ihr vieles Glanzpapier wieder eingestampft. Trotzdem verdient ihr grotesker Fehlgriff noch seine Glossen, auch eine halbwegs juristische:

Nach Presseberichten (vgl. z.B. die Jüdische Allgemeine vom 02.08.2001: Heiligt der Zweck die Mittel?) hatte ein Hamburger Anwalt alsbald Strafanzeige gegen die Urheber des Plakats wegen Volksverhetzung (§ 130 III StGB) erstattet. Der gute Zweck, der sich erst beim nahen Nähertreten und Verweilen erschließe, hebe die unerhörte Provokation jedermanns (also des eiligen Normalpassanten) nicht auf. ...

Für Rechtsradikale aber war Leas Plakat eine Vorlage wie bestellt, um ihre eigenen Parolen einzuschießen. Manfred Roeder setzte dem oben zitierten Fettdruck den ebenso blickfängerisch - großen Halbsatz hinzu: "Wehrmachtsverbrechen auch nicht!", was wiederum Frau Rosh empörte und ihrerseits zur Strafanzeige schreiten ließ. ...

Wie ist die Rechtslage? Sie ist - rein schulmäßig! - zunächst ziemlich simpel:

Lea Roshs Plakat erfüllt natürlich keineswegs den Tatbestand der Volksverhetzung, und zwar schon deshalb nicht, weil sie sich nicht bösartig, sondern im durchaus korrekten Sinne volkspädagogisch bemüht hat. Dieser gute Zweck macht aus einer schweren Straftat (mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bedroht!) ein Nichts, weil der einschlägige § 130 Abs. 3 den § 86 (3) StGB anwendbar macht, wo es (unmittelbar für die Verwendung verbotener Propagandamittel) heißt, der Tatbestand liege dann nicht vor, wenn die Handlung der "staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen ... oder ähnlichen Zwecken" diene. Wer den Aufklärer in sein Amt bestellt hat und was ihn überhaupt dazu qualifiziert: darüber sagt das Gesetz nichts - wie könnte es das auch ? So sind also unter dem großen Schlapphut edler Zwecke alle wohlmeinenden Toren sicher geborgen. ...

Etwas trickreicher liegt die Roeder-Variante unseres Falles: Ich sehe von der Frage einer Sachbeschädigung (§ 303 StGB) ab und darf dies schon deshalb, weil optische Veränderungen nicht notwendig zugleich Beschädigungen sind, was man in einer juristischen Prüfung an Hand der Sprayer-Rechtssprechung zu entwickeln hätte. ...

Übrigens muss man dann zunächst unterscheiden:

Wenn Roeder & Co. ihren oben zitierten Halbsatz draufsatteln, ohne den Kleindruck unkenntlich zu machen, partizipieren auch sie am Privileg der objektiviert guten Absicht, weil ja der Kleindruck die ganze Schlagzeile, also auch ihren zugesetzten (öffentlich durchweg missbilligten) Teil zurücknimmt.

Wenn aber der Kleindruck durch den Zusatz (indem dieser jenen etwa abdeckt) optisch verschwindet, könnte es anders liegen: Zwar wäre das Bestreiten von Wehrmachtsverbrechen an sich tatbestandslos (§ 130 III StGB ist sozusagen auf "Auschwitz" zugeschnitten, rührt also Kriegs- und Menschheitsverbrechen gerade nicht, wie heute sonst üblich - vgl. MHR 2/2001 S. 28 - in einem Topf zusammen); aber ohne den Kleindruck wäre aus Leas Schlagzeile eine unwiderrufene Holocaustleugnung geworden, mithin § 130 III StGB nun wohl doch wieder erfüllt! Wer aber ist jetzt der Verantwortliche, d.h. der Autor dieser Leugnung, wer der Urheber des makaberen Gesamtkunstwerkes ... ?

Wie mit Händen zu greifen, bewegen wir uns auf einem Terrain, wo dem unverbildeten Sinne alles irgendwie konstruiert, hergesucht und abwegig erscheint. Der tiefere Grund liegt darin, dass unser politisches Strafrecht längst aufgehört hat, sich auf unbedingt strafwürdige Kernbereiche zu beschränken, sich stets erneut in viel zu weiten, wuchernden Tatbeständen verheddert und seinen überdehnten Radius durch fragwürdige Klauseln wie den zitierten § 86 (3) StGB wieder zu begrenzen sucht. Aber diese Beschränkung ist weder objektiv noch rechtsstaatlich, sondern subjektiv und geradezu beliebig. Den Gerichten wird - nicht kraft gesetzgeberischen Vertrauens, sondern aus dessen Angst und Unsicherheit - ein Auslegungsermessen zugeschoben, auf das sie nicht den geringsten Wert legen dürften.

Die missglückte Selbstinszenierung Lea Roshs ist zwar - im Ernst gesprochen! - juristisch völlig unerheblich und liefert insoweit nur Material zur Konstruktion sog. "Schulbuchfälle" für Prüfungen. Sie könnte aber auch zu Reflexionen über Sinn und Unsinn unseres Strafrechts führen, die den Wert des verschwendeten Papiers dann letztlich wohl doch aufwögen.

Günter Bertram