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Persönlich

Herrn Justizsenator
Dr. Roger Kusch
Justizbehörde Hamburg
Drehbahn 36
20354 Hamburg

Hamburg, 5. März 2002
Sehr geehrter Herr Senator,

Ihre öffentlichen Erklärungen vom 28. Februar 2002 geben dem Vorstand des Hamburgischen Richtervereins Anlass zu folgenden Feststellungen:

Wir haben mit Betroffenheit zur Kenntnis genommen, dass Sie den bedauerlichen Fall einer Haftentlassung wegen Ablaufs der 6-Monats-Frist zum Anlass genommen haben, den Hamburger Gerichten in der Presse "eine unrühmliche frühere Tradition vorzeitiger Haftentlassungen" anzulasten (Hamburger Abendblatt vom 01.03.2002).

Diese Unterstellung ist falsch. Wir weisen sie mit Nachdruck zurück. Die Präsidien der ordentlichen Gerichtsbarkeit haben in der Vergangenheit auch in Zeiten äußerst knapper Personalressourcen alles ihnen Mögliche getan, um Haft-entlassungen wegen Ablaufs der 6-Monats-Frist zu vermeiden. So ist es z.B. beim Landgericht Hamburg in den letzten Jahren zu keiner Haftentlassung aus organisatorischen Gründen gekommen.

Wir alle sehen in Übereinstimmung mit Ihnen in jeder Haftentlassung, die durch Verfahrensverzögerung erfolgt, eine Niederlage des Rechtsstaats und teilen Ihre Sorge um das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung. Diesem Ansehen ist es abträglich, wenn den Richtern zu Unrecht unterstellt wird, sie seien für die Belange der Bürger nicht genügend sensibilisiert.

Angesichts des negativen Echos, das Ihre Äußerungen im Kreise unserer Mitglieder hervorgerufen hat, erlauben wir uns, diesen Brief im Kollegenkreise bekannt zu machen.

Im Übrigen sind wir allerdings der Auffassung, dass das persönliche Gespräch dem Meinungsaustausch über die Medien vorzuziehen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Vorstand

Dr. Inga Schmidt-Syaßen