Requiem für eine Bibliothek
"Bibliotheken
sind eine gefährliche Brutstätte des Geistes" schrieb einst ein Zensor,
und Klaus Staeck gestaltete unter Zuhilfenahme des Spitzwegschen Gemäldes
"Der Bücherwurm" daraus ein herrliches Plakat. Amts- und Landgericht
Hamburg hatten eine in Ehren ergraute Bibliothek, eine "Brutstätte"
in der manch' juristische Revolution erdacht wurde. Sie war nicht prächtig und
für Werbeaufnahmen vermietbar wie die des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Ein
bisschen düster, recht staubig, nie so geordnet, dass alle zufrieden waren, mit
vielen Provisorien, die durch zunehmende Technisierung entstanden, alles in
allem aber ein kontemplativer Hort juristischen Geistes, Treffpunkt mit
Referendaren und Anwälten, Klatsch am Dorfbrunnen, dem Kopierer im
Richterlesezimmer. Sie hatte alles, was der nach juristischer Weisheit strebende
Bücherfreund so braucht als Brutstätte.
Sie
hatte! Was geschah? Eines Tages war sie eine Baustelle. Ein Zettel verwies den
Erleuchtung Suchenden auf entfernte Zimmernummern - die Bibliothek - seit 1932
an ihrem Platz - wurde verlegt. Das hineindrängende Familiengericht machte nach
Auskünften der amtsgerichtlichen Verwaltung den Hinauswurf der Bibliothek und
der traditionsreichen juristischen Lesegesellschaft aus ihren angestammten Räumen
unvermeidlich - Sachzwänge! Was entstand, ist eine gesichtslose Folge grauer Räume
mit grauen Metallborden in drangvoller Ende.
Es sei alles viel heller als vorher, man habe einen schönen Blick auf den Park,
auf die Eisbahn, den Kinderspielplatz und die fröhlichen Hunde der Obdachlosen
bis zum Millerntor, sagt die amtsgerichtliche Verwaltung. Aber: Ist es das, was
man braucht als Bücherwurm? Marcel Proust vermittelt in seinem Essay "Tage
des Lesens", was das Versinken in Bücher ausmacht. Und er bevorzugte das
abdunkelte Esszimmern, in dem er zwischen den Mahlzeiten ungestört war. Die
Konzentration auf das Lesen und Lernen leidet in hellem Sonnenschein der Südzimmer,
unter der Kulisse fröhlich tauziehender Kinder und der gnadenlos wiederholten
Musik der sommerlichen Rollschuhbahn, die im Winter als Eisbahn daherkommt.
Immer mit dem entnervenden Ohrwurm "Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen"
endend. Gewiß, da draußen tobt das Leben der Hansestadt. Aber was schert den
Leser, den wirklichen Leser, das tobende Leben eines Sommertages, wenn er den
Voraussetzungen des Rückrufs ausschließlicher Nutzungsrechte nach § 41 UrhG
nachspürt? Dazu bedarf es der Südlage nicht. Im Gegenteil.
Und
erst das Richterlesezimmer: Seine "charmante" Kombination von alten
Tischen und neuen Metallregalen, die schmalen Zwischenräume, die es auch
weniger beleibten Kollegen kaum möglich macht, in die Hocke zu gehen, um in den
lichtlosen Tiefen der engen Regalzwischenräume etwas zu finden, lassen nur eine
Devise zu: "Schnell rein, Stelle finden, kopieren und wieder raus".
Vielleicht ist das auch so gewollt. Wir sollen ja nicht mehr in Büchern stöbern
- womöglich den Blick auf eine interessante Stelle richten, die nicht gerade
zur Falllösung dringend nötig ist. Wir arbeiten ja nun - die Arbeitszeit gründlich
untersucht - gegen die Uhr, um unsere Produkte möglichst effektiv zu erstellen.
Da ist die punktgenaue, freudlos technische Suche bei Juris oder dem Beckverlag
angezeigt. Die Nutzung der Bücherei sei zurückgegangen, so hört man. Nach der
Verwandlung der vertrauten Bibliothek in ein Bücherarchiv - das einer der
nutzenden Anwälte mit angeekeltem Gesicht "Büchergefängnis" nannte
- ist der nächste Schritt zu befürchten: Man wird feststellen, dass die
Nutzerzahl noch weiter zurück gegangen ist und anfangen, den Bücheretat noch
mehr als bisher zu kürzen. Das Abgleiten in eine Provinzbücherei steht zu befürchten.
Aber
diese Kritik, so hat mir die amtsgerichtliche Führung auf eine herzhafte
schriftliche Beschwerde freundlich bedeutet, sei maßlos übertrieben. Alles sei
Geschmackssache. Außerdem sei es ja noch nicht fertig und werde noch besser.
Nein, das tröstet nicht. Die Herzen aller sensiblen Bücherfreunde sind und
bleiben gebrochen ....................
Karin
Wiedemann