Mäßigungsgebot
für Amts- und Bundesverfassungsrichter
–
neue Maßstäbe beim DRiB? –
Der nachstehende Aufsatz
unseres Kollegen Günter Bertram erschien im Juli d.J. in Heft 2 / 2002, 117 ff
von Recht und Politik - der von
Rudolf Wassermann herausgegebenen Vierteljahreshefte für Rechts- und
Verwaltungspolitik. Obwohl er für die Leser der MHR zum Teil (jedenfalls der
Substanz nach) Wiederholungen bringt (zu Teil B. vgl. MHR 2 / 2002, 18 ff) und
Teil A. als Einführung primär für Ortsfremde gedacht war, haben wir von
entsprechenden Kürzungen abgesehen. Sie würden den Gesamtzusammenhang nicht
unbeeinträchtigt lassen, der angesichts der hier geübten verbandspolitischen
Kritik gewahrt bleiben sollte. Seit Abfassung der Zeilen ist viel Wasser die
Elbe hinabgeflossen: ein neuer Bundestag ist gewählt worden; auch die Hamburger
Stadtbeleuchtung ist nicht mehr nuancenlos die gleiche wie im Frühjahr 2002.
Gleichwohl - oder auch: umso eher – mag es nicht ohne Reiz sein, noch einmal
über die alten Stoppelfelder zu streifen.
A.
Ronald
Schill - früher Strafrichter, jetzt amtierender
Innensenator Hamburgs - war und ist nicht zimperlich im Umgang mit seinen
Widersachern: ritt er doch schon vor dem Beginn seiner politischen Karriere und
später erst recht erbitterte Attacken gegen alle, die er der „linken“
politischen Szene zuordnete und beschuldigte, vor der Kriminalität im
allgemeinen und „autonomen“ Chaoten im besonderen zu kapitulieren. Zu diesen
Lahmen und Laschen zählte er in Hamburg fast alle – außer sich selbst. Ein
Mann, dem das Schwert so locker sitzt, kann sich nicht beklagen, wenn er
seinerseits mit schwerem Säbel bekämpft wird; und an leidenschaftlicher
Feindschaft haben es seine Gegner ihrerseits dann auch nicht fehlen lassen. Darüber
ist hier nicht zu raisonieren oder zu rechten. Dennoch bleibt daran zu erinnern,
dass die Wahlkämpfer der rot - grünen Rathauskoalition sich verbissen bemüht
hatten, nachdem wiederholte Wahlprognosen ihnen eisige Schauer über den Rücken
gejagt hatten, ihren zunächst
verlachten politischen Konkurrenten - sachlich durchaus zu Unrecht ! -in die
braune Ecke zu verbannen - als „Haider des Nordens“, „rechten“
Populisten und skrupellosen Rattenfänger, den kein anständiger Demokrat als
diskursfähig behandeln könne – „man rede über,
nicht mit ihm!“1.
Nachdem Schill in Hamburg als Senator amtet, ist es
um ihn nicht ruhiger geworden2
B.
1. Um mit dem Ungenannten zu beginnen:
a. Auf der homepage des Deutschen Richterbundes
findet sich unter dem 6. Dezember 2001 die Schlagzeile:
„DRiB: Auch für der „Schill – Partei“ nahestehende Richter gilt
das Mässigungsgebot“ - und dazu als Sachverhalt:
„In der gestrigen Ausgabe der Volksstimme
Magdeburg wird ein der „Schill-Partei“ nahestehender Strafrichter mit den
Worten zitiert: „Die harte Linie hat bei der Obrigkeit keinen Anklang
gefunden“. Weiter soll der Richter geäußert haben, der Rechtsstaat sei in
Sachsen-Anhalt heruntergekommen“.
Dies wird vom DRiB dahin kommentiert, das Zitierte
sei, sofern zutreffend berichtet, wegen Verstoßes gegen § 39 DRiG „nicht
hinnehmbar“ und gefährde das allgemeine Vertrauen in die Unparteilichkeit der
Justiz. Zwar sei, so wird der Vorsitzende des DRiB zitiert, der Richter in
seiner politischen Betätigung und Meinungsäußerung frei, müsse sich aber
aller Beschimpfungen und sonst unangemessener Kundgaben enthalten.
b. Letzteres trifft allerdings zu. Lag aber hier
ein Grund vor, allgemein unbestrittene
Maximen in feierliche Erinnerung zu rufen? Die missbilligte Erwähnung mangelnden Anklangs einer
harten Linie bei der Obrigkeit
entbehrt an sich schon eines fassbaren Sinns: was
ist denn hier wie, wo und aus welchen
Gründen oben übel aufgenommen worden? Mit wem und aus welchen Anlässen
hadert unser Amtsrichter? Ist es sein Rechtsmittelgericht, sind es die
kriminalpolitischen Grundsätze seines Ministeriums, oder was sonst? Man erfährt
nichts: die Zeitung schweigt, und auch der DRiB scheint nicht klüger zu sein.
Die Ausdrucksweise des Richters („hat keinen Anklang gefunden“) jedenfalls
ist so mild und zahm, dass sie im gewohnt schrillen Getöse politischer Kundgaben gewiss alsbald ungehört versunken wäre, hätte
nicht die Presse sie - aus zunächst
einmal unerfindlich scheinenden Gründen – an die große Glocke gehängt.
Aber der angeblich heruntergekommene
Rechtsstaat – fordert vielleicht der
eine berufsverbandliche Rüge wegen
verbaler Unziemlichkeit heraus? Wie jedenfalls der zweite Blick zeigt: ein
abwegiger Einfall ! Über die Verfassungswirklichkeit
war schon in der alten Bundesrepublik lebhaft geklagt und mit hohem Engagement
der Nachweis versucht worden, dass er Rechtsstaat des Grundgesetzes durch die
Adenauer’sche Restauration, durch Notstandsgesetze,
Große Koalition, Berufsverbote,
Verfolgung kritischer Bürger usw.
ausgehöhlt und pervertiert werde, wozu sich ein Seitenstück auch in der
strafrechtlichen Literatur finden lässt: Klagen und Anklagen, dass in ständiger
Abbau von Verteidiger- und Beschuldigtenrechten den liberalen Rechtsstaat im
Kern treffe4.
Darüber – also die Frage, ob und wie tief denn
der Rechtsstaat heruntergekommen sei -
hat man seit eh und je die Klingen gekreuzt, und man streitet noch heute – aus
immer wieder aktuellem Anlass. Aber keiner, selbst wenn er solche Thesen vom
Zerfall des Rechtsstaats für rundum verfehlt hielt, ist früher auf die Idee
verfallen, ein Verbot ihrer Verbreitung zu verlangen , oder sie – wenn
richterlich geäußert – als Verstoß gegen § 39 DRiG anzuprangern. Als es in
den 8oer Jahren erneuten Anlass gab, über Legitimität und Grenzen
richterlicher politischer Äußerungen (und Aktionen) nachzudenken, weil damals
die Nachrüstung die Gemüter heftig
aufwühlte (wie Jahre zuvor die sog. Berufsverbote, und davor und danach immer
wieder anderes), wurde das Mäßigungsgebot
lebhaft und kontrovers erörtert5 . Der Deutsche Richterbund stellte
sich damals auf einen ausgesprochen liberalen
Standpunkt – liberal in dem
Sinne, dass sich Richter sich freimütig, engagiert und deutlich in die
politischen Debatte sollten einmischen und notfalls auf Schützenhilfe vom DRiB
sollten zählen können6. Dabei ist es geblieben – jedenfalls gibt
es kein späteres Dementi. So reibt man sich die Augen und fragt, wie in aller
Welt die Standesvertretung heute
darauf verfällt, einen Amtsrichter zur Ordnung zu rufen, der den eigenen DRiB-Grundsätzen zufolge durchaus nichts Unzulässiges
oder Beschimpfendes von sich gegeben hat.
Da der DRiB selbst die Begründung schuldig bleibt,
ist man auf eigene Interpretationen
angewiesen:
Der Mann - so wird zweimal hervorgehoben - steht
der Schill-Partei nahe . Nur darin kann also das Spezifikum, sozusagen der bedenkliche
Witz seines Falles liegen, nach dem - ohne dieses Ingredienz - kein
Hahn gekräht hätte. Nahe-Stehen: was
ist mag das sein? Äußert der Mann in
seiner Kantine ähnliche Ansichten, wie sie von Schill berichtet werden7.
Hält auch er Jugendrichter für Waschlappen? Macht er sich in BTM-Fällen für
einen Brechmitteleinsatz stark, redet er einem Ableger der Schill-Partei in
Sachsen Anhalt das Wort? Betreibt er eine solche Gründung gar mit eigener Hand?
Trifft er den Hamburger Innensenator beim Saunen – oder gar in Magdeburg oder
auf Sylt bei Drogenparties der Schickeria? Man erfährt schlechterdings nichts.
Aber warum müsste man auch? Geht es doch gar nicht um Tatsachen, sondern die raunende
Beschwörung eines Tätertyps: des rechten Sympathisanten! Der Richter ist offenbar für law
and order, hält seine Obrigkeit für lasch und lahm und pflichtet dubiosen Ansichten
des Hamburger Innensenators bei. Sollte das nicht genügen?
Die Frage ernsthaft
zu stellen, hieße natürlich, sie mit einem
Satz zu verneinen8.
c. Die Eindeutigkeit dieses Befundes legt
allerdings die weitere Frage nahe, ob
es nicht einen tieferen Grund für die
auf Anhieb so überaus befremdliche
Rüge geben sollte. Ich meine, dass es den wirklich gibt, und kann –
allerdings nur bis zu einem gewissen Gerade – für ihn sogar Verständnis
aufzubringen. Darüber später!
Zunächst aber zur Intervention des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem, über den der DRiB –
soweit bislang ersichtlich - kein Wort verliert. Vielleicht erweist es sich,
dass die Gründe für das Reden dort
und das Schweigen hier dicht
beieinander liegen – oder zwei Seiten der selben Medaille sind.
2. Die
Intervention des Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Hoffmann-Riem
a. Am 1. Februar 2002 war im Hamburger Abendblatt
ein Brief des früheren Hamburger Justizsenators und jetzigen
Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem an den Hamburger Innensenator Schill zu
lesen9, in dem es heißt:
„Das Hamburger Abendblatt berichtet von Vorwürfen
eines Abgeordneten, „die den Partygänger Schill in Zusammenhang mit der
illegalen Droge Kokain brächten“. Sie hätten dies als Diffamierungskampagne
des politischen Gegners bezeichnet und eine Äußerung dazu als mit der Würde
des Innensenators unvereinbar bezeichnet. Ich sehe dies anders. Ein
unberechtigter Vorwurf, Sie bewegten sich in der Kokainszene oder seien gar
Konsument von Kokain oder wären es gewesen, verletzt Sie an der Ehre, ja auch
der Würde als Person. Er beschädigt zugleich das Ansehen des hohen Amtes, das
Sie jetzt wahrnehmen ... Als ehemaliger Senator weiß ich von Risiken
unberechtigter Diffamierung und den Schwierigkeiten, sich angemessen zu wehren.
Ich sehe aber auch eine Verantwortung des Politikers, gegenzuhalten und Vorwürfe
zu entkräften ... Das Gerücht, Sie könnten mit Kokain in Verbindung stehen,
geht schon seit einiger Zeit in der Stadt um. Jetzt ist es politisches Gesprächsthema
in der breiten Öffentlichkeit. Damit aber endet für einen Politiker das Recht
zum Schweigen, und es wird Zeit, wenn schon nicht die eigene Würde, so doch
jedenfalls das Ansehen des Amtes durch eine klare Aussage zu schützen.
Prof. Dr. W. Hoffmann-Riem“
Diesen Brief, der zugleich dem Ersten Bürgermeister
von Beust zugegangen und alsbald in allen Hamburger Zeitungen, zuweilen durch
das Kopfbild Hoffmann-Riems in rotem Verfassungsrichterhabit garniert10,
zu lesen gewesen war, wies Schill als Teil einer gegen ihn inszenierten
Schmutzkampagne brüsk zurück11; aber auch sonst wurde die
Intervention aus Karlsruhe in Hamburg und auch in überregionalen Zeitung
durchaus kritisch aufgenommen12.
Am 7. Februar 2002 präsentierte das FS-Magazin
„Panorama“ einen anonymen, vor der Kamera unkenntlich gemachten Zeugen mit
der Aussage, Schill habe auf einer Wahlparty am 23.9. 2001 im Kreise mehrerer
Leute seiner Partei sich „weißes Pulver“ – Kokain – auf das Zahnfleisch
gerieben. Schill, der einen solchen Schritt zunächst energisch von sich
gewiesen hatte13, unterzog sich alsdann in München einer Haarprobe,
die negativ ausfiel, den Verdacht gegen ihn also entkräftete14. Das
Landgericht Hamburg erließ eine einstweilige Verfügung gegen den NDR
(Panorama), die ihm bei Strafe von 250.000 Euro untersagte, die o.e. Verdächtigung
zu wiederholen15; gegen den Panorama-Zeugen leitete die
Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Anschuldigung ein.
Der Rechtsanwalt und Richter
am Hamburgischen Verfassungsgericht Dr. Gündisch schrieb dem
Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem
alsdann u.a. wie folgt16:
„.... Sie sind gegenwärtig Richter am BVerfG;
Hamburger Justizsenator waren Sie nur von 1995 bis 1997. Ihren Brief haben die
Medien erhalten; ... In den Zeitungen sind Sie vor allem als
Bundesverfassungsrichter, teilweise mit Foto in Robe, apostrophiert worden. Als
solcher unterliegen Sie wie jeder andere Bundesrichter dem § 39 DRiG, wonach
sich der Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung
so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet
wird. Gegen diese Ihre richterliche Pflicht haben Sie in eklatanter Weise verstoßen,
als Sie sich als Bundesverfassungsrichter in eine hamburgische lokale
innenpolitische Angelegenheit, in Gerüchte und Tratsch, eingemischt und dem
Verfassungsorgan eines Bundeslandes den Rat gegeben haben, sich in einer
bestimmten, vom Gesetz keineswegs geforderten Art und Weise zu verhalten. Sie
haben damit nicht dem Recht oder der Demokratie gedient, sondern eine politische
Kampagne angefeuert. Nachdem die Drogenuntersuchungen bei Herrn Senator Schill
nunmehr zu einem für ihn günstigen Ergebnis geführt haben, sollten Sie als
Wissenschaftler, als früherer Hamburger Senator und als jetziger
Bundesverfassungsrichter die menschliche Fairness zeigen, Herrn Senator Schill
um Entschuldigung dafür zu bitten, dass Sie die Kokain-Kampagne gegen ihn durch
Ihre verfassungsrechtliche Autorität mit dem Anschein der Seriosität versehen
haben...“
b. Eine Antwort des Karlsruher an den Hamburger
Verfassungsrichter lässt sich öffentlich
nicht registrieren.
Indessen hatte der NDR
alsbald nach dem Bekanntwerden seines Briefs ein Interview mit Hoffmann-Riem
geführt, in dem es heißt:
„Frage: ... Schill hat gestern erklärt, er habe
zu keinem Zeitpunkt illegale Drogen genommen, war das das Ziel Ihres Appells?
H.-R.: Ich bin froh, dass Bürgermeister Ronald
Schill auf meine Frage so klar geantwortet hat; für mich ist jetzt alles
beantwortet; ich habe keine weiteren Fragen an Herrn Schill.
Frage: Warum haben Sie als Richter des
Bundesverfassungsgerichts diesen öffentlichen Appell an ihn gerichtet?
H.-R.: Es gab in Hamburg eine öffentliche
Diskussion. Insb. im HA wurde von Vorwürfen berichtet, dass Schill sich in der
Kokain-Szene bewege ... Daraufhin habe ich ihm einen Brief geschrieben ... und
hinzugefügt, dass ich ihm eine Gelegenheit geben möchte, sich zu äußern,
bevor ich an die Öffentlichkeit gehe. Herr Schill hat sich nicht geäußert
..., daraufhin bin ich an die Öffentlichkeit gegangen.
Frage: ...Würden Sie Herrn Schill empfehlen, eine
Haarprobe zu machen?
H.-R.: Nein, Herr Schill soll keine Haarprobe
machen. Er hat gesagt, er hat damit nichts zu tun; ich glaube ihm, und das müssen
wir jetzt auch so stehen lassen und nichts weiter verlangen ...
Frage: ... Das heißt: Sie hatten keinerlei
Hinweise, dass Herr Schill Konsument von Kokain sein könnte?
H.-R.: Diese Frage interessiert mich überhaupt
nicht, ich habe lediglich von Gerüchten gehört, ich habe von der öffentlichen
Diskussion gehört, und ich habe dann gemeint, wenn diese Diskussion weiter
eskaliert, dann ist das nicht gut für die Hamburger Politik, ja für die
Politik insgesamt “
c. Kehren wir nun zur Ausgangsfrage zurück: Hätte
dies den DRiB veranlassen können oder
müssen, seine homepage um eine
kritische Anmerkung - diesmal in Richtung
Karlsruhe! - zu ergänzen?
Dass auch für einen Richter am BVerfG. das Mäßigungsgebot
des § 39 DRiG gilt, folgt aus dem Gesetz und ist unbestritten17.
Zwar mögen die Maßstäbe etwas anders - keineswegs schlechthin „laxer“,
aber doch spezifischer - ausfallen als für Richter im übrigen – einerseits großzügiger,
weil Bundesverfassungsrichter in ihrer Person sozusagen den Spagat zwischen
Politik und Recht repräsentieren, durch ihre Auswahl (Art. 94 I 2 GG) dem
politischen Betrieb notwendigerweise enger verbunden sind und aus ihrer besonderen
Funktion auch öffentlich kein Hehl zu machen haben, andererseits
strenger, weil sie zu Hütern der
Verfassung berufen sind, denen im Streit der Parteien oft - vielleicht gar zu
oft - das letzte Wort anvertraut ist. Die Erwartung an den Souverän (Art. 2o II
GG), folgenreiche, politisch hochstreitige Entscheidungen als gerecht
und rechtlich zu aktzeptieren, muss letztlich auch rein sozialpsychologisch
gerechtfertigt werden – von den Verfassungsrichtern durch ihr Auftreten,
Reden und Verhalten. Um diese spezifische Dialektik kreist das einschlägige
Schrifttum18. Einen Vorgang, der dem Ausgangsfall Hoffmann-Riem
ähnlich (geschweige denn gleich) wäre, wird man darin allerdings vergeblich
suchen. In der Literatur hängt alles
– eng oder lose - mit dem zusammen,
was in Karlruhe anstand, entschieden worden war oder sich als Themenwolke
dorthin zusammenzog. Hier gilt nichts
dergleichen.
Dreht es sich deshalb vielleicht um eine bloße
Privatsache? Ausweislich seines Briefes greift Hoffmann-Riem unter Berufung auf sein früheres Hamburger Senatorenamt in einen
emotional hoch aufgeladenen Hamburger Lokalstreit ein und verlangt vom
Adressaten, „gegenzuhalten und Vorwürfe zu entkräften“.
Damals glauben nicht wenige Gegner Schills, der Senator werde den Unschuldsbeweis
nicht führen können – mit der Folge, dass die ungeliebte Koalition an
dieser Klippe letztlich zerbrechen könnte -, wozu jeder Abendblattleser (als
welcher Hoffmann-Riem sich ausdrücklich bekennt) den neuesten Sach-, Streit-
und Klatschstand täglich freihaus geliefert bekam19. Hatte der
Briefschreiber vielleicht schwerwiegende Indizien gehabt als Grundlage seines
Appells, der Angeschuldigte solle in
diesem Fall einen Verdacht widerlegen
(„entkräften!“)? Er selbst teilt tags darauf dem NDR mit, von
der öffentlichen Diskussion und Gerüchten lediglich
gehört. zu haben. Wer ist es, der auf
dieser Grundlage eine Äußerungsfrist einräumt und den Schritt in die Öffentlichkeit
androht? Der frühere Hamburger Justizsenator?
Der Medienrechtler Prof. Hoffmann-Riem? Schon das würde eine Glosse wert sein. Es liegt jedoch auf der
Hand, dass es zuvörderst das öffentliches Prestige: der Rang des Bundesverfassungsrichters ist, der hier in die
Waagschale geworfen wird und dazu herhalten soll, der Drohung das nötige
Gewicht zu verleihen. So und nicht anders wird die Intervention in Hamburg auch
prompt begriffen und kommentiert: die rote Robe ist es, die ihr die höheren
Weihen verleiht ! Und eben dies war vorhersehbar und auch beabsichtigt. Aber das
Hineinfahren in die Hamburger Gerüchteküche vom Karlsruher Thron herab konnte
in der Öffentlichkeit gar nicht anders denn als Parteinahme gegen Schill und für
seine politischen Gegner verstanden werden und verletzt das Gebot richterlicher
Zurückhaltung so offensichtlich ,
dass weitere Begründungen die Evidenz des Sachverhalts eher verdunkeln als
erhellen würden.
Seinen Fauxpas, der auch in Karlsruhe schwerlich unbemerkt geblieben sein wird, scheint der
Briefschreiber alsbald selbst erkannt
zu haben: Im NDR-Interview möchte er vom vortags gestellten Ultimatum nichts
mehr wissen: Obwohl Schill inzwischen nichts bewiesen („entkräftet“),
sondern den Vorwurf lediglich zurückgewiesen hatte, erklärt Hoffmann-Riem die
Sache für erledigt und verlangt nun seinerseits, man solle Bürgermeister Schill in Frieden lassen. Aber der Zug rollte und war
nun nicht mehr zu bremsen, auch nicht durch eine Erledigungserklärung im
Rundfunkinterview ...
C.
Wenn also der DRiB,
um auf ihn zurückzukommen, auf seiner homepage den § 39 DRiG schon traktiert:
mit welcher Rechtfertigung konnte er dann den
Fall Hoffmann-Riem mit Schweigen übergehen?
Rein sachlich betrachtet, ist das eine augenfällige und kaum begreifbare
Inkonsequenz. Aber diese Feststellung allein greift zu kurz, weil sie die Zwänge,
denen Organisationen unterliegen,
nicht in Betracht zieht. Der Berufsverband
Deutscher Richterbund hatte sich jahrzehntelang mit dem Vorwurf
herumschlagen müssen, er - also die Richterschaft insgesamt- sei „auf
dem rechten Auge blind “, habe die eigene Vergangenheit nicht verarbeitet,
keine Lehren gezogen usw. usw.. Der Vorwurf war früher mit triftigen Gründen
erhoben worden20. Obwohl aber später alle sozialen, biographischen
und sonstigen Voraussetzungen entfallen waren, die ihn getragen hatten21,
war es bei dem eingefahrenen Schlachtruf geblieben, der freilich durchweg zu
tagespolitischen Zwecken instrumentalisiert wurde22. Noch heute -
oder: heute wieder ! - kann man lesen, der ausländerfeindliche Mob werden von
der deutschen Justiz so milde sanktioniert, weil die Laxheit gegenüber
„rechts“ den Richtern nun einmal im Blute liege23. Der DRiB
geriet immer wieder in Erklärungsnöte; er hat sich - wie man sagt - sensibilisiert
und ringt um ein Image, das sich weit und hoch abhebt von allem, was gemeinhin
als rechts, rückwärts gewandt,
illiberal, fortschrittsfeindlich usw. gilt – ein steter Kampf24. So
wird man wohl Verständnis für die instinktiv-spontane Reaktion des DRiB
aufbringen müssen, zu einem dem Vernehmen nach rechten
Kollegen demonstrativ und medienwirksam auf Distanz zu gehen. Aber zwischen
Impuls und Tat muß eine Prüfung liegen; und die ist hier offensichtlich versäumt
worden..
Für den Fall des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem
gilt das gleiche – allerdings spiegelverkehrt:
Verlöre der DRiB ein kritisches Wort über die Hamburger Intervention des hohen
Richters, müßte er befürchten, damit Wasser auf die Mühlen derer zu leiten,
die nur darauf warten, das alte Lied vom blinden rechten Auge neu anzustimmen.
Muß man hier denn wirklich (so könnte die Erwägung beim DRiB gegangen sein,
fall er überhaupt etwas erwogen hat)
ein so missdeutbares Zeichen geben und
das mühsam errungene Image des Berufsverbands auf’s Spiel setzen? Zunächst
durchaus begreifliche Gründe ebenso
für Schweigen wie für demonstratives Reden. Aber das alles wären nur Motive taktischer Natur, die dort nichts
gelten dürfen, wo es um Fairness und Recht geht.
Amerkungen:
1)
Auf diese zweifelhaften Praktiken hat der Verfasser
in NJW 2001, 1008 schon vor Beginn des „heißen“ Wahlkampfes hingewiesen.
„Schill ante portas?“ hieß es damals
noch fragend.
2)
wenngleich Untergangsparolen, die das Ende hanseatischer Weltoffenheit an die
Wand malen (vgl. z.B. HA v. 27.8.01: 60 Künstler
gegen Schill ), verstummt sind.
3)
Hinzu tritt kriminologischer Streit: Als Schill im Januar 2002 gewisse Daten der
Hamburger Kriminal-statistik öffentlich vortrug und dabei die Akzente so setzte, wie es ihm
in den Kram passte, warf ihm der niedersächsische Justizminister Pfeiffer die Unterschlagung
der Daten vor, die der Hervorhebung bedurft hätten, um seine
eigene kriminologische Lagebeurteilung zu stützen, vgl. FAZ vom 18.2.02: Schill
täuscht die Öffentlichkeit. Führt man sich den
Umgang mit Statistiken dagegen, wie er in der Politik längst eingerissen
und auch in der Kriminologie nicht ganz unbekannt (vgl. Bertram
NJW1999,399: Aufrufe) ist, wird man
zufrieden sein können, wenn überhaupt, wie unstreitig hier, korrekte
Daten mitgeteilt werden.
4)
ähnlich jüngst noch Scheffler:
kurzer Prozeß mit rechtsstaatlichen Grundsätzen?: NJW 1994, 2191
5)
vgl. z.B. Rudolph DRiZ 1984, 135,
ders. Referat auf dem Hamburger Richtertag 1987: Sonderdruck S. 445 ff (vgl.
auch den Wiederabdruck in DRiZ 1999, 392 ff); ders.
DRiZ 1988,131; Sendler NJW 1984, 689; Schmidt-Jorzig
NJW 1984, 2o57, Rasehorn KrJ 1986, 76;
Hase KrJ 1984, 142; Hill DRiZ 1986, 81; Hager
NJW 1988, 1694; Zapka Recht und
Politik 1984, 149; ders. DRiZ 1989,
214; Schmidt-Räntsch, Kommentar zum
DRiG, 5. Aufl. 1995, § 39 Rz. 23 f mit Nachw.
6)
zusammenfassend für die Mitte der 8Oer: Burckhardt
DRiZ 1985, 486
7)
zum Kantinengerede vgl. BGH vom 4. 9.
2001: NJW 2001, 3275; auch Bertram aaO.
(Anm.1)
8)
Auf gewisse Meinungsverschiedenheiten (Anm. 5) kommt es nicht an; für keinen der genannten - oder irgend sonstige - Autoren wäre die hier
erteilte Rüge auch nur diskutabel.
9)
voller Wortlaut auf der homepage des
HA vom 1.2. 2002
10) WELT vom 2.2.02, S. 33
11)
WELT vom 2.2.02; HA v. 1.2.02
12)
vgl. z.B. Die Welt vom 2.2.02: Das Amt ist
beschädigt; Hamburger Abendblatt vom 2.2.02: Schill und die Grenzen der Fairness; FAZ vom 19.2.02:
Amt und Würde; dazu die Leserbriefe Sorge
eines Ex-Senators: FAZ v. 23.2. und Scheinheilige
Besorgnis: FAZ v. 4.3.02.
13)
HA von 9.2.02, wo Schill zitiert wird:
„... Aber es läuft tatsächlich ...
nach der Anleitung eines Stasi-Handbuches. Erst werden Gerüchte gestreut, dann
werden sie so langsam aufgebaut. Dann meldet sich eine augenscheinlich honorige
Persönlichkeit wie der VerfRi. Hoffmann-Riem couragiert zu Worte und verlangt
Aufklärung. Und anschließend gibt es dann noch irgendwelche Zeugen, die
anonym, ohne dass sie ihr Gesicht zeigen, behaupten, sie hätten etwas gesehen.
Das Prinzip ist einfach: Man wirft mit Dreck – und irgendwas bleibt immer hängen.“
14)
Der Vorwurf wurde dann nicht mehr erhoben; es fand sich überhaupt niemand mehr,
der sich nachsagen lassen wollte, ihn je erhoben zu haben.
15)
HA vom 21.2.02.
16)
Brief vom 19.2.02, den auch Gündisch,
im Gegenzug zu Hoffmann-Riems Gang in die Öffentlichkeit, den Medien mitteilte:
z.B. BILD vom 26.2. 2002: Herr
Hoffmann-Riem, entschuldigen Sie sich bei Senator Schill!
17)
vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 5. Aufl.
1995: § 69 Rz. 5; § 39 Rz 24. Umbach/Clemens:
Kommentar zum BVerfGG, 1992 : vor §§ 3 ff Rz. 2; § 19 Rz. 2o ff, insb. 36
(betr. den BVerfRi. Martin
Hirsch)
18)
vgl. die mit Recht weithin fallbezogene Darstellung bei Umbach (Anm.21) zu § 19 BVerfGG.
19)
vgl. nur HA vom 25.1.02.
20)
über die trübe frühere Rolle des DRiB vgl. die DRiZ ab 30.1.1933, insb. die
bildreiche Nr. 10/33: Der Rütlischwur;
zusammenfassend Wrobel: DRiZ 1983,
157. Zum 75. Jahrestag des DRiB hat dessen Vorsitzender Leonardy dazu eine grundlegenden Rede gehalten: DRiZ 1984, 221
21)
prägnant Wassermann NJW 1994, 833: Ist
die Justiz auf dem rechten Auge blind?; vgl. auch Bertram
NJW 1995, 1270: Vergangenheit, die nicht
vergeht, dort Zi. I . 3
22)
dazu mit zahlreichen Nachweisen: Bertram
DRiZ 1982, 225: Vergangenheitsbewältigung
unter falscher Flagge; ders. ZRP 1983, 81: Der Jurist und die Rutenbündel des Faschismus;
23)
vgl. z.B Müller-Münch: Biedermänner und
Brandstifter, 1998; dazu Bertram ZRP
1999, 71. Wie wenig eine harte oder milde Sanktionierung junger
(fremdenfeindlicher) Gewalttäter mit einer rechten
Gesinnung der Richter zusammenhängt, weisen zwei materialreiche Dissertationen
nach: Neubacher, Fremdenfeindliche
Brandanschläge, 1998, dazu Bertram 1999,
3o6, und Jahn, Strafrechtliche Mittel
gegen Rechtsextremismus, 1998, dazu Bertram
NJW 1999, 3544.
24) in dem es nichts nützt, falsche Prämissen verfehlter Anklagen ergeben hinzunehmen, vgl. oben Anm. 22) und 23)
Günter
Bertram