Am
5. September 2002 fand eine weitere Veranstaltung aus der Vortragsreihe
“Europarecht” des Hamburgischen Richtervereins, der Vereinigung
hamburgischer Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter und des
Hamburgischen Anwaltverein in Zusammenarbeit mit dem Info-Point Europa statt.
Nach der Begrüßung der Gäste und Zuhörer durch RA Hans Arno Petzold und den
Präsidenten des OLG Wilhelm Rapp sprach der Generaldirektor
des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (Office Europeen De Lutte
Anti-Fraude = OLAF) Franz-Hermann Brüner
zu dem Thema:
In
der Einleitung seines Vortrages wies Herr Brüner zunächst darauf hin, dass das
Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) den Auftrag habe, die Interessen
der Europäischen Union zu schützen und Betrug, Korruption und sonstige Missbräuche
einschließlich Dienstvergehen innerhalb der EU-Organe und EU-Einrichtungen zu
bekämpfen. Insbesondere auf dem Gebiet der Strafrechtspflege durch Justiz und
Polizei würden aber erhebliche Kenntnisse von Europa fehlen. Die Erklärung
hierfür läge darin, dass bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft
durch die Verträge von Rom in erster Linie Wert auf eine Wirtschaftsunion unter
dem Aspekt der Marktöffnung gelegt worden sei. Daher würden die interessierten
Kreise der Wirtschaft im Gegensatz zu den Strafermittlungs- und
Strafverfolgungsbehörden über deutlich mehr Kenntnisse bezüglich Europa verfügen.
Die Verträge von Rom seien unter dem Vertrauen auf einen internationalen
ehrlichen Handel geschlossen worden, andere Gebiete wie die Entstehung von möglicher
Wirtschaftskriminalität durch die Marktöffnung seien vernachlässigt worden.
Insbesondere die erhebliche kriminelle Energie, die auf den illegalen Handel von
Waren durch die freien Grenzen verwandt werde, sei nicht berücksichtigt worden.
Herr
Brüner erläuterte, dass OLAF Teil der Kommission und dort organisatorisch dem
Bereich Haushalt zugeordnet sei. Der europäische Haushalt werde in erster Linie
durch Einnahmen der Mitgliedsstaaten aus Zöllen und Abgaben finanziert, wobei
der Haushalt zu Einnahmen von rund 95 Mrd. Euro führe. Im Vergleich zum
Hamburger Haushalt, in dem 95% der Ausgaben festgelegt seien, gäbe es beim europäischen Haushalt 95% flexible Masse. Der größte
Anteil des europäischen Haushalts mit rund 50 % werde für Subventionen der
Landwirtschaft ausgegeben. Der nächste große Posten beinhalte Ausgaben für
Hilfsprojekte, bei denen die Europäische Kommission durch Sofortmaßnahmen in
Krisengebieten, wie beispielsweise 50 % der gesamten Balkanunterstützung, eine
der größten weltweiten Hilfsorganisationen darstelle. Die weiteren
Haushaltsposten würden auf Strukturmaßnahmen sowie seit den letzten 7 Jahren
auf Transferleistungen für die Beitrittskandidaten entfallen.
Leider
sei auch der Haushalt der Europäischen Union nicht gegen betrügerische Delikte
gefeit. Unregelmäßigkeiten und Betrug zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts würden
im Einnahmenbereich der EU in Form von hinterzogenen Zolleinnahmen und
Mehrwertsteuerhinterziehungen wie etwa durch Falschdeklarierung von Waren oder Fälschung
von Ursprungszeugnissen sowie Schmuggel auftreten. Als Beispiel führte Herr Brüner
die Einfuhr von Bananen aus Mittelamerika mit gefälschtem Präferenznachweis
sowie den Zigarettenschmuggel an. Ein Container mit geschmuggelten
unversteuerten Zigaretten bedeute für den Schmuggler einen Mehrgewinn von 4
Mio. Euro. Im Durchschnitt würde alle halbe Stunde ein Container mit Zigaretten
in Europa eingeschmuggelt. Die durch diese im großen Stil durchorganisierten
Betrügereien entstehenden Ausfälle lägen im gehobenen Millionenbereich. In
der Regel seien an den finanziellen Missbräuchen zwei oder drei Staaten
beteiligt, selten werde ein Betrug nur in einem Mitgliedsstaat ausgeübt.
Die
Täter wüssten dabei ganz genau, wo die Grenzen der Möglichkeiten der EU lägen.
Der Betrug erfolge und funktioniere aufgrund der bewussten Ausnutzung der Marktöffnung
und der großen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Verfolgungsbehörden. So
bestünden Probleme aufgrund nationaler Datenschutzgesetze (z.B. in Italien)
sowie erheblicher Sprachdefizite, die eine Zusammenarbeit zwischen den
verschiedenen Behörden erschwerten. Besonders die deutschen Juristen hätten
durch ihren bezüglich ihrer Fremdsprachenkenntnisse selbst auferlegten
Perfektionismus Probleme Kontakte zu den ausländischen Behörden herzustellen.
Ein weiteres typisches deutsches Problem sei es die Rechtsstaatlichkeit der übrigen
Mitgliedsstaaten anzuerkennen. So wollten die deutschen Behörden oft, obwohl
bereits ein anderer Staat ermittelt hätte, noch einmal eigenständig den
Sachverhalt klären. Der Weg zur Errichtung eines gemeinsamen
Strafverfolgungssystems zum Schutz der finanziellen Interessen der EG führe
aber nur über den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von gerichtlichen
Entscheidungen und Urteilen durch die Mitgliedstaaten, was wiederum ein
gegenseitiges Vertrauen in die einzelstaatlichen Rechtsordnungen voraussetze.
Zwischen den verschiedenen Rechtstraditionen in Europa sei trotz der
unterschiedlichen Strukturen eine zunehmende Konvergenz festzustellen, weshalb
auch einige Politiker bereits von einem Rechtsraum Europa sprechen würden. In
allen Mitgliedsstaaten gebe es, aus dem gleichen Bedürfnis heraus, eine
Ermittlungs- und eine Strafverfolgungsfunktion. Die von OLAF eingestellten
Staatsanwälte würden gemeinsam ausgebildet und seien in die Untersuchungen
sowie in die Kontakte zu den nationalen Justizbehörden, dem europäischen
justiziellen Netz und Eurojust miteinzubeziehen.
Bei
dem Grünbuchentwurf (zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen
der EU, KOM (2001) 715) gehe es um Fälle der Verfolgung von finanziellem
Missbrauch zwischen mehreren Staaten durch die Organisierte Kriminalität, in
denen der einzelne Staat überfordert sei, und daher zusätzliche Ermittlungen
durch OLAF geleistet werden müssten.
Als
Folge des Gipfels von Tampere 1999 sei zunächst Eurojust gegründet worden und
zwar auf der Ebene der intergouvermentalen Zusammenarbeit für grenzüberschreitende
Kriminalität. Dennoch sei bei der
Gründung von Eurojust ein Schritt zu kurz gedacht worden, da die justizielle
Zusammenarbeit alleine nicht ausreiche, stattdessen müsse die Zusammenarbeit
allgemeiner und in allen Bereichen erfolgen. Zur Erläuterung entstehender
Probleme durch die Intergouvermentalität wies Herr Brüner auf die 3 Säulen
der EU hin, insbesondere auf die 1. Säule als Gemeinschaftssäule und die 3. Säule
für polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit. In der 3. Säule gehe es um
ein gemeinsames Vorgehen bei der Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität
sowie im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, darüber hinaus um die
Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit bei Gerichtsverfahren und
der Vollstreckung von Entscheidungen. Während die Europäische
Staatsanwaltschaft eine Einrichtung der Gemeinschaft sein solle, die mit einer
spezifischen Strafverfolgungsbefugnis auf dem Gebiet des Schutzes der
finanziellen Interessen der Gemeinschaften ausgestattet wäre, würden Eurojust
breit gefächerte und unter die justizielle Zusammenarbeit fallende Zuständigkeiten
übertragen werden. Würde die Europäische Staatsanwaltschaft geschaffen, wäre
die Zuständigkeit von Eurojust für Finanzkriminalität aufrechtzuerhalten,
sofern die vorrangige Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft für
den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften vorgesehen werden würde.
In den Fällen, in denen die Verstöße sowohl die Bestimmungen des EG-Vertrags
über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften, als auch die
dritte Säule, d.h. den EU-Vertrag, beträfen, müsste diese klare
Kompetenzabgrenzung mit einer aktiven Zusammenarbeit
einhergehen. Bei „säulenübergreifenden“ Fällen, habe jede Stelle
auf der Grundlage eines Informationsaustauschs den ihr eigenen Mehrwert zu
erbringen, wobei Eurojust in die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Staatsanwaltschaft und die nationalen Strafverfolgungsbehörden einbezogen
werden würde. Die Unterschiede von OLAF zu Eurojust lägen in dem gesamten
Spektrum an unterschiedlichsten Behörden Europas, die OLAF zur Verfügung stünden
und kriminalistisch tätig seien, wodurch zusätzliche Informationen geliefert
werden könnten. Die Kommission sei z.B. an zahlreichen Kooperationsverträgen
und auch in vielen Fällen am internationalen Austausch administrativer
Informationen, insbesondere der Zollverwaltungen, beteiligt.
Aus
der Betrugsbekämpfungseinheit UCLAF sei 1999 das unabhängige Europäische Amt
für Betrugsbekämpfung OLAF entstanden. Das Motiv der Gründung habe für die
EU auch in einem finanziellen Interesse an der Aufdeckung und Verfolgung von
Betrugsdelikten gelegen.
OLAF
sei für alle Institutionen zuständig, wogegen UCLAF nur beschränkt tätig
gewesen sei. Zudem habe OLAF eine verwaltungsrechtliche Ermittlungsbefugnis als
Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft. Durch die Verknüpfung der administrativen
und justiziellen Dimension werde die Einbindung des Amtes bezüglich der Behörden
der nationalen Akteure erleichtert. Im wesentlichen handele es sich um die Zoll-
und Steuerverwaltungen oder die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden, die das
Amt um Mitwirkung ersuchen würden.
Die
Idee, dass sich etwas im strafrechtlichen Bereich verändern müsse, sei alt.
Diese Diskussion sei immer vorhanden gewesen, sei aber nicht wirklich
wahrgenommen worden. Durch die ständige Erweiterung Europas entstünden auch größere
Probleme bei der Entstehung und Verfolgung der Betrugsdelikte. Daher würden
strafrechtliche Strukturen zur Verfolgung von Missbrauch erforderlich.
Insbesondere werde überlegt Bußgelder einzuführen. Bisher müsse
beispielsweise bei Subventionsmissbrauch nur das zu Unrecht erhaltene Geld zurückgezahlt
werden, ein gesondertes Bußgeld werde nicht auferlegt. Es müsse eine Struktur
geschaffen werden, die zur Verfügung stehe, um bei Missbrauch härter
durchzugreifen. Der Vorschlag des Grünbuchs sei aber vorsichtig gehalten, um
das Subsidiaritätsprinzip zu berücksichtigen. Die Einsetzung der Europäischen
Staatsanwaltschaft solle die Ermittlungen und die Verfolgung von Straftaten
unter Federführung der nationalen Richter koordinieren und steuern, um der
relativen Straflosigkeit von Straftätern auf internationaler Ebene
entgegenzuwirken. Ziel des Grünbuchs sei eine umfassende Debatte in der Öffentlichkeit,
deren Ergebnisse dem Konvent über die Zukunft Europas vorgelegt werden würden.
Auf
Fragen aus dem Auditorium stellte Herr Brüner fest, dass OLAF über keine
eigene Strafverfolgungsmöglichkeit verfüge, sondern nur als
Informationslieferant für die entsprechenden Verwaltungsbehörden, insbesondere
die nationalen Staatsanwaltschaften, arbeite. Innerhalb der Mitgliedsstaaten könne
OLAF selbständige Kontrollen durchführen und in Zusammenarbeit mit den
nationalen Stellen die erforderlichen Maßnahmen wie verwaltungsrechtliche oder
strafrechtliche Verfolgung veranlassen. OLAF verfüge über ein nichtzugängliches
Email-System, in dem Unregelmäßigkeiten gemeldet und daraufhin die
Ermittlungen aufgenommen werden könnten.
Soweit
mehrere Mitgliedsstaaten betroffen seien, könne OLAF die erforderlichen
Koordinierungen leisten und die nationalen Ermittlungen durch eigene
Ermittlungen unterstützen. Gerade diese Tätigkeit habe erhebliche Bedeutung im
Kampf gegen den Betrug zu Lasten der finanziellen Interessen Europas, da zwar
die Grenzen für den Personen- und Warenverkehr in Europa gefallen seien, die
Verfolgungszuständigkeit von Straftaten aber noch, und wohl auch noch auf
absehbare Zeit, national erfolgen würde. Dies führe zu einem erheblichen
Betrugsrisiko, da das Verfolgungsrisiko gering erscheine. Diese Lücke werde
derzeitig von OLAF ausgefüllt und könne zukünftig vom Europäischen
Finanzstaatsanwalt, soweit der vorliegende Entwurf der Kommission angenommen
werde, in Zusammenarbeit mit OLAF und den Mitgliedsstaaten noch weiter
verbessert werden. Es gehe allerdings bei der Zielsetzung des Grünbuchs nicht
darum aus OLAF eine neue Behörde mit einem europäischen Staatsanwalt zu
machen, sondern um eine kleine Behörde mit vielen Staatsanwälten. Die
Probleme, die sich bei den Befugnissen und Aufgaben der Staatsanwaltschaft durch
unterschiedliche Rechtssysteme der Mitgliedsstaaten niederschlagen könnten,
erforderten keinen neuen Regelungsansatz, da das Grundgerüst zwischen den
einzelnen Mitgliedsstaaten ähnlich aufgebaut sei. Der Europäische Staatsanwalt
solle während eines Prozesses Anklage vor den nationalen Gerichten erheben. Es
sei aber wichtig, dass die Entscheidungsfunktion der Strafjustiz auf der
nationalen Ebene angesiedelt bleibe. Ein neues gemeinschaftliches Justizorgan zu
schaffen, das in der Sache entscheide, sei nicht beabsichtigt.
Auf
Frage über den Status von OLAF bezüglich der noch nicht vollständigen
Anerkennung durch die Europäische Zentralbank und die Europäische
Investitionsbank räumte Herr Brüner ein, dass man noch nicht so weit sei wie
vor 2 Jahren erhofft. Die Weigerung der Europäischen Zentralbank und der Europäischen
Investitionsbank, etwaige interne Untersuchungen bei sich zuzulassen, sei sehr
bedauerlich. Auch die Entscheidung von 71 überwiegend deutschen Abgeordneten
des Europäischen Parlaments, gegen Befugnisse von OLAF im Parlament vor dem
Gericht Erster Instanz zu klagen, sei nicht zum Vorteil von OLAF gewesen. Zur
besseren Betrugsbekämpfung sei daher die Einrichtung einer unabhängigen Europäischen
Staatsanwaltschaft erforderlich. Für die angestrebte Weiterentwicklung von OLAF
sei noch sehr zu kämpfen, es gebe für die Zukunft noch viel zu tun.
Die
Fortsetzungsveranstaltungen werden sich mit weiteren zivil- und
verwaltungsrechtlichen Fragestellungen des Europarechts befassen. Dazu werden
jeweils gesonderte Einladungen ergehen.
RA Hans Arno Petzold/RRef. Ralf Pachmann, Hamburg