(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/03, 4) < home RiV >

Fachabteilungen für Mietrecht an den

Amtsgerichten

– nein danke?

 

Es liest sich unspektakulär und klingt sogar plausibel: Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Hamburg (-Mitte) für das Jahr 2003 sind die Abteilungen 37a, 37b, 38, 43, ferner 39b, 41a, 41b, 42, 45 und 47 aufgelöst worden. Das Mietedezernat besteht danach nunmehr noch aus 4 „vollen“ Mieteabteilungen und 4 „gemischten“ Abteilungen mit einem Anteil von 30-75% an Mietesachen. Schließlich gibt es seit kurzem die neuen Stadtteilgerichte Barmbek und St. Georg. Das bedeutet, Kapazitäten zu den neuen Gerichten zu verlagern. Immerhin sind beim Amtsgericht Barmbek 12 Zivilabteilungen, beim Amtsgericht St. Georg 9 Zivilabteilungen installiert, die es zu besetzen gilt. Dagegen bleibt das Familiengericht beim Amtsgericht Hamburg weiterhin angesiedelt. Eine Spezialzuständigkeit innerhalb der Zivilabteilungen der neuen Stadtteilgerichte ist nicht vorgesehen: tätig wird der Einheitsrichter[1]: dynamisch, auf allen Gebieten der Zivilrechtspflege sattelfest und einsatzfähig. Flexibilität ist das Zauberwort der Personalverwaltung insbesondere im Zeichen leerer Kassen und dadurch bedingter Richtereinsparungen. Da ist für eine Spezialisierung kein Raum.

 

Doch halt: das Amtsgericht Barmbek verfügt sogar über ein „Wohnungseigentumsgericht“ mit vier Abteilungen und das Amtsgericht St. Georg hat noch zwei solcher Abteilungen eingerichtet, wenn auch jeweils unter Beimischung anderer Zuständigkeiten. Sie verfahren zwar nach FGG-Vorschriften, aber immerhin. Unter den 12 bzw. 9 Zivilabteilungen gibt es dagegen keine Mietabteilungen – wo käme man auch hin, für alle Sondergebiete eine oder gar mehrere Spezialabteilungen einzurichten – ganz abgesehen davon, dass die bereits etablierten „angeschlossenen“ Amtsgerichte (von Altona bis Wandsbek) keine Mieteabteilungen hatten und haben, ohne dass deshalb die Rechtspflege erkennbar Schaden gelitten hätte. Im übrigen kann es für einen jungen Richter nur gut sein, sich nicht – schon gar nicht frühzeitig – zu spezialisieren.

 

Nun ist es eine Binsenweisheit, dass dem Mietrecht – insbesondere dem Wohnungsmietrecht – eine herausgehobene soziale Funktion zukommt, ebenso wie dem Familien- und dem Arbeitsrecht: Wohnung – Familie – Arbeit sind nun einmal die Fundamente nicht nur der bürgerlichen Gesellschaftsordnung sondern auch der Existenz eines jeden. Ohne den fachspezifischen Stellenwert anderer Disziplinen – vom Arzthaftungsrecht bis zum Verkehrsrecht – schmälern oder auch nur infrage zu stellen, steht die erstgenannte Gruppe im Brennpunkt der sozialen Wirklichkeit. Das hat im Bereich der Justiz und der Anwaltschaft seit langem zur Spezialisierung  auf dem Gebiet des Arbeits- und des Familienrechts geführt. Und das Mietrecht?

 

Ziel des Mietrechts-Reformgesetzgebers von 2001 war es u.a., „einen Beitrag zur Entlastung der Gerichte“ dadurch zu leisten, indem das Mietrecht so gestaltet wird, „dass Mieter und Vermieter in die Lage versetzt werden sollen, ihre Rechte und Pflichten auch ohne fachliche Hilfe soweit wie möglich selbst erkennen zu können.“ Dieses von vornherein utopisch erscheinende Ziel hat der Gesetzgeber bekanntlich gründlich verfehlt, zumal Probleme, die gelöst zu sein schienen, wieder aufgerissen worden sind und neue hinzugekommen sind. Die Schuldrechtsreform hat ein übriges getan, um die Grundlagen des Mietrechts (ein Stichwort: Schadensersatz wegen unterlassener Schönheitsreparaturen) neu zu ordnen. Kurz: das Mietrecht befindet sich zur Zeit im Umbruch und es kann Jahre dauern, bis sich die Rechtslage konsolidiert hat.

Die Anwaltschaft – insbesondere die jüngere – hat die Zeichen der Zeit längst begriffen und setzt auf den Fachanwalt für Mietrecht. Noch sind es allerdings eher standespolitische als fachbezogene Gründe, die dagegen ins Feld geführt werden[2].

 

Und die Hamburger Justiz? Nunmehr 5 Mietekammern am Landgericht tragen seit Jahren dazu bei, den guten Ruf der hamburgischen Rechtsprechung zu mehren und haben bundesweit richtungweisende Entscheidungen mit erheblichen gesellschaftspolitischen Auswirkungen getroffen[3]. Ein weises Präsidium konnte lange Zeit weitgehend eine personelle Kontinuität in den Mietekammern sichern, die eine Spezialisierung und Qualitätssteigerung begünstigte. Zugleich sorgte und sorgt eine gute Kommunikation der Kammern untereinander dafür, dass bei aller Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit in den Grundfragen der Mietrechtsanwendung gleichwohl ein Konsens gefunden wurde und wird, der der Rechtssicherheit und damit dem Rechtsfrieden dient. Spezialisierung, personelle Kontinuität und Kommunikation haben zugleich einen Rückkoppelungseffekt, was die Effizienz bei der Erledigung der Sachen anbelangt. Diese Umstände sind empirisch überprüfbar. In neuerer Zeit wirken sich allerdings fast schon chronische Unterbesetzungen und eine Belastung der Mietekammern auch mit allgemeinen Zivilsachen erschwerend aus.

 

Beim Amtsgericht Hamburg (-Mitte) war über viele Jahre eine ähnliche Entwicklung zu verzeichnen. Ein hoher Kommunikationsgrad zwischen älteren erfahrenen Kollegen mit jüngeren sorgte für eine Einheitlichkeit in den grundsätzlichen Wertungsfragen und damit für Rechtssicherheit. Man konnte manchmal den Eindruck gewinnen, die Richterinnen und Richter der Mieteabteilungen bildeten eine Familie, was sich nicht nur auf Motivation auswirkte. (Dass sich das Familiengericht den gleichen Synergieeffekt zunutzte macht und sich nicht zuletzt deshalb nicht „aufteilen“ lassen will, ist bekannt und unterstützenswert.) Ich wurde von nicht-hamburgischen Kollegen aus dem Anwaltsbereich beneidet, wenn ich bereichten konnte, dass das Amtsgericht Hamburg über ein Mietedezernat mit zeitweise über 10 Abteilungen verfügte. Allerdings ergaben sich bis in die jüngste Zeit zunehmend Schwierigkeiten durch Fluktuation in der Besetzung der Mieteabteilungen.

 

Angesichts der neueren Entwicklung bei der amtsgerichtlichen Geschäftsverteilung bereitet es Sorge um den Standard der Mietrechtsprechung, wenn 3 Abteilungen des mietrechtlichen Dezernats am Amtsgericht Hamburg geschlossen werden, ohne dass entsprechende Fachabteilungen bei den Stadtteilgerichten installiert werden. Nicht, dass die Richter in den allgemeinen Zivilabteilungen das Mietrecht nicht anzuwenden wüssten, zumal viele von ihnen selbst schon „in der Miete“ tätig waren. Aber der Preis ist hoch: Entweder eine längere und intensive (Wieder-)Einarbeitung und ständige Befassung mit aktuellen mietrechtlichen Problemen oder aber – und da sei man doch bitte ehrlich, auch wenn es weh tut - ein allmählicher, schleichender Qualitäts- und damit Vertrauensverlust. Die Ausstattung der neuen Stadtteilgerichte – insbesondere der Zivilabteilungen - mit mietrechtlicher Fachliteratur und Fachzeitschriften stimmt nicht gerade hoffnungsfroh.

 

Angesichts der gerade in den letzten Jahren zu beobachtenden Spezialisierung der Anwaltschaft auf dem Gebiet des Mietrechts ist es ein Gebot der Rechtsschutzgewähr, fachlich auf Augenhöhe (und ein bißchen darüber) mit den Prozessbevollmächtigten der Parteien zu bleiben. Dafür besteht gerade jetzt aller Anlass und rechtfertigt sich aus der Natur der Sache, um nicht zu sagen, der Materie.

 

Wie oben erwähnt, befindet sich das Mietrecht im Umbruch. Zum einen müssen die reformbedingten materiellrechtlichen Problemen – von den prozessualen ganz zu schweigen – bewältigt werden, zum anderen gilt es, die Chancen, die die Mietrechtsreform bietet, zu nutzen und weiter zu entwickeln[4]. Ebenso wie etwa das Familienrecht erfordert jedenfalls das Wohnraummietrecht, sowohl soziales Fingerspitzengefühl als auch Verständnis für wohnungswirtschaftlich bezogene Unternehmensentscheidungen etwa bei der Gebäudesanierung oder dem Betriebskostenmanagement. Wer unterzieht sich aber dem ständigen Lern- und Erfahrungsprozess, wenn er, wie im allgemeinen Zivildezernat, mit einer Vielzahl anderer, rechtlich nicht weniger schwierigen Fragen als das Mietrecht befasst ist oder nicht sicher sein kann, die Früchte seiner Mühen wegen Versetzung an eine andere Wirkungsstätte noch ernten zu können?

 

Der allgemeine Einwand gegen eine Spezialisierung von Richtern, die dies vielleicht sogar wünschen, ist bekannt: Es entspricht einer Fürsorgepflicht des Dienstherrn, auf dass der junge Richter sich den Blick nicht zu früh verenge, sondern die Bandbreite der richterlichen Tätigkeit kenne lerne. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, und ich möchte für meine Person die Stationen meiner Tätigkeit als Straf-, Zivil- und Familienrichter nicht missen, bis ich endgültig Mieterichter blieb.

 

Allerdings klingt die Begründung mit der Fürsorgepflicht nicht so recht überzeugend; eher ist es wohl die personalpolitische Option, möglichst auf vielen Gebieten einsatzfähige Richter zu haben. Das ist nachvollziehbar, eröffnet aber ein Abwägungsproblem. Zum einen geht es hier um einen sozialpolitisch wichtigen und brisanten Bereich, der rechtlich derart komplex verfasst ist, dass eine Spezialisierung – d.h. ständige Befassung auch auf wissenschaftlicher Grundlage – geboten ist, um die Justizgewährungspflicht nicht nur „irgendwie“, sondern sachgerecht im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung zu erfüllen.

 

Zum anderen wird eine Spezialisierung selten in den ersten Berufsjahren angestrebt, in denen es noch darum geht, das richterliche know-how, die Routine in der Aktenbewältigung, zu erwerben. Schließlich sollen die materiellen Gewinne für die Justiz – die Einsparung von Ressourcen – nicht unerwähnt bleiben: Eine verlässliche und überzeugende Rechtsprechung spricht sich zunächst in außergerichtlichen Fachkreisen und dann in den beteiligten Wirtschaftskreisen herum; sie wirkt streitvermeidend und damit kostensparend für den Justizhaushalt, aber auch für die Allgemein-Wirtschaft[5].  Sie setzt für ihre Effizienz  - um es noch einmal zu sagen - dreierlei voraus: ein hohes Maß an Fachkompetenz durch Spezialisierung, personelle Kontinuität (und dadurch bedingter Erfahrungs- und Vertrauenszuwachs) sowie fachbezogene Kommunikation. Die Voraussetzung für alle drei Komponenten lässt sich geschäftsplanmäßig verwirklichen oder zumindest begünstigen.

 

Auch wenn es seit 1997 einen Deutschen Mietgerichtstag gibt, der jährlich mindestens einmal zusammentritt, ist ein Mietgericht unter den obwaltenden justizpolitischen Umständen in Hamburg noch Utopie. Aber Fachabteilungen für Mietrecht sollten es schon sein – man gönnt sich (und der rechtsuchenden Bevölkerung) ja sonst nichts! Zeigt doch die Einrichtung von Wohnungseigentumsgerichten bzw. von entsprechenden Fachabteilungen selbst bei den neuen Stadtteilgerichten. dass eine Spezialisierung nicht nur geboten, sondern organisatorisch auch machbar ist. Dass dort - noch - im FGG-Verfahren verhandelt und entscheiden wird, kann wohl kaum als Abgrenzung dafür herhalten, nicht entsprechend für den Mietrechtsbereich zu verfahren. Dabei steht außer Frage, dass eine Spezialisierung in jenem Bereich von der Anwaltschaft begrüßt und die jetzt festzustellende gegenläufige Entwicklung beim Amtsgericht Hamburg und den beiden neuen Stadtteilgerichten bedauert wird. Das ist mir in allen Gesprächen, die ich aus Anlass dieses Beitrags  mit vielen mietrechtlich spezialisierten Anwälten geführt habe, unmissverständlich zu verstehen gegeben worden.  Dass die bisherigen Stadtteilgerichte bislang ohne Mieteabteilungen ausgekommen sind, ist kein Beleg für die Entbehrlichkeit solcher Abteilungen.

 

Natürlich wird die Justiz auch dieses Mal nicht zusammenbrechen, wenn es bei der gegenwärtigen Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Hamburg und der neuen Stadtteilgerichte bleibt. Ein Einspareffekt wird sich hieraus nicht ergeben. Die Leidtragenden sind Vermieter und Mieter und langfristig ist die Justiz der Verlierer.

 

Friedemann Sternel


 

[1] Der Begriff „Richter“, „Anwälte“, „Kollegen“ u.s.w.  wird gruppenspezifisch und nicht geschlechtsspezifisch verstanden, weshalb davon abgesehen wird, von „Richterinnen und Richtern“, „Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten“, „Kolleginnen und Kollegen“ u.s.w. zu sprechen.

[2] S. neuerdings von Seldeneck in ARGE Mietrecht und WEG, Info-Letter 4/2002 S.5

 

[3] S. LG Hamburg WuM 1989, 304 und dazu BVerfG – Beschl. v. 3.4.1990 – WuM 1990, 241 zum Eintritt des nicht ehelichen Lebenspartners in das Mietverhältnis nach dem Tod des Mieters.

[4] Als ein Beispiel seien hier nur die Auswirkungen des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 16.2.2001 auf den Mietgebrauch erwähnt.

[5] Als ein Beispiel diene die Befriedungswirkung des Hamburger Mietenspiegels, nachdem er zunächst von den Berufungskammern des Landgerichts und dann auch von den Mieterichtern des  Amtsgerichts Hamburg als Beweismittel anerkannt worden war, dazu grundlegend LG Hamburg HmbGE 1981, 591.