(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/03, 8) < home RiV >

„Wer schlägt, muss gehen!“

 

- Zum Schutzkonzept

des Gewaltschutzgesetzes

und des Wegweisungsrechts -

 

„Wer schlägt, muss gehen!“ Mit diesem Schlagwort wird der Ansatz der Wohnungsüberlassung wiedergegeben, der davon ausgeht, dass bei häuslicher Gewalt der Konflikt durch räumliche Distanz zwischen dem Opfer und dem Täter oder der Täterin entschärft werden muss. Räumliche Distanz zwischen Opfer und Täter/Täterin wird insbesondere bei häuslicher Gewalt unter Partnern, die sich in aller Regel allmählich aufbaut und zu einer „Dauergewaltbeziehung“ wird, als ein wirksames Mittel angesehen, um die Gewaltspirale zu durchbrechen[1].

 

Der Ansatz „Wer schlägt, muss gehen!“ wurde auf zwei Ebenen umgesetzt:

-  auf Bundesebene durch das Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung vom 11.12.2001 sowie durch das Kinderrechteverbesserungsgesetz vom 09.04.2002;

-  auf Landesebene – speziell hier in Hamburg - im Polizeirecht durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 18.07.2001[2].

 

I.

1.

Das Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, das am 01.01.2002 in Kraft getreten ist, gehört wie das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung vom 02.11.2000[3] und das Kinderrechteverbesserungsgesetz vom 09. 04.2002[4] zu den Maßnahmen im Rahmen des Aktionsplanes der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder vom 01.12.1999[5].

 

Ziel dieses Gesetzes ist es, vor allem die rechtliche Stellung von Frauen als den meistbetroffenen Opfern von Gewalt zu stärken.[6] Dies soll erreicht werden, indem der zivilrechtliche präventive Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen im allgemeinen und bei häuslicher Gewalt im besonderen verbessert wird.

 

Die Schaffung von Distanz – insbesondere auch von räumlicher – zwischen dem Opfer und dem Täter/der Täterin liegt als Schutzkonzept sowohl dem Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG)[7] als dem eigentlichen – aus vier Paragraphen bestehenden - Kernstück des Gesetzes, als auch dem Gesetz zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung[8] zu Grunde.[9]

1.1.  Räumliche Distanz („Wer schlägt, muss gehen!“) durch die Möglichkeit der Wohnungsüberlassung:

 

1.1.1.    § 2 GewSchG regelt den materiell-rechtlichen Anspruch auf Wohnungsüberlassung in Fällen eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts, der im Verhältnis zum Täter/zur Täterin eine – zumindest zeitweise – alleinige Nutzungsbefugnis gewährt.

Bei dem Anspruch auf Wohnungsüberlassung wird danach unterschieden, ob es zu einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter (Körper, Gesundheit und Freiheit) gekommen ist, oder ob der Täter/die Täterin „nur“ mit deren Verletzung widerrechtlich gedroht hat. Liegt eine Verletzung von Rechtsgütern nach § 1 Abs. 1 Gew­SchG (vorsätzliche Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit) vor, ist die Wohnungsüberlassung an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Wird dagegen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GewSchG mit ihrer Verletzung gedroht, setzt die Überlassung der Wohnung zusätzlich voraus, dass sie erforderlich ist, um eine unbillige Härte für das Opfer zu vermeiden. Ein maßgeblicher Gesichtspunkt für die Feststellung einer „unbilligen Härte“ ist die Beeinträchtigung des Wohls von im Haushalt lebenden Kindern (§ 2 Abs. 6 S.2 GewSchG).

 

1.1.2.     Für die Wohnungszuweisung bei Getrenntleben oder Trennungsabsicht von Ehegatten oder Lebenspartnern nach § 1361b Abs. 1 BGB wurde die Eingriffsschwelle der „schweren Härte“ auf die „unbillige Härte“ abgesenkt, wobei Abs. 1 Satz 2 klarstellt, dass eine unbillige Härte auch dann gegeben sein kann, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Bei einer vorsätzlichen Verletzung von Körper, Gesundheit und Freiheit oder der Drohung mit ihr ist nunmehr gem. § 1361b Abs. 2 Satz 1 BGB in der Regel die gesamte Wohnung zu überlassen.[10]

 

1.2.  Distanzschaffung durch Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG

 

In den Fällen einer widerrechtlichen und vorsätzlichen Körper-, Gesundheits- und Freiheitsverletzung, der widerrechtlichen Drohung mit einer entsprechenden Tat, eines Hausfriedensbruchs und des kriminologischen Phänomens der wiederholten Nachstellungen und Verfolgens einer Person auch unter Einsatz moderner technischer Kommunikationsmittel (sog. „Stalking“) hat das Gericht auf Antrag des Opfers „die zur Abwendung erforderlichen Maßnahmen“ zu treffen. Konkret bedeutet dies zivilrechtliche Kontakt-, Belästigungs- und Näherungsverbote. § 1 Abs. 1 Satz 3 GewSchG enthält einen nicht abschließenden Katalog von Schutzanordnungen.

 

2.

Mit Blick auf das In-Kraft-Treten des Gewaltschutzgesetzes ist in Hamburg am 29.7.2001 durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 18.7.2001[11] eine Ergänzung des § 12 a HambSOG in Kraft getreten. Das Wegweisungsrecht im neu eingefügten § 12 a Absatz 2 verwirklicht ebenfalls den Grundsatz „Wer schlägt, muss gehen!“. Es ermöglicht der Polizei, den Täter/die Täterin bei Vorliegen einer dringenden Gefahr sofort aus der Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich zu verweisen und ein befristetes Betretungsverbot auszusprechen. Eine Wegweisung ist auf höchstens 10 Tage begrenzt. In diesen zehn Tagen muss das Opfer entscheiden, ob es einen zivilrechtlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung zur alleinigen Nutzung stellt. In diesem Falle ist eine Verlängerung bis auf 20 Tage möglich.[12]

Im Jahr 2002 wurden in Hamburg 961 Wegweisungen durch die Polizei registriert.

 

3.

Das Kinderrechteverbesserungsgesetz vom 09.04.2002 ist am 12.04.2002 in Kraft getreten. Es dient unter anderem der weiteren Verbesserung des Schutzes von Kindern vor häuslicher Gewalt. Ausdrücklich erkennt es die Wegweisung (genauer Verbot: der Wohnungsnutzung) eines das Kind gefährdenden Elternteils oder Dritten aus der Umgebung des Kindes als mögliche Maßnahme des Familiengerichts auf der Grundlage der §§ 1666, 1666a BGB zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung an. § 1666a Abs. 1 Satz 2 ergänzt das Gewaltschutzgesetz und ermöglicht Maßnahmen gegen einen Elternteil oder Dritten auch dann, wenn diese „nur“ das Kind und nicht z.B. die Mutter/den Vater misshandeln (dann § 2 GewSchG). Diese Neuregelung soll den bisher zum Schutz des Kindes eingeschlagenen Weg der Fremdunterbringung des Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern vermeiden und ermöglicht, das Kind in der vertrauten Umgebung zu belassen.

II.

Mit der Verwirklichung des Grundsatzes „Wer schlägt, muss gehen!“ ist nicht nur die Vorstellung einer „staats- und rechtsfreien Familie“[13] zurückgewiesen, sondern auch der Konflikt zwischen Eltern- und Kinderrechten[14], zwischen dem Schutz und der Unterstützung der betroffenen Opfer - meist Frauen - nach dem Gewaltschutzgesetz und dem Schutz und der Unterstützung von Kindern ist vorprogrammiert.

Das Gewaltschutzgesetz und die polizeiliche Wegweisung sind darauf ausgerichtet, häusliche Gewalt gezielt zu stoppen und unverzüglich Maßnahmen zum Schutz der Opfer einzuleiten (durch polizeiliche Wegweisung, zivilrechtliche Wohnungszuweisung und Schutzanordnungen). Es werden klare Interventionsmöglichkeiten gegen den Täter getroffen.

Kinder haben dagegen keinen eigenen Anspruch aus dem Gewaltschutzgesetz, denn § 3 GewSchG stellt ausdrücklich fest, dass stattdessen das Kindschaftsrecht anzuwenden ist.

 

Das Kindschaftsrecht setzt in erster Linie auf Hilfen. Hilfen für die Kinder und für die Eltern - und zwar für die Mütter, aber auch für die Väter. Das Instrumentarium des Kinder - und Jugendhilferechts ist breit gefächert. Interventionen - wie z.B. eine Wegweisung - sind erst als ultima ratio anzuwenden. So löst z.B. bei § 1666a BGB die von Eltern ausgehende Gewalt nicht „automatisch“ einen Anspruch des verletzten Kindes auf Wohnungsüberlassung aus. Im Interesse des Eltern-Kind-Verhältnis­ses und entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit soll - so der Gesetzgeber - gerade in Fällen elterlicher Gewalt zunächst versucht werden, das Gewaltproblem durch familienunterstützende Maßnahmen zu lösen.[15]

 

Wie ist also eine praktische Konkordanz zwischen dem durch das Gewaltschutzgesetz geschützten Integritätsinteresse des Opfers als sorgeberechtigtem Elternteil, dem Umgangs- und Sorgerecht des anderen Elternteils sowie den Interessen des Kindes (z.B. auch gem. § 1684 BGB) herzustellen? Schadet evtl. eine nach dem Gewaltschutzgesetz beantragte Schutzmaßnahme dem Kind?[16]

 

Trotz der unterschiedlich ausgerichteten Schutzkonzepte gilt es daher, die Schnittstellen aufzuzeigen, bei denen eine Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen und Professionen im Interesse der Betroffenen von familiärer Gewalt sinnvoll ist.

So bietet z.B. bereits das Gewaltschutzgesetz selbst eine Basis für eine Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und Jugendamt: § 13 Abs. 4 der Hausratsverordnung sieht vor, dass das Familiengericht das Jugendamt von einer Schutzanordnung informieren muss, wenn im gemeinsamen Haushalt Kinder leben. § 49 a FGG stellt fest, dass in Fällen der drohenden Ablehnung des Antrages auf Wohnungsüberlassung (§ 1361 b BGB oder § 2 GewSchG) eine Stellungnahme des Jugendamtes eingeholt werden soll. Es wird also auch in Fällen der Misshandlung der Mutter auf die Kompetenz der Jugendämter gesetzt.

 

Die Fachkräfte aus Jugendhilfe, Polizei, Justiz, Frauen- und Täterarbeit und den Gesundheitsdiensten, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert werden, sind also gefordert, die Aufgabenstellung und Handlungskompetenz der jeweils anderen beteiligten Institution und Profession genau kennen zu lernen und auch zu akzeptieren, um eine bessere Zusammenarbeit zu gewährleisten.

 

Das Senatsamt für die Gleichstellung wird im September 2003 eine Fachtagung zum Gewaltschutzgesetz durchführen. Ziel dieser Fachtagung wird auch sein, die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten im Kontext von Gewalt in Familien und Paarbeziehungen aufzuzeigen und nach besseren Kooperationsmöglichkeiten in diesem Zusammenhang zu suchen.

 

Isabel Said (Ass. iur.),

Senatsamt für die Gleichstellung, Hamburg


 

[1]   Schumacher: GewSchG, FamRZ 2002, S.646; die Herstellung von räumlicher Distanz wird mit unter auch als Wohnungswegweisung bezeichnet.

[2]   HambGVBL 2001, 251

[3]   BGBL I, 1479

[4]   BGBL I, 1239

[5]   BT-Drucksache 14/2812; ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte siehe Schumacher, FamRZ 2001, 953

[6]   Die Gesetzesbegründung stellt überwiegend auf Frauen als Opfer von Gewalt ab, vgl. u.a. BT-Drucks. 14/5429, S.10. Die Gesetzesformulierung stellt aber klar, dass die Vorschriften bei Gewalt in ehelichen wie nichtehelichen - auch gleichgeschlechtlich orientierten - Lebensgemeinschaften als auch bei Lebensgemeinschaften, die derselben oder verschiedenen Generationen angehören, Anwendung findet . Ausnahme: minderjährige Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern und sorgeberechtigten Personen.

[7]   Art. 1 des Gesetzes zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung

[8]   Art. 2 des o.g. Gesetzes (= Fn. 6)

[9]   Nicht nur die Schaffung einer Distanz zwischen Täter/Täterin und Opfer, sondern auch die Distanzierung der Öffentlichkeit von jeglicher Gewalt in der Familie ist Sinn des „Gewaltschutzgesetzes“, vgl. im Gesetzgebungsverfahren Plenarprotokoll 759 vom 16.2.2001, S.45

[10] Die Anspruchsgrundlagen nach § 1361b BGB und § 2 GewSchG schließen einander nicht aus. Dies folgt aus § 3 Abs. 2 GewSchG, wonach weitergehende Ansprüche des Opfers durch das Gewaltschutzgesetz nicht berührt werden.

[11] HambGVBL 2001, 251

[12] Ausführlich zur Umsetzung des „Gewaltschutzgesetzes“ in das hamburgische Landespolizeirecht: Hermann, NJW 2002, S.3062 ff.

[13] vgl. Reuter, Kindergrundrechte und elterliche Gewalt, 1968, S.190f.

[14] „einer Interessenkollission zwischen dem Kind und seinen Eltern“, von der das BVerfG sagt, dass bei ihrem Vorliegen „den Interessen des Kindes“ „grundsätzlich der Vorrang“ zukommt, BVerfGE 61, 358 ff (378); 72, 122 ff (137).

[15] BT-Drucks. 14/8131, S.8

[16] Zu einer etwaigen Gefährdung des Kindeswohls vgl. Eisenberg, ZfJ 2001, S.177