Schwedisches Tagebuch
Seit fast 20 Jahren findet zwischen Hamburg und Schweden ein Austausch von Richtern und Staatsanwälten statt, der helfen soll, einen "Blick über den Tellerrand" zu wagen und die jeweils doch sehr unterschiedlichen Rechtssysteme zu verstehen und - im besten Falle - zumindest in Teilen für den eigenen Alltag nutzbar zu machen. In diesem Jahr waren wir Hamburger dran, unsere schwedischen Kolleginnen und Kollegen, die teilweise schon zu Freunden geworden sind, zu besuchen. Wir, das sind die Damen Ute Barrelet, Gertraut Göring, Ulrike Schwafferts vom Landgericht und Carola Schwersmann vom Amtsgericht sowie die Herren Dieter Kawlath, Hartmut Loth, Gerhard Schaberg, Klaus Wille und David Vymer vom Landgericht und Udo Brück und Wolfgang Steinmetz vom Amtsgericht. Für die Staatsanwaltschaft hielt Michael Elsner die Fahne hoch, und als Pensionär durfte natürlich Ehrenpräsident Roland Makowka nicht fehlen. Einen besonderen Reiz erhielt das diesjährige Treffen dadurch, dass erstmalig auch dänische Kollegen daran beteiligt waren, sodass wir Gelegenheit erhielten, das Netz der Kontakte weiter zu knüpfen.
Mit guten Wünschen und etlichen Alkohol-Vorräten (natürlich nur für unsere schwedischen Gastgeber, denn bekanntlich ist Hochprozentiges umso teurer je weiter nördlich man kommt) ausgestattet, machten wir uns per Bahn auf den Weg. Während der etwas mehr als fünf Stunden dauernden Zugfahrt hatten wir zunächst einmal Gelegenheit, uns selber "zu beschnuppern", denn aufgrund der verschiedenen Justizzweige kannte nicht jede/r bereits jede/n, obwohl es natürlich unermüdliche Teilnehmer gibt, die bei Fahrten dieser Art immer dabei sind.
Bei Ankunft gegen 15:00 Uhr in Malmö, dem ersten Ziel unserer Reise nach Schweden, wurden wir von den jeweiligen Gastgebern in Empfang genommen. Die Unterkunft bei einem solchen Austausch erfolgt stets privat, was nicht aus Kostengründen veranlasst ist, sondern vielmehr dazu dienen soll, insgesamt eine engere Verbundenheit miteinander herzustellen. Schnell stellte sich heraus, dass ein Teil der Gäste und Gastgeber sich bereits aus vorherigen Aufenthalten kannte. Der Rest des Nachmittages war einer ersten Kontaktaufnahme zwischen den jeweiligen Gästen und Gastgebern vorbehalten.
Zur sprachlichen Verständigung ist zu sagen, dass viele der Schweden, die uns betreut haben, nahezu fließend Deutsch sprachen, fast alle Deutsch zumindest gut verstehen konnten und selbstverständlich alle darüber hinaus die englische Sprache beherrschten. Ich persönlich habe es schon teilweise als unangenehm empfunden, wie sehr die Schweden sich sprachlich auf uns eingestellt hatten, während unser Schwedisch - von einigen wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen - meist nicht mehr als zu Danksagungen und Trinksprüchen reichte.
Am Abend gab es dann eine Välkomstparty im Hause von Jan Alvo, dem Präsidenten des Tingsrätt (Amtsgericht) von Lund, und seiner Frau Karin. Hier stießen auch drei dänische Kollegen zu uns. Nachdem alle gut gegessen und etliche Trinksprüche die Runde gemacht hatten, kam es zu einem Wettstreit der Sangeskunst zwischen den drei anwesenden "Landsmannschaften". Obwohl unserer großartiger Organisator Klaus Wille fürsorglich einige Texte für uns vorbereitet hatte, stellte sich schnell heraus, dass innerhalb des deutschen Kontingents Einigkeit lediglich hinsichtlich sehr alter Lieder wie z.B. "Lilly Marlen" und "Wir lagern vor Madagaskar" zu erzielen war. Hieran wird bis zum nächsten Austausch ganz erheblich zu arbeiten sein, damit unsere nordischen Kollegen in dieser Disziplin nicht wieder "die Nase vorn" haben. Nachdem die Stimmbänder hinreichend strapaziert waren, verabschiedete man sich unter lautem Hallo in dem Bewusstsein, eine sicherlich interessante aber auch anstrengende Woche vor sich zu haben.
Bereits am nächsten Tag gab es ein Wiedersehen aller Gäste und Gastgeber anlässlich eines Mittagessens, zu welchem die Anwälte aus der Umgegend - auf deutsche Verhältnisse übertragen würde man wohl sagen der örtliche Anwaltverein - eingeladen hatten. Dies fand in einem gehobenen Restaurant in Helsingborg (in der Nähe von Malmö) statt, welches gleichzeitig ein bekanntes Ausflugslokal ist. Hier hatten wir Gelegenheit, Einblicke in das Verhältnis von schwedischen Richtern/Staatsanwälten zu den Rechtsanwälten zu nehmen. Das Verblüffendste für uns war dabei, dass es das bei uns insbesondere in Strafsachen vielfach existierende Gegeneinander von Richter/Staatsanwalt und Verteidiger in Schweden offensichtlich nicht gibt. Wenn Richter Vorschläge zur Beendigung eines Verfahrens machen, so ist es nahezu selbstverständlich, dass diese angenommen werden. In Strafsachen ist es so, dass der Staatsanwalt das Verfahren "führt". Der Richter erhält die Anklageschrift, die auch z.B. bei einem Mord regelmäßig nur aus ein paar Sätzen besteht, erst kurz vor der Verhandlung. Dass er die Akte kennt, ist eher ungewöhnlich. Angeklagte und Zeugen werden von Staatsanwaltschaft und Verteidigung befragt. Von daher greift der Richter regelmäßig in den Verfahrensablauf nur dann ein, wenn er ergänzende Fragen hat. Und von einem Befangenheitsantrag gegen das Gericht, mit dem größere Prozesse bei uns nahezu gebetsmühlenartig beginnen, hatten unsere skandinavischen Gesprächspartner noch nie etwas gehört. Diese kurzen Beispiele zeigen, dass das Verhältnis der Gerichte zur Advokatur in Schweden offensichtlich ganz entspannt ist. Es geht dort - anders als vielfach in Deutschland - darum, ein Verfahren sachgerecht und fair unter Wahrung der Belange sämtlicher Beteiligten und unter Anerkennung der Autorität des Gerichts zu einem sinnvollen Abschluss zu bringen. Von daher gab es selbstverständlich auch keine Überlegung dahingehend, dass es irgendwie „anrüchig“ sein könnte, dass die Anwälte unsere schwedischen Gastgeber ebenfalls einluden. Im Übrigen hatten auch zwei Anwälte an der Willkommensparty am Abend zuvor teilgenommen, und ein Advokat war Gastgeber einer dänischen Richterin. Der Rest des Tages stand zur freien Verfügung, was ein Teil der Gastgeber nutzte, uns bei strahlendem Sonnenschein die Schönheit der umliegenden Gegend – Schonen, was vielen aus den Wallander-Romanen bekannt sein dürfte, - zu zeigen. Wieder andere von uns beweinten mit ihren Gastgebern vor dem Fernseher die unglückliche Niederlage von Schweden im Finale der Eishockey-Weltmeisterschaft.
Am Montag ging (endlich) die Arbeit los, denn schließlich firmiert der ganze Austausch ja unter dem Begriff "Bildungsreise". Am Vormittag nahmen wir zunächst an einer Strafverhandlung teil, bei der völlig komplikationslos ein Zeuge (ohne Identitätsprüfung) telefonisch vernommen wurde. Im Anschluss daran machten wir einen Besuch bei der Polizei in Lund, wo wir die neuesten Radar-Überwachungssysteme (in deutscher Sprache) erklärt bekamen und gleichzeitig einen Einblick darüber erhielten, wie in Schweden Personalien festgestellt und Personen kontrolliert und gegebenenfalls überwacht werden. Dabei stellte sich heraus, dass die Skepsis, die hierzulande von Datenschützern geäußert wird, in Schweden offensichtlich nicht existiert. An Gemeinsamkeiten ist festzuhalten, dass auch die nordischen Länder Probleme haben mit einer ungebremsten Kriminalität, welche aus dem ehemaligen Ostblock "herüberschwappt".
Am Nachmittag machten wir in Lund einen Besuch bei der dortigen juristischen Fakultät. Das über 1000 Jahre alte Lund ist eine der ältesten und ehrwürdigsten Universitätsstädte Schwedens, welche über einen schönen Altstadtkern und ein gewachsenes Universitätsgelände verfügt. Schon ein Spaziergang über den Campus vermittelt dem Besucher das Gefühl, dass es schon fast ein Vergnügen sein muss, hier studieren zu dürfen. Nachdem sich zunächst der Dekan der juristischen Fakultät die Zeit genommen hatte, uns zu begrüßen, erhielten wir in perfektem Deutsch von einem Assistant Professor des Bereichs Rechtsgeschichte, welchen wir hier wohl als Privatdozent bezeichnen würden, einen Vortrag über den Ablauf des juristischen Studiums in Schweden. Abgesehen davon, dass das Studium insgesamt viel schneller als in Deutschland absolviert wird, besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass bereits vom ersten Semester an für das Examen zählende Arbeiten geschrieben und Bereiche abgeschichtet werden. So wird z.B. die Materie, die im ersten Semester gelehrt und durch eine Prüfung abgeschlossen wird, nicht mehr wieder aufgenommen und ist auch nicht Prüfungsstoff in Examen, wobei die Note allerdings selbstverständlich in das Gesamtergebnis des Examens mit einfließt. Dies erhöht natürlich den Druck auf schwedische Studenten, das Studium von Anfang an ernsthaft zu betreiben; auf der anderen Seite mag es aber von Vorteil sein, wenn man am Ende des Studiums nicht mehr alles das, was man zuvor gelernt hat, präsent haben muss. Nach bestandenem Examen besteht in Schweden im Übrigen kein staatliches Monopol mehr hinsichtlich der Ausbildung. Wer also Anwalt werden will, der kann sich die entsprechenden Fähigkeiten hierzu in einer Kanzlei aneignen, die ihn ausbilden will.
Am Abend desselben Tages gab es aus Anlass unseres Besuches ein weiteres Fest im Gebäude des Gerichts in Lund, welches wiederum von seinem Präsidenten Jan Alvo organisiert wurde. Zu fortgeschrittener Stunde wurden wir dann in den größten Gerichtssaal gebeten, wo eine einmalige Überraschung auf uns wartete: In Lund gibt es alljährlich zwischen verschiedenen, jeweils aus mehreren Personen bestehenden Studenten-Gruppen eine Art Comedy-Wettkampf, der - wohl vom lateinischen "Spectakulum" stammend - Specs genannt wird. Hier wetteifern die verschiedenen Teams darum, welches das innerhalb der Universität Beste in der Darstellung ist. Die jeweiligen Vorführungen enthalten dabei u.a. auch tänzerische, musikalische und rezitatorische Einlagen. Die Sieger eines solchen Wettbewerbs werden stark gefeiert und verfolgen oftmals ihre künstlerische Linie anstelle des Studiums weiter. Jan Alvo hatte nun ein solches an Specs teilnehmendes Team für uns engagiert, welches uns durch seine Darbietung zutiefst beeindruckt hat. Unvergessen sind die Szenen, in denen die Deutschen als Tölpel und die Dänen als Trinker persifliert wurden. Mit frenetischem Beifall für dieses einmalige Schauspiel klang der harmonische Abend aus.
Am Morgen des nächsten Tages ging es zunächst per Zug nach Helsingborg, wo uns das sehr schöne alte Gerichtsgebäude gezeigt wurde. Gleichzeitig erhielten wir einen Überblick über den Verfahrensablauf an diesem Gericht, welches erheblich kleiner als das in Lund und Malmö ist und bei dem nicht mehr als fünf Richter tätig sind.
Im Anschluss daran nahmen wir die Fähre von Helsingborg nach Helsingör in Dänemark. Da die Überfahrt nicht einmal 20 Minuten dauert und wir sie inklusive Lunch gebucht hatten, begaben wir uns schnurstracks ins Restaurant, wo wir entsprechend gründlicher deutscher Beamtenmentalität sofort und heftig über das Büfett herfielen. Trotz intensiver Bemühungen befanden sich beim Anlegen der Fähre in Helsingör noch gewisse Reste auf manchen Tellern. Unsere dänischen Kollegen und diejenigen der schwedischen Gastgeber, welche uns an diesem Tag begleiteten, klärten uns dann darüber auf, dass eine solche Eile gar nicht notwendig gewesen wäre. Gemeinhin sei es vielmehr so, dass man mehrmals hin und her fahre, um so mehr Zeit für das Essen zu haben. Einige Rentner würden dies den ganzen Tag tun, zumal das Bier nach den billigeren dänischen Preisen abgerechnet werde. So verfuhren wir dann ebenfalls. Nachdem wir dreimal hin und her gefahren waren, stiegen wir schließlich in Helsingör aus und nahmen den Zug nach Kopenhagen. Dort hatten wir Gelegenheit, ein bisschen durch die Stadt zu bummeln, wobei ein Teil unserer Gruppe sofort auf den Tivoli, den größten Vergnügungspark Kopenhagens, zusteuerte. Ein Kollege demgegenüber freute sich wie ein kleines Kind, dass er im feinsten Pfeifenladen seiner bereits stattlichen Sammlung ein weiteres Exemplar hinzufügen konnte. Am späten Nachmittag ging es dann per Zug über die neue Brücke zurück nach Malmö.
Dort fand dann „unser“ Abend statt, bei dem es sich gleichzeitig um unseren letzten in Südschweden im Rahmen dieses Aufenthalts handelte. Im Hinblick auf die uns mehr als großzügig gewährte Gastfreundschaft luden wir nämlich unsere schwedischen Gastgeber und die dänischen Kollegen in einem irisch angehauchten Restaurant in der Nähe des Bahnhofs zum Essen (und Trinken) ein. Nachdem zum wiederholten Male von wechselnder Seite Reden gehalten worden waren und man sich erneut gegenseitig hoher Wertschätzung versichert hatte, ging es unter großem Hallo zum Nachtzug in Malmö, der uns per Liegewagen nach Stockholm bringen sollte. Mit einem weinenden Auge im Hinblick auf die hinter uns liegenden schönen Stunden und einem lachenden Auge in Erwartung der auf uns wartenden Ereignisse fuhren wir von dannen.
Nachdem die Abteilfrage (wer mit wem?) problemlos geklärt werden konnte, kam es dann noch zur Vernichtung von Teilen des an sich für unsere nächsten Gastgeber vorgesehenen Alkoholvorrates. Dies bewirkte rundum große Müdigkeit und führte neben raschem Schlaf dazu, dass die Geräusch- und Geruchskulisse, die sich zwangsläufig in Zugabteilen mit mehreren Betten innerhalb einer Nacht aufbaut, ohne Schäden überstanden werden konnte.
Mittwoch, 14. Mai
Am nächsten Morgen fuhr der Zug pünktlich gegen 6:00 in Stockholm ein, wobei unsere Damen bereits wieder erstaunlich ansprechend wirkten, während die Herren doch eher noch etwas verschwiemelt aussahen. Noch am Bahnhof wurden wir von Jan Ljungar, einem Rechtsanwalt, der federführend für unseren Aufenthalt in Stockholm zuständig war, in Empfang genommen. Nach einem mittelprächtigen Frühstück in dem sehr schönen Bahnhof-Backsteingebäude ging es dann gleich weiter zum Justizministerium, das eines von insgesamt zehn Ministerien in Schweden ist und dem gegenwärtig ein 38 Jahre alter ehemaliger Rechtsanwalt vorsteht. Dort erhielten wir - wiederum in Deutsch - von einer jungen Ministerialdirigentin einen wirklich interessanten Vortrag über laufende Gesetzgebungsvorhaben und die anschließende Realisierung der eingebrachten Vorschläge. Insbesondere ging es dabei um in Schweden kontrovers diskutierte Fragen der Insemination und der Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Partner.
Im Anschluss an diese Veranstaltung begaben wir auch uns nach einem kurzen Abstecher, der uns in eine sehr schöne alte Markthalle führte, zur Staatsanwaltschaft. Dort erhielten wir von einem unserer Stockholmer Gastgeber, Nils Rekke, dem Leiter der Umweltabteilung, einen Vortrag über den Aufbau der Staatsanwaltschaft und dabei insbesondere die Arbeit im Rahmen von vielfältigen Umweltdelikten.
Am Nachmittag wurden wir zunächst vom Präsident des Patentgerichts empfangen, der uns in englischer Sprache über den Aufbau seines Gerichts und dort anhängige spannende Rechtsstreitigkeiten umfassend informierte. Dann ging es weiter - der geneigte Leser merkt schon, dass durchaus das Vergnügen bei der Reise nicht im Vordergrund stand - zum Stockholmer Tingsrätt, wo wir wiederum fließend in deutscher Sprache einen Vortrag über den Aufbau der Justiz in Schweden erhielten.
Damit war der offizielle Teil für diesen Tag erledigt. Als - wie ich es empfunden habe - besondere Auszeichnung durften wir im Anschluss daran an dem alle paar Monate stattfindenden Richter-Bierabend, Domaröl genannt, teilnehmen, wo wir die Gelegenheit hatten, einige der insgesamt 80 Kolleginnen und Kollegen des Stockholmer Amtsgerichts kennen zu lernen. Wie selbstverständlich waren auch hier wieder die Anwälte dabei, was ein weiteres Beispiel dafür ist, wie entkrampft das Verhältnis zwischen Richtern und Anwälten in Schweden offenbar ist. Nach Beendigung dieses Ereignisses begaben wir uns noch per Auto mit einem Teil unserer Stockholmer Gastgeber zum außerhalb der Stadt traumhaft an einem See gelegenen Wochenendhaus von Jan Ljungar. Im dortigen Garten genossen wir bei Grill und belebenden Getränken den Sonnenuntergang und die Ruhe. Erschöpft von dem Mammutprogramm dieses Tages fielen wir schließlich bei unseren jeweiligen Gastgebern ins Bett, wobei einige unserer Gruppe gleich vor Ort übernachten konnten.
Am nächsten Morgen besuchten wir ein außerhalb der City gelegenes Gefängnis, in dem ein offener Vollzug praktiziert wird. Dort erhielten wir Informationen über die Anwendung der elektronischen Fußfessel. Weiterhin erfuhren wir, dass der früher so gepriesene schwedische Strafvollzug an die Grenze seiner Belastbarkeit geraten ist. Hintergrund sind Auseinandersetzungen, welche durch auf engem Raum vielfältig vorhandene ethnische Minderheiten verursacht werden, die wegen zu geringer Kapazität des Wachpersonals kaum noch unter Kontrolle zu bringen sind.
Nach einem sehr schönen Mittagessen in einem zu einem Schloss gehörigen Gutshof besichtigten wir dann ein in diesem Schloss gelegenes altes Gefängnis, das aber - die Räume im Keller sind teilweise noch nicht einmal mannshoch - heute zum Glück nicht mehr benutzt wird.
Der Rest des Nachmittags stand zur freien Verfügung. Einen Teil von uns zog es direkt wieder in die Innenstadt nach Stockholm, ein anderer besichtigte zunächst das in der Nähe gelegene Schloss Drottningholm der Königsfamilie, welche - dies konnte man an der Flagge sehen - auch anwesend war, und unternahm von dort per Luftkissenboot bei traumhaftem Wetter eine Schären-Fahrt ins Zentrum von Stockholm. Der Abend war wiederum der freien Verfügung vorbehalten, was die meisten von uns zu einem Bummel durch die in der Mitte Stockholms auf einer Insel gelegene Altstadt "Stamla Gan" nutzten.
Am nächsten Morgen besuchten wir die größte schwedische Bank, die SEB-Bank, wo wir - wiederum in deutscher Sprache - einen Vortrag eines jungen Herrn aus der Rechtsabteilung über den Bereich des Internetbanking erhielten. Wir wurden hier darüber informiert, wie in Schweden Rechtsgeschäfte und Banküberweisungen via Internet verschlüsselt werden und welche tatsächlichen und rechtlichen Probleme dies im Einzelfall aufwirft.
Es ging dann weiter zur so genannten Institution des Ombudsmannes. Diese besteht aus insgesamt vier Abteilungen, dem gelben, dem weißen, dem blauen und dem roten Department, denen jeweils ein Ombudsmann - darunter zwei Damen - vorsteht. Der Chef-Ombudsmann (!) informierte uns über Aufbau und Arbeitsweise dieser "Behörde". Dies im Einzelnen wiederzugeben, würde hier zu weit führen. Jedenfalls dient diese Institution der Kontrolle gerichtlicher und sonstiger staatlicher Entscheidungen, wofür bei uns nur das Bundesverfassungsgericht zuständig ist.
Im Anschluss daran wurden wir vom Chef-Ombudsmann noch zum Lunch in ein sehr vornehmes Restaurant eingeladen, wo außer unserer - wie üblich - sehr bunt gekleideten Truppe nur noch schwedische Geschäftsleute in feinem Nadelzwirn und Kostüm speisten. Hierbei stellte sich plötzlich heraus, dass unser "Küken" Carola ein Rhetorik-Naturtalent ist. Bisher hatte sie sich stets vornehm zurückgehalten, während wir Männer mehr oder weniger radebrechend die jeweilige Danksagung abgestattet hatten. Nunmehr übernahm sie dies unvermutet in fließendem Schwedisch, was alle zu Begeisterungsstürmen hinriss. In diesem Zusammenhang ist noch zu bemerken, dass es schon sehr erstaunlich und bemerkenswert ist, welche Bedeutung und Wertschätzung uns Richtern eines Lokalgerichts von den verschiedensten schwedischen Institutionen entgegengebracht wurden.
Mit gefüllten Bäuchen besuchten wir anschließend das in einem alten Adelspalais residierende Verwaltungsgericht; der Rest des Nachmittages stand zur freien Verfügung, was ein Teil von uns zur Besichtigung des Wasa-Museums nutzte, in welchem sich ein perfekt erhaltenes altes Kriegsschiff aus Holz befindet.
Der Abend klang dann sehr schön in einem in der Nähe des Amtsgerichts gelegenen Lokal aus, wo wir uns zumindest zum Teil für die genossene Gastfreundschaft revanchieren konnten. Hieran nahmen auch frühere Stockholmer Gastgeber teil, wodurch die besondere Bedeutung dieses Richteraustausches eine weitere persönliche Note bekam. Selbstverständlich wurden dabei wiederum die obligaten Reden und Trinksprüche auf deutsch-schwedische Gemeinsamkeiten und justizielle Besonderheiten ausgetauscht. So klang dann ein letzter schöner Abend mit unseren schwedischen Gastgebern aus, die uns teilweise zu Freunden geworden waren. In diesem Zusammenhang muss noch einmal das persönliche Engagement von Jan Ljungar hervorgehoben werden, der sich trotz seiner anwaltlichen Tätigkeit, die er stets nebenbei per Handy stehend und gehend erledigte, rührend um uns gekümmert und uns viele interessante Erlebnisse vermittelt hat.
Am nächsten Morgen wurden wir dann mehr oder minder angeschlagen von unseren jeweiligen Gastgebern an der Busstation verabschiedet, von der wir zu einem kleinen, außerhalb Stockholms gelegenen Flughafen fuhren. Für 9,99 EUR ging es mit Ryan Air weiter nach Lübeck. Dabei bleibt an Persönlichem noch festzuhalten, dass ein ansonsten stets sehr korrekter Kollege es trotz Kenntnis des 11. September nicht geschafft hatte, sein Nageletui im Koffer unterzubringen, was ihm eine ernste Rüge und eine Konfiszierung eintrug, während eine unserer Damen an eine Zwiebel erinnerte, weil sie mindestens zwei T-Shirts und Mäntel und mehrere Röcke übereinander über einer Hose angezogen hatte, Kleidungsstücke, die sie wegen eines in Stockholm gekauften Teppichs nicht mehr im Gepäck unterbringen konnte. Per Bus - die beiden Busreisen waren zusammen teurer als der Flug - ging es dann zurück nach Hamburg.
Damit nahm eine erlebnisreiche und in jeder Hinsicht anstrengende Woche, innerhalb der wir zahlreiche interessante Eindrücke gewonnen hatten und überwältigende Gastfreundschaft genießen durften, ihren glücklichen Abschluss.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass wir Hamburger Richter und Staatsanwälte uns beim Gegenbesuch in einigen Jahren schon ganz erheblich anstrengen müssen, um unseren schwedischen (und vielleicht auch dänischen?) Kolleginnen und Kollegen ein annähernd gleichwertiges Programm bieten zu können.
Wolfgang Steinmetz