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„Schachmatt“

 

Buchbesprechung des Justizthrillers „Schachmatt!“ von Stephan L. Carter,

List Verlag 2002, 859 S., Hardcover, 24 €

 

Ist hier der Ort, einen amerikanischen Kriminalroman - manche mögen ihn auch Thriller nennen - zu empfehlen? Noch dazu, wenn die derartigen Werken typischerweise anhaftende Oberflächlichkeit über weite Strecken auch ihm zueigen ist (erst nach 80 Seiten Emotionslagen, Namenspuzzle und Familiengeschichten kommt das 859seitige Buch langsam in Fahrt)? Ich wage es wegen des Richterbezugs und des Autors:

 

Ein schwarzer Richter am US-Bundesberufungsgericht stirbt. Sein Sohn - wie der Autor ein schwarzer Juraprofessor - recherchiert die Hintergründe des Richtertodes (war es Mord?) und setzt dabei seine Ehe mit einer erfolgreichen Anwältin, die sich als Bundesberufungsrichterin beworben hat, auf's Spiel. Bei der Recherche stößt der Professor immer wieder auf neue Hintergrunddetails der gescheiterten Kandidatur seines Vaters für eine Stelle am Obersten Gerichtshof, bis am Schluss das Puzzle perfekt ist.

 

Bei beiden Richterbewerbungen werden die negativen Begleiterscheinungen von Richterwahlen sichtbar: Einflussnahmen auf die Umgebung des Kandidaten (Intrigen, Erpressung), Proporz in politischer, ethnologischer und geschlechtlicher Hinsicht sowie der Ehrgeiz der Kandidaten (solche Erscheinungen mögen auch ohne Wahlen vorkommen, sind aber mit ihnen ausgeprägter).

 

In einem gewissen Spannungsverhältnis zur negativen Seite von Richterwahlen stehen die angedeuteten Ursachen für das hohe gesellschaftliche Ansehen der Richter in den USA: Unparteilichkeit, Detailtreue, Fleiß und Fachkenntnisse. Dem widerspricht nicht, dass der Richter im Roman verschiedenartigen Versuchungen nicht widersteht: ein menschliches Einzelversagen, auch wenn manches durch eine Altersgrenze für Richter in den USA verhindert worden wäre. Der Kenntnisnahme wert sind auch manche winzige Einsprengsel: mal hier eines über die Art gerichtlicher Auflagen, mal dort eines über richterliche Ethik.

 

Die lange oberflächlich erscheinenden Schachbezüge werden im späteren Verlauf durchaus intelligent. Die Buchüberschrift "Schachmatt", die schachbezogenen Überschriften der einzelnen Kapitel und die Schachfiguren als Coverbild haben ihre Berechtigung; nicht nur, weil Vater und Sohn Schachspieler waren/sind. Die zwei abgebildeten Figuren haben im Roman tatsächlich eine besondere Bedeutung. Und das immer wieder angesprochene spezielle Schachproblem – der doppelte Excelsior - entpuppt sich tatsächlich als auch für die Falllösung relevant.

 

Eine dritte das Buch rechtfertigende Säule mag Gesellschaftskritik sein (insbesondere zur Angleichung der schwarzen Elite an die negativen Seiten der weißen Elite). Ob aber auch die richterlichen Verfehlungen „Symbol“ für den Verfall der Sitten sein sollen, wie einer der Literaturkritiker interpretiert, erscheint angesichts der konkreten Gründe für die Verfehlungen sehr zweifelhaft.

 

Im Nachwort des Buches heißt es: "Es ist kein Schlüsselroman über die Jurisprudenz oder über die aberwitzige Prozedur, mit der wir in den USA Richter am Obersten Bundesgericht bestätigen ...". Dies dürfte aber als Understatement zu werten sein: Zwar mag es zutreffen, dass es nicht das Hauptanliegen des Buches ist, Bewerbungsverfahren zu beschreiben. Aber wo es denn um solches geht, ist eine gewisse Sachkunde des Autors nicht nur durch seinen Hauptberuf als Juraprofessor gegeben: in einem Internet-Interview gegenüber "Book Browse" verweist Carter darauf, dass seine Informationen bei seinen Recherchen zu einem vorangegangenen Fachbuch über die Richterernennungen am Supreme Court abfielen.

Kritisch besprochen wurde das Buch von Wieland Freund in „Die Welt“ vom 24.08.02 (www.welt.de/daten/2002/08/24/0824lbel352227.htx). Doch lesen Sie die Kritik lieber erst nach dem Buch, denn die Summe von Welt-Artikel, MHR-Artikel und Buchumschlag gibt schon so viele Informationen, dass dies die Spannung reduzieren könnte.

Wolfgang Hirth