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Vor der Wahl

- Bericht über eine Podiumsdiskussion -

Auf Einladung des Hamburgischen Richtervereins diskutierten kurz vor der Wahl, nämlich am 24. Februar, in der Grundbuchhalle des Landgerichts vor einem Kreis interessierter Kolleginnen und Kollegen die rechtspolitischen Sprecher der CDU (RAin Viviane Spethmann), der SPD (RA Rolf-Dieter Klooß), der FDP (RA Burkhardt Müller-Sönksen) und der GAL (RA Christian Maaß) zu dem Thema "Rechtspolitik in Hamburg – Ein Blick in die Zukunft".

Im Namen des Richtervereins dankte VRiLG Gerhard Schaberg den Diskutanten für ihre spontane Bereitschaft, sich in der "heißen" Phase des Wahlkampfes den Problemen der Justiz zu widmen, weiter dankte er RA Gerd Uecker für seine ebenso spontane Bereitschaft, die Diskussion zu moderieren.

Zur Eingrenzung des sehr weitgefassten Themas sollten die Problemfelder "Entlastung und Entschlackung der Justiz", "Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten", Dezentralisierung sowie Fragen um die Förderung des Justizstandortes Hamburg Gegenstand der Diskussion sein.

Die Diskutanten bekannten alle übereinstimmend - wenn auch in Nuancen unterschiedlich -, dass Versuche zur Entlastung der Justiz durch verstärkte Nutzung der Möglichkeiten von Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit durchaus sinnvoll seien, aber auch einen mühsamen Umdenkungsprozess sowohl im Umgang des Bürgers mit den Versuchen außergerichtlicher Streitschlichtung als auch bei der Justiz selbst erforderten.

Als Möglichkeit der Entschlackung justizieller Verfahren wurde wiederholt eine Verstärkung des Adhäsionsverfahrens genannt, jedoch sahen nicht alle Diskutanten darin einen Vorteil, weil die zu klärenden zivilrechtlichen Fragen im Rahmen des Strafprozesses doch eher zu einer Verzögerung führen könnten.

Interessant war die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang einer Privatisierung des Handelsregisters allseits Skepsis entgegengebracht wurde, wohl nicht zuletzt deshalb, weil in diesem Bereich die Justiz einen Überschuss erwirtschaftet.

Einen besonders interessanten Vorschlag zur Entlastung der Strafjustiz unterbreitete der Vertreter der GAL, indem er z.B. eine Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums vorschlug und sich ferner unter Hinweis auf die Erfolge in Berlin für eine Verringerung von Ersatzfreiheitsstrafen aussprach.

RA Uecker brachte mit der Frage nach der Privatisierung der Gerichtsvollziehertätigkeit ein weiteres Reizthema ins Spiel, aber auch hier blieb die Übereinstimmung relativ groß: die Zustimmung war verhalten, die Meinungen gingen von eher skeptisch (Spethmann), über ein Plädoyer, auf Ergebnisse eines Modellprojektes zu warten (Müller-Sönksen), bis hin zu dem Eingeständnis, dass der heutige Zustand zwar zu beanstanden sei, es aber durchaus fraglich bleibe, ob eine Privatisierung wirklich helfen könne (Klooß).

Weder die Erörterung der Fragen um die geplante Zusammenlegung von Fachge-richts­bar­keiten auf Bundesebene noch die Diskussion um Vor- und Nachteile der durchgeführten bzw. geplanten Dezentralisierungsmaßnahmen in Hamburg ließen deutliche Meinungsdivergenzen aufkommen. Insgesamt waren Vorbehalte gegenüber einer Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten deutlich festzustellen, ebenso aber auch eine eher zurückhaltende Bewertung der Dezentralisierung. Bei allen Dezentralisierungsprojekten müssten stets zugleich die Folgekosten in die Planungen einbezogen werden.

Auch zum letzten Thema "Justizstandort Hamburg" gab es weithin Einigkeit. Eine für die anwesenden Kolleginnen und Kollegen erfreuliche Botschaft lautete: der Haushalt der Justiz darf zur Erledigung der Kernaufgaben nicht beeinträchtigt werden, der Ruf nach Bindung und Verlässlichkeit der Haushaltsplanung und nach Förderung dieser Bestrebungen durch so etwas wie einen verbindlichen Pensenschlüssel sei berechtigt (Maaß), die Justiz sei im Haushalt besonders zu bedenken, um noch schneller ihre für den rechtsuchenden Bürger notwendigen Serviceleistungen erbringen zu können, nach Möglichkeit sei die Ausstattung der Justiz aufzustocken und insbesondere der Ziviljustiz die Möglichkeit der Berechenbarkeit zu verschaffen (Klooß), notwendig sei die Erhaltung des Niveaus der hamburgischen Justiz insbesondere bei den Spezialkammern, die das I-Tüpfelchen darstellten (Spethmann). Es fand sich sogar ein ausdrücklicher Befürworter der justiziellen Selbstverwaltung (Müller-Sönksen)! Welche Schalmeienklänge - schade, dass die FDP vorerst keine Gelegenheit hat, sich in diesem Sinne um die Justiz verdient zu machen!!

In jedem Falle müsse der Justiz der derzeitige Haushalt als "unterstes Minimum" erhalten bleiben (Maaß), ihr müsse Planungssicherheit im Sinne von Bestandsgarantie und Berechenbarkeit verschafft werden (Spethmann: keine Kürzungen!).

Wünschenswert sei möglicherweise ein Aufruf des Richtervereins an alle Parteien, in dem dargestellt werde, in welchen Bereichen die Justiz Geld benötige.

Allerdings lehnte Klooß auf Nachfrage aus dem Publikum ein eigenes Haushaltsantragsrecht der Justiz ab, ein Fünfjahresplan sei auch nicht machbar, er befürwortete jedoch, dass die Justiz in höherem Maße sich selbst verwalte durch ein Mehr an Beteiligung in Gremien und durch eine Weiterentwicklung des Budgetrechts.

Auf eine kritische Fragestellung aus dem Zuhörerkreis betreffend die Dezentralisierung meinte Spethmann, sie sehe die Dezentralisierung nicht so kritisch, während Müller-Sönksen dem kritischen Grundtenor des Fragestellers eher zustimmte.

Die Probleme des Strafvollzugs konnten angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur noch gestreift werden, zumal die Grundbuchhalle sich allmählich zum Eiskeller entwickelte und die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigungen im wahrsten Sinne in der Luft lag.

Der insgesamt anregende Abend hinterließ den Eindruck, dass allen Parteien sehr daran gelegen war, die Bedeutung der Justiz als dritte Gewalt durch Wahrung ihrer Eigenständigkeit mit entsprechender Mittelausstattung zu erhalten und nach Möglichkeit zu stärken, ein Ergebnis, das nicht gering zu achten ist.

Wir werden die beteiligten Parteien bei passender Gelegenheit an ihre Äußerungen erinnern!!

Inga Schmidt-Syaßen