(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/04, 40) < home RiV >

Das Hamburger

Richtertheater

Zu Beginn der 80er Jahre wagte ein Häuflein Hamburger Juristinnen und Juristen den Spagat zwischen Beruf und kultureller Betätigung und gründete das Hamburger Richtertheater. Mittlerweile kann diese Gruppe auf eine über 20 Jahre lange Geschichte zurückblicken.

 

Zunächst ein wenig zur Historie: Entstanden ist das Hamburger Richtertheater anlässlich der Vorbereitung des 6. Richterratschlags, die Hamburger Kolleginnen und Kollegen übernommen hatten. Die Tagung fand zu dem Thema „Ziviler Ungehorsam“ statt, und als Kulturbeitrag führten wir im Februar 1983 das Theaterstück Die 9 von Catonsville des amerikanischen Friedensaktivisten und Schriftstellers Daniel Berrigan auf. Dargestellt wurde dabei der Strafprozess, der in den USA den Mitgliedern einer Friedensgruppe gemacht worden war, weil sie bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg staatliche Wehrerfassungsakten verbrannt hatten. In dem Prozess haben Staatsanwaltschaft und Gericht die Angeklagten daran zu hindern versucht, die Hintergründe und ihre Motive darzustellen (man beachte die Parallele zur Diskussion um die Berücksichtigung von Fernzielen im Straftatbestand der Nötigung in der Rechtsprechung des BVerfG!). Dieses Stück wurde in der Folgezeit noch häufiger aufgeführt, zuletzt im Sommer 2000.

 

Im Jahr 1986 folgte mit Victoria, die Computer sind da ein Stück der seinerzeitigen Regisseurin des Hamburger Richtertheaters, Elisabeth Scherf. Das beklemmende, aber auch witzige Stück setzte sich mit Orwellschen Visionen von der totalen Computerüberwachung auseinander.

 

Die Veranstalter des ersten Deutschen Vormundschaftsgerichtstages baten uns sodann 1988 darum, ein aktuelles Theaterstück zur Reform des Vormundschaftsrechts aufzuführen. Um dieser Bitte nachzukommen, erarbeitete unsere Juristentruppe das Stück Kommt Ihr erst mal in mein Alter. Hierfür hatte Elisabeth Scherf eine neue Theaterform kreiert: das Simultantheater. Auf zwei neben einander liegenden Bühnen wurden dabei unterschiedliche Entwicklungen derselben Lebenssituation gleichzeitig gespielt. Auf Einladung des Bundesjustizministeriums haben wir dieses Stück auch bei der offiziellen Vorstellung des Kabinettsentwurfs eines Betreuungsgesetzes im Februar 1989 in Bonn gespielt. Weitere Aufführungen folgten.

 

Im Jahr 1991 brachten wir das Stück Ein wahrer Held von John Millington Synge zur Aufführung. Das Stück thematisiert, wie jemand zum Helden stilisiert, genauso schnell aber wieder fallen gelassen wird und der Blick für eigentliche menschliche Werte dabei verloren geht.

 

Die Brandanschläge gegen Asylbewerberheime in Deutschland veranlassten uns, ein Theaterstück über Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit zu suchen. Als geeignet erschien uns das Requiem Ein Jud aus Hechingen von Walter Jens, wobei Elisabeth Scherf dieses Stück um das Simultanstück Paul Levi – ein Jurist verlässt Deutschland ergänzte. Auch dieses Theaterstück haben wir mehrmals aufgeführt, zuerst auf dem Richterratschlag im Januar 1995.

 

In den Jahren 1998 und 1999 folgte dann die politische Revue Teilen – nicht sparen, mit dem das Problem der Arbeitslosigkeit thematisiert wurde. Rainer Naujoks schrieb dazu Musik und Texte, die einerseits kurzweilig und witzig waren, die aber gleichzeitig bitterböse die soziale Wirklichkeit spiegelten und Auswege aus dem Dilemma andeuteten. Im Rahmen dieser Revue wagte sich das Hamburger Richtertheater auch an so schwierige Dinge wie Gesang und bayrischen Schuhplattler.

 

Unter der Regie von Karen-Ann Roschild wandten wir uns dann 2001 mit dem Stück Der Reichtum von Aristophanes einer klassischen Komödie zu. Dort ging es um die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn der Reichtum auf einmal zu allen Menschen käme.

 

Die aktuelle Produktion des Hamburger Richtertheaters hat einen zunächst scheinbar nichtigen Rechtsstreit zum Gegenstand, der dann aber eine geradezu erschreckende Eigendynamik entwickelt. Im Mai 2004 haben wir im Kellertheater in Hamburg das Theaterstück Der Prozess um des Esels Schatten auf die Bühne gebracht, eine von unserer Regisseurin Karen-Ann Roschild erarbeitete Bühnenfassung des Hörspiels von Friedrich Dürrenmatt. Es geht dabei, wie der Titel schon andeutet, um einen Prozess, der aus reiner Engstirnigkeit und Prinzipienreiterei um eine Nichtigkeit geführt wird und an den sich im weiteren Verlauf aus eigensüchtigen und sachfremden Motiven zahlreiche Trittbrettfahrer anhängen, bevor das Ganze in einer einzigen Katastrophe endet, bei der es letztlich nur Verlierer gibt. Weitere Aufführungen innerhalb und außerhalb Hamburgs sind für die nächsten Monate geplant[1].

 

Kommen wir von der Historie zu den Motiven: Warum spielen RichterInnen eigentlich Theater?

Darauf gibt es zwei einfache Antworten:

  1. Es hat überhaupt nichts mit unserem
    Beruf zu tun.

Ein reizvoller Gedanke: Statt dröge Akten zu bearbeiten und abgehobenen juristischen Konstruktionen in eingefahrenen Gedankengängen zu folgen, gehen wir beim Theaterspielen kreativ mit Worten und Texten um. Und wir können so richtig „die Sau rauslassen“, ohne das Gebot der richterlichen Zurückhaltung im Kopf haben zu müssen.

  1. Es hat jede Menge mit unserem Beruf zu tun.

Ist eine Gerichtsverhandlung nicht wie ein Theaterspiel? Erleben wir nicht ständig - meist eher schlecht - inszenierte Auftritte vor Gericht? Ist der „Theaterdonner“ nicht Teil dessen, was wir im Berufsalltag erleben? Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass wir beim Theaterspielen vieles erlernen, was sich auch im Job anwenden lässt: Die Stimme heben und kalkuliert nachhaltiges Befremden zum Ausdruck bringen, improvisieren, wenn etwas Ungeplantes passiert - auf der Bühne wie im „richtigen Leben“ gut zu gebrauchende Techniken.

 

Dieser scheinbare Widerspruch bietet offensichtlich genügend Anreiz, auf das sich immer wieder ein stattliches Häuflein von Spielwilligen findet. Vieles hat sich verändert: personell – einige Gründungsmitglieder sind schon in Pension - und auch inhaltlich – der politische Anspruch der Anfangsjahre ist einer zunehmenden Spiellust als treibende Kraft des Theaterspielens gewichen. Aber – es gibt uns noch und wir haben immer noch Spaß am Theater!

 

Zum Abschluss ein wenig Werbung in eigener Sache: Das Hamburger Richtertheater ist kein abgeschlossener und eingeschworener Haufen, der unter sich bleiben will und sich nur anlässlich von Aufführungen aus der Deckung traut. Im Gegenteil: Wenn ein Leser oder eine Leserin der MHR bei der Lektüre dieses Artikels oder beim Besuch einer unserer Aufführungen Lust bekommen hat, auch einmal Theaterluft zu schnuppern, möge er oder sie gerne Kontakt zu einem unserer Mitglieder aufnehmen, deren Telefonnummern und e-mail-Adressen sich ja in den elektronischen Adressbüchern der Gerichte und der Staatsanwaltschaft befinden. Zurzeit gehören unserer Truppe an noch im Beruf stehenden Hamburger RichterInnen und StaatsanwältInnen an: Volker Bruns, Ulrich Engelfried, Wiebke Gammel, Robert Göhring, Sabine Happ-Göhring, Berthold Kämpf, Claus Loets, Marion Loets, Carsten Rinio, Thorsten Schmidt, Claudia Walz und Heiner Wegemer. Und Volker Lindemann (i.R.).
Also: Nur keine Scheu!

 

Bernd Hahnfeld / Ulrich Engelfried /
Carsten Rinio


[1] Anm. d. Red.: nächste Aufführung am 20.06.04 im New Living Home (www.richterverein.de/aktuell/040620.jpg)