(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/05, 38) < home RiV >

Justizielle Kooperation

in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

 

(Vorbereitung der Fortbildungsfahrt 17. – 21. Oktober 2005)

 

Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist ein Kernziel des EU-Vertrags. Dieser soll den Bürgern und Unternehmen das tägliche Leben in einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt erleichtern. Diese Entwicklung im Bereich Justiz und Inneres wird verstärkt durch den im Oktober 2004 unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für Europa, der noch von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. In dem Vertrag über eine Verfassung für Europa sind zahlreiche Grundrechte verankert, die den Unionsbürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gewähren sollen, wie Art. II-66 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), Art. II-76 (Recht auf einen einheitlichen Rechtsraum) oder Art. II-107 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf). Dabei soll die Entscheidungsfindung in manchen Bereichen vereinfacht, der Einfluss des Europäischen Parlaments erhöht und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als justizielles Kontrollorgan verstärkt werden. Zudem setzte der Europäische Rat die neuen Ziele im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht am 04.11.04 und verabschiedete ein neues mehrjähriges Arbeitsprogramm für die Zeit 2005-2010 - das Haager Programm. Die Kommission hat im Mai 2005 einen Aktionsplan mit detaillierter Angabe der Maßnahmen und zur Verwirklichung des Haager Programms verabschiedet. Einer dieser Punkte ist die Schaffung einer effizienten Kooperation im Bereich des Zivil- und Handelsrechts sowie die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens in diesen Bereichen.

 

I. Vertragliche Grundlagen

Die Mitgliedstaaten begannen Mitte der 70er Jahre auf informeller, zwischenstaatlicher Ba­sis außerhalb des Gemeinschaftsrahmens in den Bereichen Justiz und Inneres zusammenzuarbeiten. 1990 unterzeichneten Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder das Schengener Übereinkommen, das einen wichtigen Schritt für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in diesem Bereich darstellte. In den folgenden Jahren traten diesem Übereinkommen mehrere Mitgliedstaaten bei. Sein Ziel war es, den Bürgern eine echte Freizügigkeit ohne Kontrollen an den Binnengrenzen zu bieten. Gleichzeitig wurde diese Freizügigkeit begleitet durch Maßnahmen bei der Überwachung der Außengrenzen, der Visumpolitik, der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.

Mit dem Vertrag über die Europäische Union, der im November 1993 in Kraft getreten ist, wurden weitere Schritte unternommen, indem die Bereiche Justiz und Inneres in den institutionellen Rahmen der Union einbezogen wurden; dadurch erhielt der Aufbau Europas eine zusätzliche Dimension.

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam im Mai 1999 wurden auch die Schengen-Regelungen in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einbezogen. Eines der Hauptziele des Vertrags war es, die Union als einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu pflegen und weiterzuentwickeln, in dem die Bürger Freizügigkeit genießen und gleichzeitig geeignete Maßnahmen in den Bereichen Überwachung der Außengrenzen, Asyl, Einwanderung sowie Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität getroffen werden. Diese Ziele wurden weiter entwickelt durch den am 01.02.03 in Kraft getretenen Vertrag von Nizza.

Eine besondere Bedeutung bei der Kooperation im Bereich Justiz und Inneres kommt der Sondertagung des Europäischen Rates im Oktober 1999 in Tampere zu. Dort wurden zahlreiche Maßnahmen und Einzelschritte für den Aufbau eines Raums der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts festgelegt. Diese Tagung widmete sich erstmals ausschließlich der justiziellen Zusammenarbeit und den inneren Angelegenheiten.

Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland nehmen allerdings an verschiedenen Maßnahmen im Bereich Justiz und Inneres nicht in vollem Umfang oder nur unter bestimmten Bedingungen teil. Insbesondere das Vereinigte Königreich und Irland beteiligen sich nicht an Schengen-Maßnahmen in den Bereichen Freizügigkeit, Überwachung der Außengrenzen und Visumpolitik.

 

II. Justizielle Zusammenarbeit

 

Einen wichtigen Schwerpunkt bei der Verwirklichung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bildet die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Dabei sind sowohl im Bereich des Zivil- und Handelsrechts als auch im Bereich des Strafrechts bereits wichtige Grundlagen für eine verbesserte Kooperation geschaffen worden.

 

1.  Kooperation im Bereich des Zivil- und Handelsrechts

Die justizielle Kooperation in den Bereichen des Zivil- und Handelsrechts ist eine EU-Politik, die eng mit der Personenverkehrsfreiheit verbunden ist.

Der Grundsatz des freien Personen- und Warenverkehrs sowie der Dienstleistungsfreiheit hat die Mobilität der Europäischen Bürger und des Handels verstärkt. Das Hauptziel der Kooperation im Bereich des Zivilrechts ist es daher, die Bewegungs-freiheit für Privatpersonen und Firmen zu vereinfachen. Erste Bestrebungen in diese Richtung fanden bereits 1968 statt. In den sogenannten Brüssler Abkommen einigten sich die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten auf allgemeine Grundsätze im Bereich der Rechtsprechung und der Durchsetzung von Richtlinien. 1993 wurde im Vertrag von Maastricht die justizielle Zusammenarbeit im Bereich des Zivilrechts dann als Angelegenheit von allgemeinem Interesse für die EU festgelegt. Noch weiter ging der Vertrag von Amsterdam, in dem die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen zu einer Politik der europäischen Gemeinschaft, eng verbunden mit dem freien Personenverkehr, erklärt wurde.

Um es Firmen und EU-Bürgern zu ermöglichen, ihre Rechte an jedem Ort der Europäischen Union auszuüben, müssen die Probleme überwunden werden, die aufgrund der Inkompatibilität der komplexen nationalen gerichtlichen und administrativen Systeme bestehen. Dies wurde in Tampere 1999 vom Europäischen Rat anerkannt und es wurden drei Hauptpunkte festgelegt, die in den nächsten Jahren angestrebt werden sollen: die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, eine bessere Schadenskompensation für Opfer von Verbrechen und schließlich vermehrte Angleichungen im Bereich des Zivilrechts. Zur Ausübung der individuellen Rechte in den einzelnen Mitgliedstaaten soll dem einzelnen ein besserer Zugang zum Recht gewährleistet werden. Zur Vereinfachung der unterschiedlichen Verfahren soll eine höhere Angleichung im Bereich des prozessualen Rechts erfolgen. Weitere Arbeitsgebiete sind beispielsweise Methoden der Beweisaufnahme, Elterliche Verantwortung, die Frage nach dem anwendbaren Recht und das Scheidungsrecht.

 

a) Gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen stellt eine wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit im Zivilrecht dar. Der Rat der Justiz- und Innenminister nahm am 30.11.2000 ein Programm mit Maßregeln für Durchführung der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen im Bereich des Zivil- und Handelsrechts an. Das endgültige Ziel ist die Anerkennung und Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen ohne weitere Zwischenschritte; mit anderen Worten ohne weitere behördliche Genehmigungen. In einigen Bereichen ist die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen schon erreicht worden.

So besteht im Scheidungsrecht bereits der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen. Durch die VO (EG) Nr. 1347/2000 ist die gegenseitige Anerkennung von Scheidungsurteilen vorgesehen worden. Die Verordnung ist seit dem 01.03.01 in Kraft. Weiterhin legt die Verordnung fest, in welchem Mitgliedstaat die Gerichte für Entscheidungen im Scheidungsrecht zuständig sind. Ferner sieht die VO (EG) Nr. 2201/2003 im Bereich der elterlichen Verantwortung vor, dass Urteile zum Sorgerecht gegenseitig anerkannt werden müssen. Seit dem 01.03.05 gilt dies für alle nationalen Entscheidungen zur Verantwortung der Eltern und damit auch für Unterhaltspflichten. Mit Ausnahme von Dänemark beteiligen sich alle Mitgliedstaaten an dieser Maßnahme.

Weiterhin wird die Durchsetzung von unbestrittenen Forderungen in der Europäischen Union zukünftig durch die neue EG-Vollstre­ckungstitel-Verordnung erleichtert werden. Diese gilt ab dem 21.10.05 in allen Mitgliedstaaten der EU außer in Dänemark. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO (EG) Nr. 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen am 19.01.05 beschlossen. Die Verordnung erfasst vorerst nur Titel über Geldforderungen, die vom Schuldner anerkannt oder nicht bestritten worden sind. Sie werden auf Antrag des Gläubigers in dem Staat, in dem er seinen Titel erlangt hat, auf einem vereinheitlichten Formblatt als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt. Die Gewährleistung des Schuldnerschutzes wird ebenfalls in diesem Staat gewährleistet. Als Europäische Vollstreckungstitel kommen Versäumnisurteile, Vollstreckungsbescheide, Anerkenntnisurteile und Prozessvergleiche in Betracht. Die Verordnung umfasst daneben die praktisch bedeutsamen Urkunden der Notare und Jugendämter.

Ein weiteres Beispiel im Bereich des Zivil- und Handelsrechts ist auch das Insolvenzrecht. Dort sieht bereits eine EU-Verordnung VO (EG) Nr. 1346 vom 29.05.00 über Insolvenzverfahren vor, dass im Falle einer Unternehmensinsolvenz ein koordiniertes Vorgehen aller Mitgliedstaaten erfolgen soll. Die Verordnung ist am 31.05.02 in Kraft getreten.

Weiterhin wurde am 29.04.05 eine Richtlinie angenommen, die vorsieht, dass bis zum 01.07.05 in allen Mitgliedstaaten Opfern von Verbrechen eine gerechte Schadenskompensation gewährleistet werden muss. Dabei ist ein Mindestausgleich vorgesehen. Bis zum 01.01.06 soll ein Kooperationssystem zwischen allen Mitgliedstaaten in diesem Bereich geschaffen werden.

 

b) Europäisches Justizielles Netz (European judicial network)

Die Europäische Union weist eine Vielzahl einzelstaatlicher Rechtssysteme auf, deren Vielfalt häufig Probleme bereitet, wenn ein Rechtsstreit über die Grenzen eines Landes hinausreicht. Es kann sich daher für Juristen und andere in der Rechtspflege Beschäftigte, aber auch für Privatpersonen und Unternehmen als sehr nützlich erweisen, die verschiedenen nationalen Rechtssysteme sowie die Rechtsakte der Europäischen Union und anderer internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen, der Haager Konferenz oder des Europarats zu kennen. Das Europäische Justizielle Netzwerk (EJN) wurde daher auf Vorschlag der Kommission in 2000 und nach Entscheidung des Rats vom 28.05.01 am 01.12.01 geschaffen. (ABl. Nr. L 174/25 vom 27.06.01). An dem Justiziellen Netzwerk beteiligen sich alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark.

Dem Netzwerk gehören Vertreter der Justiz- und Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten an, die mehrmals im Jahr zusammenkommen, um Informationen und Erfahrungen auszutauschen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Zivil- und Handelsrecht auszubauen. Sie beschäftigen sich damit, allen gerichtlichen Instanzen die notwendigen Informationen für eine umfassende gerichtliche Zusammenarbeit in einem Netzwerk bereit zu stellen. Informationen und Erfahrungen werden ausgetauscht. Es sollen Lösungen für jedwede Probleme gefunden werden, die im Rahmen einer Fragestellung im Bereich der gerichtlichen Zusammenarbeit auftreten können.

Neben der Vereinfachung des internen Informationsaustausches zwischen den Mitgliedsstaaten ist es ein Hauptziel des Netzes, den Personen und Firmen das Leben zu erleichtern, die mit grenzübergreifenden Rechtsstreitigkeiten konfrontiert sind, d. h. mit Streitigkeiten, die einen Bezug zu mehr als einem Mitgliedstaat aufweisen. Informationen über die einzelnen juristischen Systeme sind daher im Netz für jedermann zugänglich. Es werden beispielsweise Informationen über die Gerichtsorganisation eines Landes, das anwendbare Recht, über die Rechtsprechung und gerichtliche Zuständigkeit oder Formen der alternativen Streitbeilegung bereit gestellt. So kann zum Beispiel das gegebenenfalls örtlich zuständig Gericht in Barcelona gefunden werden.

 

2. Kooperation im Bereich des Strafrechts

Die Öffnung der Binnengrenzen innerhalb der EU führte nicht nur Erleichterung der Ein- und Ausreise zwischen den Mitgliedsstaaten, sondern auch zu einer Erleichterung für Verbrecher transnational zu operieren. Dies wird gerade auch durch die Tatsache begünstigt, dass die Justizsysteme lange nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen handeln konnten. Aus diesen Gründen ergibt sich die Notwendigkeit einer einheitlichen Strafverfolgung.

Die justizielle Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts entwickelte sich seit dem Vertrag von Amsterdam in vier Richtungen. Diese wurden im Oktober 1999 in Tampere festgelegt.

- Einheitliche Standards im Bereich der Verbrechensdefinitionen und Sanktionen -

Die EU Staaten einigten sich darauf, die Definitionen für Verbrechen und Vergehen und den Stand der Sanktionen für spezielle Verbrechen und Vergehen anzugleichen, vor allem wenn diese transnationale Bezüge aufweisen. Dies ist nötig, um einerseits zu verhindern, dass Täter von einem Staat in den anderen operieren, und andererseits der Bevölkerung ein einheitliches Rechtsgefühl zu vermitteln und um die gegenseitige Anerkennung der Rechtssysteme zu erleichtern.

Insbesondere die Straftaten, die aufgrund der Öffnung der Grenzen verstärkt auftreten könnten, müssen verhindert werden. Hierzu zählen: illegale Einreise, sexuelle Ausbeu­tung von Kindern/Minderjährigen, Kinderpor­nographie, Terrorismus, Vermögensdelikte (Geldwäsche, Korruption, EC/Kreditkartenbe­trug), Internetkriminalität, Umweltverbrechen, Rassismus und auslän­derfeindliche Verbrechen.

- Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen nationaler Richter als Eckpunkt justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen -

In Tampere wurde festgelegt, dass die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen nicht nur den Eckstein für die zivilrechtliche, sondern auch für die strafrechtliche Zusammenarbeit bilden soll. Das bedeutet konkret: sobald eine gerichtliche Entscheidung in einem Mitgliedstaat getroffen wurde, soll diese Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten so schnell wie möglich anerkannt werden, und zwar unter der geringst möglichen Kontrolle, und am besten so, als wäre es eine eigene nationale Entscheidung.

Die Verbesserung des gegenseitigen Vertrauens durch Einführung von prozessrechtlichen Mindeststandards und die Entwicklung von gegenseitigem Verständnis der Rechtsprechung wird als eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre angesehen, um einen einheitlichen Rechtsraum zu schaffen. In diesem Sinne hat die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat eine am 19.05.05 angenommene „Mitteilung zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen und zur Stärkung des Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander“ übermittelt. Diese sieht neben der Anerkennung rechtskräftiger Entscheidungen in Strafsachen unter anderem eine Zusammenarbeit bei der Beweiserhebung und die Anerkennung von Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug in Ermittlungsverfahren vor.

In einigen Bereichen sind bereits Maßnahmen zur verbesserten Kooperation durchgeführt worden. So ist am 2. März 2003 ein Rahmenbeschluss (ABl. L 76/16 vom 02.03.05) über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen verabschiedet worden. Die Mitgliedstaaten müssen diesen bis zum 02.08.05 umgesetzt haben.

- Verbesserung der justiziellen Kooperationsmechanismen -

Verschiedene Methoden, die die praktische justizielle Zusammenarbeit erleichtern, sind jetzt schon wirksam. So wurde am 28.05.01 vom Rat der Aufbau eines Europäischen Netzes für Kriminalprävention beschlossen.

Zudem ist ein - dem bereits bestehenden EJN im Zivil- und Handelsrecht vergleichbares - Netzwerk für die Erfassung von Straftaten geplant. Ein Pilotprojekt, das bereits zwischen Frankreich, Deutschland, Spanien und Belgien besteht, soll übernommen werden. Künftig sollen alle Straftaten eines EU-Bürgers in seinem Heimatland registriert werden. Ein anderer Mitgliedstaat kann dann bei Verdacht anfragen, ob etwas vorliegt. Die Daten sollen bereits innerhalb eines Tages bereit gestellt werden können. Lange, uneffiziente Bearbeitungszeiten sollen der Vergangenheit angehören. Für Verurteilte aus Drittstaaten soll ein Zentralregister in Brüssel angelegt werden. Ein solches Zentralregister für alle Straftaten der Unionsbürger konnte die Kommission jedoch nicht durchsetzen.

- Zusammenarbeit mit Drittstaaten -

Nach den Vorkommnissen des 11.09.01 schloss die EU zwei Abkommen mit den USA über die Auslieferung und gegenseitige juristische Unterstützung ab.

Andere Abkommen wurden mit Norwegen und Island über europäische Haftbefehl-Mechanismen getroffen. Dies zeigt, dass die EU mittlerweile ein international anerkannter Partner ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Menschenrechten.

a) Eurojust

Bereits im Dezember 2000 beschloss der Rat, vorübergehend einen Runden Tisch von Strafverfolgern aus allen Mitgliedstaaten einzurichten. Dieser stellte eine erste Modellform der Zusammenarbeit dar. Diese vorrübergehend eingerichtete Form der Zusammenarbeit hatte ihren Sitz in Brüssel, begann im März 2001 und hatte bereits Anfang November 2001 mehr als 180 Fälle bearbeitet. Mit der Entstehung von Eurojust hörte diese Organisationsform auf zu existieren.

Um die Strafverfolgung über die Grenzen eines Mitgliedsstaats hinaus zu verbessern, wurde auf Anregung des Europäischen Rates 1999 in Tampere am 06.12.01 schließlich Eurojust ins Leben gerufen. Eurojust, mit Sitz in Den Haag, ist das weltweit erste dauerhafte Netzwerk für die Zusammenarbeit von gerichtlichen Instanzen und Strafverfolgungsbehörden. Die Zielsetzung von Eurojust ist die Verbesserung der Bekämpfung internationaler Verbrechen durch eine europäische zentrale Behörde. Eurojust soll die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten anregen und verbessern. Auf diese Weise soll die Ausführung gegenseitiger rechtlicher Hilfe in grenzüberschreitenden Fragen und die Durchführung von Auslieferungsgesuchen erleichtert werden.

Eurojust setzt sich aus einem Team von 25 nationalen Mitgliedern von erfahrenen Richtern, Staatsanwälten und anderen Strafexperten zusammen, jeweils einer aus einem Mitgliedsstaat. Sie arbeiten parallel mit ihrem jeweiligen Heimatland. Einige dieser Staatsanwälte oder Richter werden von abgeordneten Beamten oder Assistenten aus ihrem eigenen Land unterstützt. Einige dieser Assistenten sind in ihrem jeweiligen Heimatland, andere direkt bei Eurojust vor Ort tätig.

Eurojust kann Ermittlungsbeamten, Staatsanwälten und Richtern aus allen EU-Ländern mit sofortigem rechtlichen Rat zur Seite stehen und unmittelbare Hilfe in grenzüberschreitenden Fällen leisten. So werden beispielsweise Rechtshilfeersuchen bearbeitet, grenzüberschreitende Recherchen übernommen oder Anweisungen an Mitarbeiter in Drittländern übermittelt, die dann direkt vor Ort eingreifen können. Umständliche langwierige Ermittlungsverfahren sollen so vermieden werden.

Zudem besteht ein enges Netzwerk mit OLAF (European-Anti-Fraud-Office), dem europäischen Amt für Betrugsbekämpfung. Jedoch sind der Arbeit von Eurojust auch Grenzen gesetzt. Eurojust hat keine Kompetenz selbst Investigationen zu initiieren oder durchzuführen. Ferner kann Eurojust weder nationale Gesetze ändern noch Harmonisierungsbestrebungen in irgendeiner Form betreiben.

Um die Datenbearbeitung bei Eurojust zu überwachen und zu garantieren, dass die ausgegebenen Informationen nicht mit den einschlägigen Datenverarbeitungsgesetzen kollidieren, wird gerade ein gemeinsamer Überwachungsapparat gebildet, der sich aus Richtern oder vergleichbar unabhängigen Personen aus den Mitgliedstaaten zusammensetzt.

b) Der Europäische Haftbefehl

Der Europäische Haftbefehl ist ein weiterer Eckstein bei der Schaffung eines Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts. Er wird als Beweis für die gegenseitige Anerkennung der Rechtssysteme und das Vertrauen in die Entscheidungen der Gerichte und ihrer Richter gewertet. Der Europäische Haftbefehl beruht auf dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13.06.02 (ABl. L 190/1 vom 18.07.02). Gemäß der Definition im Rahmenbeschluss ist der "Europäische Haftbefehl" eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat bezweckt im Hinblick auf eine Strafverfolgung, die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung.

Bisher wurde er in allen EU-Ländern, mit Ausnahme Italiens, in innerstaatliches Recht umgewandelt, wobei die Tschechische Republik ihn noch in die Praxis umzusetzen hat. In Deutschland wurden die Vorgaben des Europäischen Haftbefehls im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) umgesetzt. Der Europäische Haftbefehl soll alle früheren Instrumente hinsichtlich der Auslieferung ersetzen wie beispielsweise die Bestimmungen des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen.

Der von der Kommission vorgeschlagene Europäische Haftbefehl ist seit dem 01.07.04 an die Stelle des derzeitigen Auslieferungssystems treten. Alle nationalen vollstreckenden Justizbehörden verpflichten sich, das Ersuchen einer Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats auf Übergabe einer Person ipso facto und mit einem Minimum an Kontrollen anzuerkennen. Das neue System soll ein unkompliziertes und von Verzögerungsrisiken freies Auslieferungsverfahren ermöglichen. Langwierige und manchmal erfolglose Auslieferungsverfahren sollen überflüssig gemacht werden. Den Betroffenen, denen eine schwere Straftat in einem der Mitgliedstaaten vorgeworfen wird, soll es unmöglich gemacht werden, während eines langwierigen Auslieferungsverfahrens Unterschlupf in einem anderen Mitgliedstaaten zu finden.

Der Europäische Haftbefehl kann von den Justizbehörden eines Mitgliedslandes ausgestellt werden, wenn dem Beschuldigten eine mindestens einjährige Gefängnisstrafe erwartet oder er zu einem mindestens 4-monatigen Freiheitsentzug verurteilt wurde. Dabei ist der Europäische Haftbefehl schneller und effektiver als die bisherige Auslieferung. Die Regierungen können die Übergabe ihrer Bürger zu einem Gerichtsverfahren in einem anderen EU-Staat nicht mehr ablehnen und müssen Verdächtige innerhalb von drei Monaten oder 90 Tagen nach ihrer Verhaftung übergeben.

Durch die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur Anerkennung der Grundrechte und Anwendungen bestimmter Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. So hat beispielsweise jeder Festgenommene Anspruch auf einen Rechtsanwalt und einen Dolmetscher, es darf keine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten stattfinden, es gilt das Verbot der doppelten Bestrafung aufgrund der selben Straftat. Ferner soll in den Fällen, in denen objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Haftbefehl aufgrund der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen der Rasse, Religion oder politischen Überzeugung erlassen wurde, die Übergabe der Person an den anderen Mitgliedstaat abgelehnt werden dürfen. Die Gefahr der Todesstrafe besteht nicht, da diese in allen EU-Staaten abgeschafft wurde. Zudem sind drei weitere Vollstreckungshindernisse vorgesehen: ein rechtskräftiges Urteil über dieselbe strafbare Handlung, die strafbare Handlung fällt im Vollstreckungsstaat unter Amnestie, die Person kann aufgrund ihres Alters im Vollstreckungsstaat nicht zur Verantwortung gezogen werden.

 

III.  EuroPol

 

Europol ist die Europäische Polizei-Organisation (European Police Organisation) mit Sitz in Den Haag. Die Einrichtung einer europäischen Polizeibehörde wurde im Vertrag von Maastricht am 07.02.92 beschlossen. Die ersten noch eingeschränkten Operationen begannen am 03.01.94 im Bereich der Drogendelikte. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr strafrechtliche Gebiete hinzu, bis schließlich am 01.01. 02 das Mandat von Europol dahingehend ausgeweitet wurde, sich mit allen internationalen Verbrechen zu befassen, die im Annex der Europol Konvention aufgelistet sind. Die von allen Mitgliedstaaten beschlossene Europol-Konven­tion trat am 01.10.98 in Kraft. Europol nahm seine vollständige Arbeit am 01.07.99 auf. Europol besteht aus 90 Mitarbeitern, von denen 80 sogenannte Verbindungsbeamte sind und verschiedene Strafverfolgungsbehörden vertreten.

Die Hauptaufgabenfelder von Europol im Rahmen der Gesetzesdurchsetzung der Mitgliedstaaten sind illegaler Drogenhandel, illegale Immigrationsnetzwerke, Terrorismus, Falschgeld und Fälschung im Bereich anderer Zahlungswege, Menschenhandel und Kinderpornographie, illegaler Fahrzeughandel und Geldwäsche. Weitere Hauptziele von Europol sind die Bekämpfung von Verbrechen gegen Personen, Vermögen und Internetkriminalität. Gegen all diese Verbrechen geht Europol vor, sobald eine internationale Organisation beteiligt oder zwei Mitgliedstaaten betroffen sind.

Europol unterstützt die Vereinfachung des Informationsaustausches in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen zwischen Verbindungsbeamten, sogenannten ELOs (European Liaison Officers). ELOs werden von den Mitgliedstaaten als Vertreter ihrer Strafverfolgungsbehörden zu Europol gesendet. Weiterhin stellen sie Analysen im Bereich internationaler Operationen zur Verfügung. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt von Europol besteht in der Verbrechensanalyse auf der Grundlage von Informationen, die von den Mitglieds- oder Drittstaaten zur Verfügung gestellt werden. Schließlich werden Sachverständigengutachten erstellt, und es findet eine Überwachung der rechtlichen Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten statt. Da die international organisierte Kriminalität nicht an den Landesgrenzen Halt macht, hat Europol darüber hinaus seine internationale Strafverfolgungszusammenarbeit verbessert, indem die Behörde bilaterale operative oder strategische Vereinbarungen mit anderen Staaten und internationalen Organisationen ausgehandelt hat. Die Art und Weise der Zusammenarbeit ist dabei vielfältig. Sie reicht von der operativen Zusammenarbeit, die auch den Datenaustausch beinhaltet, bis zur technischen und strategischen Kooperation.

 

Weitere Informationen zum Thema justizielle Zusammenarbeit:

nEUsletter Extra 12-05 des Infopoint-Europa zum Thema Europäischer Haftbefehl unter http://www.      infopoint-europa.de/; MHR 1/2005 Eurojust; MHR 4/2004 Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres; MHR 3/2002 Europäischer Finanzstaatsanwalt

Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen unter EUROPA - Justice and Home Affairs - Freedom Security and Justice - European judicial network European Commission

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Parlament für gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen unter:

http://www.eu.int/comm/justice_home/doc_centre/ criminal/doc/com_2005_195_en.pdf

 

Damit Sie sich vor Ort über die Arbeit der Europäischen Organe und Einrichtungen informieren können, bereitet der Info-Point Europa gemeinsam mit dem Hanseatischen OLG Hamburg und finanziell unterstützt von der Justizbehörde Hamburg eine Fortbildungsfahrt nach Luxemburg (EuGH), Brüssel (Parlament, Kommission, Hanse-Office) und Den Haag (Europol, Eurojust) für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vor. Die Reise ist vorgesehen für die Woche vom 17.-21.10.05, also im Anschluss an die Hamburger Herbstferien. Das genaue Programm werden wir Ihnen sobald wie möglich zukommen lassen, es wird auch auf unserer Internetseite und der des Hamburgischen Richtervereins einsehbar sein. Es werden etwa 20 Plätze zur Verfügung stehen, eine finanzielle Eigenbeteiligung wird erforderlich sein. Wenn Sie interessiert sind, nehmen wir Sie gern schon jetzt in die Teilnehmerliste auf – wer zuerst mailt, reist zuerst:

INFO-POINT EUROPA HAMBURG, Adolphsplatz 1, 20457 Hamburg , Telefon: (040) 41 91 91 04, Telefax: (040) 41 91 91 05, ipe@infopoint-europa.de, http://www.infopoint-europa.de. Ansprechpartner beim OLG: Ingo Beckedorf, RiLG, 428 43 2930.

 

Hans Arno Petzold, Anne Edelhoff