(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/05, 2) < home RiV >

 

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

 

Dieses Heft enthält gleich zwei Beiträge über vom Nationalsozialismus gebeutelte Richter und Staatsanwälte. Damit soll nicht der falsche Eindruck erweckt werden, die Justiz sei im III. Reich ein Hort des Widerstands gewesen. Schicksale Einzelner können jedoch die Ansicht, Richter und Staatsanwälte hätten im III. Reich nichts Gravierendes zu befürchten gehabt, wenn sie sich distanzierter verhalten hätten, relativieren, auch wenn dies keine Rechtfertigung für falsches Verhalten ist. Vielmehr können Verhaltenweisen Einzelner Vorbild für andere Kollegen sein.

Nach der letzten MHR hat es eine Bundestagswahl gegeben, die mehr (Ex-)Richter als zuvor ins Parlament gebracht hat (s. Seite 13). Das Wahlergebnis insgesamt sah man als Auftrag für eine große Koalition an. Deren Koalitionsvertrag verspricht nicht nur tiefe Besoldungseinschnitte (s. Seite 12), sondern er behandelt irgendwann gegen Ende auch etwas Justizpolitik. Von den Wahlprüfsteinen des DRB (DRiZ 2005, 282) wurde dort allerdings nichts übernommen (abgesehen von der Nichtübertragung des Bologna-Prozesses auf die Juristenausbildung).

Einer der Wahlprüfsteine war die Selbstverwaltung der Justiz. Diesen Punkt hatten bereits vor der Wahl fast alle Parteien (CDU/CSU,  SPD, FDP, Grüne) abgelehnt; nur die Linken/PDS unterstützten die Selbstverwaltungsforderungen

(http://www.drb.de/pages/html/vorspann_wahl.html).

Doch auch die Hamburger Themen hatten es in sich: Wann hat es je so etwas gegeben, dass die obersten Gerichtspräsidenten gegen eine Maßnahme der Justizbehörde wegen Rechtswidrigkeit beamtenrechtlich remonstrieren und dass die Justizbehörde die Maßnahme zunächst trotzdem durchsetzen will und erst nach einem Bürgermeistergespräch den Bedenken der Präsidenten Rechnung trägt?!

Justizsenator Dr. Kusch hatte zum 01.12.05 das Vorschlagsrecht für die Richtereinstellung per Anordnung quasi an sich gezogen ohne Anhörung der Gerichtspräsidenten und der Generalstaatsanwältin. Die Präsidenten/GenStA remonstrierten, der Richterverein protestierte (s. Seite 4), der Blätterwald rauschte.

Der Senator wollte, dass künftig die Bewerbungen bei der Justizbehörde abgegeben werden und von dort nur noch eine Auswahl von Bewerbungen an die Präsidenten geschickt wird. Das hätte die Vorschlagsbefugnisse der Präsidenten nach den §§ 24a/b HmbAGGVG eingeschränkt und hätte dem Senator die Möglichkeit gegeben, die Auswahl frühzeitig nach seinen Maßstäben zu steuern. Es war sogar ausdrücklich eine der Begründungen für diesen Plan, dass dann "die Behörde einheitliche Auswahlkriterien anlegen" könne (Justizstaatsrat) und die "zentrale Steuerung der Justizbehörde leichter" werde (Justizbehörde).

Und auch der „Kompromiss“ (so der Stand am Tage des Welt-Interviews vom 01.12.05) birgt noch seine Tücken: Zwar handelt es sich beim Personalvorschlag der Justizbehörde nun nicht mehr um einen solchen Filter, an den die Gerichte schon mangels Kenntnis des sonstigen Bewerberfeldes gebunden sind. Aber allein der Umstand, dass die Justizbehörde künftig schon vorab ihre Prioritäten vorgibt, macht jeden davon abweichenden Vorschlag der Präsidenten zu einem Konfliktpotential, und welcher Präsident möchte schon gern bei jedem (!) Vorschlag sehenden Auges in einen Streit gehen. Darum ist die Frage, wer den ersten Schritt tut, oft weichenstellend - schon aus Gesichtsverlustsgründen.

Warum nur muss dieses Streben der Justizbehörde nach Machtausbau zu Lasten der Gerichte sein, nachdem schon im letzten Jahr die Einsetzung eines kommissarischen Leiters der Staatsanwaltschaft zu ähnlichen Irritationen geführt hatte (vgl. MHR 2/2004, 3), die ebenfalls ein Bürgermeistergespräch erforderlich machten?

Der Senator zeigte sich im Welt-Interview vom 01.12.05 dennoch „überrascht“, dass sich die Richter gegen seinen neuen Vorstoß vehement gewehrt haben und sprach dabei von „Skurrilitäten am Sievekingplatz“. Dabei hatte er selbst noch in seinem ESARI betreffenden Schreiben an den Richterverein vom 25.11.03 (MHR 4/2003, 5) die richtige Marschroute aufgezeigt:

“Originäres Ziel ist es, die Organisationshoheit der Gerichte zu erhalten, eine Fremdbestimmung auszuschließen und die Steuerung der Arbeitsabläufe selbst zu gestalten.”

Möge künftig diese Maxime des Senators stärker in den Vordergrund treten.

 

Ein frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen

Ihr Wolfgang Hirth