(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/06, 6) < home RiV >

ESARI

Wie ich lernte, den Computer zu hassen

 

ESARI/30K - nein, liebe Kollegen, dies ist nicht der Name eines bösartigen Virusprogramms, das seit Wochen partiell den Geschäftsbetrieb der Staatsanwaltschaft lahm legt. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Hamburger Projekt, das das Ziel verfolgt, „Administration und Betrieb der Bildschirmarbeitsplätze in der hamburgischen Verwaltung auf Dataport zu übertragen“[1]. Die Abkürzung ESARI steht für Effizienzsteigerung der Arbeit durch Reorganisation der IuK-Strukturen“, 30K ist ein Synonym für die ca. 30.000 Bildschirmarbeitsplätze, deren Administration auf Dataport übertragen werden soll. Derzeit werden ca. 10.000 PCs von Dataport verwaltet[2]. Obgleich also erst ein Drittel der anvisierten Gesamtzahl an Bildschirmarbeitsplätzen von Dataport administriert wird, besteht bereits jetzt der Eindruck, dass Dataport mit der übernommenen Aufgabe völlig überfordert ist.

Unglücklicherweise handelt es sich bei der Staatsanwaltschaft offenbar um einen Teil der „hamburgischen Verwaltung“ und so drangsaliert die Firma Dataport seit August 2006 nach Einführung des Projekts ESARI die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft mit ihrer völlig inkompetenten „Systembetreuung“. Ich möchte Sie hier nicht mit Kleinigkeiten - nicht bootende Rechner, fehlender Zugriff auf Drucker, zurückgewiesene Anmeldungen pp. langweilen. Erwähnenswert erscheinen mir nur massive Störungen, die den Betrieb der Strafverfolgungsbehörde in den zurückliegenden Wochen störten.

Im Oktober bewirkte beispielsweise die fehlerhafte Ausführung eines Programm-Upda­tes, dass mitten im Geschäftsbetrieb zahlreiche Rechner wie von Geisterhand heruntergefahren wurden - mit gravierenden Folgen. Staatsanwälte, die unter Verwendung des „Nordschreibwerks“ eine Anklageschrift oder einen Strafbefehl erstellten, verloren alle eingegebenen Daten, die Arbeitsergebnisse der zurückliegenden Stunden verschwanden unwiederbringlich im Cyberspace. Zwar wand­ten sich die Betroffenen wutschnaubend an die Anwenderhotline der Firma Dataport, dort konnten sie jedoch nur Beileidsbekundungen entgegennehmen. Den Kollegen blieb nichts anderes übrig, als mit der Arbeit von vorne zu beginnen.

Zugegeben, mit einem solchen Störfall wartet die Firma Dataport nicht jeden Tag auf. Es muss aber anerkannt werden, dass das Repertoire an Maßnahmen, mit denen Dataport die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft täglich zur Weißglut treibt, durchaus abwechslungsreich ist.

Mal legt ein ausgefallener Etagenserver die Generalstaatsanwaltschaft und die OK-Abteilungen lahm, mal trifft das gleiche Schicksal die Leitung der Staatsanwaltschaft und die Rauschgiftabteilungen. Aber auch dem „einfachen“ Staatsanwalt wird bisweilen mit dem verweigerten Zugriff auf die Mesta-Datenbank oder völlig unsinnigen Fehlermeldungen die Erledigung seiner Arbeit unmöglich gemacht. Der absolute Favorit der Firma Dataport unter den Störungen trägt allerdings den wohlklingenden Namen „Performanceproblem“. Dahinter verbirgt sich Folgendes: Aus unbekannten Gründen wird das Netzwerk der Staatsanwaltschaft so langsam, dass der Datenaustausch zwischen Einzelplatz PC und Server extrem zeitverzögert abläuft. Auf den Monitoren der Anwender ist minutenlang nur die Sanduhr zu sehen. Neben der geschmackvollen Bezeichnung dieser Erscheinung als „Performenceproblem“ besticht diese Störung dadurch, dass sie alle Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft ohne Ansehen der Person gleichermaßen betrifft und somit den Geschäftsbetrieb der gesamten Behörde lahm legt. Denn da bei der Staatsanwaltschaft mittlerweile jeder Arbeitsplatz mit einem vernetzten PC ausgestattet ist, heißt es bei Netzwerkproblemen „nichts geht mehr“: Weder können Serviceteammitarbeiter eine Ermittlungsakte in der Mesta Datenbank erfassen und ein Aktenzeichen vergeben noch sind Staatsanwälte in der Lage, eine Anklageschrift zu erstellen.

Störungen des Netzes sind für alle Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft auch deshalb ausgesprochen ärgerlich, weil sie in diesen Fällen hilflos zusehen müssen, wie die Aktenberge anwachsen. Abgebaut werden die liegen gebliebenen Akten in (selbstverständlich unbezahlten) Überstunden, wenn die Störung irgendwann behoben worden ist.

Wegen der häufigen Störfälle in den zurückliegenden Wochen hassen nicht wenige Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft ihren PC, was weder sinnvoll noch gerecht ist. Denn die Verantwortlichen für das Desaster sitzen bei der Firma Dataport.

Natürlich stellt Dataport für Störfälle eine Hotline zur Verfügung, die unter der Nummer 428 333 erreichbar ist. Nach einigen Minuten in der Warteschleife hat man einen stets freundlichen Mitarbeiter am Telefon, der allerdings meist nicht in der Lage ist, die geschilderte Störung zu beheben. Vielmehr erhält man eine so genannte „Ticketnummer“, unter der das genannte Problem bei Dataport behandelt wird und den rührenden Hinweis, unter Nennung der „Ticketnummer“ könne man sich jederzeit über den Bearbeitungsstand des Problems informieren. Wem das noch nicht weiter hilft, der kann sich unter Nennung der „Ticketnummer“ an seinen „IuK-Auftragsberechtigten“ wenden, der sich dann seinerseits bei dem „zuständigen Dataport Kundenberater“ beschweren kann, und dies bedeutet:

Mit der Entgegennahme der Beschwerde wird bei Dataport der Vorgang des internen Beschwerdemanagements eröffnet. Dem Problem wird nun intern nachgegangen. Dieser Beschwerdeweg ist ein anwenderfreundliches Verfahren, bedeutet es doch, dass der Anwender ohne ein `Hinterhertelefonieren´ sein gemeldetes Problem verfolgen lassen kann[3].

Was hier in feinstem Technokratendeutsch als „anwenderfreundliches Verfahren“ beschrieben wird, empfinden die von einer Störung betroffenen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft wenig erbaulich. Diese würden sich eher über eine professionelle Systembetreuung freuen, die ein Arbeiten mit der zur Verfügung gestellten IuK Technik ermöglicht.

Die so genannte „Ticketliste“ für Oktober 2006 enthält allein für den „Kunden“ Staatsanwaltschaft 573 „Ticketnummern“, d.h. 573 gemeldete Störungen. Die einzelnen Meldungen werden in Prioritätskategorien von „niedrig“ bis „dringend“ eingeordnet. Probleme mit dem Drucker werden grundsätzlich mit der Prioritätsstufe „niedrig“ bewertet. Für einen Systemadministrator mag ein nicht funktionierender Drucker in der Tat ein banales Problem sein; für einen Staatsanwalt, der Anklageschriften, Strafbefehle und Einstellungsbescheide an seinem Arbeitsplatz selbst erstellen muss, ist dagegen ein defekter Drucker ein Störfall, der ihm die Erledigung seiner Aufgaben schlicht unmöglich macht.

Natürlich gab es auch vor ESARI bei der Staatsanwaltschaft Hardware- und Softwareprobleme – wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie in den zurückliegenden Wochen. Die Mitarbeiter der vor Ort befindlichen IuK Abteilung der Staatsanwaltschaft waren aber in angemessener Zeit in der Lage, die angefallenen Störungen zu beheben. Meldete ein Staatsanwalt der IuK Abteilung beispielsweise Probleme mit seinem Drucker, erschien spätestens nach 15 Minuten ein Mitarbeiter der IuK-Abteilung im Büro des Staatsanwalts und behob den Fehler.

Fazit: Die Erfahrung der zurückliegenden Wochen hat gezeigt, dass eine externe Systembetreuung durch Dataport die durch die IuK-Technik erzielten Synergieeffekte mehr als aufzehrt. Der Kollege Hirth hat bereits 2003 zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verlagerung der EDV-Betreuung aus der Justiz rechtswidrig, ungerecht und unzweckmäßig ist[4]. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Michael Elsner


[1] IuKReport Nr. 4 - Mai 2006

[2] http://www.fhhintranet.stadt.hamburg.de/FHHintranet/OrgaIT/IuK/esari-30k/projekt/start.html

[3] IuKReport Nr. 4 - Mai 2006, Seite 8

[4] Hirth, EDV – nach den Chancen nun die Risiken, MHR 4/2003, 6; vgl. in jenem Heft auch das Protestschreiben des Richtervereins an den Justizsenator