(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/07, 14 ) < home RiV >

„Gerechte Hirtinnen“

- mit dem Tandem in die Bibel -

I.

„In jener Gegend gab es auch Hirtinnen und Hirten, die draußen lebten und  über ihre Herden wachten. Da trat ein Engel der Lebendigen zu ihnen, und der Feuerglanz der Lebendigen umhüllte sie ... Und der Engel sprach zu ihnen: ’Fürchtet euch nicht! Denn ... heute ist euch der Gesalbte der Lebendigen, der Retter geboren worden ...’ Als die Engel im Himmel verschwunden waren, sagten die Hirten und Hirtinnen zueinander: ’Kommt, gehen wir bis Bethlehem und sehen uns an, was da geschehen ist und was die Lebendige uns hat wissen lassen’“.

 

Wem die Weihnachtsgeschichte des Lukas vertraut ist, weil sie jedes Jahr am Heiligen Abend in den – durchweg nur dann! - überfüllten Kirchen gelesen, oder weil sie in Bachs Weihnachtsoratorium zu Gehör gebracht wird, reibt sich – mag er auch sonst nicht bibelfest sein - die Augen und traut seinen Ohren nicht. Aber so steht es seit Oktober d.J. 2006 in der „Bibel in gerechter Sprache“ (BigS), die nach ihrer Internet-Präsentation nicht weniger zu sein beansprucht als „das Buch der Bücher für das neue Jahrtausend“[1]. Wir finden bereits in ihrem Inhaltsverzeichnis manche Kapitel („Bücher“) neu gewandet: „Über die Zeit der Richterinnen und Richter“, „... der Königinnen und Könige“, „... der Makkabäerinnen und Makkabäer“ für das alte Testament (AT), „Über die Zeit der Apostelinnen und Apostel“ (ehedem: „Apostelgeschichte“) für das neue Testament (NT). Im Text selbst alsdann wird Gott in raschem und stetigem Wechsel einmal weiblich, einmal männlich (der Ewige/die Ewige, die Eine/der Eine, die Heilige/der Heilige, der Lebendige/die Lebendige und so fort) bezeichnet. Gleich anfangs – „im brennenden Dornbusch“ (AT 1. Mose Kpt. 3) – stellt „ER/SIE“ klar, nicht (sozusagen: nicht mehr) der „Gott der Väter“ zu sein: „Ich bin die Gottheit deiner Eltern, Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jacobs und ihrer Frauen“. Wie unser Eingangszitat zeigt, wird nach diesem Prinzip auch das NT modernisiert. Jesus lehrt nicht mehr sprechen: „Unser Vater im Himmel“ (vgl. z.B. Matth. 6, Vs. 9 ff), sondern „Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel ...“[2]; stets ist er von „Jüngerinnen und Jüngern“ umgeben; auch beim letzten Abendmahl in der Passionsnacht ist es nicht anders - die Übersetzerin stört dabei nicht, dass sie die Namen der Zwölfe zuvor gerade genannt hatte[3]. Später im Text folgen die Apostel und Apostellinnen als unverbrüchliche Tandems, Jesus führt seine Streitgespräche mit „Pharisäerinnen und Pharisäern“. Der Geist Gottes, der vor der Weltschöpfung über den Wassern der Tiefe schwebt, wird zur Geistkraft – einem Kunstwort, das später hundertfach auftritt, ob es sich im AT um das hebräische „ruach“ oder im NT um das griechische „pneuma“ handelt[4]. Der Wert dieser Kreation – und der vieler anderer – liegt offensichtlich darin, dass sie ein grammatisch maskulines Wort („Geist“) durch ein genus femininum („...kraft“) ersetzt. Das alles gilt als „Geschlechtergerechtigkeit“, der die Herausgeber und zweiundfünfzig Übersetzer (davon 41 Frauen, 11 Männer) mittels ihrer „gerechten Sprache“ zum Durchbruch verhelfen wollen[5]. Übrigens wird nicht nur die Sprache ausgelüftet; auch sonst werden überholte Vorstellungen dem Fortschritt angepasst: So heißt es in den 10 Geboten nun (statt: „Du sollst nicht ehebrechen, ... sollst nicht begehren ...“): „Verletze keine Lebenspartnerschaft ... Sei nicht auf den Partner oder die Partnerin anderer aus!“[6], und wenn der Apostel Paulus früher gegen Hurer, Ehebrecher und mancherlei Laster wetterte - etwa im 1. Korintherbrief (Kpt. 6, Vs. 9 ff. u.a.) – wird dergleichen nun gemünzt auf „alle, die mit Sexualität unverantwortlich umgehen, ... die in der Ehe oder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Recht Gottes verletzen...“[7].

 

II.

Die MHR sind nicht der Ort, dem theologischen Gehalt der Sache nachzuspüren[8], auch nicht der Frage, ob ein Übersetzer befugt ist, seine eigene vom Text abweichende Auffassung als dessen Übersetzung auszugeben. Dass ein Gerichtsdolmetscher, verführe er so, nicht lange im Geschäft bliebe, weil das Gericht nichts anderes wissen will als das, was in der Urkunde steht – dies aber möglichst genau! - oder was der Zeuge gesagt hat, liegt auf der Hand[9]. Schließlich mag die Frage auf sich beruhen, ob Sprache überhaupt gerecht oder ungerecht sein kann, ob nicht diese Prädikate lediglich einer Person, einer Gesellschaft, einer Rechts- oder Unrechtsordnung usw., also: der Sache selbst gebühren.

 

Die Weihnachtssaison ist ein Grund, der einen kurzen Exkurs in biblische Gefilde auch in den MHR rechtfertigen könnte; der andere liegt darin, dass hier ein Thema zu traktieren ist, das in den MHR mit gutem Grund schon wiederholt zur Debatte gestanden hat, freilich nicht in der heutigen, sondern anderer Beleuchtung: Tandems à la BigS und entsprechende kreative Sprachpirouetten sind schon längst das tägliche Brot auch der Juristen geworden: Das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.01.1998, dessen Entwurf die Geschlechtergerechtigkeit noch etwas weiter getrieben hatte als der Gesetzesbeschluss selbst[10], war ja nicht erst der Anfang, sondern nur die Zwischenstation einer längst eingeleiteten - und inzwischen unverdrossen weitergetriebenen - Entwicklung gewesen, die sich zwar glossieren, aber nicht aufhalten ließ[11]. Gender Mainstreaming“ heißt seit geraumer Zeit der einschlägige („denglisch“ verfremdete) Begriff, der ein kritisches Studium verdient[12], dem hier aber nicht weiter nachgegangen werden kann[13].

 

III.

Soziologisch betrachtet, ist die BigS also wohl kaum eine ursprünglich-eigene Schöpfung einer besonderen Theologie (der feministischen), sondern nur eine Anwendung: die Konkretisierung des Gender-Mainstreaming, genauer dessen (oder deren?) Übertragung auf einen davon bislang vernachlässigten (oder noch verschonten) Gegenstand: die Bibel[14]. Deshalb wird jedem, der das umfassende Genre in einem beliebigen speziellen Sachbereich kennengelernt hat – im juristischen Schrifttum etwa - all’ dies überaus bekannt vorkommen – déjà-vu! Und deshalb erscheint die Theologie, mit der die BigS sich in Einführung, Anmerkungen, Glossarium usw. umgibt, als zweitrangig: nicht als wirklicher Grund, sondern als nachgeschobene Begründung.

 

Hinter all’ diesem hier steht kein „Amen“: das gehört in die Kirche, nicht in diese Mitteilungen. Über die BigS wird, wie angemerkt, heftig gestritten, seitdem sie vor Jahresfrist auf dem Markt erschien. Auch diese Glosse beansprucht nicht, „objektiv“, „richtig“ – oder ganz „gerecht“ - zu sein. Aber Streit belebt schließlich das Geschäft, auch das der MHR!

 

Günter Bertram

 


[1] Bibel in gerechter Sprache, Gütersloher Verlagshaus, 3. Auflage 2007, 2400 Seiten, vgl. dort S. 1929 die oben zit. Übersetzung von Lukas Kapt. 2, Vs. 8 ff.

[2] BigS, S. 1844

 

[3] vgl. etwa Lk. 22, BigS, S. 1974 f.

[4] vgl. etwa Mose 1, Vs. 2: BigS, S. 31; oder Joh. 3, Vs. 6: BigS, S. 1987

[5] BigS, S. 9 ff, 22 ff. und passim

[6] 5. Mose Kpt. 5, Vs. 18 und 21: BigS, S. 318

 

[7] vgl. BigS, S. 2114, auch S. 2115, 2121

 

[8] Man braucht das Stichwort „BigS“ nur bei google einzugeben, um die Texte theologischer Befürworter und Gegner zu finden. Die Nordelbische Kirche zeigt mehr, EKD und Lutheraner weniger Einverständnis. Ausführliche Kritik enthält das Theologische Gutachten zur BigS von Altbischof Ulrich Wilckens; vgl. auch Ingolf U. Dalferth (Univ. Zürich) in NZZ v. 18.11.2006: „Der Ewige und die Ewige – Die BigS: weder richtig noch gerecht, sondern konfus“; Robert Leicht : „Kein Wort sie wollen lassen stahn“, ZEIT v. 06.04.2006; Hermann Lichtenberger (Prof. für NT und antikes Judentum, Univ. Tübingen): Theologisch und sprachlich ein Skandal – Weil Gott nicht männlich sein darf, kommt sie jetzt weiblich daher, Südwest Presse Tübingen vom 09.11.2006. Interessenten sei empfohlen, vorweg allgemeine Information über „Feministische Theologie“ einzuholen, die sich z.B. bei Wikipedia abrufen lassen.

[9] Ob die BigS überhaupt beansprucht, sprachlich korrekt übersetzt worden zu sein, belassen die Herausgeber etwas schwebend im einerseits-andererseits. Sie zitieren – zustimmend, als eigene Maxime – aus dem jüdischen Talmud „Wer (einem Schriftvers) ... etwas hinzufügt, ist ein Lästerer“ (BigS, S. 11). Und doch sind es gerade bestimmte Zutaten, die das Markenzeichen der BigS ausmachen!

[10] vgl. dazu etwa Tröndles Bemerkungen in der letzten (49., 1999) von ihm selbst bearbeiteten Auflage des Tröndle/Fischer, StGB, Einl. Rz 11: „... Über die kardinalen Mängel kann ein legislatorischer Aktionismus nicht hinwegtäuschen, der modischen Trends entgegenzukommen sucht, aber in der Sache für berechtigte Anliegen der Gleichberechtigung der Geschlechter nichts auszurichten vermag (vgl. Nelles Einf. / 6. StrRG 16)“.

 

[11] vgl. Schmidt-Syassen: „Frauen im Recht“, MHR 2/2004, 14 ff, insb. Ziff. III, dort Fn. 11 f.; Bertram: „Gesetzgebers neue Kleider“, MHR 4/1990, S. 8 mit Zitaten aus dem „Bericht der Arbeitsgruppe Rechtssprache“ v. 17.01.1990, der den Unterschied von „Genus“ und „Sexus“ zunächst klar herausstellt, allerdings das Fazit dann - unter wer weiß welchem Druck - wieder verwässert. ders., MHR 4/1990, S. 7 : „Der/die Stadtpräsident/in von Schwerin“; ders., MHR 3/2004, S. 11: „Weibliche Erbfolge“ - zur n.F. des AuslG, mit illustrierenden Hinweisen u.a. auf das Schleswig-Holstein’sche Waldgesetz vom 01.09.1994; ders. schon DRiZ 1985, 495: „ungenießbar“.

[12] Der Begriff ist kaum definierbar, gleichwohl oder gerade deshalb eine Quelle endloser Erklärungen, Programme, Anweisungen, Geschäftsordnungen, sogar der letzten Koalitionsvereinbarung. Auf allen, zumal auch europäischen „Ebenen“ ist er zur sog. „Querschnittsaufgabe“ avanciert, wie sich durch seine Eingabe bei google leicht feststellen lässt. Natürlich haben die europäischen Richtlinien, die dem deutschen AGG zugrunde liegen (vgl. etwa Bertram, MHR 2/2005, 34: „Zuständigkeitsanmaßungen der EU“, ders., MHR 3/2006, S. 25: „Das Allgemeine Gleichheitsgesetz“), aus der gleichen Quelle geschlürft!

 

[13] Der FAZ-Redakteur Volker Zastrow ist diesen in zwei FAZ-Aufsätzen nachgegangen, die er im Manuscriptum-Verlag, Leipzig 2006, unter dem Titel „GENDER – politische Geschlechtsumwandlungwieder herausgebracht hat.

 

[14] „Bibel“ = AT und NT. Aber zunächst hatte der feministische Angriff das (hebräische=jüdische) AT getroffen, das den Feministinnen als Proklamation und Überhöhung einer männlich-patriarchalischen Herrschaftsordnung galt, während der Jesus des NT, „der erste neue (d.h. wirklich frauenfreundliche) Mann“ (Franz Alt, 1989) sich davon abhob und den Christen einen natürlichen Vorrang vor dem Judentum verschaffte. Dies aber – die krasse Abwertung der jüdischen Bibel und Religion zugunsten des NT - trug der feministischen Theologie den Vorwurf des Anti-Judaismus ein, der ja schnell in das Verdikt „antisemitisch!“ übergeht. Wohl deshalb reklamieren die Schöpfer der BigS ausdrücklich als ihr Motiv und ihren Gerechtigkeitsmaßstab auch die Förderung des christlich-jüdischen Dialogs, als gleichgewichtig mit der feministischen Gerechtigkeit (vgl. BigS, z.B. S. 5, 9, 26; zur ursprünglichen Konfrontation mit dem Judentum vgl. Marianne Grohmann (Univ. Wien): „Feministische Theologie und jüdisch-christlicher Dialog“). Dieser Nachbesserungsversuch musste freilich misslingen, ist missglückt und hat allerlei Fragwürdigkeiten produziert. Aber das wäre ein besonderes Thema.