(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/08, 5 ) < home RiV >
Das Thema „Selbstverwaltung“ bleibt heiß. Nachdem Michael Bertram über die Veranstaltung des Richtervereins mit dem damals frisch ernannten Justizsenator Till Steffen vom 10.06.08 berichtet hatte (MHR 3/2008, 9), schrieb der Senator über die Selbstverwaltung in der ZRP 2008, 208 (Auszüge auf unserer Homepage). Nächster Akt war eine Veranstaltung der Gesellschaft Hamburger Juristen vom 29.10.08 mit dem Senator, zu der Matthias Tiemann die nachstehende Berichterstattung übernommen hat.
Last und hoffentlich not least hielt der Senator einen Vortrag auf einer Tagung in Frankfurt am 07./08.11.08, die zum Thema „Zur richterlichen Unabhängigkeit in Europa – Modelle von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung“ veranstaltet wurde. Dabei referierte unser Senator zur „Autonomie für die Dritte Gewalt – Erwartungen aus der Politik“. Jutta Limbach war eine der weiteren Referenten, zu denen insbesondere auch hochkarätige ausländische Experten gehörten. Zu jener Veranstaltung gab der DRB zusammen mit anderen Organisationen eine gemeinsame Presseerklärung vom 12.11.08 heraus.
Doch lesen Sie nun den Bericht über die Hamburger Veranstaltung vom 29.10.08.
(Red.)
Selbstverwaltung
- ein weiterer Veranstaltungsbericht -
„Wer profitiert von der Selbstverwaltung der Justiz?“ – das war das Thema eines Vortrags, den Justizsenator Dr. Till Steffen auf einer Veranstaltung am 29.10.08 gehalten hat, zu dem die Gesellschaft Hamburger Juristen gemeinsam mit dem Kommunikationsverein Hamburger Juristen in den Plenarsaal des Oberlandesgerichts eingeladen hatte.
Der Vortrag
Steffen führte zunächst in das Thema ein, in dem er kurz sowohl das Zwei-Säulen-Modell des Deutschen Richterbundes skizzierte als auch die Vorstellungen der Neuen Richtervereinigung. Er stellte fest, dass die Debatte um die Selbstverwaltung der Justiz nicht mehr nur innerhalb der richterlichen Berufsverbände und der Wissenschaft geführt werde, sondern weitere, umfassendere Bereiche erfasst habe: die öffentliche Auseinandersetzung und vor allem die Politik. In Hamburg habe die schwarz-grüne Landesregierung die Forderung nach einem „ergebnisoffenen Diskussionsprozess“ zur Einführung der Selbstverwaltung der Justiz nunmehr erstmals auf die politische Agenda eines Bundeslandes gesetzt. Der schleswig-holsteinische Justizminister habe in öffentlichen Erklärungen gar seine eigene Abschaffung für eine denkbare Folge der Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz für möglich gehalten.
Sodann stellte Steffen die Kernfragen seines Themas – was treibt die Politik um, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen? Was erwartet sie von einer Stärkung der Autonomie der Justiz? Wer profitiert von ihrer Einführung – und formulierte vier Erwartungen an eine Selbstverwaltung der Justiz.
Erwartung 1: Qualität und Unabhängigkeit des gerichtlichen Personals profitieren
Für die Auswahl des Richterpersonals sei entscheidend zum einen die Qualifikation der Richter und zum anderen die demokratische Legitimation der Auswahl – letzteres insbesondere deswegen, weil das Richteramt auf Lebenszeit verliehen werde und in der Ausübung weisungsfrei sei. Zur Verwirklichung dieser Ziele bedürfe es keiner Einflussnahme der Exekutive, ihr Machterhaltungsanspruch sei vielmehr zurückzudrängen.
Erforderlich sei ein Richterwahlgremium, das demokratisch legitimiert und pluralistisch zusammengesetzt ist, damit einerseits Auswahlentscheidungen getroffen werden können, die die Qualität der Rechtsprechung gewährleisten und andererseits die Unabhängigkeit der Rechtsprechung krisenfest gemacht wird.
Ob ein solches Wahlgremium letztlich mehr Ähnlichkeit mit dem vom Deutschen Richterbund vorgeschlagenen Justizverwaltungsrat hat oder sich eher an die heute bereits existierenden Richterwahlausschüsse anlehnt, sei aus Sicht des Justizsenators nicht die entscheidende Frage und wurde von ihm offen gelassen.
Erwartung 2: Die Bürger profitieren von einer weiteren Steigerung der Effizienz der Dritten Gewalt
Davon ausgehend, dass die Gerichte in Deutschland heute unter einem erheblichen Spardruck stehen, ging Steffen in seiner weiteren Betrachtung davon aus, dass zusätzliche Effizienzsteigerungen anzustreben seien, die sich besser verwirklichen ließen, wenn sie aus dem Bereich der Justiz selbst entwickelt werden als aus dem Bereich der Exekutive.
Erstens könne eine selbstverwaltete Justiz zielgenauer zwischen dem Bereich der unabhängigen Rechtsprechung einerseits und der dem Effizienzgedanken zugänglichen Verwaltungstätigkeit der Gerichte andererseits unterscheiden. Zweitens könne sie darauf bauen, dass die Gerichte den verantwortungsvollen Umgang mit den finanziellen Ressourcen als eigene Angelegenheit ansehen und nicht als externe, aufgezwungene Vorgabe einer Landesregierung – insbesondere wenn die Effizienzgewinne der Justiz zur eigenen Verwendung belassen würden.
Zur Illustration dieses Gedankens bildete Steffen ein Beispiel: Bei der Vergabe von Gutachtenaufträgen durch Gerichte dürfte diesen eine Präferenz „preisgünstiger“ Sachverständiger – wegen der richterlichen Unabhängigkeit – nicht vorgeschrieben werden. Möglich sei jedoch eine Übereinkunft unter den Richtern, bei einfach gelagerten Sachverhalten in PKH-Fällen durch die Beauftragung günstiger Gutachter Kosten zu sparen und mit der Ersparnis etwa eine Richterfortbildung zu finanzieren.
Steffen führte aus, dass er eine Selbstverwaltung auch der Staatsanwaltschaften für möglich und erstrebenswert halte, wobei allerdings die in dem diesem Bereich bestehende direkte demokratische Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament nicht verloren gehen dürfe.
Erwartung 3: Das Gewicht der Stimme der Dritten Gewalt profitiert von einer Teilnahme am Haushaltsverfahren
Der Justizsenators äußerte die Ansicht, dass die richterliche Tätigkeit – entgegen einer ihm gegenüber von Richtern häufig geäußerten Einschätzung – im politischen Raum von Exekutive und Legislative ein immens hohes Ansehen genieße. Er ist daher zuversichtlich, dass es der Justiz kraft dieser Wertschätzung gelingen werde, sich bei der Verteilung der Haushaltsmittel durchzusetzen - zumal eine Justiz, die den Zusammenhang zwischen den ihr übertragenen Aufgaben und den ihr zugewiesenen Mitteln deutlich herausstellt, in der öffentlichen Debatte authentischer und damit wirkungsvoller sei als ein Justizminister.
Zwar sei – als zwangsläufige Folge ihres gestiegenen Gewichts in der öffentlichen Auseinandersetzung – auch mit einer stärkeren öffentlichen Kritik an der Justiz zu rechnen, der die Justiz jedoch bewusst und selbstbewusst begegnen werde.
Erwartung 4: Die rechtspolitische Debatte in und außerhalb der Justiz profitiert von der Belebung durch die Einführung einer Autonomie der Dritten Gewalt
Für seine letzte Erwartung schickte Steffen voraus, dass er es für wünschenswert halte, dass einerseits außerhalb der Justiz ein Diskurs über die Rolle der Gerichte geführt werde, dass andererseits die Richterschaft sich an der rechtspolitischen Debatte intensiver als bisher beteiligte und zwar über den eher internen Bereich rein fachlicher Veranstaltungen und Zeitschriften hinaus.
Das Thema „Selbstverwaltung der Justiz“ und der Prozess der Umsetzung sei besonders dazu angetan, sowohl die gesellschaftliche Wahrnehmung der dritten Gewalt zu befördern als auch die Richterschaft selbst zu einer stärken Teilnahme an der öffentlichen Diskussion von Rechtspolitik hinzuführen.
Steffen betonte jedoch, dass sich eine stärkere Autonomie der Justiz nur durchsetzen könne, wenn sie in der Vorstellung der Menschen positiv verankert werde, wofür sie notwendigerweise zunächst in der Breite der Richterschaft ankommen müsse. Nur wenn sich die Richter für das Thema begeistern können und es beherzt vertreten, gebe es eine realistische Chance auf eine Einführung der Selbstverwaltung der Justiz.
Sodann folgten Fragen an den Vortragenden und Diskussion. Um es vorweg zu nehmen: Die Begeisterung, die der Justizsenator angesprochen hatte und die er selbst auch ausstrahlte, war im Auditorium noch nicht zu verspüren, eher eine gewisse Rat- und Mutlosigkeit.
Da zunächst Fragen oder Meinungsäußerungen aus dem Publikum ausblieben, war es an Thorsten Schmidt, der die Moderation übernommen hatte, die Diskussion zu eröffnen und er griff dazu den von Steffen gebildeten Fall einer Effizienzsteigerung durch Selbstverwaltung („Gutachtermehrkosten zu Fortbildung“) auf. Den Meinungsäußerungen hierzu war gemeinsam, dass verfahrensrechtliche Gerichtsentscheidungen unbeeinflusst bleiben müssen von finanziellen Zwängen oder Bedürfnissen der Justizverwaltung, und dass eine solche Verknüpfung rechtliche problematisch sei.
Sicherlich hätte sich ein besseres Beispiel bilden lassen, um die Vorzüge der richterlichen Selbstverwaltung herauszustellen – es sei denn, der Justizsenator wollte ein Beleg für seine These gegeben, dass die Judikative besser in der Lage ist als die Exekutive, zwischen dem Bereich der unabhängigen Rechtsprechung und der dem Effizienzgedanken zugänglichen Verwaltungstätigkeit der Gerichte zu unterscheiden.
Einen Schwerpunkt der weiteren, insgesamt sehr verhalten und mit wenigen Beiträgen geführten Diskussion bildeten die Beiträge der Präsidentin des Hanseatischen OLG Andreß und des Präsidenten des OVG Gestefeld. Beide traten der dritten Erwartung entgegen und äußerten die Befürchtung, die selbständige Justiz werde nicht in der Lage sein, die erforderlichen Justizmittel einzuwerben. Ein hierfür zuständiger Senator habe den Vorteil, dem Kabinett anzugehören; zudem trage er auch eine politische Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der Justiz und müsse sich grundsätzlich zur Wiederwahl stellen. Die Justiz selbst habe keine wirkungsvollen Möglichkeiten, ihre Forderungen mit Nachdruck geltend zu machen, zumal der Justizgewährungsanspruch nicht disponibel sei, sondern durch die Richterschaft in jedem Fall erfüllt werden müsse.
Steffen betonte daraufhin nochmals, dass auch ein Justizsenator letztlich über keinerlei Druckmittel verfüge und aus seinen Ausführungen wurde deutlich, dass er der Justiz deutlich mehr zutraut als die Diskussionsteilnehmer.
Auf die Anregung aus dem Publikum, für eine Stärkung der Budgetverantwortung der Gerichte als Schritt in die Selbstverwaltung der Justiz müsse nicht die Durchführung des gesamten Diskussionsprozess abgewartet werden, sondern könne bereits vorab auf noch nicht umgesetzte Ergebnisse des Reformprozesses „Justiz 2000“ zurückgegriffen werden, kündigte der Justizsenator eine entsprechende Überprüfung an.
Zu erwähnen ist schließlich noch, dass der Senator den Hinweis aus dem Auditorium, mit der im Vortrag angesprochenen Hochschätzung der richterlichen Tätigkeit durch die Politik sei es tatsächlich nicht sehr weit her, wie die seit vielen Jahren bestehenden und sich kumulierenden Defizite in der Anpassung der richterlichen Besoldung zeigten, mit freundlichen Bemerkungen eher allgemeiner Natur quittierte.
Wie geht es weiter mit der „Selbstverwaltung der Justiz“?
Auf diese Frage hat mir der Verlauf der Veranstaltung keine konkreten Antworten geliefert. Doch trotz der zu spürenden weit verbreiteten Skepsis und Furcht im Kollegenkreis bin ich positiv gespannt und in meiner Erwartung bestärkt worden, dass sich Wesentliches ändern wird. Denn die Probleme einer selbstverwalteten Justiz liegen mit Sicherheit nicht im Grundsätzlichen; vielmehr verlangt der Grundsatz der Gewaltenteilung geradezu danach, die Abhängigkeit der dritten Gewalt von der zweiten Gewalt wesentlich zu reduzieren.
Probleme in der konkreten Ausgestaltung der Selbstverwaltung werden jedoch gelöst werden können – und müssen. Selbst wenn die Skeptiker sich durchsetzen würden, würde es doch nicht beim Alten bleiben. Denn es ist davon auszugehen, dass der Richterschaft zukünftig bei jeder Forderung, die sie ernsthaft und nachdrücklich in eigener Sache gegenüber der Exekutive erhebt, entgegen gehalten werden würde: Ihr hättet es doch selbst in die Hand nehmen können, die Mittel einzuwerben und Verantwortung für den Zustand der Justiz zu übernehmen – und habt es nicht gewollt. Also seid zufrieden mit dem, was wir euch geben.
Nach meiner festen Überzeugung wird es schon aus diesem Grund kein Zurück mehr geben können. Die gesamte Richterschaft, einschließlich der skeptischen und der kritischen Stimmen, sollte die Chance nutzen, den ohnehin bereits in Gang gekommenen Prozess mitzugestalten und eine starke Position der dritten Gewalt durchzusetzen (wozu kurz vor Redaktionsschluss auch der scheidende Landgerichtspräsident Öhlrich in seiner Abschiedsrede eindringlich aufgefordert hat).
Matthias Tiemann