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Vom 18.10. bis 02.11.08 reiste eine Gruppe von Juristen aus der Bundesrepublik nach Taiwan und Vietnam.

 

Reise nach Taiwan

Organisation und Reiseleitung lagen zum einen (betr. Taiwan) bei dem erfahrenen Reiseplaner Jan Grotheer, Präsident des Finanzgerichts Hamburg, in diesem Falle aber höchst engagiert als Vorsitzender der Deutsch-Taiwanesischen Juristenvereinigung, zum anderen (betr. Vietnam) in den Händen von Gerhard Schaberg, unseres Vereinsvorsitzenden, der auf Grund enger familiärer Beziehungen zu diesem Land für die Planung geradezu prädestiniert war.

Reisen nach Taiwan zur Pflege von Kontakten mit Vertretern der Justiz und Besuche taiwanesischer Richter haben in Hamburg eine lange Tradition. Sie begann 1989 mit einem Freundschaftsvertrag zwischen dem Landgericht Hamburg und dem Landgericht (District Court) Taipei, abgeschlossen auf Grund einer Initiative des damaligen Präsidenten des Landgerichts Hamburg und jahrzehntelagen Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins Roland Makowka. Seiner einzigartigen Begabung, Kontakte zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Nationalität herzustellen, hat in vielen internationalen Austauschprogrammen für Hamburger Richter und Staatsanwälte Früchte getragen, ganz besonders gilt dies aber für die Beziehungen zu Taiwan. Aus Anlass des 2. Todestages von Roland Makowka am 5.12. sei seiner an dieser Stelle besonders gedacht.

 

Am 18.10.08 trafen sich insgesamt 18 muntere und leicht aufgeregte Reiseteilnehmer (12 Mitglieder aus den verschiedenen Bereichen der Hamburger Gerichtsbarkeit und eine Kollegin aus der Staatsanwaltschaft Hamburg, 5 Teilnehmer aus anderen Bundesländern – NRW, Bayern – darunter auch 2 Rechtsanwälte) auf dem Frankfurter Flughafen, um von dort den ca. 13stündigen Flug nach Taipei, der Hauptstadt Taiwans, anzutreten. Irgendwie überstanden wir alle die vielen Stunden in den engen Sitzen und landeten pünktlich am Sonntag, dem 19.10., um 6.25 Uhr auf dem Internationalen Flughafen von Taipei.

Die Begrüßung wurde zu einem ersten eindrucksvollen Erlebnis: Trotz der frühen Morgenstunde an einem Sonntag war eine hochrangige Delegation von Richtern und Beamten aus dem Justizministerium erschienen und sorgte für eine schnelle und unkomplizierte Erledigung der Einreiseformalitäten. Derartigen Zeichen aufrichtiger, ja herzlicher Gastfreundschaft, die wir natürlich ganz besonders auch den langjährigen persönlichen Kontakten von Jan Grotheer nach Taiwan zu verdanken hatten, begegneten uns auf der einwöchigen Reise durch Taiwan auf Schritt und Tritt.

Die besondere Wertschätzung unseres Besuches fand sichtbaren Ausdruck in der Tatsache, dass wir auf der gesamten Reise von einem Vorsitzenden Richter des High Court Taipei (und einem weiteren Mitarbeiter) begleitet wurden, der sich nicht nur bis ins kleinste Detail um einen reibungslosen Ablauf des Programms kümmerte. Er übersetzte auch bei den vielen offiziellen Veranstaltungen mit niemals ermüdendem Temperament und stellte sich selbstlos allen Mitgliedern der Reisegruppe als Ratgeber für individuelle Besichtigungswünsche und Einkaufsmöglichkeiten zur Verfügung. Herr Wen war für etliche Reiseteilnehmer ein „alter“ Freund, denn er hatte bereits an den ersten Begegnungen zwischen Richtern der Landgerichte Taipei und Hamburg teilgenommen.

Im trüben Dezemberlicht eines Hamburger Schmuddelwettertages fällt es schwer, die ersten Eindrücke nach dem Verlassen des Flughafengebäudes in Taipei zu vermitteln: Schon zu dieser frühen Tageszeit empfing uns gleißendes Sonnenlicht bei ca. 30° C. Wir fühlten uns wie verzaubert, als wir mit dem komfortablen Bus, der uns während des gesamten Aufenthalts in Taiwan beförderte, durch die subtropische Landschaft in das Zentrum der Hauptstadt fuhren.

 

Als erster Programmpunkt stand an diesem Sonntag eine Besichtigung des berühmten Palastmuseums auf unserem Reiseverlaufsplan („The brief schedule for the honorable guests from Germany“), den wir gleich zu Beginn ausgehändigt bekamen und der uns auf ein dicht gedrängtes Programm vorbereitete. Da das Museum aber erst um 10 Uhr seine Tore öffnete, nutzten wir die Zeit zu einer kleinen Stadtrundfahrt, die (selbstverständlich) eine Besichtigung der Chiang Kai-shek-Gedächtnishalle einschloss. Wir sahen ein imposantes strahlend weißes Bauwerk mit blau glasierten Dachziegeln und großen Freitreppen, die den Blick auf die Statue des Staatsmannes freigaben. Diese Halle liegt in einer wunderbaren, gut gepflegten chinesischen Parkanlage, in der man Taiwanesen beiderlei Geschlechts bei ihren dort überall zu beobachtenden Freiluftübungen zuschauen konnte.

Nach einer Führung durch ausgewählte Abteilungen des eindrucksvoll ausgestatteten Palastmuseums, das in der Tat in einem riesigen palastartigen Komplex chinesischer Bauart untergebracht ist, machten wir auf Einladung des Direktors erste Erfahrungen mit der chinesischen Küche und übten den Einsatz von Stäbchen.

 

Schon an diesem ersten Abend gab es eine Einladung des Präsidenten vom District Court Taipei zu einem formellen chinesischen Menu, wie wir es in den folgenden Tagen mit leichten Variationen in der Speisenfolge kennenlernen sollten: jeweils etwa 10 Gänge in einem Wechsel von Gemüse, Fleisch- und Fischgerichten sowie Suppen, kein Reis als Beilage, sondern nur in Form von besonders kunstvoll in Palmblättern gehüllten Reiskompositionen mit Fisch, Fleisch oder Gemüse. So lernten alle sehr schnell, ob begabt oder weniger talentiert, den Umgang mit den Stäbchen. Für uns waren nicht nur manche Speisen ungewohnt, sondern auch der Ablauf: Reden der Gastgeber und Erwiderungen seitens der Gäste durch die offiziellen Leiter der Gruppe sowie Trinksprüche sind notwendiger Bestandteil solcher Einladungen, die Veranstaltung endet aber ziemlich abrupt in dem Augenblick, in dem am Tisch der hochrangigen Persönlichkeiten der letzte Gang serviert wurde - der Gastgeber verabschiedet die Gäste mit Händedruck an der Tür des Speiseraumes.

Die Woche in Taiwan sah ein dicht geplantes Programm von Gerichtsbesuchen, Gespräche über den Aufbau und die Funktionsweise der Justiz unter Einbeziehung der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor; es gab Power Point-Demonstrationen und Kurzvorträge, entweder in englischer Sprache oder übersetzt von Herrn Wen, sowie Gelegenheit zu Fragen und Diskussionen.

Wir besuchten in den nächsten drei Tagen in Taipei den „Judicial Yuan“, das für die Selbstverwaltung der Justiz zuständige Gremium, den High Court, das Justizministerium sowie den District Court von Taipei und Shilin.

Beim „Judicial Yuan“ fand ein von den Richtern der verschiedenen Gerichte gut besuchtes Symposium statt: Jan Grotheer hielt einen Vortrag zu Problemen der richterlichen Ethik („Die richterliche Ethik in Deutschland“), und Gerhard Schaberg referierte zum Thema „Ehrenamtliche Richter im deutschen Gerichtswesen“. Es war erstaunlich festzustellen, wie eingehend sich die taiwanesischen Zuhörer mit den Themen befasst hatten, denn die anschließenden Fragen bewiesen Kenntnisse der einschlägigen deutschen Gesetze einschließlich des Grundgesetzes.

 

Schon bei der ersten Besichtigung eines Sitzungssaales im High Court (Strafrecht) beeindruckte die räumliche und technische Ausstattung der Justiz: es gab einseitig durch­sichtige Schutzvorrichtungen (Glasscheiben) zur verdeckten Vernehmung von Zeugen, modernste PC-Technik, auch einen im Tisch versenkten Bildschirm für Zeugen, auf denen für die Zeugen im Rahmen der Vernehmung bedeutsame Dokumente sichtbar gemacht werden können.

Dieses eindrucksvolle Niveau der Ausstattung konnten wir bei allen von uns besuchten Gerichten feststellen. Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit erregten aber das ebenfalls in jedem von uns besuchten Gericht jeweils eingerichtete Service Center. Der Bürger hat die Möglichkeit, sich dort Rat und Hilfe zu holen, sich erforderliche Formulare zu beschaffen und sich bei der Abfassung von Schriftstücken für Rechtsstreitigkeiten oder dem Ausfüllen der Formulare helfen zu lassen. Bemerkenswert und höchst eindrucksvoll! Regelmäßig verließen wir die Gerichtsgebäude mit der Bemerkung: So hätten wir es auch gern! Dies gilt vielleicht nicht unbedingt für eine Karaoke-Einrichtung, die wir bei einem Gerichtsbesuch in dem sog. Vergnügungsraum vorgeführt bekamen. Immerhin entdeckten wir bisher versteckte Begabungen unter unseren Mitreisenden!!

 

Einige Zahlen zum District Court Taipei: Zu bearbeiten waren 2007 427.943 Fälle (13,76 % der Fälle aus Taiwan) mit 166 Richtern (9,76 % der Richter Taiwans) bei insgesamt 1.175 Mitarbeitern.

Über zu hohe Belastung klagten auch die taiwanesischen Kollegen, und weil es zu viele Fälle für die Richter gibt, wird ein Bedarf nach Änderungen im System gesehen. Zum einen wird das Amt eines Rechtspflegers eingeführt, zum anderen hat jeder Richter einen Richterassistenten bekommen! Zur Überbrückung von Personalmangel wird eine Zusammenarbeit mit den Universitäten gesucht, um den Studenten Praktikumsangebote und Arbeitsangebote für die Semesterferien zu machen.

Seit August 2008 gibt es im District Court Taipei zur Beschleunigung der Prozesse und zur Verbesserung der Qualität ein Prozesskontrollsystem, dessen Einzelheiten wir jedoch angesichts der Kürze der Besichtigungszeit nicht in Erfahrung bringen konnten. Jeden Freitagnachmittag findet ein Treffen der Richter statt, wo sich jeder Rat holen kann.

Und Kultur und Justiz in Taipei! Es gibt Kulturangebote wie Konzerte und Kunstveranstaltungen, aber auch eine Einladung zu einer Modenschau, um die passende Kleidung im Gericht vorzuführen. Alles dient der Verbesserung der Arbeitsatmosphäre!

 

Bei unserem Besuch im Justizministerium erfuhren wir Einzelheiten über Aufbau und Tätigkeit der Staatsanwaltschaft.

Der Minister hob in seiner Begrüßungsrede den guten Einfluss des deutschen Rechts sowie die Vorbildfunktion der deutschen Gesetzgebung hervor und betonte die Bedeutung der Deutsch-Taiwanesischen Juristenvereinigung im gemeinsamen Gedankenaustausch.

Der Generalstaatsanwalt wird für 4 Jahre gewählt und ist unabhängig von der Politik, ist nicht absetzbar. In den anderen Stufen werden die Staatsanwälte für 6 Jahre gewählt, wobei es nach 4 Jahren eine Diskussion über die erbrachten Leistungen im Hinblick auf eine eventuelle Verlängerung gibt. Jeder Staatsanwalt hat ca. 2700 Fälle pro Jahr zu bearbeiten, darunter viele Drogenfälle.

 

Auch hier hätten wir gern mehr Zeit für weitere Fragen zur Verfügung gehabt, aber das Programm sah an diesem letzten Tag in Taipei noch den Besuch des etwas außerhalb gelegenen District Court in Shilin vor. Auch hier war unser Besuch offensichtlich genau vorbereitet worden. Wie von uns bereits als üblich empfunden, wurden wir vor dem Gebäude vom Präsidenten bzw. Vizepräsidenten und seinen unmittelbaren Mitarbeitern begrüßt. Es gab einen genauen Sitzplan und einen Bericht über die Arbeit des Gerichts.

Das Gericht hat 63 Richter, von denen 25 in Straf-, 20 in Zivil- und 7 in Jugend- bzw. Familiensachen tätig sind, 3 bearbeiten Zwangsvollstreckungssachen. Wir erhielten die Auskunft, dass jeder Zivilrichter etwa 20 Sachen pro Monat verhandelt, jeder Strafrichter etwa 30, wobei es in rechtlich eindeutigen Fällen nicht zu einer mündlichen Verhandlung kommt. Übrigens ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte beim District Court nicht vorgeschrieben.

In Familiensachen findet vor jeder Verhandlung eine Mediation statt, und zwar wird durch zwei Mediatoren ohne Beteiligung des Gerichts versucht, eine Lösung zu finden. Als Mediatoren werden oft Psychologen oder Erziehungsberater gewählt, die zuvor von einem Auswahlausschuss in eine Liste aufgenommen worden sein müssen.

Auch dieser Gerichtsbesuch endete mit einer Einladung zum Essen: Wir wurden auf das Köstlichste im Grand Hotel Taipei mit einem Buffett-Lunch bewirtet.

Am 23.10. ging es dann auf eine lange Fahrt über die Insel. Der geneigte Leser mag einen Atlas zu Hilfe nehmen.

 

Wir besuchten in Taichung (einer Stadt an der Westküste mit ca. 1,1 Mio Einwohner) den District Court. Auch dort gab es einen Begrüßungsempfang vor dem Gebäude und anschließend bei einer Bewirtung im Vortragsraum einen Vortrag in englischer Sprache über das Rechtswesen allgemein und über das Gericht im Besonderen.

Auch hier seien für Interessierte einige Zahlen wiedergegeben: Das Gericht ist für 2,5 Mio Einwohner zuständig, mit 130 Richtern und 916 Mitarbeitern besetzt. 2007 waren 28.517 Eingänge in Strafsachen und 29.735 Eingänge in Zivilsachen zu verzeichnen.

Die Gastgeber ließen es sich nicht nehmen, uns auch die landschaftlichen Schönheiten ihres Landes zu zeigen, und so machten wir einen Abstecher in das beliebte wunderschöne Ausflugsgebiet im Mittelteil der Insel, zum Sonne-Mond-See.

 

Bei der anschließenden Fahrt zum District Court in Tainan (historisch bedeutsame Stadt mit ca. 800.000 Einwohnern) überquerten wir den Wendekreis des Krebses und gelangten in subtropische Vegetation.

Bei der Ankunft vor dem Gerichtsgebäude verschlug es uns die Sprache: Wir standen vor einem riesigen, architektonisch gut gestalteten Gebäude, das sowohl in der äußeren Anlage als auch in der inneren Ausgestaltung keine Wünsche offen ließ: ein eindrucksvolles Service Center im Eingangsbereich, eine kleine Markthalle zum Einkaufen von Dingen des täglichen Bedarfs im Souterrain, gute plastische Kunst und selbstverständlich hervorragend ausgestattete Sitzungssäle und Arbeitszimmer. Dem Präsidenten stand nicht nur ein sehr geräumiges Arbeitszimmer mit anschließendem Konferenzraum zur Verfügung, sondern auch ein Schlafzimmer! Es gab eine große Versammlungshalle mit allen technischen Raffinessen und - wir trauten unseren Augen nicht - eine veritable Sporthalle, in der nichts fehlte, sogar Billiardtische waren aufgestellt.

Dieses Gericht ist mit 90 Richtern und 600 Mitarbeitern für 1,8 Mio. Einwohner zuständig!!

Bei der anschließenden eindrucksvollen Stadtbesichtigung fanden wir nur mühsam unsere Fassung wieder.

Am 25.10. (Samstag) ging es wieder gen Norden, aber die Abreise in Tainan fand nicht ohne persönliche Verabschiedung durch den Gerichtspräsidenten und seine Mitarbeiter in unserem Hotel statt! In Taoyan begrüßte uns der Bürgermeister, bei dem wir mittags zu einem Gespräch mit anschließendem Essen angemeldet waren, an der Stadtgrenze! Wir fühlten uns wirklich behandelt wie Staatsbesucher.

 

Inga Schmidt-Syaßen