(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/08, 28 ) < home RiV >
Reise nach Vietnam
Am 26.10. flogen wir von Taipei nach Hanoi/Vietnam, natürlich begleitet von der Fürsorge des Herrn Wen. Wir nahmen sehr herzlichen Abschied und verließen Taiwan in dem Gefühl, viele gute Freunde zurückzulassen.
Auch nachdem nunmehr die Reiseleitung auf Gerhard Schaberg übergegangen war, funktionierte alles wie gewohnt reibungslos. Wir erlebten mit der recht kurzen Fahrt vom Flughafen zum Hotel erste Eindrücke von der Felderbewirtschaftung, sahen Wasserbüffel und neben baufälligen Baracken zur Straße hin äußerst schmale Häuser im Kolonialstil.
Das Hotel in Hanoi übertraf alle Erwartungen: ein wunderbar in einen See gebauter Hotelkomplex mit ausgefeiltem Design in allen Räumen. Aber auch hier blieb nicht viel Zeit zum Ausspannen, denn am Nachmittag gab es eine Stadtbesichtigung, begleitet von tropischem Regen.
Die Stadt beeindruckte unmittelbar durch die wunderbar erhaltenen Kolonialbauten. Natürlich war es ein Muss, den Platz aufzusuchen, an dem das Ho Chi Min-Mausoleum liegt. Eine Besichtigung war nicht möglich, weil das Mausoleum geschlossen war. Es hieß, die dort eigentlich aufgebahrte Figur sei wie einmal in jedem Jahr zwecks „Erneuerung“ in Moskau. Dafür konnten wir das in einem wunderschönen Park gelegene Wohnhaus besichtigen. Interessant war das Nebeneinander von politischen Spruchbändern und wunderbaren Tempeln.
Der Besuch des Kriegsmuseums ließ niemanden unberührt, nur schwer fand man nach dem Besuch in die Gegenwart zurück, die geprägt ist von fröhlichen, jungen Menschen, zierlich, fast zerbrechlich. Und alle fahren Motorroller! Manchmal hat eine Familie von 4 Personen auf einem solchen Roller Platz, oder auch eine lebende Kuh nebst Fahrer und Beifahrer!
Bevor die juristische Seite unseres Besuchsprogramms aufgeschlagen wurde, gönnte das Programm uns einen Tagesausflug in eine landschaftliche Besonderheit: Wir besuchten die Halong-Bucht, eine Bucht im Golf von Tonlking mit etwa 3000 Felsgipfeln, die aus dem Wasser ragen! Ein ganz besonderes Erlebnis!!
Am 28.10. stand als erstes ein Besuch des Justizministeriums auf dem Programm. Uns erwartete neben der Vertreterin des Ministers der Leiter der Justizakademie, die für die Richterausbildung zuständig ist. Sie bildet aber auch Staatsanwälte und Gerichtsvollzieher aus.
Nach einem 4jährigen Hochschulstudium hat der angehende Jurist ein Jahr die Justizakademie zu besuchen. Es gibt einen Erfahrungsaustausch mit Frankreich, Kanada und Japan. Richter kann dann aber nur werden, wer 4 Jahre Berufserfahrung aufzuweisen hat. Dieses Erfordernis beschäftigte uns in der Diskussion wiederholt, weil nicht deutlich wurde, wie denn die Berufserfahrung gesammelt werden könne. Es scheint wohl so zu sein, dass eine Hilfstätigkeit bei Gericht genügt.
Die Gespräche machten deutlich, dass die Justiz an einem geregelten Erfahrungsaustausch mit der deutschen Justiz sehr interessiert ist. Anschließend gab uns ein in Hanoi tätiger deutscher Rechtsanwalt Einblicke in den Justizalltag und die Gerichtsorganisation aus der Sicht des Rechtssuchenden bzw. seines Vertreters. Die Schilderungen ließen ahnen, dass die deutschen und vietnamesischen Vorstellungen über eine unabhängige Justiz weit auseinanderliegen.
Am nächsten Tag besuchten wir den Supreme Peoples Court, wo uns neben dem Vertreter des verhinderten Präsidenten eine größere Anzahl von Mitarbeitern zu einer Gesprächsrunde erwartete. Zunächst erhielten wir eine Schilderung des Gerichtsaufbaus (Gliederung in Provinz- und Kreisgerichte, von letzteren gibt es ca. 800).
Wir erfuhren, dass eine Neugliederung des Gerichtssystems durch eine Rechtsreform geplant ist. Ferner werden Überlegungen angestellt, wie Dienstaufsicht und richterliche Unabhängigkeit in Einklang zu bringen sind.
Seit einer gesetzlichen Regelung im Jahre 2002 ist das Gericht nicht mehr von der Mittelbewilligung durch das Justizministerium abhängig. Das Gericht hat eine eigene Abteilung für Finanzfragen, die auch dafür sorgt, dass den Provinzgerichten ausreichend Geld für ihre Arbeit zur Verfügung steht.
Die Diskussion um die Auswahl der Richter machte deutlich, dass (auch) die Partei ein wichtiges Wort mitspricht. So wurde immer wieder betont, dass als Richter nur jemand gewählt werden könne, der ein gutes Leumundszeugnis vorzuweisen hat.
Der deutsche Botschafter in Hanoi gab uns einen Einblick in seine Arbeit, die im Wesentlichen in der Betreuung deutscher Staatsbürger und der Bearbeitung von Visumsanträgen besteht.
Anregend war das Treffen mit Vertretern der Supreme Peoples Procuracy, also der Obersten Behörde der Staatsanwaltschaft. Wir bekamen eine umfassende Schilderung des juristischen Werdeganges für Richter und Staatsanwälte.
Nachdem Gerhard Schaberg Hilfestellung und Kooperation über den Hamburgischen Richterverein bei der Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten angeboten hatte, kam die spontane Annahme einer solchen Kooperation. Man könnte schon an eine Erwiderung dieses unseres Besuches im Dezember denken, das Geld dafür sei vorhanden.
Es gelang dann mit dem Hinweis auf notwendige Vorbereitungszeit und die vorweihnachtliche Hektik in Deutschland, die Besuchsplanung auf Anfang 2009 zu verschieben.
Wer bei der Planung mithelfen will, möge sich bei der Geschäftsstelle des Hamburgischen Richtervereins melden. Es soll vorzugsweise um das deutsche Strafverfahren gehen (Rolle der Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte als Verteidiger).
Und schon war auch dieser Teil der Reise vorüber: wir flogen nach Ho Chi Minh Stadt, d man aber auch getrost Saigon nennen darf. Im Unterschied zu Hanoi wirkt Saigon eleganter und wirtschaftlich lebhafter.
So war es kein Wunder, dass mit einem Besuch des Generalkonsulats ein Gespräch mit einem Vertreter der dortigen Handelskammer und zwei in Wirtschaftsfragen tätigen Rechtsanwälten verbunden war. Wir erhielten hier genauere Auskünfte über Ausbildung der Juristen und die Gerichtswirklichkeit. Die Einstellung zu Rechtsanwälten ist noch weitgehend historisch geprägt, ihre Tätigkeit wird nicht anerkannt. Ausländische Rechtsanwälte dürfen nicht vor Gericht auftreten, sondern nur als Berater funktionieren.
In Wirtschaftssachen spielt deshalb die ausländische Schiedsgerichtsbarkeit eine große Rolle. Schwierig werde es jedoch dann, wenn ein Schiedsspruch oder ein ausländisches Urteil in Vietnam zu vollstrecken sei. Es werde geprüft, ob das Urteil gegen vietnamesische Interessen verstoße. Seit 2003 gibt es für die Schiedsgerichtsbarkeit eine Rechtsgrundlage und seit 2004 sogar ein Zentrum für internationale Streitigkeiten, es bleibe aber bislang unklar, ob die Durchsetzung einfacher werde.
Zum Abschluss dieser eindrucksvollen Reise hatten wir noch Gelegenheit, mit einem Rechtsanwalt zu sprechen, der sich sehr kritisch zu dem jetzigen Gerichtssystem äußerte. Ganz dezidiert stellte er fest, dass die Richter nicht unabhängig sind, sondern den von der Regierung vorgegebenen Auslegungen und Rechtsmeinungen folgen. Außerdem spiele Korruption eine große Rolle.
Dieses Gespräch ließ uns alle nachdenklich zurück, offenbarte es doch, welche Probleme sich für eine Kooperation ergeben und wie entscheidend die Unterschiede zum Rechtswesen in Taiwan sind.
Auch in Vietnam durften wir wiederholt Erfahrungen mit der einheimischen Küche machen. Auch wenn man sich nicht den Garküchen anvertraute, konnte man in den Städten überall gute Restaurants mit schmackhaften Gerichten zu für uns unglaublich günstigen Preisen finden. Ein Highlight für Genießer war das von Gerhard Schaberg an seinem Geburtstag in einem großen Restaurant organisierte Geburtstagsmenu, einfach köstlich.
Die Rückreise von Saigon über Taipei und Frankfurt nach Hamburg bescherte uns eine Flugdauer von mehr als 20 Stunden, aber irgendwann hatte uns die Erde wieder. Auch an dieser Stelle sei den beiden Organisatoren Jan Grotheer und Gerhard Schaberg nochmals herzlich gedankt für diese eindrucksvolle Reise mit den eindringlichen Erlebnissen in für uns so fremden Ländern!
Inga Schmidt-Syaßen