(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/09, 10) < home RiV >

Gedanken zur Autonomie der Justiz in Hamburg

 

Ich begrüße den Anstoß zur Diskussion über eine Autonomie der Justiz in Hamburg und das Eckpunktepapier sehr. Ich finde auch die Entscheidung von Herrn Dr. Steffen, unseres Senators, die Beschneidung weiter Teile seiner bisherigen Aufgabenbereiche zur Disposition zu stellen, erstaunlich und anerkennenswert. Ich glaube auch, dass, wenn wir jetzt nicht die Chance ergreifen, uns ernsthaft über die Vor- und Nachteile und auch über die Einzelheiten des Eckpunktepapiers Gedanken zu machen, es keine zweite Chance geben wird und es in Zukunft bei irgendwelchen Unzulänglichkeiten der Justizbehörde bei der Durchsetzung unserer Belange heißen könnte: „Ihr hättet es ja selber machen können, wolltet es aber nicht“.

Was ist der Grund, die Autonomie der Justiz zu fordern? Ich habe mich lange gefragt, was uns die Autonomie bringen könnte und wo die Vorteile gegenüber dem jetzigen System mit Anbindung der Verwaltung an die Justizbehörde und einem Richterwahlausschuss liegen könnten. Um es vorweg zu sagen: Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Justiz durch die Autonomie finanziell besser gestellt werden würde, und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass sie zu einer Steigerung der Effizienz führen würde, wir durch eine Selbstverwaltung also schneller oder besser sein würden. Warum begrüße ich also den Vorstoß:

Ich halte die Loslösung der 3. Gewalt von der Exekutive für längst überfällig. In der Vergangenheit hat es immer wieder Situationen gegeben, in denen Justizsenatoren versucht haben, ihre politischen Vorstellungen ohne Rücksicht auf die wahren Interessen der Gerichte hier zu verwirklichen.

Ich meine auch, dass durch die breite, ernsthafte Befassung mit dem Thema die Dritte Gewalt auch in den Augen der Öffentlichkeit die Bedeutung erhält, die sie haben sollte. Das Bewusstsein der verfassungsrechtlichen Besonderheiten der Judikative schwindet nach meinem Eindruck in der Bevölkerung immer mehr. Selbst bei Juristen verschwimmen manchmal im Sprachgebrauch die
Begriffe „Beamter“ und „Richter“.

Ich verspreche mir weiter eine sehr viel größere Transparenz von Personal- und Organisationsentscheidungen der Justiz nicht zuletzt auch durch eine weit größere Beteiligung von Justizbediensteten an den Entscheidungen als bisher.

Und ich erhoffe mir, dass wir durch die Diskussion im Rahmen des bereits jetzt Machbaren Verbesserungen im Sinne einer größeren Eigenständigkeit der Gerichte erreichen, auch wenn der ganz große Wurf an dem einen oder anderen Hindernis letztendlich vielleicht scheitern sollte. Ich glaube also, dass der Diskussionsprozess selbst in der Kollegenschaft zu einem größeren Verantwortungsbewusstsein und einem größeren Engagement für die Abläufe in der Justiz führen kann.

Im Einzelnen vertrete ich insbesondere folgende Auffassungen:

Die Autonomie der Justiz darf nicht dazu führen, dass mehr Bürokratie als bisher herrscht. Die neuen Gremien und Abläufe müssen überschaubar und praktisch gut handhabbar sein.

Den Ersatz des Richterwahlausschusses durch den Justizwahlausschuss halte ich anders als einige meiner Kollegen grundsätzlich für einen interessanten Ansatz. Insbesondere begrüße ich, dass anteilsmäßig deutlich mehr Richter darin vertreten sein sollen. Die Befürchtung, dass die Bürgerschaft Wahlvorschlägen der Richter aus rein parteipolitischen Gesichtspunkten nicht folgt, drängt sich mir nicht auf.

Ich halte es jedoch für nicht denkbar, dass der Justizwahlausschuss z.B. einen Richter aus dem Kreis der Bewerber befördert, ohne dass es zuvor von kompetenter Seite einen Vorschlag gegeben hätte. Das jetzige Vorschlagsrecht des Senators gegenüber dem Wahlausschuss aufzugeben, könnte bereits an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen (Art. 98 IV GG); für unverzichtbar halte ich aber vor allem den Vorschlag des Präsidenten des zu besetzenden Gerichts gegenüber dem Justizwahlausschuss. Er sollte und muss der Impulsgeber sein.

Die Berechtigung einer so genannten Mittelinstanz wird es nach dem Eckpunktepapier kaum noch geben, da bei Einführung eines Justizverwaltungsrates und eines Justizpräsidenten ihre Vermittlungsfunktion gegenüber der Justizbehörde wegfällt. In einem Stadtstaat wie Hamburg hat sie ohnehin weniger praktische Bedeutung als in einem Flächenland.

Die Eigenständigkeit der Gerichte sollte in personellen und in organisatorischen Angelegenheiten im Sinne des „AKV-Prinzips“ (d.h. Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung in einer Hand) weiter gestärkt werden. Ich verspreche mir dadurch noch sachgerechtere Entscheidungen. Dass z.B. (wie bisher) der Amtsgerichtspräsident und der Landgerichtspräsident an der Auswahl neuer Richter und ihrer ersten Verwendung an den jeweiligen Gerichten nicht beteiligt sind, ist nicht einzusehen.

Ich denke auch an die Möglichkeit einer freien Mittelverwendung im Rahmen des Budgets und auch an den Anstoß, die Umsetzung und Steuerung großer Organisationsprojekte, die zuletzt immer gut geklappt haben, wenn sie in der Hand des Gerichts lagen (z.B. Segmentierung des Amtsgerichts Hamburg).

Die Vergabe von Präsidentenämtern und Direktorenämtern auf Zeit kann ich mir vorstellen. Dafür spricht, dass auch jüngere Kollegen als bisher zum Zuge kommen können und keine Gefahr besteht, dass die Amtsinhaber in Routine verfallen. Zu bedenken gebe ich allerdings, dass es keine Wiederwahl geben soll und die Rückkehr in die Rechtsprechung zwingend sein soll. Ich frage mich dabei: woher sollen die vielen Kollegen rekrutiert werden, wenn es z.B. keine Beförderung vom Direktor oder Vizepräsidenten zum Präsidenten geben kann, und wie sollen die Amtsinhaber bei dieser Konstellation die erforderliche Erfahrung gewinnen?

Ich freue mich auf die weitere Diskussion im Kollegenkreis!

Sibylle Umlauf