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Die internationale und die

europäische Richtervereinigung

 

Die internationale Richtervereinigung (IVR; englisch: International Association of Judges – IAJ, französisch: Union Internationale des Magistrats – UIM) mit heutigem Sitz in Rom wurde am 06.09.1953 in Salzburg als unpolitische, internationale Berufsvereinigung gegründet, in der nicht einzelne Richter, sondern nationale Richtervereinigungen zusammengeschlossen sind, die durch Entscheidung des Zentralrates in die internationale Richtervereinigung aufgenommen werden.

 

Das Hauptziel der Vereinigung ist der Schutz der richterlichen Unabhängigkeit als essentielle Voraussetzung richterlicher Amtsführung und Garantie der Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Die IVR umfasst derzeit 73 nationale Organisationen oder repräsentative Gruppen aus fünf Kontinenten, wobei aus jedem Land jeweils nur eine richterliche Vereinigung Mitglied sein kann. Der Zentralrat (Central Council), das oberste Beratungsgremium der IVR, in den jede Mitgliedsvereinigung zwei Vertreter entsendet, tritt jährlich, vorzugsweise immer in einem anderen Land, zusammen. Der DRB wird hier stets durch seinen Vorsitzenden und ein weiteres Mitglied des Präsidiums, derzeit den Verfasser, vertreten.

 

Der IVR wurden vom Europarat, dem Internationalen Arbeitsamt (ILO) und dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen Konsultativstatus zuerkannt. Um die Interessen der IVR vor Ort bei den Vereinten Nationen zu vertreten, hat die IVR örtliche Vertreter benannt. So treten vor dem UN-Hauptquartier in New York die Kollegin Joanna Seybert, United States District Judge (Eastern District of New York) und die Kollegin Louise Mailhot, Richterin am Appellationsgericht von Quebec, Kanada, für die IVR auf. Vor dem UN-Büro in Genf wird die IVR durch die Kollegen Pierre Zapelli, Richter am Bundesgericht in Lausanne, Schweiz, und Louise Mailhot vertreten und vor dem UN-Büro in Wien durch ihre früheren Vorsitzenden und Ehrenpräsidenten Gunter Woratsch und Ernst Markel.

 

Die IVR unterhält vier stehende Studien-kommissionen, nämlich zu „Organisation der Gerichtsbarkeit“, „Bürgerliches Recht und zivilgerichtliches Verfahren“, „Strafrecht und Strafverfahren“ sowie „öffentliches und Sozialrecht“. Die Kommissionen tagen regelmäßig anlässlich der Jahrestagung des Zentralrates. Diese Sitzungen werden durch eine Umfrage unter den Mitgliedsvereinigungen zu einem im Vorjahr festgelegten Thema vorbereitet, die gewählten Leiter der Studienkommissionen erstellen eine Synopse und einen Berichtsentwurf, der während der Sitzung beraten und beschlossen wird. Die Dokumente der Studienkommissionen finden sich auch in englischer und französischer Sprache im Internet unter www.iaj-uim.org. Zentrales Dokument des Selbstverständnisses der IVR und ihrer Mitgliedsvereinigungen ist die Universale Richter-Charta, die die Mitglieder der IVR auf der Sitzung des Zentralrates 1999 in Taipeh beschlossen haben, der englische Text findet sich unter www.iaj-uim.org/old/ENG/07.html. Nach deren Artikel 1 müssen Richter stets das Recht jedes Menschen auf ein faires Verfahren gewährleisten. Dazu sollen sie das Recht der Verfahrensbeteiligten auf eine faire und öffentliche Anhörung in angemessener Zeit vor einem unabhängigen und unparteilichen Gericht sicherstellen, um zivilrechtliche Rechte und Pflichten oder strafrechtliche Verantwortung festzustellen.

 

Art. 1 Abs. 2 erklärt die unteilbare richterliche Unabhängigkeit zur unverzichtbaren Voraussetzung unparteilicher Rechtsprechung, die nur an das Recht gebunden ist. In den weiteren Vorschriften der Charta finden sich Regelungen zur Unparteilichkeit, sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter, Unverletzbarkeit, Bindung an das Recht, Nebentätigkeiten, (disziplinarische) Verantwortlichkeit, Vereinigungsrecht und Besoldung und Versorgung. Insgesamt vermittelt die Charta ein kontinentaleuropäisch geprägtes Verständnis richterlicher Tätigkeit.

Im Laufe der Zeit haben sich in der IVR schon aufgrund sehr unterschiedlicher Ausgangssituationen in den einzelnen Kontinenten, aber auch kultureller Verbindungen regionale Gruppen herausgebildet. Heute gibt es vier solcher Regionalgruppen: die Europäische Vereinigung der Richter (EVR) (englisch: European Association of Judges – EAJ, französisch: Association Européénne des Magistrats – AEM), die afrikanische Gruppe, die iberoamerikanische Gruppe und die sog. ANAO-Gruppe (Nordamerika, Asien und Ozeanien). Die Zusammensetzung folgt dabei nicht stets geografischen Vorgaben: So gehört beispielsweise Spanien aus historischen Gründen nicht nur der europäischen Gruppe an, sondern ebenso der iberoamerikanischen, die ansonsten nahezu alle mittel- und südamerikanischen Staaten umfasst. Andererseits ist Israel – aus politischen Gründen wegen seines Konflikts mit den arabischen Nachbarstaaten – Mitglied der europäischen Richtervereinigung, ebenso wegen ihrer kulturellen Verbundenheit die Kaukasusrepubliken Georgien und Armenien (und zukünftig möglicherweise auch Aserbaidschan).

 

Die EVR bildet dabei mit insgesamt 37 Mitgliedsvereinigungen aus ebenso vielen Mitgliedsstaaten die größte Regionalgruppe. Ihr gehören mit Ausnahme Andorras, Russlands, der Türkei, des Vatikanstaates und Weißrusslands alle europäischen Staaten an.

 

Die erste Sitzung der Vollversammlung der EVR fand im März 1993 in Wiesbaden statt. Seit Oktober 1994 tagt sie in halbjährlichem Rhythmus: im Frühjahr jeweils in einem europäischen Land und im Herbst zeitgleich mit der Sitzung des Zentralrates der IVR. In einer sehr kontroversen Sitzung ihres Zentralrates hat die IVR nach langwierigen vorausgegangenen Verhandlungen in kleinen Zirkeln im Herbst 2003 in Wien eine Änderung ihrer Satzung beschlossen, die den Regionalgruppen mehr Selbstständigkeit einräumte. Damit wurde es diesen möglich, auch nach außen hin eine eigenständige Vertretung wahrzunehmen und sich selbst eine Führung zu geben. Die geänderte Satzung der IVR bestimmt seither, dass deren Präsidium aus dem Präsidenten und sechs Vizepräsidenten besteht, wobei jeweils ein Mitglied aus jeder Regionalgruppe dem Präsidium der IVR als Vizepräsident angehören muss. Aus Sorge vor zu großer Selbstständigkeit der Regionalgruppen konnte sich die IVR allerdings nicht entschließen, die Wahl ihrer Vizepräsidenten den einzelnen Regionalgruppen allein zu überlassen, sodass diese als kleinster gemeinsamer Nenner von allen Mitgliedsorganisationen gemeinsam zu wählen sind.

 

In der Folge hat sich die EVR ebenfalls noch im Jahr 2003 eine Satzung gegeben
(Fundstelle unter: www.iaj-uim.org/old/AEM/Stat_D.html) und seither eine rege eigene Tätigkeit entfaltet. Heute ist sie als europäische Spitzenvereinigung beim Europarat und den Institutionen der EU anerkannt und vertritt die europäische Richterschaft in zahlreichen europäischen Gremien.

Lothar Jünemann   (DRB)