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Absprache im Strafverfahren

 

Vortrag vom 24.06.2009, gehalten vor der Gesellschaft Hamburger Juristen

 

Am 28.05.2009 beklagte in der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl das Hinscheiden des Deutschen Strafprozesses nach einem langen, 130 Jahre währenden Leben. Er trauerte um die Prinzipien der Deutschen  Rechtstradition, von denen es gelte, Abschied zu nehmen, weil der klassische Deutsche Strafprozess zu Grabe getragen worden sei.

 

Was war geschehen? Der Deutsche Bundestag hatte am 28.05.2009 in erster Lesung das Gesetz zur Absprache im Strafverfahren beraten, das inzwischen in Kraft getreten ist. Damit ging ein langer Streit über eine Praxis zu Ende, die zweifellos zu höchst unerfreulichen Ergebnissen geführt hat.

 

1982 bereits beklagte Detlef Deal aus Mauschelshausen in der Zeitschrift „Strafverteidiger“ (1982, 545 ff) eine Praxis, die sich in Deutschen Gerichtssälen verbreitet hatte. Insbesondere in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren wurden in einer zunehmenden Zahl von Fällen Absprachen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger getroffen, an denen die Angeklagten als Betroffene meist nicht beteiligt wurden. Diese Absprachen missachteten oft die überkommenen Grundsätzen des Strafverfahrens, insbesondere den Grundsatz der Öffentlichkeit und den des Legalitätsprinzips. Letztlich die Pflicht des Staates, im Interesse der Gleichheit vor dem Gesetz, Straftaten in einem ausdifferenzierten Verfahren ohne Ansehen der Person zu verfolgen und überführte Täter sodann schuldangemessen zu bestrafen. Die geschilderten Begleitumstände der Absprache führten dazu, dass sich sehr schnell der Begriff „d e a l“ für diese Praxis einbürgerte. Warum diese abwertende Bezeichnung in bestimmten Fällen ihre Richtigkeit hat, mag der Leser der Fallschilderung einer Verhandlung der Jugendstrafkammer des Landgerichts Hildesheim in der Entscheidung BGH 3 StR 61/01 nachlesen.

 

Wie konnte es dazu kommen? Die Gerichte gerieten in den siebziger Jahren zunehmend unter den Druck, mit geringer werdenden personellen Kapazitäten immer komplexere Verfahren zu verhandeln. Zweifellos setzt die Möglichkeit, ein Verfahren zügig mit einem Geständnis zu beenden, personelle Kapazitäten frei, spart Geld und erleichtert die Arbeit der betroffenen Richter. Maßgeblich mit ursächlich war aber auch, dass in komplexen Strafverfahren mit einem umfangreichen und schwer durchschaubaren tatsächlichen Hintergrund Strafverteidiger die revisionsanfällige und zu Missbrauch verlockende Beweisregelung des Deutschen Strafverfahrens ausnutzten, um Druck auf das entscheidende Gericht auszuüben. 2004 hat der Strafverteidiger Nicolaus Toussaint bekannt, er habe als junger Verteidiger sehr schnell von erfahrenen Kollegen gelernt, man müsse in Verfahren mit komplizierter Beweislage das Heft in die Hand nehmen, um das Interesse der Justiz an kurzen Verfahren zugunsten des Mandanten  auszunutzen[1].

 

Was hat man sich darunter vorzustellen? Etwa folgenden Fall: Die Staatsanwaltschaft klagt einen schweren Raub mit erheblichem Schaden für Leib und Vermögen des Opfers an. Bekanntlich sieht das StGB dafür eine Mindeststrafe von 5 Jahren vor. Der Verteidiger teilt dem Vorsitzenden mit, bei Annahme eines minder schweren Falles könne er sich vorstellen, dass sein Mandant eine Strafe von nicht mehr als 3 Jahren 9 Monaten akzeptieren und die Tat gestehen werde. Als der Vorsitzende darauf verweist, es gebe eher Anzeichen für einen „besonders schweren“ Fall, erfährt er vom Verteidiger, dass nunmehr jede Kooperation aufgekündigt sei. Es folgt ein Strafverfahren, in dem jede Verfügung des Vorsitzenden mit einem Antrag auf Gerichtsentscheid und jede folgende Gerichtsentscheidung mit einem Befangenheitsantrag beantwortet wird. Von den unzähligen Beweisanträgen ganz zu schweigen. Nach Monaten erst geht das Verfahren zu Ende. Beispiele dieser Art lassen sich zahlreich finden. Der 3. Strafsenat unter dem Vorsitz des heutigen Präsidenten des BGH Tolksdorf hat 2007[2] dazu festgestellt, die Grenzen der Strafverteidigung seien überschritten, wenn der Verteidiger zwar formell korrekt und im Rahmen des Prozessrechts verteidige, sich aber den traditionellen Zielen des Verfahrens, nämlich der Wahrheitsfindung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren, nicht mehr verpflichtet fühle und die gewährten Verfahrensrechte in einer Weise nutze, die mit seiner Aufgabe, den Angeklagten vor einem materiellen Fehlurteil oder einem prozessordnungswidrigen Verfahren zu schützen, nicht mehr zu vereinbaren seien. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Diese Verhaltensweisen begünstigten die ursprünglich von der Verteidigung ausgehende Tendenz, Verfahren mit Absprechen vorzeitig zu beenden. Zunehmend ergriffen auch die Gerichte die Initiative. Die Verständigung oder der „deal“ etablierten sich als feste Bestandteile des Strafverfahrens. Nach einer empirischen Untersuchung der Universität Mannheim endeten Anfang der 90er Jahre zwischen 20 und 30 % der Verfahren mit einer zuvor getroffenen Verständigung. Diese Zahlen dürften bis heute in etwa Gültigkeit behalten haben. Dabei geht es entgegen der Berichterstattung in der Presse nicht vorrangig um die Herren Ackermann oder Zumwinkel, Pfahls oder Hartz. Diese Verfahren ergeben keine 20 oder 30%. Neben Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren sind vor allem Betäubungsmittelverfahren und der weite Bereich der Kleinkriminalität als Ursache der hohen Quote zu nennen. Lediglich bei Gewaltdelikten findet eine verfahrensbeendende Absprache selten statt. Nach einer 1986 durchgeführten Umfrage waren etwa 95% der Richter und Staatsanwälte und etwa 83% der Verteidiger der Ansicht, die Praxis der Verständigung habe sich bewährt. Das verwundert deshalb, weil die Praxis der Verständigung über die Jahre zu Wildwüchsen in der Rechtsprechung der Tatsacheninstanzen geführt hat, die den Namen „deal“ verdienen. Diese Entwicklung konnte der Bundesgerichtshof zunächst nur unvollkommen rügen und kanalisieren. Zwar erklärte er bereits am 28.08.1997 die Absprache für grundsätzlich zulässig[3] und legte fest, wie bei Absprachen zu verfahren sei. Die weitere Rechtsprechung der Senate des Bundesgerichtshofs war jedoch in den Einzelheiten uneinheitlich, bis sich der Große Senat am 03.03.2005[4] mit der Frage der Zulässigkeit der Absprache abschließend befasste. Er stellte fest, dass es aus Gründen des Opferschutzes und der Prozessökonomie ein praktisches Bedürfnis geben könne, die Beweisaufnahme zu begrenzen und bestätigte damit den Lösungsansatz, den der BGH bereits am 28.08.1997 aufgezeichnet hatte. Der Große Senat bekräftigte, dass die Feststellung der materiellen Wahrheit von Amts wegen zu erfolgen habe und der Disposition der Verfahrensbeteiligten entzogen sei. Gleiches gelte für die Verpflichtung, eine schuldangemessene Strafe zu verhängen. Auch dürfe das Gericht nicht mitwirken, einen Rechtsmittelverzicht herbeizuführen und habe auf die Einhaltung eines fairen Verfahrens zu achten. Da die Grenzen der Möglichkeiten, rechtsfortbildend tätig zu werden, erreicht seien, müsse der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Urteilsabsprache und ihre wesentlichen Voraussetzungen und Grenzen regeln.

Dieser Aufforderung ist der Gesetzgeber gefolgt und hat die Strafprozessordnung um Vorschriften ergänzt, die die Verständigung in Strafverfahren regeln. Die Neuregelung basiert auf den Grundsätzen, die durch die Rechtsprechung des BGH entwickelt worden sind:

1.   Insbesondere die Verpflichtung der Gerichte, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 244 Abs. 2 StPO) bleibt unberührt. Damit scheidet eine Verständigung über die Schuld des Angeklagten aus. Von ihr hat sich das Gericht in freier Beweiswürdigung zu überzeugen.

2.   Das Strafmaß hat sich an der Schuld des
Angeklagten zu orientieren.

3.   Eine Beschränkung des Rechts, Urteile mit Rechtsmitteln anzufechten, kann nicht Gegenstand der Absprache sein.

4.   Transparenz und Öffentlichkeit müssen gewahrt bleiben.

Die Neuregelung lässt sich vor diesem Hintergrund folgendermaßen skizzieren:

Kern der gesetzlichen Regelung ist § 257 c StPO, der bestimmt, dass lediglich das Strafmaß Gegenstand der Verständigung sein kann. Ausdrücklich nicht Gegenstand der Verständigung könne der Schuldspruch und Maßregeln der Besserung und Sicherheit sein (Abs. 2).

 

Grundlage der Verständigung kann nur ein qualifiziertes Geständnis sein, von dessen Richtigkeit das Gericht überzeugt sein muss, um seiner Aufklärungspflicht zu genügen, denn § 244 Abs. 2 StPO bleibt im Rahmen der Absprache unberührt (§ 257 c Abs. 1). Aus dieser Verpflichtung, weiterhin den Grundsatz der Amtsaufklärung zu berücksichtigen, wird herzuleiten sein, in welchen Fällen es zukünftig überhaupt zu einer Absprache kommen kann. § 257 StPO begrenzt nämlich die Absprache auf geeignete Fälle (Abs. 1).

 

Eine Verständigung kommt zustande, wenn das Gericht den Strafrahmen unter Beachtung der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte bekannt gibt und diesem Strafrahmen Angeklagter und Staatsanwaltschaft zustimmen. Nicht vorgesehen ist, dass auch der Nebenkläger zustimmen muss. Dies korrespondiert mit der geltenden Reglung, nach der der Nebenkläger ein Urteil allein wegen der Rechtsfolgen nicht angreifen kann. Weil aber die Strafzumessung als wesentlicher Gegenstand der Verständigung insbesondere auch den Nebenkläger interessiert, wird es sinnvoll sein, den Nebenkläger an Gesprächen und Erörterungen im Vorfeld der Verständigung zu beteiligen. Im Rahmen einer Anhörung kann er seine Bedenken und Vorschläge äußern, ohne dass sie für das Gericht bindend würden.

 

Die Verhandlungen über eine Absprache haben in der öffentlichen Hauptverhandlung zu geschehen, was aber nicht ausschließt, dass außerhalb der Hauptverhandlung entsprechende (Vor-) Gespräche geführt werden. Inhaltlich können sich diese Gespräche auch auf die Einschätzung der Beweislage durch Staatsanwaltschaft oder Gericht beziehen. Ausdrücklich ist in den §§ 160 b, 202 a, 212, 257 b StPO-E vorgesehen, dass in jeder Lage des Verfahrens derartige Gespräche geführt werden können. Ein Ablehnungsgrund kann daraus nicht hergeleitet werden. Insbesondere die Möglichkeit, bereits im Ermittlungs- und Zwischenverfahren darzulegen, wie die Beweislage eingeschätzt wird, bietet den Verfahrensbeteiligten die Chance, auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und unter Anerkennung der unterschiedlichen Rollen vertrauensvoll miteinander zu reden. Dieses Vertrauen ist vielen der Beteiligten am Strafverfahren in den letzten Jahrzehnten abhanden gekommen. Das Gesetz schafft die Möglichkeit, dass bei aller Gegensätzlichkeit der Interessen Gerichte, Verteidiger und Staatsanwaltschaft sich auf die gemeinsame Grundlage besinnen, an einem gerechten Urteil mitzuwirken. Schlagwortartig verkürzt: Keine Strafverfolgung um jeden Preis, und keine Strafverteidigung um jeden Preis.

Haben die Gespräche vor der Hauptverhandlung stattgefunden, muss der Vorsitzende  die Verfahrensbeteiligten darüber in öffentlicher Verhandlung unterrichten (§ 243 Abs. 4 StPO). Als wesentliche Verfahrensbestandteile sind diese Mitteilungen zu protokollieren (§ 273 Abs. 1 a StPO).

Wenn sich während des Verfahrens die tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen der Verständigung ändern oder bedeutsame Umstände übersehen worden sind, entfällt die Bindungswirkung der Absprache für das Gericht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Strafrahmen aufgrund neuer Umstände nicht mehr tat- und schuldangemessen wäre, weil das Gericht strafschärfende Umstände übersehen hat oder diese nachträglich bekannt geworden sind (§ 257c Abs. 4 StPO).

Das Geständnis des Angeklagten kann dann nicht mehr verwertet werden. Der umgekehrte Fall, nämlich das Bekanntwerden neuer, strafmildernder Gesichtspunkte, ist nicht geregelt. Es liegt nahe, dass sich der Straf-rahmen bei weiterer Verwertbarkeit des
Geständnisses lediglich nach unten verschieben dürfte. § 257 c Abs. 4 StPO konstituiert ein ausdrückliches Verwertungsverbot allein für das Geständnis. Daraus gewonnene sonstige Erkenntnisse, die nach Sperrung des Geständnisses durch andere Beweismittel in das Verfahren eingeführt werden können, sind vom Verwertungsverbot nicht betroffen. Hier gilt wie bisher der allgemeine Grundsatz, dass die „fruit of the poisonous tree doctrine“ in Deutschland nicht anwendbar ist.

 

Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen verteidigtem und unverteidigtem Angeklagten und schließt damit Verfahren vor den Amtsgerichten ein. So wird eine “Zwei-Klassen-Justiz” vermieden und dem Umstand Rechnung getragen, dass auch in amtsgerichtlichen Verfahren Verständigungen in Strafverfahren zum Alltag gehören. Fraglich ist, ob komplexere Fälle der Verfahrensabsprache vor dem Amtsgericht den Vorsitzenden verpflichten, einen Verteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen. Für den Angeklagten, der in der Regel die Akte nicht kennt, kann die Beurteilung seiner Möglichkeiten durchaus schwierig sein. Auf der anderen Seite würde durch eine Absprache die Schwierigkeit jedenfalls der Sachlage beseitigt. Hier ist die Praxis aufgerufen, verträgliche Lösungen zu finden.

 

Insgesamt ist die neue Regelung zu begrüßen, allein schon deshalb, weil das Gesetz Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidiger gleichermaßen bindet und den Zustand beendete, den der Richter am BGH Prof. Fischer noch in der Expertenanhörung am 22.03.2009 beklagte. Nach seiner Auffassung missachtete nämlich die bisherige Absprachepraxis der Tatsacheninstanzen in weitem Maße die vom BGH aufgestellten Anforderungen an eine wirksame Verständigung.

 

Die klare Regelung der Rechte der Beteiligten macht es für die Akteure leichter nachzuvollziehen, aus welchen Motiven eine Absprache herbeigeführt werden soll. Mit der Kodifizierung wird der Absprache auch die Anrüchigkeit des „deals“ genommen. Was im Lichte der Öffentlichkeit verhandelt wird, ist für Außenstehende nachvollziehbar und verliert den Ruch der Kammerjustiz. Allerdings werden folgende Grundsätze in Zukunft im Interesse der Rechtsklarheit unabdingbare Voraussetzung einer Absprache sein müssen:

1.   Die Ermittlungen müssen abgeschlossen und der Tatvorwurf ausermittelt sein. Nur dann ist das Gericht in der Lage, anhand der benannten Beweismittel zu prüfen, ob ein qualifiziertes Geständnis abgegeben wird. Wird dies beachtet, erfüllt das Gericht das zentrale Anliegen des Strafverfahrens, den wahren Sachverhalt zu ermitteln, ohne den das materielle Schuldprinzip nicht zu verwirklichen ist[5]. Damit wird auch klar, dass die Absprache gerade nicht die Amtsaufklärung zur Disposition stellt. Zur Disposition steht vielmehr das Recht des Angeklagten, sein Prozessverhalten zu überdenken und sich zwischen den Möglichkeiten zu schweigen, zu bestreiten, zu lügen oder zu gestehen zu entscheiden.

2. Von einem qualifizierten Geständnis wird das Gericht nur dann ausgehen können, wenn es so umfassend ist, dass es nicht zu einer weiteren Sachaufklärung zwingt. Ein Formalgeständnis, das nicht hinterfragt werden kann, genügt dem nicht. Nur wenn der Angeklagte aus der Erkenntnis, dass die Beweismittel ihn überführen werden, seine Schuld einräumt, trägt er zur Ermittlung der Wahrheit bei. Sein Beitrag wird mit einer milderen Strafe belohnt. Dieser Gedanke des „do ut des“ ist schon bisher Grundlage der Strafzumessung und obergerichtlich anerkannt[6].

3.   Die Strafe muss schuldangemessen sein. Sie muss den Grundsätzen des § 46 StGB genügen und sich innerhalb eines angemessenen Strafrahmens halten. Bei der konkreten Strafbestimmung kommt dem Geständnis durchaus eine entscheidende Bedeutung zu. Diese Bedeutung folgt allerdings weniger aus dem Umstand der Prozessverkürzung denn aus dem, sich als Täter der Tat zu stellen und etwa dem Opfer ein Erscheinen vor Gericht zu ersparen.

4.   Die bisherigen Grundsätze der Verfahrensökonomie, insbesondere die §§ 154 und 154 a StPO, können weiterhin auch bei einer Verfahrensabsprache zur Anwendung kommen. Der Staat kann nach Ablegung eines qualifizierten Geständnisses (wie bisher bei einem anklage- oder urteilsreifen Verfahren) auf vollständige Strafverfolgung verzichten und dadurch möglicherweise erhebliche personelle wie wirtschaftliche Kosten sparen.

5.   § 257 b StPO schafft die Möglichkeit, auch bei einem streitig verhandelten Verfahren ohne Gefahr der Ablehnung wegen Befangenheit seitens des Gerichts die bisherige Beweisaufnahme zusammenzufassen und einen denkbaren Verfahrensausgang zu signalisieren.

In Steuerstrafverfahren hat es der Bundesfinanzhof bereits 1985 für zulässig erachtet, in komplizierten Besteuerungsverfahren mit schwierigen tatsächlichen Fragen eine Verständigung über den zugrunde zu legenden Sachverhalt herbeizuführen[7]. Es wird zu prüfen sein, ob derartige Absprachen vor Abschluss der Ermittlungen in Zukunft weiter möglich sein werden, denn in diesen Fällen tangiert die Einigung die Schuldfeststellung. Damit kollidiert diese Praxis mit § 257c StPO.

 

Wirtschafsstrafverfahren, die eine jahrelange Hauptverhandlung erwarten lassen, enden nach streitiger Hauptverhandlung oftmals mit einem Ergebnis, dass zu Beginn des Verfahrens absehbar war und sich insbesondere nach Abschluss der gerichtlich vorgesehenen Beweisaufnahme nur noch unwesentlich verändert. Eine Initiative des Gerichts, zu einer Verfahrensabsprache zu kommen, könnte in derartigen Verfahren schon dadurch indiziert sein, um nicht mit der Beschleunigungsmaxime in Konflikt zu geraten.

 

Der schweigende Angeklagte darf nach Einführung der Verfahrensabsprache in die Strafprozessordnung nicht benachteiligt werde. Insbesondere darf das Instrument der Absprachen nicht dazu führen, Druck auf Angeklagte auszuüben, ein möglicherweise falsches Geständnis abzulegen. Dieser Druck muss nicht direkt vom Gericht ausgehen und kann den Verteidiger in schwierige Situationen bringen. Hat ihm etwa das Gericht in einem Vorgespräch vermittelt, statt eines mittleren Strafrahmens von 10 Jahren käme bei einem Geständnis ein solcher von etwa 7 Jahren in Betracht, wird er dies dem Angeklagten mitteilen müssen. Was, wenn der Angeklagte gestehen will, der Verteidiger aber nach Aktenlage von seiner Unschuld überzeugt ist? Kann es Verpflichtung des Verteidigers als Organ der Rechtspflege sein, in einem solchen Fall nach erfolgtem Geständnis des Mandanten zwecks Überprüfung des Wahrheitsgehaltes eigenständig Beweisanträge zu stellen und etwa das Opfer als Zeugen zu benennen?

 

Der Gedanke des Opferschutzes darf nicht dazu verführen, übereilt zur Absprache zu drängen. Wenn das Opfer einziger Tatzeuge ist, kann es ohne jede sachfremde Erwägung geboten sein, auf seiner Vernehmung zu bestehen, um die Schuldfeststellung zu treffen.

 

Die Beteiligung der Schöffen an der Absprache ist ungeklärt. Insbesondere steht die Frage im Raum, wie ihnen verlässlich und für sie nachprüfbar eine Grundlage geschaffen werden kann, eine Absprache mitzutragen. Zu denken wäre etwa an eine auszugsweise Bekanntgabe von Aktenmaterial, namentlich der Bestandteile, die für die Überprüfbarkeit des qualifizierten Geständnisses bedeutsam sind. Sinnvoller und systematischer wäre es, wenn das Gericht die Qualität des Geständnisses in der Hauptverhandlung durch Einvernahme eines wesentlichen Beweismittels, etwa des Ermittlungsführers der Kriminalpolizei, oder durch sonstige Beweismittel wie Urkunden und Augenschein summarisch überprüft. Dadurch würde insbesondere der Amtsaufklärungspflicht öffentlich genügt.

 

Die verfahrensbeendende Absprache hat zu beklagenswertem Wildwuchs geführt. Das lehrt eine Lektüre der einschlägigen Entscheidungen des BGH[8] ebenso wie offene Gespräche mit Strafjuristen. In Zukunft wird es von der Verantwortung insbesondere der Tatrichter abhängen, wie die Entwicklung weiter geht. Der nachvollziehbare Wunsch, eine komplexe Sache schnell vom Tisch zu bekommen, darf eben so wenig dazu veranlassen, Abspracheverhandlungen zu führen, wie ein denkbarer Binnendruck, der daraus entstehen kann, dass auf die begrenzten Ressourcen der Justiz verwiesen wird. Solche Begründungen sind weder sachlich gerechtfertigt, noch mit der Verfahrensökonomie zu begründen. Sie führen nur dazu, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafjustiz erschüttert wird.

Es muss allen Beteiligten klar sein, dass nicht eine schlanke Justiz, die mit weniger Richtern und Staatsanwälten auskommt, Ziel der Verfahrensabsprache sein darf, sondern die Funktionsfähigkeit und Schlagkräftigkeit der Strafverfolgung.

Wenn deutlich wird, dass die Absprachen nicht länger ein „deal“ sind, sondern dazu dienen, möglichst tatnah zu einer schuld- und tatangemessenen Strafe zu kommen,  ist mir um die Zukunft des Deutschen Strafverfahrens nicht bange.

 

Gerhard Schaberg


[1] jurawelt 9/2004 Nr. 9580

[2] NStZ-RR 2007, 21

[3] BGHSt 43, 195 ff.

[4] BGHSt 50, 40 ff.

[5] BVerfG StrafV 2007, 393 ff.

[6] BGHSt 43, 195, 209

[7] BFHE 142, 549

[8] vgl. BGH 2 StR 495/08 vom 05.12.2008