(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/09, 16) < home RiV >

 

Der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen und doch untergegangen

- Das tragische Schicksal des Hamburger Referendars Heinz Braunschweiger -

 

Im Hamburgischen Justizverwaltungsblatt vom 20.09.1933 gab die Landesjustizverwaltung die Namen von 33 Referendaren bekannt, die sie auf Grund des § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07.04.1933 (RGBl. I. S. 175) wegen ihrer „nicht arischen Abstammung“ aus dem Justizdienst entlassen hatte. Einer von ihnen war Heinz Braunschweiger.

Er hatte nach dem Abitur an der Oberrealschule in Eppendorf (heute: Gymnasium Eppendorf) in Würzburg und Hamburg Rechtswissenschaft studiert und am 31.05.1930 die erste juristische Prüfung in Hamburg bestanden. Eine Woche später war er zum Referendar ernannt worden. Nach dreijährigem Vorbereitungsdienst stand er kurz vor der Meldung zur zweiten juristischen Prüfung, als er durch Bescheid des nationalsozialistischen Justizsenators Rothenberger vom 10.07.1933 wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Referendariat entlassen wurde.

Nach dem erzwungenen Abbruch seiner Ausbildung stellte Heinz Braunschweiger seine Dissertation mit dem Thema „Wann kann der Reichstag einen Volksentscheid aufheben“ fertig, mit der er am 16.01.1933 an der Universität Hamburg den juristischen Doktorgrad erwarb. Im Mai 1934 eröffnete er eine Rechtsberatungsstelle. Ein Auskommen hatte er aber erst, als er das Inkasso einer jüdischen Firma der Lebensmittelbranche übertragen erhielt und deren Syndikus wurde und sich daneben als Hausmakler betätigte. Seit dem 10.12. 1937 in Untersuchungshaft wurde er durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 08.06. 1938 wegen „Rassenschande“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sein „Vergehen“ hatte darin bestanden, dass er mit seiner langjährigen nichtjüdischen Freundin kurz nach Inkrafttreten des so genannten „Blutschutzgesetzes“ noch einmal Geschlechtsverkehr hatte. Wegen dieser Strafe, die er bis zum 13.09.1938 in den Gefängnissen Altona und Glasmoor verbüßte, wurde ihm von der Universität Hamburg mit Beschluss vom 23.11.1938 die Doktorwürde aberkannt, denn „ein Jude, der sich an einem deutschen Mädchen[1] vergreift, ist nicht würdig, die Auszeichnung, die ein deutscher Doktorgrad darstellt, zu tragen“. Den Anstoß für die Aberkennung hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg gegeben, indem sie der Universität eine Abschrift des Urteils übersandt hatte.

Noch während der Haft beantragte Heinz Braunschweiger die Erteilung eines Reisepasses, um in die USA auszuwandern. Er erhielt diesen am 01.09.1938 mit der Auflage, binnen zwei Monaten das Reichsgebiet zu verlassen. Vier Tage nach der Haftentlassung wurde er allerdings von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen. Bis zum 30.09.1938 war er im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Möglicherweise unmittelbar daran anschließend wurde er in das KZ Buchenwald überstellt, in dem er unter der Nr. 2938 als „Rasseschänder“ registriert wurde. In der Folgezeit wurde sein Vater für ihn bei der Durchführung der zahlreichen Auswanderungsformalitäten tätig. Mitte Februar 1939 wurde sein angemeldetes Umzugsgut überprüft und einen Monat später unter zollamtlicher Aufsicht verpackt. Am 19.07.1939 wurde Heinz Braunschweiger aus dem KZ Buchenwald entlassen. Zwei Tage später verlängerte der Oberfinanzpräsident die Genehmigung zur Versendung bzw. Mitnahme des Umzugsgutes bis Ende August 1939. Am 14.08.1939 unterschrieb Heinz Braunschweiger bei dem Oberfinanzpräsidenten eine Erklärung, dass er keine Vermögenswerte zurücklasse, und legte die Passagepapiere in die USA sowie die auf den 15.08.1939 datierte polizeiliche Dauerabmeldung nach New York vor. Da sein Pass ab dem 18.08.1939 gesperrt war, wird Stolpersteine vor dem Hamburger Ziviljustizgebäudeer bis dahin nach England ausgereist sein. Vermutlich hatte er eine Passage nach New York auf einem Schiff der Cunard White Star Line gebucht, das aber nicht mehr auslaufen konnte, weil es wegen des drohenden Kriegsausbruchs für militärische Zwecke requiriert wurde. Ihm gelang eine Umbuchung auf das britische Passagierschiff Athenia, das am Nachmittag des 02.09.1939 in Liverpool mit dem Ziel Montreal (Kanada) ablegte.

Am Abend des 03.09.1939 – acht Stunden nach der britischen Kriegserklärung – wurde die Athenia 250 Meilen nordwestlich von Irland von dem deutschen U-Boot U 30 torpediert und versenkt. Dutzende Menschen starben unmittelbar durch die Explosion des Torpedos. Für die anderen begann eine dramatische Rettungsaktion, die sich bis in die Vormittagsstunden des nächsten Tages hinzog und die viele weitere Opfer kostete.2

Von den 1.102 Passagieren und 315 Besatzungsmitgliedern der Athenia fanden 112 Menschen den Tod, unter ihnen auch Heinz Braunschweiger. In der von der „Times“ am 06.10.1939 veröffentlichten Liste der getöteten Passagiere der Athenia ist er als „Henry Braunschneiger, 33, lawyer, German“ aufgeführt. 3

Heiko Morisse

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[1] Das „Mädchen“ war zur „Tatzeit“ 30 Jahre alt.

2 Nachzulesen bei Cay Rademacher, Drei Tage im September. Die letzte Fahrt der Athenia 1939, Hamburg 2009. Diese Versenkung war auch Teil der Anklage gegen die Generaladmiräle Raeder und Dönitz im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess.

3 Den Zeitungsartikel verdanke ich Cay Rademacher. Vergleiche auch www.old-merseytimes.co.uk/ATHENIA.html