(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/10,12) < home RiV >
Presseerklärung des Richtervereins
Die richterliche Kontrolle als rechtstaatliche Errungenschaft
Der Hamburgische Richterverein befürchtet durch die Art und Weise der Presseberichterstattung zu Alkoholkontrollen im Straßenverkehr eine leichtfertige öffentliche Abwertung des Richtervorbehalts. An dieser rechtstaatlichen Errungenschaft zeigt sich besonders klar die Gewaltenteilung und die notwendige Kontrolle der Ermittlungsbehörden durch die Gerichte.
Soweit vom Gesetzgeber im Grundgesetz oder der Strafprozessordnung angeordnet, hat im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorrangig ein Richter über polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Eingriffe in die Rechte der Bürger zu entscheiden. Dies gilt beispielsweise bei Wohnungsdurchsuchungen und Telefonüberwachungen.
Getragen ist dieses Konzept des Gesetzgebers vom Gewaltenteilungsgedanken. Der unabhängige und nicht in das Ermittlungsverfahren einbezogene Richter kontrolliert die Ermittlungsbehörden. Er gewährleistet für den Bürger den erforderlichen rechtsstaatlichen Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen.
Um der Wahrung der Grundrechte immer die gebotene Effektivität zu verleihen, reicht es regelmäßig gerade nicht aus, nur auf einen Telefonanruf eines Polizeibeamten oder Staatsanwalts hin den Eingriff in Grundrechte, z.B. der Blutentnahme zu erlauben. Der Richter – möglicherweise sogar nachts aus dem Schlaf gerissen – würde in diesem Fall nur als Erfüllungsgehilfe der Ermittlungsbehörden tätig, der die gewünschte Maßnahme schlicht absegnet. Er hat indes nach der Konzeption des Grundgesetzes zu kontrollieren. Dazu benötigt er eine Dokumentation der Polizei oder Staatsanwaltschaft, mit der sie den von ihr begehrten Einsatz einer Zwangsmaßnahme begründet. Er benötigt weiter Zeit, um das bisherige Ermittlungsergebnis ebenso zu überprüfen, wie die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Zwangsmaßnahme (Durchsuchung, Beschlagnahme, Blutprobenentnahme, etc.) vorliegen. Nur so kann er eigenständig und verantwortlich, gerade auch im Rechtschutzinteresse des von staatlichem Zwang bedrohten Bürgers, entscheiden.
Es kann nicht darauf ankommen, dass ein Richter „mehr als zwei Stunden“ für eine Entscheidung braucht. Er hat sich die Zeit zu nehmen, die für eine gewissenhafte Entscheidung nötig ist. Die Polizei hat zu warten. Wenn dadurch die Gefahr entsteht, dass Beweise vernichtet oder die Gewinnung weiterer Erkenntnisse gefährdet wird, können die Ermittlungsbehörden ausnahmsweise im Wege ihrer Eilkompentenz (sog. „Gefahr im Verzug“) die Maßnahme auch ohne richterliche Anordnung vornehmen.
Eine Statistik zu veröffentlichen, wie viel Zeit ein Richter in wie vielen Fällen für seine Anordnung benötigt hat, führt nicht nur zu einer diesem Kontrollorgan unwürdigen Erbsenzählerei. Diese Forderung fällt auf die sich in diesem Sinne erklärenden Politiker zurück und zeigt, welchen Stellenwert sie der richterlichen Kontrolle noch beimessen.
Vor diesem Hintergrund und der besonderen Bedeutung einer unabhängigen richterlichen Kontrolle in allen Bereichen des Strafverfahrens Hamburgs, auch bei Verkehrsdelikten, ist ein sensiblerer und verantwortungsvoller Umgang mit den angesprochenen Fragen dringend geboten.
Die Aufforderung an den Gesetzgeber, ob der Richtervorbehalt bei Blutentnahmen bestehen bleiben soll, darf nicht in derart erhitzter Debatte – teils auf Stammtischniveau – erörtert werden.
Hamburg, 22. Januar 2010
Der Vorstand
Gerhard Schaberg