(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/10, 27) < home RiV >

Große Bäume, kleine Äxte?

 

Was gehört zur amtsangemessenen Arbeitsplatzausstattung eines Richters im 21. Jahrhundert?

 

Die Veränderungen der Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen machen auch vor der Justiz nicht halt:

·     Beim Amtsgericht Hamburg findet derzeit eine groß angelegte Umstellung von
Sijus auf Forum Star statt, die erheblichen Einfluss auf die Arbeitsabläufe hat.

·     Erst jüngst wurde eine Entscheidung[1] veröffentlicht, dass ein Handelsrichter die elektronischen Eintragungsanträge nicht am PC ansehen muss, sondern sie sich von der Verwaltung ausdrucken lassen darf. Der Leitsatz des Beschlusses lautet:

„1. Richter sind nicht ausnahmslos verpflichtet, eine neue Technik tatsächlich zur Anwendung zu bringen; vielmehr findet die dahin gehende Erwartung des Dienstherrn ihre Grenze dort, wo nach - willkürfreier - Einschätzung des jeweiligen Richters die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt ist.

2. Eine typische Hilfstätigkeit der Verwaltung zur Unterstützung des Richters kann von diesem nicht als zusätzliche Aufgabe verlangt werden.“

·     Es werden derzeit Gesetzgebungsentwürfe diskutiert, wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur überlangen Verfahrensdauer umgesetzt werden kann, insbesondere welche Sanktionen hier vom deutschen Recht vorzusehen sind. In der Diskussion ist eine Geldentschädigung für Betroffene.

 

All diese Entwicklungen geben aus meiner Sicht Anlass, einmal die Frage zu stellen, was eigentlich in der heutigen Zeit zur amtsangemessenen Arbeitsausstattung eines Richters gehört. Oder anders gefragt: Wie viel Putzen und PC-Wartung ist im Pensum vorgesehen? Wie alt darf der PC sein? Wie groß muss der Bildschirm sein? Wie schnell müssen Richter tippen können? Müssen Richter telefonieren? Wenn ja, mit wem?

Manches ist in diesem Zusammenhang unstreitig und eindeutig. Manches ist hingegen diskussionswürdig und manches an der derzeitigen Praxis deutlich fragwürdig. Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist diese Frage wohl nicht. Die Antwort ist vielmehr aus allgemeinen Grundsätzen herzuleiten. Fest steht: Die Länder sind in der Ausstattung der Gerichte mit nichtrichterlichem Personal und sächlichen Mitteln nicht frei.[2] Soweit die rechtspflegerische Tätigkeit der Geschäftsstelle betroffen ist, folgt dies beispielsweise für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits aus dem Wortlaut des § 13 S. 2 VwGO („erforderliche Anzahl von Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“). Soweit eine die Richtertätigkeit unterstützende Arbeit angesprochen ist, ergibt sich dies aus der allgemeinen (auch bundesrechtlichen) Pflicht der Länder, eine an den Funktionen der jeweiligen Gerichtsbarkeit orientierte Ausstattung zu schaffen, mit der erforderlichen Anzahl qualifizierter Mitarbeiter und mit einer heutigen Ansprüchen genügenden Bürotechnik sowie eine Arbeitsablauforganisation, die auf die Bedürfnisse dieses Zweiges der Gerichtsbarkeit zugeschnitten ist und den Arbeitsablauf insgesamt zwischen allen am Gericht Beschäftigten erfasst.

Der Satz „Diese Pflicht ist bislang durchweg nur unvollkommen erfüllt worden“[3] dürfte aus meiner Sicht auch für Hamburgs Gerichte Geltung haben. Ich schlage vor, hier drei Kategorien zu bilden: a) was muss, b) was soll und c) was kann und darf ein Richter derzeit an Ausstattung erwarten und nutzen.

 

a) Diese Arbeitsmittel müssen Richter benützen:

Gesetze (einschließlich des EU-Rechts). Dies folgt schon aus Artikel 20, Artikel 92 sowie Artikel 97 Grundgesetz. Da viele Gesetze in ihrer aktuellen Fassung am schnellsten online zu finden sind, beispielsweise im elektronischen Bundesanzeiger oder bei Juris, haben Richter wohl Anspruch darauf, angemessenen Zugang zu diesen Quellen zu haben. Dies dürfte unstreitig sein. Fraglich ist wohl vielmehr, was insoweit angemessen ist. Muss jeder Richter einen Internet-Anschluss haben? Wie schnell muss der PC sein? Wie groß muss der Arbeitsspeicher sein und wie groß der Bildschirm?

Was die Bedienungsoberfläche und die Ausstattung des Computer-Arbeitsplatzes anbelangt, haben Richter sicher auch Anspruch darauf, dass sämtliche geltenden arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Die Frage der Schnelligkeit der Rechner und der Größe der Arbeitsspeicher[4] ist demgegenüber grundsätzlich eine Frage der Zweckmäßigkeit, solange damit die Arbeit sachgerecht bewältigt werden kann. Wenn dies aber nicht mehr der Fall ist, reduziert sich das Ermessen des Dienstherrn deutlich.

b) Welche Arbeitsmittel sollen Richter benützen?

Hierzu gehören fraglos die modernen Kommunikationsmittel, insbesondere dann, wenn dies der einzige Weg ist, das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz zu wahren. In diesem Zusammenhang erscheint es beispielsweise schon fragwürdig, wenn die IT-Abteilung des Amtsgerichts Freitag nachmittags um 14.00 Uhr die Rechner ausschaltet und sich dann die Richter Gedanken machen müssen, wie sie bis 15.00 Uhr den Eildienst gewährleisten können, wie erst neulich geschehen.

Hinzu kommt sicherlich auch eine angemessene Berücksichtigung von Fachliteratur und einschlägigen Entscheidungen. Auch hierfür muss seitens des Dienstherrn ein angemessener Zugang gewährt werden.

c) Diese Arbeitsmittel können und dürfen Richter einsetzen:

Hier sind als Beispiele zu nennen u.a. Faxgeräte, Scanner, Software zur Spracherkennung, selbst angeschaffte Bücher, Fotoapparate[5], CD-Brenner, Emails an die Geschäftsstelle und die Kollegen oder auch die Rechtsanwälte, Video- und Telefonkonferenzen. Eine Verpflichtung hierzu besteht allerdings üblicherweise nicht.

 

Und was ist mit dem Datenschutz?

Hier ist einerseits Achtsamkeit gefragt, insbesondere wenn es um sensible Daten geht, die in den Bereich informationeller Selbstbestimmung rechtsuchender Bürger fallen. Andererseits kann übertriebener Datenschutz auch eine erhebliche Arbeitsbremse darstellen, ohne dass hierdurch eine Verbesserung des Rechtsschutzes für den Bürger eintritt.

 

Fazit:

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es dem Dienstherrn gelingen möge, gegenüber dem die Finanzausstattung zur Verfügung stellenden Parlament deutlich zu machen, dass es eine gute, schnelle und funktionsfähige Justiz nicht zum Null-Tarif gibt. Statt den Druck durch Gesetzgebungsvorhaben wie die Verzögerungsgebühr immer weiter zu erhöhen, wäre es lohnender, über die Alternative nachzudenken, die Arbeitsplätze der Richter besser auszustatten und diesen auch eine ausreichende Anzahl von qualifizierten nichtrichterlichen Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen.

Ein konkretes Beispiel: Es ist sicherlich nicht erforderlich, dass Urteile aussehen wie Hochglanz-Werbebroschüren. Eine ansprechende, einheitliche und lesefreundliche Optik der Schreibprodukte wäre aber geeignet, dem Bürger das Gefühl zu vermitteln, dass sein Anliegen bei der Justiz in guten Händen ist. Mit einer gut durchdachten, funktionsfähigen und zeitgemäßen IT-Ausstattung sowie geschulten Mitarbeitern ließe sich dies auch in einem vernünftigen Kostenrahmen bewältigen. Eine zunehmende Verlagerung nichtrichterlicher Arbeit auf Richter aus behaupteten ökonomischen Sparzwängen ist demgegenüber ökonomisch unsinnig[6] und auch funktional sachwidrig.

Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass sich viele Kollegen und Kolleginnen den Neuerungen der Technik auf Dauer verschließen, wenn diese ihnen die Arbeit tatsächlich leichter machte und nicht nur als trojanisches Pferd dienen soll, um immer mehr nichtrichterliche Arbeit auf die Richter zu verlagern. Hier muss von Seiten der Justizverwaltung verlorenes Vertrauen erst neu geschaffen werden.

 

Erläuterung zum Titel: In Anlehnung an die Geschichte über die Waldarbeiter, die immer mehr und größere Bäume fällen sollen, aber keine ausreichenden Werkzeuge hierfür bekommen.

 

Sabine König


[1] Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 20.10.2009 zum Aktenzeichen: 1 DGH 2/08. Der BGH hat noch nicht über die eingelegte Revision entschieden.  

[2]  Vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 18. Auflage 2009, § 5 Rdn. 10 ff.

[3] a.a.O., Rdn. 12.

[4] Dies ist beispielsweise für die Copy/Paste-Funktion und für das Antwortzeitverhalten wichtig.

[5] Ein digitales Foto beim Ortstermin geht schneller und ist insgesamt kostengünstiger zu erstellen; auch gilt hier wie anderswo: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Dies kann als dokumentierter Augenschein angesehen werden.

[6] Richter sind die relativ gesehen teuersten Arbeitskräfte in der Justiz.