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Antrittsrede der Justizsenatorin
„Gutes Regieren braucht gute Justiz: Ein Arbeitsprogramm“ – mit dieser richtungsgebenden Botschaft lud die Senatorin für Justiz und (neu:) Gleichstellung Jana Schiedeck zu einer gemeinsamen Veranstaltung des Hamburgischen Richtervereins, des Kommunikationsvereins Hamburger Juristen und der Gesellschaft Hamburger Juristen in die Grundbuchhalle. Am 10.06.2011 um 14 Uhr war die Halle bis in die oberen Ränge gefüllt – gut 250 Kolleginnen und Kollegen aus allen Gerichtsbarkeiten und der Staatsanwaltschaft hatten sich eingefunden, um die Antrittsrede der „Neuen“ zu hören.
Es wurde eine Tour d’Horizon durch eine Vielzahl von Aufgaben, die sich die Senatorin für die kommenden Jahre gesteckt hat. Sie wies auf die für die Herstellung von Rechtsfrieden bedeutende und die Arbeit der Gerichte entlastende Rolle der Mediation in fast allen Gerichtsbarkeiten hin:
„Wenn es richtig ist, dass die Ursache von Rechtsstreitigkeiten vor Gericht häufig nicht nur in Rechtsfragen liegt, sondern ihre Ursache zum Beispiel in Kommunikationsdefiziten, Missverständnissen oder anderem mehr haben, dann kann auch die Mediation einen sinnvollen Beitrag für eine Konfliktlösung und damit Streitbeilegung liefern. Daher werde ich mich im weiteren Gesetzgebungsverfahren für ein Mediationsgesetz einsetzen, in dem auch die richterliche Mediation ihren Platz hat. Und wir werden die Hamburger Gerichte weiter bei der richterlichen Mediation unterstützen. Dazu gehören auch die regelmäßigen Fortbildungsveranstaltungen für die richterlichen Mediatorinnen und Mediatoren.“
Der Rechtsstandort Hamburg sei, so Schiedeck, international und leistungsfähig. Hierfür gelte es auch Werbung zu machen und den internationalen Rechtsdialog zu stärken:
„Denn eine verlässliche, schnelle und kostengünstige Justiz ist ein wichtiger Standortvorteil. Und da kann Hamburg sich im nationalen und internationalen Vergleich durchaus sehen lassen.“
Und doch: Studien zeigten, so Schiedeck, dass das Zutrauen der Bevölkerung in unser Rechtssystem stetig abnehme.
„Langsam zwar und von einem hohen Niveau, aber dennoch ist das eine Entwicklung, mit der wir uns beschäftigen müssen. Und wir müssen die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Eine möglichst gute Ausstattung – in personeller und in sachlicher Hinsicht – ist Voraussetzung für gute Justiz“.
Zwar wolle sie keine „Wolkenkuckucksheime“ versprechen, indes:
„Ich werde mich nach Kräften dafür einsetzen, damit die Justiz nicht hinten runter fällt, dass sie nicht abgehängt wird von der allgemeinen Entwicklung. Und die Anerkennung bekommt, die sie auch verdient.“
Auch ganz konkret benannte die Senatorin Brandherde aktueller gerichtspolitischer Fragen: Die Zusammenführung der verschiedenen Standorte des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek („Wir wollen das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek deshalb in absehbarer Zeit an einem Standort zusammenführen“) ebenso wie die Unterbringung der Sozialgerichte.
Dass das Schaffen all dieser als notwendig erkannten Arbeitsbedingungen in Zeiten der Haushaltskonsolidierung kein Leichtes sein könne, liege auf der Hand: Die strategische Finanzrahmenplanung für die nächsten zehn Jahre werde auch an der Justiz nicht spurlos vorübergehen.
„Alle Ressorts sind gefordert, ihren Beitrag zu der vor uns liegenden Kraftanstrengung zu leisten. Auf manch Gewohntes oder Liebgewordenes werden wir verzichten müssen“ -
ohne dass es Abstriche bei der Qualität geben dürfe. Hierzu sollten beitragen die Beibehaltung der Möglichkeit zur Besetzungsreduktion in Strafsachen, die „maßvolle Verbesserung der Einnahmesituation“ (etwa durch sozialverträgliche Steigerung bei den Gerichtskosten) und der Ausgabensituation (z.B. durch Rückforderung von gewährter Prozesskostenhilfe, wenn wieder Geld da sei: „Hier haben wir in Hamburg eine ganz schlechte Quote“). Auch der Abbau überzähliger Haftplätze – die Zahl der Strafgefangenen sei in den letzten acht Jahren von 3.100 auf heute knapp 1.800 zurückgegangen – dränge.
Einen Focus setzte Schiedeck – und hier entstand gespannte Aufmerksamkeit im Saal – auf das Thema der amtsangemessenen Besoldung. Eine rückwirkende Besoldungserhöhung zum 1. April und die teilweise Rücknahme der Streichung bzw. Kürzung des Weihnachtsgeldes sind beschlossen – sie wisse, sagte sie, dass Großkanzleien Einstiegsgehälter um die 100.000 Euro böten und dass Richter und Staatsanwälte ihren Beruf aus Überzeugung wählten, weil sie dem Gemeinwohl dienen wollten. Zu Recht, so Schiedeck, werde eine vernünftige Bezahlung eingefordert und sie sei sich darüber im Klaren, dass „sich viele von Ihnen mehr gewünscht hätten, als jetzt erreicht werden konnte.“ Mehr lasse jedoch die Haushaltslage nicht zu.
Zu den zu verbessernden Arbeitsbedingungen zähle auch die Gesundheitsförderung im Strafvollzug, hier müssten dringend Krankenstände abgebaut und die Zufriedenheit der Mitarbeiter verstärkt werden.
Der Ausbildungsstand der Hamburger Juristen sei gut, befand Schiedeck. An der zweistufigen Juristenausbildung und am Leitbild des universell ausgebildeten Richters solle festgehalten werden. Hierzu gehöre auch der Beibehalt des Stationenmodells für Proberichter.
Einen Schwerpunkt will Schiedeck bei der Bekämpfung von Jugendgewalt setzen:
„Inhaltlich geht es darum, möglichst frühzeitig zu intervenieren. Das bezieht sich auf das Alter der Zielgruppe, auf die Eingriffsschwelle und auf die zügige und konsequente Reaktion“.
Auch strafunmündige Kinder, insbesondere Schulschwänzer, müssten ins Blickfeld genommen und die Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Jugendhilfe verbessert werden.
Auch weitere Themenkreise der Strafgerichtsbarkeit – die Reform der Sicherungsverwahrung, den Auftrag wirksamer Resozialisierung und die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität – bezeichnete Schiedeck als drängend. Bezüglich der Sicherungsverwahrung forderte sie eine Beteiligung des Bundes an den anstehenden erheblichen Mehrkosten und kündigte an, die elektronische Fußfessel einführen zu wollen, sobald die technischen Voraussetzungen dies erlaubten. Resozialisierung will Schiedeck u.a. durch frühzeitige Einbindung vorläufig bestellter Bewährungshelfer im Erwachsenenstrafvollzug und Einführung von sozialen Trainingsmaßnahmen für straffällige Jugendliche erreichen. Wirtschaftskriminelle sollen an ihrem „Lebensnerv“ getroffen werden, indem die Vermögensabschöpfung in Straf- und Bußgeldverfahren verbessert wird.
Handlungsbedarf sieht Schiedeck zudem beim Arbeitnehmerdatenschutz: Die Arbeitgeberseite solle verpflichtet werden, die Arbeitnehmer darüber zu unterrichten, welche Daten – insbesondere auch von dritter Seite – über sie erhoben und gespeichert würden. Die anlasslose Durchführung von Screening-Verfahren zur Aufdeckung möglicher Verfehlungen von Beschäftigten müsse ausgeschlossen sein. Auch für die private Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen und im Konzerndatenschutz bedürfe es mehr Schutz und effektiver Kontrolle. Deshalb sei z.B. bereits beschlossen, die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten derjenigen von Berufsrichtern gleichzustellen.
Zur Neuausrichtung der Justizbehörde als Behörde für Justiz und Gleichstellung sagte Schiedeck, dies mache deutlich, welches Gewicht die Gleichstellungspolitik für den Senat künftig haben werde. Mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen sei ein „zentrales gesellschaftliches Reformprojekt“, was nur durch eine gesetzliche Geschlechterquote umgesetzt werden könne. Die Hamburger Justiz gehe bei diesem Thema allerdings bereits vorbildlich voran. Rahmenbedingung für eine „geschlechtergerechte Besetzung von Führungsgremien“ sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Hier solle ein gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm entwickelt werden.
Vorerst ad acta legt Schiedeck die Selbstverwaltung der Justiz, die Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten und die Planung gemeinsamer Obergerichte mit Schleswig-Holstein – sie sagte, diese Projekte, die sie nur am Rand und in einem Atemzug erwähnte, würden viel Geld verschlingen und hohe Reibungsverluste mit sich bringen.
Schiedeck forderte wiederholt und nachdrücklich kontroverse Diskussionen – der rote Faden, der sich durch sämtliche von ihr skizzierte Themen zog, war der Vorsatz, vernünftigen Argumenten gegenüber aufgeschlossen zu sein, eine kritische, selbstbewusste Justiz zu fördern und zu fordern und den intensiven Dialog zu suchen.
Die Reaktionen des Publikums waren freundlich, aber zurückhaltend. Ihr Profil wird sich Jana Schiedeck erst erarbeiten müssen. Denn einig sind sich die Kollegen zumindest darin: Gute Justiz braucht gutes Regieren.
Julia Kauffmann