(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/11, 10) < home RiV >
„Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaats“
… lautet der Untertitel eines Buches des früheren Lübecker Ltd. OStA Heinrich Wille, das dieser wegen ständiger Einsprüche und Verbote seiner Behördenspitze und unerfreulicher Querelen erst kürzlich - nach der Pensionierung - veröffentlichen konnte: „Ein Mord, der keiner sein durfte“[1]. Sollte in diesen schon politisch hochbrisanten Fall auch ein ebenso bemerkenswerter Fehlgebrauch des behördlichen Weisungsrechts (§ 146 GVG) hineinspielen, dessen allgemeine Problematik der Kollege Brezinsky im letzten Heft der MHR kritisch beleuchtet[2]? Auch danach wird zu fragen sein.
Zum Stichwort „Uwe Barschel“ fällt vermutlich den meisten, bei denen es überhaupt noch Nachklänge weckt, selbst nach fast einem ¼ Jahrhundert dessen Ehrenwort ein, das er am 18. September 1987 im brechend vollen Saal des Kieler Landeshauses abgegeben hatte: Der Schluss – leicht pathetisch, die rechte Hand vor Brust und Herz des Redners - lautete damals: „… Und so gebe ich Ihnen, gebe den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holstein und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind. Ich danke Ihnen“.[3] Wenn hinfort ein Kabarettist sich seines Beifalls versichern wollte, brauchte er nur diese Szene zu imitieren, um durch das Hohngelächter seines Publikums über diese Schmierenkomödie belohnt zu werden. Ich räume ein, viele Jahre selbst kaum anders empfunden zu haben, vielleicht schon deshalb nicht, weil Barschel mir als kalt, berechnend, skrupellos, streberhaft und glatt erschien: ein Machtmensch, dem fast alles zuzutrauen sei – ganz im Gegensatz zu seinem soliden Vorgänger Stoltenberg und dem so jungenhaft-sympathischen Konkurrenten Engholm[4]. Wenn man das Drama des Jahres 1987 aber an Hand inzwischen gut erschlossener Quellen noch einmal Revue passieren lässt, wird dieser Rückblick zwar nicht unbedingt der Liebe, aber der Gerechtigkeit des Urteils zugute kommen.
I. Ausgangssituation
1. Uwe Barschel (geb. 1944) macht in der CDU Schleswig-Holsteins schon mit jungen Jahren eine steile Karriere. Aktivitäten in der Jungen Union lassen ihn bald zu Stoltenbergs „jungem Mann“ aufsteigen: 1972 Fraktionsvorsitz im Landtag, 1979 Innen-, später Finanzminister. Als Stoltenberg in Kohls Kabinett nach Bonn wechselt, wird er 1982 mit achtunddreißig Jahren der jüngste Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes. In der Landtagswahl 1983 erringt er, der seine Wahlkämpfe aggressiv und scharfzüngig führt, die absolute Mehrheit der Landtagssitze. Die nächste Wahl steht im September 1987 an. Vier Monate davor, am 31. Mai 1987, stürzt er mit der Cessna einer Privatfluggesellschaft im Anflug auf den Flugplatz Lübeck-Blankensee nachts im Nebel ab und überlebt als einziger der vier Insassen den Unfall - schwer verletzt.[5]. Gut acht Wochen liegt er in der Klinik und zieht dann Anfang August auf Krücken in den Landtagswahlkampf. In der Wahl vom 13.09.1987 verliert Barschels CDU beträchtlich an Stimmen, Engholms SPD gewinnt deutlich hinzu, das Ergebnis aber ist ein Gleichstand, so dass Barschel zunächst Ministerpräsident bleibt. Schon am 25. September jedoch - eine Woche nach seinem öffentlichen „Ehrenwort“ - tritt er zum 2. Oktober vom Amt des Ministerpräsidenten zurück.[6] Am Freitag, dem 6. Oktober, tritt er mit seiner Frau eine Urlaubsreise nach Gran Canaria an, von wo er schon am 10. Oktober vorzeitig allein wieder abreist. Am nächsten Tag, Sonntag, 11. Oktober, entdeckt man seine Leiche:
Der Stern-Journalist Sebastian Knauer, der von seiner Hamburger Redaktion auf Barschels Spur gesetzt worden ist, findet mittags im Zimmer 317 des Genfer Nobelhotels Beau Rivage einen Toten in der mit Wasser gefüllten Badewanne, bekleidet mit Hemd, Hose, Socken und Krawatte. Zuvor hatte er, nachdem er eingedrungen war, sich dort zu schaffen gemacht, auch einen Notizblock vom Nachttisch genommen, um ihn von einem dort lauernden Stern-Kollegen ablichten zu lassen. Knauer selbst photographiert den Toten, dessen Armbanduhr „12:44“ zeigt, ausgiebig (verbraucht dafür nicht weniger als fünf Filme) und telefoniert aus dem Zimmer auch mit der Hamburger Redaktion[7]. Er lässt über eine Stunde verstreichen, ehe er die Polizei informiert, so dass der Genfer Erkennungsdienst erst gegen 15 Uhr erscheint. Knauer wird nur oberflächlich vernommen. Was er der Polizei erzählt, entscheidet er mehr oder weniger selbst. Von seinen Fotoaufnahmen kein Wort; die schmuggelt er in seiner Mütze aus dem Haus. Die Polizei kann später jedenfalls eines der heimlichen Fotos im Hamburger „Stern“ besichtigen[8].
2. Soweit ein grober Abriss dessen, was Baentsch als „Doppelmord“ annonciert, wobei zu unterscheiden wäre zwischen dem inzwischen solide bewiesenen Rufmord als dem einen und dem physischen Mord im Beau Rivage als dem anderen Teil dieses Dramas, wobei die zwei Teile miteinander eng verwoben sind: Dass Barschel in Genf von fremder Hand umgebracht worden ist, kann inzwischen als sicher gelten. Wer aber die Täter waren, und wer sie auf das Opfer angesetzt hatte, bleibt auch angesichts interessanter Befunde und ernsthafter Hypothesen letztlich doch Gegenstand von Spekulationen.
II. Spiegel-Geschichten im Wahlkampf
Am 07.09.1987, wenige Tage vor der Landtagswahl, kommt der SPIEGEL mit der Titelgeschichte „Waterkantgate[9]: Spitzel gegen den Spitzenmann“ heraus, in der zu lesen steht, dass aus der Kieler Staatskanzlei heraus – wie ein „hochgestellter Informant“ dem SPIEGEL gerade offenbart habe - Rufmord, Fälschung und diffamierende Attacken auf Engholm ins Werk gesetzt würden. Man habe ihn auf der Suche nach politischen und privaten Seitensprüngen beschattet und bespitzelt, AIDS-Verdacht gegen ihn gestreut, auch eine anonyme Steuer-Strafanzeige gegen ihn lanciert (S. 38 f, 105). Der „Sozialdemokratische Pressedienst“ greift das unter der Überschrift „Barschel und die Detektive“ auf:
„Leute wie Barschel und seine ehrenwerte Hintermänner sind Demokraten, gewiss … Droht die Gefahr, dass ein besserer Mann mit einem besseren Programm auf demokratischem Wege die Gunst der Wähler erringt, dann lässt Barschel die Maske des Biedermanns fallen und greift zu anderen Methoden. Mit einer Schmutz- und Schnüffelkampagne ohne Beispiel zeigt Barschel sein wahres Gesicht … Dabei ist keine Lüge zu obszön, keine Verleumdung zu niederträchtig, als dass Barschel sie nicht als geeignet für die Diffamierung seines populären Gegenkandidaten ansähe“. (S. 111)
Auf Anraten von RA Peter Schulz (Hamburg), der die Kieler Landes-SPD in presserechtlichen Verfahren zu vertreten pflegt, erstattet Engholm auf Grund des Spiegelaufsatzes Strafanzeige gegen Unbekannt – den ungenannten SPIEGEL-Informanten in der Staatskanzlei.[10]
Am Samstag, dem 12. September – am Vortage der Wahl – platzt mitten ins Unterhaltungsprogramm des NDR hinein eine Vorabmeldung des SPIEGEL zur Titelgeschichte vom folgenden Montag „Watergate in Kiel – Barschels schmutzige Tricks“. Jetzt wird den üblen Machenschaften noch eine weitere – die „Wanzenaffaire“ – hinzugefügt[11] und vor allem nun der Helfer an Barschels Seite enthüllt und das Photo des Mannes gezeigt, der zuvor nur ein „hochgestellter Informant“ gewesen war: Reiner Pfeiffer, der von Barschel mit all’ den widerwärtigen Aktionen gegen Engholm beauftragt worden sei, so dass Pfeiffer selbst diese Gemeinheit dann doch zu weit gegangen sei, so dass sein Gewissen geschlagen und er sich dem SPIEGEL offenbart habe - was er dem Blatt notariell und eidesstattlich versichert. Diese Meldung hatte die Hamburger Redaktion „früh genug platziert, um bis in die letzte Kate zwischen den Meeren auch wirklich jede und jeden zu erreichen, aber doch so spät, dass der attackierte Regierungschef ohne alle Chance zur publizistischen Gegenwehr war“ (hier hatte der SPIEGEL den für Vorabmeldungen üblichen Freitagstermin auf Samstag verschoben). So „konnte der Sprengsatz seine ganze Wirkung entfalten. Fortan kam keine Nachrichtensendung in Rundfunk oder Fernsehen mehr aus ohne das Neueste von Pfeiffer über „Barschels schmutzige Tricks“ – an jenem Samstag nicht, am Wahlsonntag nicht und nicht in den folgenden Wochen und Monaten“ (S. 40).
Noch am Tag der Landtagswahl, dem 14.09. 1987, stellt Barschel „gegen Rainer Pfeiffer u.a.“ Strafantrag wegen Verleumdung und übler Nachrede. Pfeiffer werden alsbald sämtliche Beschuldigungen, die er gegen Barschel erhoben hat, gerichtlich untersagt, ohne dass er widerspricht (S. 316, 39).
III. Rainer Pfeiffer
Wer war dieser Mann, von dem es bald landauf, landab hieß, er habe dem Ministerpräsidenten als Mann für’s Grobe gedient? Barschel hatte 1986 im Hause Springer angefragt, ob man ihm für den bevorstehenden Wahlkampf einen Helfer für „Öffentlichkeitsarbeit“ zur Verfügung stellen könne, und hatte den bei Springer mit 9.000 DM dotierten Journalisten Pfeiffer - früher gelegentlich freier Mitarbeiter des SPIEGEL, dann Chef des Bremer „Weser Report“ der CDU – empfohlen bekommen, der dann zum Januar 1987 in Kiel von der Landesregierung im Zeitvertrag (bis zur Wahl) als sog. Medienreferent in der Pressestelle der Staatskanzlei angestellt wird (eine miese Vermischung von Staatsaufgaben mit Parteigeschäften, ein freilich längst allseits eingerissener übler Missbrauch).
Dass Pfeiffer den Oppositionsführer Engholm, wie im Spiegel geschildert, mit Dreck beworfen hat, steht als Tatsache fest. Er selbst hat das auch in dutzenden (gut honorierten) Interviews bereitwillig ausgeplaudert. Geschah das aber im Auftrag und mit Wissen des Ministerpräsidenten, der seinen politischen Gegner damit fertig machen wollte? Daran zu zweifeln, gab es von Anfang an Gründe, über welche die Medien aber hinweg gingen, indem sie sich - ganz im Gegenteil - darin überboten, die Spiegel-Version auszuschmücken, um zu zeigen, wie ein guter Mensch von einem skrupellosen Dunkelmann politisch und menschlich niedergemacht wird. Engholm selbst zeigt sich öffentlich überrascht, betroffen, verletzt und empört über Pfeiffers Machenschaften, von denen er über bloßen Verdacht hinaus erst am Vortag der Wahl durch den Vorabdruck des SPIEGEL erfahren habe.
Tatkräftige Lübecker Staatsanwalte nehmen sich noch am Wahlabend des 13.09.1987 der überkreuzten Strafanzeigen Engholm/Unbekannt und Barschel/Pfeiffer an, erscheinen alsbald bei der SPIEGEL-Quelle Rainer Pfeiffer und stellen dort fest, dass er unter Vorlage gefälschter Papiere bei der Landesregierung angeheuert hatte und eine Latte von zehn Bremer Strafverfahren wegen übler Nachrede, Verleumdung usw. aufwies; auch beim Weser-Report schließlich hinausgeworfen worden war, weil er mit unbewiesenen Behauptungen und Verleumdungen sein Konto überzogen hatte (S. 46). Der wichtigste Fund aber ist Pfeiffers Tageskalender, in dem Bemerkenswertes über seine Kontakte steht, besonders der Eintrag vom 16.07.1987: „Treffen mit Nili“, wobei dies ein Kürzel für Klaus Nilius ist, Engholms Pressesprecher und politisch Vertrauter (S. 40 f, 102–104).[12]
Dazu eine Rückblende:
Vier Wochen nach der tragischen Katastrophe vom 31. Mai in Lübeck-Blankensee (s.o.!) schreibt die Mutter des damals tödlich verunglückten Piloten einen Brief an Barschel, in dem sie ihn (fälschlich) für den Absturz verantwortlich macht: „Herr Dr. Barschel, können Sie nachts ruhig schlafen, Sie haben drei Menschenleben auf dem Gewissen! Ihnen war bekannt, dass Lübeck-Blankensee nur auf Sicht angeflogen werden konnte …“ (S. 39). Während Barschel zu dieser Zeit schwer verletzt in der Klinik liegt, nimmt in seinem Büro Pfeiffer den Brief in Empfang, kopiert ihn und bietet diesen Fund zunächst dem SPIEGEL an, der das Angebot jedoch zurückweist. Augstein erklärt seinen Redakteuren, für eine Landung sei stets allein der Pilot, nie der Fluggast verantwortlich, und dieser – ihm persönlich gut bekannte – Pilot lasse sich erst recht von niemandem dreinreden. Dann geht Pfeiffer mit seinem verschmähten Dokument zu „Nili“, der es erfreut entgegen nimmt, um diese Neuigkeit öffentlich zu streuen. Die Morgenpost bringt dementsprechend am 29. Juli einen Auszug und der STERN in seiner Juli-Ausgabe den ganzen Brief[13]. So betätigt sich Pfeiffer auch hier schon als „Mann für’s Grobe“ im Hause des Kieler MP, allerdings für die Gegenseite.
Nachdem der SPIEGEL am 7. September gegen Barschel die erste Salve „Waterkant-Gate“ abgefeuert und RA Schulz auftragsgemäß „Strafanzeige gegen Unbekannt“ erstattet hatte, bittet ihn der Landesvorsitzende Jansen zu einem Treffen ins Lübecker Hotel Lysia, zu dem auch Pressesprecher Nilius erscheint, der noch einen Gast mitbringt: Reiner Pfeiffer, über den RA Peter Schulz später in seine Lebensbiographie schreibt, der Mann habe auf ihn einen miserablen Eindruck gemacht, und er habe ihm nur widerstrebend zuhören können. Pfeiffer berichtet in diesem kleinen, scheinbar vertraulichen Kreis, dass Barschel ihn mit niederträchtigen Aktionen gegen Engholm betraut habe, gibt also einen mündlichen Vorbericht zur nächsten, zur vorerst letzten SPIEGEL-Story in dieser Sache. Wer in diesem Quartett allein genasführt werden sollte, war der gutgläubige Hamburger Altbürgermeister, der gegen den Rat Jansens, damit doch bis nach der Wahl zu warten, sofort zu Engholm fährt, um ihn über einen, wie er irrig annimmt, ihm unbekannten Feind zu informieren. Der SPIEGEL zahlt seinem Informanten Pfeifer schon eine Woche nach der Wahl, am 21. September, ein „Honorar“ von 165.000 DM, später 35.000 DM dazu und obendrauf Anwalts- und Gerichtskosten nebst Gratisurlaub. Später schießt auch der SPD-Landesvorsitzende Günther Jansen 20.000 DM für Pfeiffer nach; aber diese Geschichte gehört noch nicht hierher.
IV. Der Rücktritt
Die Pfeifferstory, deren publizistische Posaune der SPIEGEL gewesen war, die fast alle Medien bereitwillig übernommen hatten, war also erstunken und erlogen, was – natürlich außer Pfeiffer selbst - damals niemand so genau wusste wie Uwe Barschel. Und als er am 18. September diesbezüglich sein abstreitendes „Ehrenwort“ gibt, kann er sich rechtens nur als Kampagnenopfer fühlen und eben nicht als Täter der vom SPIEGEL kolportierten Schweinereien. Warum dann aber sein Rücktritt am 25. September 1987? Darüber kann man nach seinem Tode nur noch Vermutungen anstellen:
Pfeiffer hatte auch erzählt, Barschel habe in sein eigenes Diensttelefon eine sog. Wanze einbauen lassen wollen, um sie dort später entdecken zu lassen und dann zu behaupten, offenbar habe Engholms SPD das Ding heimlich eingesetzt, um ihn auszuspionieren. Er – Pfeiffer – habe zu diesem Zweck sich um eine Wanze für Barschel kümmern sollen. Auch diese ziemlich absurd konstruierte Geschichte hatte Barschel mit Recht weggewischt, dann aber auf einer späteren Pressekonferenz gesagt, über eine „Wanze“ habe er mit Pfeiffer niemals auch nur ein einziges Wort gewechselt. Das stimmte indessen nicht, denn am 08.09.1987 hatte er um 20:07 aus dem Auto Pfeiffer angerufen und gefragt, was „mit der Wanze nun wäre“. Der Zusammenhang dieser Anfrage ist heute unaufklärbar. Baentsch meint: „Die Wanze interessierte ihn (Barschel), weil er in seiner am nächsten Tag von Telefontechnikern zu wartenden Anlage so ein Ding vermutete. Es erweist sich, dass die Anlage defekt ist“. (S. 316). Jedenfalls hat Barschel den erwähnten Satz („nie ein Wort gewechselt“) nun einmal ausgesprochen und hundert Journalisten hatten ihn notiert. Da wird in die Pressekonferenz, auf der Barschel angegriffen wird und er genötigt ist, auf jedes seiner Worte peinlich zu achten, ein Protokollzettel der Bundespost über Autotelefonate hineingereicht, der das Pfeiffer-Gespräch von ein paar Sekunden Länge mit dem Wort „Wanze“ ausweist. Jetzt hat der Vorwurf, Barschel lüge, eine Anknüpfung gefunden, er ist vom Moment überfordert, wirft entnervt das Handtuch und erklärt seinen Rücktritt. Wenig später bittet Barschel seinen Staatssekretär Ahrendsen, das genannte Autotelefonat „auf sich zu nehmen“, was der auch tut und eidesstattlich bekräftigt.
Seine Urlaubsreise tritt Barschel am 06.10.1987 dann aber in Kampfeslaune an. Wie Gespräche und Dokumente von Gran Canaria ausweisen, will er den Urlaub dort vorzeitig abbrechen, um unter dem Eindruck, dass inzwischen seine eigene CDU- Fraktion ihn hatte fallen lassen (S. 166 ff.), sich schon am Montag dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss stellen, dort „auspacken“ und seine Rehabilitierung erzwingen. Aber da war er schon tot.
V. Nachwahlkampf – und PUA I
Am Nachmittag des Sonntags, 11. Oktober, 15:25 Uhr, meldet Radio Schleswig-Holstein: „Der frühere Ministerpräsident hat sich nach Informationen der Bildzeitung auf dem Rückflug von seinem Urlaub … erschossen“; 15:32 Uhr: „Wie Bild nach eigenen Angaben aus der engsten Umgebung Barschels erfuhr, habe Barschel keinen Ausweg mehr gesehen“; die dpa schließt ihren Bericht um 17:13 Uhr mit den Sätzen: „In seinem Zimmer im Hotel Beau Rivage in Genf wird Barschel erschossen in der mit Wasser gefüllten Badewanne liegend gefunden. Das LKA Kiel bestätigt den Selbstmord“ (S. 43). Die angeblichen Quellen bleiben im Dunkeln. Vielleicht hatte der Stern-Mann Knauer Nachrichten gestreut - aber sein Foto, das um die Welt geht, lässt Einschüsse nicht erkennen, von denen später auch keine Rede mehr ist. Für den STERN ist es ein wahrer „Knüller“, dass sein Mann im Todeszimmer des Hotels sozusagen „exklusiv dabei“ gewesen ist. Künftig (genauer: bis ins Frühjahr 1993) gilt ihm Barschels Selbstmord nicht als These sondern völlig unbestreitbare Tatsache. Der SPIEGEL, der an der Barschel-Affäre ohnehin das Erstgeburtsrecht beanspruchen durfte, schlägt in die gleiche Kerbe wie der STERN und widmet der Doppelaffäre von Kiel und Genf mehr Titelgeschichten als allen anderen Ereignissen vorher und nachher (45). Er rühmt sich in einer Hausmitteilung (42/1987), nicht weniger als 21 seiner Redakteure seien an den Recherchen zum Thema „Waterkantgate“ beteiligt gewesen. Selbstmord wegen aussichtsloser Verstrickung ins eigene Lügengeflecht – diesem Tenor wagt kaum jemand zu widersprechen. Er ist inzwischen schon zum kulturellen Besitzstand aufgestiegen: Zwei Jahre nach den Kieler „Enthüllungen“ führt das Hamburger Schauspielhaus das Bühnenstück „Macbarsh“ auf, eine Macbeth-Persiflage mit „Barschel-Fakten“, dem SPIEGEL gewidmet mit den Worten: „Die Spiegel-Redaktion hat das Stück eigentlich geschrieben. Wir möchten unseren Dank für einen Journalismus ausdrücken, der mehr als einmal fast alleine die Unabhängigkeit der freien Presse in der Bundesrepublik repräsentiert hat“[14]. Auch der PUA I, der Barschels Taten ohne den Hauptbeschuldigten nachspüren soll, stimmt unter Einschluss der CDU (federführend: Trutz Graf Kersenbrock) das gleiche Lied an – bis zur Schlussapotheose: „Der Untersuchungsausschuss musste mit Entsetzen feststellen, dass der Regierungschef des Landes seine Macht willkürlich zu Lasten seines politischen Gegners missbraucht hat ... Ausgehend vom MP hat der Medienreferent Pfeiffer aus der Regierungszentrale heraus Aktionen gegen die Person des Oppositionsführers eingeleitet und damit die Würde des Menschen Engholm angetastet. Dass alle diese Machenschaften aufgedeckt wurden, ist Folge der Wachsamkeit der kritischen Presse …“.
Die PUA-Ermittlungen waren seltsam verlaufen. Pfeiffer war dort anfangs als Zeuge aufgetreten, allerdings nur kurz und hatte dann (anwaltlich von RA Hajo Wandschneider beraten) weitere Auskünfte „wegen der Gefahr der Selbstbelastung“ verweigert, insbesondere alle Antworten auf nahe liegende Fragen (etwa nach „Nili“ und anderen), die der Kieler Professor Erich Samson – als Vertreter der Familie Barschel - zum Befremden des Gremiums an dessen „Kronzeugen“ gestellt hatte. Der Ausschuss – unter seinem Vorsitzenden Klaus Klingner, der später von Engholm zum Justizminister berufen werden wird - nimmt das hin[15]. Trotzdem bleibt Pfeiffer der „Kronzeuge“, und seine teils unschlüssigen, sämtlich aber unüberprüften Erzählungen liegen schließlich den „Feststellungen“ zugrunde.
VI. Der „Schubladenausschuss“
Der Kieler Landtag hat sich von der Wertlosigkeit des PUA I – Berichts später selbst überzeugen müssen: Durch die bis in alle Details untermauerten Feststellungen des „PUA II“, den er am 10.03.1993 zur Aufklärung der alten Sache eingesetzt hatte, der sich also den Bericht des Vorgänger-Gremiums Punkt für Punkt vorgenommen hatte und nach Vernehmung von mehr als 200 Zeugen in 241 Sitzungen in seinem über 700 Seiten starken Schlussbericht[16] zum Ergebnis gekommen war, dass der alte Bericht wertlos sei und dass Pfeiffer alle Machenschaften und Schweinereien ohne Veranlassung und Wissen Barschels selbst erdacht und inszeniert hatte, dass der Ministerpräsident allerdings in bestimmten Punkten, die mit Pfeiffers Urheberschaft freilich nichts zu tun hatten, gelogen und sich sogar (in Sachen Ahrendsen) strafbar gemacht hatte.
Dieser zweite Ausschuss, dessen eigentlich sensationelle Befunde später wieder einer merkwürdigen Vergessenheit anheim fielen, hatte sich zur Zeit seiner Tätigkeit öffentlichen Interesses durchaus erfreut und hieß im Volksmund „Schubladenausschuss“[17], was sich wie folgt erklärt:
Nach Engholms triumphalen Wahlsieg vom 08.05.1988 (über 54%!) hatte ein „Bremer Journal“ vom Wahlsieger verlangt, es würde ihn gern darüber interviewen, wie er denn nun seinen „besten Wahlhelfer“ – Rainer Pfeiffer – aus dessen finanziellen Notlage heraus zu helfen gedenke. Der Schreiber kündigt zugleich an, seine Anfrage nebst der erwarteten Antwort der Presse zu übermitteln. Bei der SPD schrillten die Alarmglocken: Erpressung! Was aber tun? Hier ist nun die oben abgebrochene Geschichte von Günther Jansens 20.000 DM weiter zu erzählen: Nilius („Nili“) unternimmt es, Pfeiffer das Interview auszureden – nicht ohne Bezahlung, versteht sich. An einem Parkplatz in der Nordheide bekommt Pfeiffer sein Geld – nach und nach bar in Scheinen. Die Mittel stammen vom Landesvorsitzenden Jansen, der später berichten wird, er und seine Frau hätten diese Gelder für Pfeiffer, dessen Verelendung ihnen leid getan habe, in ihrer Schublade nach und nach zusammengespart und das Geld dem Bittsteller dann im November 1988 und später durch Nilius überbringen lassen. Nachdem eine erboste, weil abgehalfterte Geliebte Pfeiffers diese Story dem STERN hinterbracht hatte und dort eine Exklusiv-Veröffentlichung bevor stand, trat Jansen die Flucht nach vorne an und offenbarte sich am 01.03.1993 auf einer Pressekonferenz – als Wohltäter mit Schublade („Wahrheit aus der Schublade“; S. 235 ff.). Angesichts dessen war der Spruch des ersten PUA für den Landtag erledigt. Anfang Mai 1993, bald nach dem Start von „PUA II“ (nun mit den „Betroffenen“ Engholm, Jansen, Nilius), tritt Engholm als Kieler MP und Kanzlerkandidat der SPD zurück.
VII. Nach dem „Tod in Genf“
- Gebremste Aufklärung: Publizistik, Parteiinteressen, Kriminologen, Gutachter und Juristen -
Zunächst müssen wir den Zeiger der Uhr wieder um einige Jahre zurück drehen – zum 11.10.1987, an dem zwei Abgesandte des Hamburger STERN und eine dilettantische Genfer Polizei im Beau Rivage die Aufklärung bereits nachhaltig erschwert hatten[18]. Die Spurensicherungen am Tatort, die nun erhöhter Sorgfalt bedurft hätten, werden nur lässig ausgeführt. Die zufällig an den Fall geratene junge Ermittlungsrichterin Claude-Nicole Nardin erweist sich als überfordert, zeigt aber auch wenig Interesse an dieser -eigentlich hochbrisanten – Akte. Anfang 1988 will sie das Verfahren einstellen, wird aber durch den erfolgreichen Einspruch des Bruders Eike Barschel daran gehindert, der seinerseits aktiv wird und im März 1988 eine „Strafanzeige gegen Unbekannt wegen vorsätzlicher Tötung“ erstattet, die er mit wichtigen selbst ermittelten Beweismitteln und Bekundungen zum Tatgeschehen untermauert hat, um die sich die Justiz nicht gekümmert hatte (S. 214 ff.).
Barschels Leiche wird am Abend ihrer Auffindung im gerichtsmedizinischen Institut Genf obduziert ohne vorherige fotographische Dokumentation. Die medizinischen und chemischen Untersuchungsergebnisse bleiben geheim – für die Öffentlichkeit, nicht auch für die Geheimdienste: die Normannenstrasse (Stasi) erfährt sie noch vor der Untersuchungsrichterin (S. 192). Nachdem der Bruder Eike Barschel mit der Witwe Freya am Montag, dem 12.10.1987, in einer großen Pressekonferenz mit ihrem Urteil „Es war Mord!“ internationales Aufsehen erregt hatten (S. 193 f.), war drei Tage darauf, am 15. Oktober, in der international renommierten Baseler Zeitung zu lesen:
„Nach sehr zuverlässigen Informationen, welche die BAZ bekam, haben die politischen und die Justizbehörden von gewichtiger deutscher Seite und über mehrere Kanäle den Wunsch übermittelt bekommen, dass es in aller Interesse wäre, wenn man diesen Fall als Selbstmord einzustufen könnte“.
Dementi? Darauf folgen weder ein Widerrufsverlangen noch eine Richtigstellung – von keiner Seite. Auch die Schweizer und deutschen Medien, die zu der Zeit fast nur das Thema Barschel traktieren, schweigen dazu (S. 26 f., 319).
Im Auftrage der Familie Barschel – nicht von Amts wegen, die Kieler Justizbehörden wollen die Akten lieber schließen! – wird am
24.10.1987 die Leiche in Hamburg-Eppendorf zum zweiten Male obduziert – fünf Stunden lang (S. 200 ff.). Die Professoren Jansen und Püschel sind entsetzt über die flüchtige Arbeit der Genfer Kollegen. Akribisch registrieren die Hamburger jetzt Verletzungen des Schädels, die sich das Opfer nicht selbst habe beibringen können[19] – und anderes mehr. Die toxikologischen Befunde passen zu gewissen Verletzungen im Naseninneren und am Kehlkopf, die eine gewaltsame Beibringung von Giften mittels Schlauch indizieren. Auch der Züricher Toxikologe Prof. Brandenburger weist vier Substanzen unterschiedlicher Wirkkraft und Menge im Magen Barschels nach (S. 203-206; 320 oben), der nach vorheriger Betäubung an einer schweren Vergiftung durch das Medikament Cyclobarbital gestorben sei, das er selbst sich nicht habe verschaffen können, das ihm vielmehr Dritte beigebracht hätten[20].
Zur Lübecker Justiz: Die Ermittlungsgruppe OStA Kleiners hatte im September 1987 zügig zugegriffen, den SPIEGEL–Vertrauten Pfeiffer entlarvt und auch an Engholm ein paar kritische Fragen gestellt (näher S. 40 ff.), was der auf den Delinquenten Barschel fixierte PUA I übel vermerkte und der StA den Vorwurf des PUA-Vorsitzenden Klingner eintrug, „einseitige Ermittlungen zum Nachteil der SPD“ zu führen[21]. Nachdem Klingner im Mai 1988 zum Justizminister des Landes aufgestiegen ist und seine Leute in maßgebliche Führungspositionen berufen hat, ist die Linie klar (S. 54): Barschel war der Lump gewesen, Pfeiffer sein willig-unwilliger Vollstrecker, Barschels Suicid aber als politischer Bilanzselbstmord Eingeständnis und Beweis seiner Schuld. Kleinert, dem immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, geht resigniert und gesundheitlich angeschlagen vorzeitig in Pension (S. 41 f.). Auch die Genfer Behörden wollen von der „Todesermittlungssache Barschel“ nichts mehr hören, während die Lübecker StA angehalten wird, ihre Untätigkeit als Respekt zu drapieren: „Es kommt der StA Lübeck nicht zu, sich als Aufsichtsbehörde für eine Schweizer Untersuchungsstelle zu gerieren“[22].
Als Heinrich Wille im Januar 1993 zum Leiter der StA Lübeck berufen wird, gibt es (wie oben schon erwähnt) bald Neuigkeiten: Die Rücktritte Engholms und Jansens, Einsetzung des Schubladenausschusses. In Genf hatte schon 1992 ein anderer Wind zu wehen begonnen. Der neue Generalstaatsanwalt Bertossa hatte unter dem Titel „Warum machen die Deutschen ihre Arbeit nicht?“ im STERN die deutsche Tatenlosigkeit angeprangert: „Barschel“ sei eine deutsche, keine Schweizer Affäre; und nach möglichen Mordmotiven sollten die Deutschen, bitte, selbst suchen[23]. Dieser harten Kritik folgt keine Kieler Verwahrung, Erklärung oder Richtigstellung – nichts; so wenig wie schon nach der Mitteilung der Baseler Zeitung v. 15.10.1987 über absonderliche deutsche Zumutungen.
Bemerkenswert aber der neue Ton in der Medienlandschaft. Der STERN traut der von ihm selbst eifernd verfochtenen Selbstmordthese offenbar nicht mehr. Der SPIEGEL, das Flaggschiff der Affäre, geht am 06.10.1997 noch etwas weiter: „Es könnte aber auch Mord gewesen sein. Und wenn es einer war, dann war es Profiarbeit, das perfekte Verbrechen. … Manche sind deshalb perfekt, weil sie unvorstellbar erscheinen. Als Barschel sich nach seiner Kieler Affäre von den CDU-Parteifreunden verraten und fallen gelassen sah, drohte er, über die Affären auszupacken, die in der CDU ohne ihn gelaufen waren. … Es gab zu viele Teilnehmer dieser Geschäfte, die Enthüllungen zu fürchten hatten: südafrikanische Waffenhändler, iranische Agenten, die Stasi. … Barschel wurde von Agenten dieser Kreise in die Schweiz gelockt, damit er dort mundtot gemacht wurde. Der Mord wurde als Selbstmord getarnt. … Es ist nicht auszuschließen, dass eine solche Version der Wahrheit am nächsten kommt“ (S. 247). Stefan Aust räumt dann als neuer SPIEGEL-Chefredakteur mit der von seinem Vorgänger Erich Böhme verbissen verfochtenen Selbstmordthese endgültig auf[24].
Das heißt freilich nicht, dass Heinrich Wille, nachdem er sich in die ihm zunächst fremde Materie „Rechtshilfe- und Todesermittlungssache AR 269/87 und 705 Js 3324/87“ (Barschel) eingearbeitet hat, von seinen Oberen grünes Licht bekommt, nun alles Nötige zügig zu ermitteln. Er gerät zwischen die Fronten und in Konflikt mit alten Freunden, denen er früher in der AsJ[25] verbunden und politisch eines Sinnes gewesen war[26] (u.a. Klaus Klingner und Heribert Ostendorf – später Klingners Generalsstaatsanwalt, mit dem Wille immer wieder heftig zusammenstößt). Darüber berichtet er in seinem umfangreichen Buch[27].
VIII. Mördersuche, Verschwörungstheorien
Wenn also - im gedanklichen Ausschlussverfahren - nur eine Tötung von „dritter Hand“ übrig bleibt, stellt sich die Frage, wer der Täter war und wer ihn geschickt hatte. Es kann als sicher gelten, dass fremde Geheimdienste mit dem Mord zu tun hatten. Schon die - wiederholt erwähnte - Notiz der Baseler Zeitung vom 15.10.1987 weist auf Zusammenhänge, die mit deutscher Innen- und Parteipolitik kaum noch etwas zu tun haben. Der SPIEGEL vom 06.10.1997 dürfte mit seiner noch in den Konjunktiv gekleideten These der Wahrheit schon ziemlich nahe kommen. Freilich gibt es keine Anhaltspunkte dafür anzunehmen, dass Barschel selbst sich in Waffengeschäfte verstrickt hatte und dann in Genf vom entsprechenden „Milieu“ beseitigt worden wäre. Viel mehr spricht dafür, dass gerade die Ablehnung solcher Geschäfte, die er im Februar 1987 in einer Kieler Landtagsdebatte unzweideutig zu Protokoll gegeben hatte[28], in „befreundeten Staaten“ auf Missfallen gestoßen war, und dass seine Ankündigung, am 12.10.1987 vorzeitig nach Kiel zurückkehren zu wollen, um vor dem Parlamentsausschuss „auszupacken“, gewisse Alarmglocken hatten schrillen lassen. Dies lässt sich mit einer Fülle von Indizien – bis in das Hotel Beau Rivage hinein - ziemlich gut detaillieren und belegen[29] – aber nicht hier.
Nun gibt es neben zahlreichen plausiblen Spekulationen, die aber mehr ins Allgemeine gehen, auch eine Quelle, die just den Fall Barschel betrifft, oder ihn zu betreffen behauptet: Victor Ostrovskys: „Geheimakte Mossad – Die schmutzigen Geschäfte des israelischen Geheimdienstes“[30]. Der 1949 geborene Autor war als junger israelischer Armeeangehöriger vom Mossad angeworben worden und für ihn jahrelang tätig gewesen – mit wachsenden Skrupeln, so dass er sich von ihm trennte, allerdings engen Kontakt zu Freunden hielt, die - wie er früher selbst - dort eine Reform anstrebten. Nach dem Ausscheiden fügte er – im fernen (und halbwegs sicheren) Kanada - unendlich viele Notizen über diese Jahre im Dienst zum o.g. (mit Details überfrachteten) Buch zusammen. Darin schildert er eigene Erlebnisse, also Aktionen, die er selbst mit durchgeführt hatte, und solche, die ihm seine Freunde mit der Bitte geschildert hatten, auch sie zu seinem Protokoll zu nehmen. Zu diesen mittelbaren Berichten gehört auch der vom Mord im Genfer Beau Rivage im Oktober 1987, dessen deutsche Vorgeschichte - mit der Schmutzkampagne des „Whistler“(= Pfeiffer!) – am Anfang steht[31]. Dann wird die Mordprozedur geschildert - ausgeführt von einem trainierten Kommando des Mossad, die damit beginnt, dass Barschel betäubenden Wein trinkt, sich mit der Beibringung diverser Gifte, auch über Nasen-Schläuche u.a., fortsetzt und in der Badewanne endet - beschrieben bis in Details[32], auch mit Einzelheiten, die den toxikologischen Gutachten in ihrer Verbindung mit anderen Befunden exakt zu entsprechen scheinen (S. 283 f). Bemerkenswerterweise hat die Staatsanwaltschaft Lübeck darauf verzichtet, den in Kanada aussagebereiten Zeugen zu vernehmen – „wegen offenkundiger Diskrepanzen seines Berichts“ (S. 282, 284).
Man kann das gewiss als „Verschwörungstheorie!“ abtun – wie der frühere Spiegeljournalist Hans Leyendecker in der SZ vom 21.11.2010, wo er über „Drei alte Männer auf Mördersuche“ schreibt:
„… Ostrovsky behauptet, beim Tod des Politikers hätten israelische Hintermänner eine Rolle gespielt, Barschel sei von einem Mordkommando ermordet worden. Der israelische Geheimdienst Mossad teilte danach der Bundesregierung offiziell mit, der frühere Mossad - Mitarbeiter Ostrovsky sei verrückt ...“.
Wenn es zutrifft, dass die Bundesregierung sich mit dieser frechen Diffamierung eines unbequemen Mossad-Kritikers hat abspeisen lassen, würde freilich auch dies in die abwiegelnden Regie fast aller Instanzen hinein passen, die – bis auf ein paar „übereifrige Staatsanwälte“[33] - im Laufe der Jahre mit dem Fall Barschel konfrontiert worden waren.
Man wird sich nach allem wohl damit abfinden müssen, dass die Frage nach dem Mörder ohne eindeutige Antwort bleibt. Dass aber der Tote auf Grund klarer Beweise zu rehabilitieren ist, sollte längst unstreitig sein. Doch darauf wartet er immer noch.
Günter Bertram
[1] Heinrich Wille: Ein Mord, der keiner sein durfte – Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaats, Rotpunktverlag Zürich 2011, mit einem Vorwort von Stefan Aust
[2] MHR 3/2011, 5-9: Der Staatsanwalt zwischen Weisungsgebundenheit und Eigenverantwortung
[3] zit. u.a. bei Wolfram Baentsch: Der Doppelmord an Uwe Barschel, München 2008,119. Baentsch, geb. 1939 in Pommern, ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und Journalist, hat früher beim Spiegel die Kunst der Recherche erlernt, war u.a. Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“ und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Sein Buch über die Barschelaffäre, soweit es Tatsachen berichtet, stützt sich auf ein Mosaik verzweigter Quellen, die prüfbar sind. Und sein Bericht stimmt mit den ungewöhnlich gründlich erhobenen Befunden überein, die der am 10.03.1993 eingesetzte sog. „Schubladenausschuss“ (unter diesem Stichwort abrufbar) des Schl.-H. Landtags erhoben hat; davon weiter unten! Meinungen und Bewertungen stehen auf einem anderen Blatt; sie könnten durch spätere, offenbar vertrauensvolle Kontakte des Autors zur Familie Freya Barschel beeinflusst worden sein. Auf das Buch wird oben im Text künftig ohne erneute Autorenangabe (nur mit der Seite) Bezug genommen werden.
[4] ähnlich Wille aaO. (Anm. 1) S. 59 - 62, der allerdings damals parteipolitischer Gegner Barschels und Parteigenosse fast all’ derer war, unter denen er später selbst leiden musste.
[5] „Der Absturz - Unfall oder Attentat?“, titelt Baentsch (aaO. Anm. 1) S. 95 -102) und begründet, warum ein Verbrechen hier jedenfalls sorgfältig zu prüfen war, was aber versäumt worden sei. Auch der Mainzer Kriminologe Armand Mergen: Tod in Genf – Ermittlungsfehler im Fall Barschel: Mordthese vernachlässig? Heidelberg, Kriminalistik Verlag 1988, rügt (S. 62) die vorschnelle Abbuchung dieses Falles unter „menschliches Versagen“, während Wille aaO. (Anm.1) S. 38 f einen Anschlag für ausgeschlossen hält.
[6] In den folgenden Monaten führt Hennig Schwarz (CDU) die Geschäfte des Ministerpräsidenten (MP), bis nach der Wahl vom 08.05.1988, die der SPD eine absolute Mehrheit beschert, Engholm MP wird.
[7] vgl. dazu näher Baentsch aa0 (Anm.3) S.185 ff. Zu Knauers Zusammenspiel mit seinem Stern-Komplizen Hanns-Jörg Andersen vgl. Mergen aaO. (Anm. 5)
S. 8–10, 30, und Wille aaO. (Anm.1) S. 21 f. Zur späteren, auch tatbestandlich extrem milden Verurteilung Knauers durch ein Genfer Gericht vgl. Baentsch S. 217, Wille S. 24[8] reproduziert etwa bei Baentsch als Bild Nr. 20
[9] Wortbildung in Anknüpfung an die sog. Watergate- (Abhör)-Affaire in Washington, deren Aufdeckung am 09.08.1974 zum Rücktritt Präsident Nixons führte.
[10] vgl. dazu Peter Schulz: Rostock, Hamburg und Shanghai, 2009, dort: „Die Last der Verschwiegenheitspflicht – die Barschelaffäre“, S. 357-360; vgl. dazu MHR 3/2009, S. 24 ff: Peter Schulz erzählt sein Leben.
[11] eine „Wanze“ war das Kernstück des US-Falles „Watergate“ (oben Anm. 9) gewesen. Also durfte sie auch jetzt nicht fehlen.
[12] vgl. dazu auch Wille aaO. (Anm. 1) S. 85 (unten) - 87
[13] Eingehend zur „Briefaffaire“: Bericht PUA II (s.u. Anm. 16), S. 343-346; Baentsch aaO. (Anm. 3), S. 102-104
[14] dokumentiert in Sylvia Green-Meschke: Gegendarstellung zum Fall Barschel, Böblingen 1993, S. 257
[15] vgl. dazu Green-Meschke aaO. (Anm. 14) S. 44-46: Das Aussageverweigerungsrecht des „Kronzeugen“
[16] LIS-SH Drucksache 13/3225, Bericht vom 12.12.1996 (13. Wahlperiode), eingesetzt zum Thema: Aufklärung der Verbindungen zwischen Pfeiffer, der SPD und der SPD-Landesregierung. Dem Bericht voran steht ein detailliertes Inhaltsverzeichnis, dem eine genau und zur Orientierung nützliche „Zeitleiste“ (S. 27-52) sich anschließt. Der PUA II, unter Vorsitz des SPD-Abgeordneten Arens, nimmt sich den ersten Bericht Punkt für Punkt vor, setzt seine Befunde dagegen und lässt an dem zerpflückten oevre kein gutes Haar. Der „Tod in Genf“ selbst - seine Umstände und Hintergründe - war dem Ausschuss als Thema nicht gestellt.
[17] unter diesem Stichwort lässt sich der Ausschussbericht im Internet aufrufen.
[18] dazu Baentsch, S. 28 ff. und 185 ff. sowie Armand Mergen aaO. (Anm. 5), insb. S. 8-12, 31, der die Mängel akribisch notiert.
[19] zu Gewaltspuren vgl. Mergen aaO. (Anm. 5) S. 29, 37 f., 41 f., 54 f., 76; Baentsch S. 240 ff.: Foto Nr. 36
[20] näher dazu Mergen aaO. (Anm. 4) S. 39, 41, 57, 76 – 79, dazu auch Wille aaO. (Anm.1) S. 303-312: Das Gift in Barschels Körper. Auch der objektive Geschehensverlauf schließt also die Hilfskonstruktion der Suicid-Theoretiker aus, die aus subjektiven Gründen ohnehin schon extrem schwach wäre: dass Barschel sich willentlich habe töten lassen (sog. „assistierter Selbstmord“); dazu auch Baentsch aaO. S. 206 f.
[21] Derartige Beschuldigungen waren schon sehr bald auf die Ermittler niedergegangen, vgl. etwa nur den SPIEGEL vom 30.11.1987: „Waterkantgate …“
[22] Zit. von Wille aaO. (Anm.1) S. 84 f.; S. 376
[23] vgl. Stern vom 15.04.1992, Auszug bei Wille aaO. (Anm. 1) S. 89
[24] vgl. auch sein rühmendes Vorwort vom Juli 2011 zu Wille aaO. (Anm.1), S. S. 9 -15. Über Baentsch aaO. (Anm. 3), bemerkt Aust, an ihm könne er nur kritisieren, dass er (Aust) es nicht selbst geschrieben habe (S. 324 unten).
[25] Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen
[26] das galt auch in negativer Hinsicht: „Für mich als jungen Studenten war Uwe Barschel ein politischer Extremist“, Wille aaO. (Anm. 1) S. 60
[27] oben Anm. 1. Es scheint mir allerdings an einer gewissen Weitschweifigkeit zu leiden, auch deshalb, weil er persönlichen Verletzungen nachgeht: begreiflicher – aber für den Leser dennoch zuweilen beschwerlicherweise. Die knappe Einführung Stefan Austs (S. 9 -15) fasst den Komplex übersichtlich zusammen.
[28] vgl. Baentsch aaO. (Anm. 3) S. 122
[29] Baentsch erörtert dies wiederholt, insb. S. 271 ff.; ebenso auch Wille aaO. (Anm.1), etwa 298 ff., speziell zu Barschel S. 319 – 323: mit Bezug auf Udo Ulfkotte: Verschlusssache BND, 1997; auch Mergen, der 1988 darüber noch nicht viel wissen konnte, stellt aaO. (Anm. 5) schon solche triftigen Erwägungen an, etwa S. 58 – 61.
[30] München 1994, Originalfassung: „The other side of Deception“, New York 1994.
[31] Ostrovski, S. 292-295
[32] Ostrovski, S. 297-299
[33] die man aber vielleicht auch für verrückt erklären kann: Das HA vom 07.10.2011 kolportiert unter: „Barschel-Ermittler nahm Beweisstücke mit nach Hause“ die Äußerung eines SSW-Abgeordneten, OStA Willes Übereifer und „unprofessionelle Besessenheit“ in der Sache Barschel habe seine Urteilskraft getrübt - er sei also wohl (auch) halbwegs verrückt.