(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/92) < home RiV >
Teilzeitarbeit - ein Problem?

Im Winter 1990/91 ist eine Fragenbogenaktion zu den Problemen von teilzeitbeschäftigten Kolleginnen innerhalb der Kammern am Landgericht Hamburg durchgeführt worden. Es hatte sich in der Vergangenheit gezeigt, daß es bei diesen Spruchkörpern wiederholt zu Schwierigkeiten in der Organisation, Kommunikation und Koordination gekommen ist, die sich aus der Sicht einiger Vorsitzender zu Lasten der übrigen Kammermitglieder, aus der Sicht der betroffenen halbtags tätigen Kolleginnen zu ihren Lasten ausgewirkt haben.

Es sind alle 54 Kolleginnen des Landgerichts befragt worden, anschließend - im Sommer 1991 - die Vorsitzenden der Kammern des Landgerichts.

Die Fragebögen enthielten zunächst einen Katalog von 6 Problemsituationen, die die Befragten möglicherweise selbst erlebt hatten, außerdem 8 aufgezeigte Möglichkeiten zur Änderung dieser Situationen. Darüber hinaus blieb Raum für eigenständige Beschwerden bzw. Änderungsvorschläge. Es sind 54 Fragebögen an 33 Zivilrichterinnen (davon 13 Teilzeitbeschäftigte) und 21 Strafrichterinnen (davon 2 Teilzeitbeschäftigte) verschickt worden. 19 Bögen (35 %) sind ausgefüllt zurückgekommen. Davon entfielen 13 Antworten auf die Zivilrichterinnen (5 Voll-/8 Teilzeitbeschäftigte). Die Rücklaufquote von 61,5 % bei den teilzeitbeschäftigten Kolleginnen aus dem Zivilbereich zeigt deutlich, daß dort ein erhebliches Interesse daran besteht, Grundlagen für eine sachliche Auseinandersetzung zu schaffen.

Im Strafverfahren haben von 21 befragten Kolleginnen (17 Vollzeit-, 4 Teilzeitbeschäftigte) 6 geantwortet, davon 1 Teilzeitbeschäftigte. Dieser geringe Rücklauf aus dem Strafverfahren belegt, daß die dort allerdings kaum ausgeübte Teilzeitbeschäftigung kein Problem darstellt: Alle aus diesem Bereich Antwortenden haben geäußert, daß sie von den möglichen Einwendungen nicht betroffen sind.

Soweit nach den Verbesserungsmöglichkeiten gefragt wurde, haben sich in der Wertung keine signifikanten Unterschiede zu den Antworten der Zivilrichterinnen ergeben. Insoweit wird auf die Tabelle verwiesen und von einer gesonderten Auswertung abgesehen.

Von den an alle Vorsitzenden der Zivil- und Großen Strafkammern gesandten Fragebögen haben 23 Vorsitzende aus dem Zivilbereich und 16 Vorsitzende aus dem Strafbereich geantwortet. Es ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß diejenigen Vorsitzenden aus dem Strafbereich, die noch keine Erfahrung mit einer teilzeitbeschäftigten Kollegin haben, diesen Einsatz im Strafverfahren generell für ungeeignet halten, insbesondere wegen der zeitlichen Belastung durch ganztägige Hauptverhandlungen. Soweit Strafkammer-Vorsitzende ihre eigenen Erfahrungen zugrunde legen konnten, wiesen sie auf die "Arbeitszeitflexibilität" als unabdingbare Voraussetzung bei dem allein denkbaren "job-sharing" von zwei Halbtagskräften hin. Im übrigen bestanden bei der Beantwortung der gestellten Fragen keine wesentlichen Unterschiede im Verhältnis von Straf- zu Zivilkammervorsitzenden.

Es bleibt jedem Leser selbst überlassen, die zusammengestellten Zahlen selbst zu verstehen und Schlüsse zu ziehen.

Für uns liegt das bemerkenswerte Ergebnis der Befragung in der Klärung, daß belastende Situationen sich nicht vorrangig in der Zusammenarbeit mit teilzeitarbeitenden Kolleginnen auswirken, sondern vollzeitarbeitende Kolleginnen und Kollegen gleichermaßen betreffen.

Im einzelnen wurde deutlich:

1. Die am häufigsten genannte Belastungssituation ist das Eilverfahren. Wie sich aber aus dem Fragebogen ergibt, sind davon gleichmäßig vollzeit- wie teilzeitbeschäftigte Kolleginnen betroffen (je 5). Aus den weiteren Begründungen ergibt sich, daß die als belastend empfundenen Vertretungen am Nachmittag sich in gleicher Weise ergeben, weil vollzeitbeschäftigte Kollegen und Kolleginnen wegen anderer Aktivitäten abwesend sind (z.B. häusliches Aktenstudium, Prüfungen, Lehrtätigkeiten, ÖRA etc.).

2. Darüber hinaus wird es als belastend empfunden, wenn zwei Kammersitzungen pro Woche stattfinden. Ein Vorsitzender hielt dies sogar für "unzumutbar".

Auffallend ist allerdings, daß von diesem Problem tatsächlich keine vollzeitbeschäftigte Kollegin betroffen war, sondern lediglich 3 Teilzeitbeschäftigte. Es liegt auf der Hand, daß Teilzeitbeschäftigte von dieser Terminierung angesichts ihrer geringen Arbeitszeit erheblich stärker belastet werden. Es ist daher wünschenswert, wenn gerade Teilzeitbeschäftigte solchen Kammern nicht zugeordnet werden.

3. Weiter als belastend erlebte Situationen sind die unerwartet in den Nachmittag andauernden Beweisaufnahmen oder Beratungen unter Zeitdruck. Zwar werden an sich von diesen Situationen auch Vollzeitkräfte beansprucht, nach dem Fragebogen waren aber tatsächlich überwiegend Teilzeitkräfte von diesen Belastung betroffen, nämlich 88 % von länger dauernden Beweisaufnahmen und 50 % von Beratungen unter Zeitdruck.

4. Von den Teilzeitkollegen wurde es als besonders belastend empfunden, wenn sie für längere Zeit Vertretung für Vollzeitkräfte leisten mußten. Diese Belastung wurde immerhin von einem Vorsitzenden ebenfalls wahrgenommen und als "unverhältnismäßig" bezeichnet. Die einzige Lösungsmöglichkeit besteht darin (- auch nach Ansicht dieses Vorsitzenden -), daß diese Vertretung auf alle Kammermitglieder gleichmäßig zu verteilen ist. Gleiches müßte allerdings aus der Sicht der Beisitzer auch gelten, wenn ein(e) Vollzeitbeschäftigte(r) über lange Zeit eine(n) andere(n) Vollzeitbeschäftigte(n) vertritt.

Hinsichtlich möglicher Verbesserungen wurde deutlich:

1. Die 2 1/2 tägige Arbeitszeit (statt 5 halbe Tage) wird überwiegend (und zwar von 69 % der Kolleginnen und der Vorsitzenden, die jeweils den Fragebogen ausgefüllt haben) als vorteilhaft angesehen. Allerdings können 4 Teilzeitbeschäftigte diese, dem Kammerbetrieb zuträgliche Arbeitszeitregelung nicht umsetzen, weil die Betreuung der noch kleinen Kinder täglich erfolgen muß. Soweit sich die Vorsitzenden gegen die Blockarbeitszeit ausgesprochen haben, verweisen sie darauf, daß der zeitliche Abstand zu groß wird, in dem das Dezernat von anderen zu verwalten ist.

2. Die überwiegende Einzelrichtertätigkeit wird wiederum von 69 % der antwortenden Kolleginnen für entlastend gehalten. Gerade die betroffenen Teilzeitkräfte, nämlich 75 %, sehen hierin eine große Entlastung. Soweit Vorbehalte geäußert werden (nämlich von je 2 Vollzeit- und je 2 Teilzeitbeschäftigten) beruhen diese auf der typischen Problematik des/der Berufsanfängers/in und stellen kein spezifisches Problem der Teilzeitbeschäftigung dar. Kompetente Kollegen/innen, die gut eingearbeitet sind, schätzen gerade die Selbständigkeit der Einzelrichtertätigkeit.

Im Gegensatz dazu sind erstaunlicherweise 61 % der Zivilkammervorsitzenden gegen eine verstärkte Einzelrichtertätigkeit der Teilzeitbeschäftigten. Nach den Gründen ist leider nicht gefragt worden, sie können nur vermutet werden.

3. Der zeitige Beginn der Kammerverhandlungen um spätestens 09.00 Uhr würde für 85 % der Kolleginnen (so nämlich von allen Teilzeitbeschäftigten und von 3 Vollzeitbeschäftigten geäußert) eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation bedeuten. Diese Ansicht wird von 6 Vorsitzenden geteilt, 5 haben sich dagegen ausgesprochen und 2 haben sich nicht geäußert.

4. Die Besetzung einer Kammer mit vier Richtern fängt die zeitweilige Abwesenheit - sei es einer Voll- oder einer Teilzeitkraft - auf. Die Kammer bleibt autark und braucht keinen Vertreter in Anspruch zu nehmen. Für den einzelnen Richter führt dies zu größerer zeitlicher Flexibilität. Dies gilt vor allem dann, wenn bei den Kammersitzungen Sitzgruppen eingehalten werden.

5. Die regelmäßige Abstimmung über organisatorische Fragen halten alle Befragten für selbstverständlich. Dabei kommt es nicht darauf an, daß "regelmäßige Dienstbesprechungen" innerhalb der Kammer stattfinden; dies wird insbesondere von den Vorsitzenden als zu schwerfällig und formal empfunden. Als wichtiger wird von allen Beteiligten der ständige Informationsfluß über organisatorische Fragen (wie z.B. Urlaub, Vertregungen, Sitzgruppen etc.) angesehen. Dazu gehört im Idealfall das rechtzeitige Ansprechen von möglicherweise länger dauernden Beweisaufnahmen.

Unabhängig von diesen genannten einzelnen Entlastungsmaßnahmen lassen sich Probleme nach Ansicht der Befragten vermeiden, wenn alle Beteiligten gegenseitig auf die Bedürfnisse des anderen Rücksicht nehmen. Dies bedeutet allerdings auch, daß die Teilzeitbeschäftigten Verständnis für die Situation der Vollzeitbeschäftigen aufbringen, beispielsweise auch einmal den ansonsten regelmäßig freien Freitag übernehmen.

Aus den aufgezeigten Ergebnissen läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß mögliche Probleme, die den Teilzeitbeschäftigten generell zugeordnet werden, nicht auftreten, wenn die Kommunikation in der Kammer stimmt.

Ute Barrelet
Liane von Schweinitz