(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/94) < home RiV >
Ein Tag im Leben des RA Forsch

RA Forsch (MHR-Lesern bereits aus dem Heft 1/93 bekannt), ansonsten nicht gerade verwöhnt mit Aufträgen, hatte endlich wieder einmal einen Gerichtstermin wahrzunehmen. Der Mandant, in dessen Auftrag es eine Forderung abzuwehren galt, hatte sich mehr zufällig in Forschs abgelegene Kanzlei verirrt.

Diese Abgelegenheit machte nun unserem RA Forsch zu schaffen. Auf dem Weg zum Gericht steckte er hoffungslos im Stau. "Um Gottes willen", schoß es ihm durch den Kopf, "heute ist ja Montag", wohl wissend, daß der Montagsmorgenstau allenfalls noch von dem Freitagsnachmittagstau übertroffen wird.

Es war mittlerweile 09.15 Uhr, die Verhandlung war für 09.00 Uhr angesetzt. Da es die erste Sache des Tages war, konnte er auch nicht darauf hoffen, daß etwa die vorhergehende Sache sich verzögert hätte.

Nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, bog er schließlich auf den Parkplatz seitlich des Ziviljustizgebäudes ein. Kein freier Platz in Sicht. Die Kurve am Ende des Platzes ließ sich kaum nehmen, da sich neben die regulären Stellplätze bereits drei Fahrzeuge angeschlossen hatten.

Verzweiflung packte Forsch. Er riß das Steuer herum und verließ den Parkplatz. Er verdrängte dabei den Gedanken, daß er keinen Schirm dabei hatte, obwohl es inzwischen heftig zu regnen begonnen hatte.

Die Justizangestellte B. rettete ihr Leben, indem sie bäuchlings auf die Motorhaube des nächststehenden Fahrzeugs hechtete, als Forsch um die Ecke kam.

Forsch jagte die Glacischaussee hinunter, um dann ab alter Feuerwache seine Suche am Randstreifen Richtung Gericht fortzusetzen. Es war nichts zu machen. Im Vorbeifahren fiel ihm auf, daß viele der abgestellten Fahrzeuge schwarze Nummernschilder trugen. Ein verschlafener, polnisch aussehender Mann stand zwischen den Autos und putzte sich die Zähne. Immerhin.

Zurück zum Gerichtsparkplatz. Forsch war schon bereit, sein Fahrzeug verkehrsbehindernd abzustellen, weil ihm jetzt alles egal war.

Doch was war das? Hoffnung keimte in ihm auf, als er sah, wie eine Frau zielbewußt einen Mittelklassewagen ansteuerte. Ein schneller Blick in die Runde überzeugte Forsch davon, daß noch kein anderer Konkurrent da war, der die nahende Beute Parkplatz ebenfalls erspäht hatte.

Forsch stellte sein Auto so quer in die Durchfahrt, daß niemand außer ihm diese einmalige Chance bekommen konnte.

Nachdem sich die Unbekannte aufreizend langsam an ihrem Kofferraum zu schaffen gemacht hatte, machte sie nun tatsächlich Anstalten wegzufahren.

Sie fuhr nicht weg. Das heißt, sie versuchte wegzufahren. Nachdem sie es geschafft hatte, trotz des heftigen Regens einigermaßen trocken ins Auto zu gelangen (das Kunststück, den Regenschirm zum richtigen Zeitpunkt zu schließen, bringen normalerweise nur siamesische Schlagentänzerinnen fertig), ließ sie den Motor an und begann rückwärts aus der Parklücke herauszufahren.

Viel zu spät jedoch begann sie am Lenkrad zu drehen, so daß der Abstand zur nächsten Parkreihe ein Rangieren nicht mehr zuließ. Nun legte sie erneut den Vorwärtsgang ein und fuhr in die alte Position zurück. Dann begann sie erneut das Manöver, diesmal begleitet von kleinen, ruckartigen Bewegungen am Lenkrad. Eine Kollision mit dem nebenstehenden Oberklassemobil schien unausweichlich, aber im letzten Moment stoppte die Fahrerin und sah sich hilflos um.

Nach dem vierten Versuch sprang Forsch aus dem Auto, leise vor sich hinschimpfend (es ging irgendwie um Frauen am Steuer oder so).

Lieber naß werden, als die Chance auf den einzigen freien Parkplatz einbüßen, dachte er. Außerdem hatten sich inzwischen andere Parkplatzsucher eingefunden, die Raubvögeln gleich die Szene umkreisten und nur darauf warteten, daß Forsch aufgab.

"Ich weise Sie ein!" schrie der durch den Regen und stellte sich für die Fahrerin gut sichtbar vor ihr Auto. Die Frau lächelte verzerrt, war aber offensichtlich dankbar für die angebotene Hilfe.

Das Rückfahrmanöver begann erneut. Leider brachte es die Gute nicht fertig, rückwärts zu fahren und gleichzeitig nach vorn auf den Einweiser zu schauen. Ständig drehte sie sich um, während sie mühsam am Lenkrad hantierte. Die Aktion wurde schließlich durch ein Schrammen und Knirschen jäh gebremst. Die Fahrerin hatte das Lenkrad zu weit gedreht und der Nobelkarosse neben ihr die Tür eingedrückt. Beim Blick nach vorn sah sie, daß Forsch im strömenden Regen wie Rumpelstilzchen vor ihrem Auto hin- und herhüpfte. Doch es war zu spät.

Die Frau stieg aus und schimpfte "Das war aber jetzt Ihre Schuld! Sie hätten mich warnen müssen, bevor ich gegen das andere Auto fahre!"

Forsch glotzte sie an, schrie: "Jetzt reicht's mir" - und verschwand im Sprintertempo im Gerichtsgebäude. Der Pförtner konnte der Fahrerin nur mitteilen, daß ein triefnasser Mann mit Robe überm Arm an ihm vorbeigestürmt sei. Sein irres Lachen sei immer von den Worten "Film gerissen, Film gerissen" unterbrochen worden.

Nachdem Forsch sich prompt in den Gängen des Gerichtsgebäudes verirrt hatte, wurde er etwa eine Viertelstunde später von aufgebrachten Bürgern überwältigt, als er versuchte, einen Gerichtswachtmeister zu erwürgen, weil dieser ihm nicht auf Anhieb den Weg zum Verhandlungssaal weisen konnte.

Im richtigen Gerichtssaal des Landgerichts angekommen, erfuhr Forsch, daß sein Mandant nach einem kurzen Disput über seine Postulationsfähigkeit ein Versäumnisurteil kassiert hatte und sich dann wutschnaubend Richtung Rechtsanwaltskammer abgesetzt hatte, um dort erst einmal Dampf abzulassen. Für Forsch hatte er bei der Geschäftsstelle eine Mitteilung des Inhalts hinterlassen, daß er die Zusammenarbeit als beendet betrachte und gedenke, Schadenersatzansprüche in Höhe der entstandenen Kosten geltend zu machen.

Forsch wurde nur noch einmal gesichtet, als er regen- und tränenüberströmt auf den Parkplatz gelaufen kam und gerade noch sehen konnte, wie sein Auto auf einem Abschleppwagen um die Ecke bog.

Als er keuchend erneut das Gerichtsgebäude betrat, hörte er wie durch einen Nebel den Pförtner sagen, eine aufgeregte Autofahrerin habe der Polizei eine Strafanzeige wegen Unfallflucht zu Protokoll gegeben.

Er registrierte auch nicht mehr richtig, daß ihm infolge der permanent starken Zugluft im Torbogen Teile seiner Unterlagen abhanden kamen und nun vom Wind getrieben munter durch den Innenhof flatterten.

Er wollte ganz still auf die Toilette gehen und sich mit seinem Hosengürtel erhängen. Das scheiterte jedoch daran, daß die einzige Toilette, die nicht abgeschlossen war, gerade von der Putzfrau gereinigt wurde ......

Ingo Nies