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Unhaltbare Zustände - ein Brief des Hamburgischen Anwaltvereins

Die - späte - Einladung des HAV durch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen zu einer Anhörung zum Thema: "Überlastung der Justiz oder hausgemachte Krise" am 22.02.94 hat folgende Rückschrift veranlaßt:

"Sehr geehrter Herr Mehmel,

Ihre Einladung vom 16.02.1994 zu Ihrer heutigen Veranstaltung hat mich am 21.02.1994 erreicht. Deswegen kann ich es zu meinem wirklich allergrößten Bedauern nicht mehr einrichten teilzunehmen, was ich gern getan hätte, weil die Veranstaltung der unhaltbaren Situation in der Justiz gilt und bei der Vorbereitung der notwendigen Lösungen dienlich sein kann.

Sie werden mich fragen, warum denn die Situation in der Justiz aus anwaltlicher Sicht unerträglich ist. Lassen Sie mich dazu zunächst sagen, daß es mir um die Sicht derjenigen geht, die wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vertreten. Diese sind grenzenlos enttäuscht darüber, wie lange sie immer wieder und immer häufiger auf Entscheidungen über ihre Anträge warten müssen. Immer mehr geben deswegen die Hoffnung auf gerichtliche Hilfe auf, kehren sich ab von der Justiz und ziehen den Rechtsstaat in Zweifel, der zur Rechtsgewährung in angemessener Zeit als unfähig erscheint. Es droht das Vertrauen in ein Fundament zu schwinden, nachdem dieses Vertrauen nach dem Kriege durch großartige Leistungen der Justiz begründet worden ist.

Es ist dringend erforderlich, die Organisationsmängel und die unzulängliche Ausstattung der Justiz zu bezeichnen und deutlich zu sagen, welche Organisationsverbesserungen und welche Verstärkungen nottun, damit diejenigen, die politisch verantwortlich sind, darüber entscheiden, wieweit diesem Bedarf entsprochen und inwieweit eine unzulängliche Justiz zugemutet werden soll. Es wäre nach meiner Überzeugung grundfalsch, von der Justiz zu verlangen, den notwendigen Bedarf nicht zu definieren, weil "Sparen das Gebot der Stunde" ist. Nicht die Justiz kann die Verantwortung dafür übernehmen, wie die vorhandenen Gelder eingesetzt werden sollen, sondern nur die politisch Verantwortlichen.

Ihrer Veranstaltung wünsche ich gute Resonanz und fruchtbare Ergebnisse. Ich würde gerne so rasch als möglich mit Ihnen über die Situation in der Justiz sprechen.

Mit freundlichem Gruß

RA Peter Rameken

1. Vorsitzender"