(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/94) < home RiV >
Umstritten ?
Der BGH, das BVerfG und die "Auschwitzlüge"
 

1. Am Dienstag, den 29. März 1994 tritt Starverteidiger Rolf Bossi vor die deutschen Medien und liefert eine Strafanzeige ab - gegen die fünf Richter des ersten BGH-Strafsenats. Die seien "geistige Urheber" des Brandanschlags auf die Lübecker Synagoge und hätten durch ihr "Schandurteil" das Recht gebeugt und zugleich ihre eigene nazistische Gesinnung offenbart (vgl. FR und FAZ vom 3o.3.). Läßt man Maßstäbe der Kritik dergestalt à la Bossi in der Gosse beginnen, dann klingt das Verdikt Hans Schülers in der ZEIT vom 25. 3. dagegen fast wie ein bloßes Aufseufzen edler Betroffenheit: "Perversion rechtlichen Denkens.... bösartiger Unsinn". Così fan tutte...; nicht alle zwar, mit Ausnahmen (z.B. Vulteius FR v. 12.4., FAZ passim), und auch unterschiedlich im Tone. Aber im großen und ganzen tritt eine Art publizistischen Kreisverkehrs in Kraft, wo einer die Entrüstung des anderen übernimmt und weiterreicht.

Das BGH-Urteil vom 15. März (1 StR 179/93) wird seither gern als " umstritten " bezeichnet - eine längst beliebt gewordene neu-deutsche Wendung, die unbedingt in dem andernorts (in diesem Heft) von mir empfohlenen Wörterbuch ihren Platz finden sollte. Ein Wort, das man dringlich erfinden müßte, wäre das nicht schon geschehen. Es vermittelt einen leichten Hauch von Dramatik und ist d o c h handlich, bequem und ohne die Spur eigenen Risikos verwendbar. Eben dies ist daran so ingeniös: Daß es psychologisch-moralisch eine völlig andere Tiefensuggestion entfaltet, als es die sprachlich-logische Oberfläche zum Ausdruck gelangen läßt. Oben: "Die Leute sind halt unterschiedlichen Sinnes - sie streiten!" Die tiefere - wirksamere! - Botschaft:

"Die Sache ist bestimmt anrüchig, vermutlich faul, jedenfalls lautet der gute Ratschlag: Kontakt meiden!". Übrigens (was aber nur am Rande des Interesses liegt) herrscht die negative Tabuisierung zwar vor, läßt aber eine kleine Undeutlichkeit offen. So ist das Wort paradoxerweise a u c h geeignet, eine klammheimlich-stille Sympathie für Verpöntes, ein "gewisses Verständnis" zu signalisieren. Unterfinge sich z.B. jemand, von den "umstrittenen Maßnahmen der deutschen Polizeikräfte bei den Aussiedlungen im Generalgouvernement" zu schreiben, dann bestünde kein Zweifel, wes Geistes Kind sich darin zu Wort meldete. Von hier führt der Exkurs nun fast wie von selbst zurück zur "Auschwitzlüge " (AL):

2. Läßt sich das BGH-Urteil vom 15. März als "umstritten" bezeichnen - anständigerweise? Was hat es mit ihm auf sich ?

Der Sachverhalt: Das LG Mannheim hatte den Bundesvorsitzenden der NPD, Günter Deckert, einen ehemaligen Oberstudienrat, wegen Volksverhetzung, übler Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Aufstachelung zum Rassenhaß zu einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. Den Feststellungen zufolge hatte Deckert eine "Revisionismus-Tagung" veranstaltet, wo der als "Hinrichtungsexperte" bezeichnete Amerikaner Fred Leuchter von angeblichen Untersuchungen über die Existenz von Gaskammern in den früheren KZs Auschwitz-Birkenau und Majdanek sowie von seinen anschließenden Auseinandersetzungen mit Behörden und jüdischen Organisationen in den USA berichtete. Leuchter bestreitet, daß es Massenmorde an Juden in Gaskammern des Dritten Reiches gegeben hat. Deckert hatte den auf Englisch gehaltenen Vortrag an Ort und Stelle übersetzt und ihn zustimmend kommentiert; er hatte auch eine Videoaufzeichnung von der Veranstaltung hergestellt und verbreitet. Der Strafkammer zufolge war ihm daran gelegen gewesen, "seine abwegigen Revisionismus-Vorstellungen" in die Öffentlichkeit zu tragen.

Gegen das Urteil hatten der Angeklagte und die StA Revision eingelegt, die StA mit dem Ziel strengerer Bestrafung.

Am 15. März verkündete der Senat seinen Spruch: Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen auf Revision beider Seiten -Zurückverweisung zur neuen Verhandlung.

Der BGH flankierte die mündliche Verkündung mit einer knappen Presse-Erklärung (Nr. 11/94), die besagt, daß die tatrichterlichen Feststellungen unzureichend seien mit dem Zusatz, Volksverhetzung (§ 13o StGB) setze mehr voraus:

. ".... u.a. einen Angriff auf die Menschenwürde des von der Tat betroffenen jüdischen Bevölkerungsteils in Deutschland...Ein solcher Angriff läßt sich den bisher festgestellten Äußerungen des Angeklagten nicht ohne weiteres entnehmen. Von Bedeutung kann sein, ob er sich durch sein Verhalten mit der ns. Rassenideologie identifiziert, die den jüdischen Mitbürger nicht mehr als Mitmenschen behandelt.... ".

Weithallende Empörung...:s.o.!

3. Am 2o. April (ausgerechnet!!) legt der Strafsenat sein schriftliches Urteil vor, zusammen mit einer kurzen Mitteilung für Presse und Medien: "Zur Strafbarkeit der systematischen Tötung von Juden unter der NS-Gewaltherrschaft " (Nr. 17/94). Klare Worte, schlichte Vernunft. Sie nützen so wenig wie das schriftliche Urteil selbst - die Empörungsmaschinerie ist längst auf Touren gekommen, läuft nahezu antriebsfrei und produziert moralische Besitzstände, die jedem Enteignungsversuch gegenüber vollkommen resistent sind.

Ein mehr lokaler Akzent bereichert die Szene: Kaum hatte der BGH sich, wie erwähnt, geäußert, als die Öffentlichkeit mit auffälliger Diskretion daran erinnert wird, daß am "Sitz des Rechts" auch ein anderes hohes deutsche Gericht seine Zelte aufgeschlagen hat... Jedenfalls stand anderntags in den Zeitungen, nun habe das Bundesverfassungsgericht die Zügel ergriffen, wegweisende Worte gesprochen und die umstrittene "AL"-Entscheidung des Karlsruher Nachbarn zurechtgerückt (z.B. Ursula Knapp in FR v.27.4.94). Der eingangs schon erwähnte Hans Schüler greift zu fast kosmischen Bildern: "Der BGH, zwar schon recht hoch oben, aber doch eine Etage unterhalb des gestirnten Himmels höchstrichterlicher Einsicht, hatte da vor ein paar Wochen noch arge Verwirrung gestiftet...Wie gut deshalb, daß wenigstens die Karlsruher Verfassungsrichter uns jetzt mit zwei Entscheidungen wissen lassen, wo es langgeht..." (ZEIT vom 29.4.94).

Was lag dem zugrunde ?

Am 13. April 1994 hatte der 1. Senat des BVerfGs (BvR 23/94) die Verfasssungsbeschwerde in einer Verwaltungssache verworfen: Der englische Historiker David Irving, dessen Neigung zur "AL" notorisch ist, hatte in einer Münchener Gaststätte reden sollen. Die bayerischen Behörden hatten dem Veranstalter vorsichtshalber auferlegt, dafür zu sorgen, daß eine Behauptung der inkriminierten Art unterbleibe. Diese Auflage war angefochten, aber in allen Gerichtsinstanzen für rechtens befunden worden. Die Verfassungsrichter verwarfen die Beschwerde der Irving-Freunde mit der Begründung, die befürchtete Äußerung (also die "AL") wäre strafbar gewesen, was das vorbeugende Verbot gerechtfertigt habe. Die Strafbarkeit folge "namentlich" aus den Schutzbestimmungen für die persönliche Ehre. "Insbesondere" begegne es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Gerichte in der Leugnung der Judenverfolgung eine Beleidigung der in Deutschland lebenden Juden sähen. Am Schluß (auf S. 19/20) seiner Entscheidung steht die lakonische Bemerkung, da allein schon § 185 StGB die Auflage rechtfertige, komme es nicht mehr darauf an, "ob dies auch für ...§§ 130, 89 StGB gilt".

Der Spruch enthielt zum Thema Volksverhetzung-"AL" mithin nichts, sozusagen erklärtermaßen gar nichts. Dann aber ist die Aufnahme, die er in vielen Medien gefunden hat, eigentlich nicht zu begreifen - eigentlich! Man kann sich bei genauem Hinsehen wohl doch einen Vers darauf machen:

Am 26. April (die Wellen über die "umstrittene" BGH-Entscheidung schlugen immer noch über die Deiche) hatte der 1. Senat des BVerfG seinen an sich so wenig aufregenden Beschluß ( zusammen mit einem älteren Spruch vom Januar d.J., der hier nicht unmittelbar interessiert) mit seiner Presse-Verlautbarung 17/94 an die Öffentlichkeit gebracht.

In der kurzen Presseerklärung steht natürlich nichts, was vom Beschluß abweicht. Indem sie aber den § 130 StGB zweimal (qua "Paragraphenkette" im Sachreferat) nennt, konnte sie den eiligen, vielleicht auch etwas aufgeregten Leser wohl doch dazu verführen, in die höchstrichterliche Auslassung just das hineinzulegen, was z.B. in FR und ZEIT alsbald darüber geschrieben stand.

Das haben die Richter des BVerfG sicherlich nicht vorausgesehen, geschweige denn beabsichtigt. Aber - wie die offensichtlichen Dinge nun einmal lagen - brauchte man damals kaum mehr als seine fünf Finger, um sich das Weitere auszurechnen. Ein Prophet mußte man dafür gewiß nicht sein.

4. Gegen das "umstrittene " Urteil können berechtigte Einwendungen nicht erhoben werden

a. Nach ganz einhelliger Rechtsprechung liegt in der abstrusen "AL" eine Beleidigung des jüdischen Bevölkerungsteils und eine Verunglimpfung (§§ 185, 189 StGB). Das konnte früher nur auf Antrag verfolgt werden, was vom Bundestag vor zehn Jahren nach ausführlicher Debatte, in der es gerade um die "AL" ging, geändert worden ist (§ 194 StGB).

b. Der Streit ging schon 1985 - de lege ferenda! - und geht nun wieder darum, ob nicht das schwere Delikt der Volksverhetzung auf den Fall paßt. Mit seiner Strafdrohung - 3 Monate bis zu 5 Jahren - ist es ein anderes Kaliber als Beleidigung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren). § 130 StGB lautet:

"Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er

1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, oder

2. .......,oder

3. sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird....bestraft."

Es ist unser tägliches Brot, Gesetze genau zu lesen: Hier genügt es natürlich nicht, daß der Täter den öffentlichen Frieden gefährdet oder die Menschenwürde verletzt oder sich nach einer der Ziffern betätigt. Anhand des Wortlauts wird man schwerlich auf den Gedanken kommen, das Aufstellen oder Verbreiten einer Lüge - und sei sie so abenteuerlich und absurd wie die "AL" - reiche aus. Nun soll, wie es heißt, genau das immer wieder dennoch für ausreichend erachtet worden sein, und mit dieser Begründung wird dem BGH nun zuweilen eine unbegreifliche, ja höchst verdächtige Inkonsequenz vorgeworfen - aber zu Unrecht:

Die "AL" ist oft ein Stück Agitation, ein Element, sozusagen ein Totschläger bei antisemitischer Hetze oder Kampagne. Dann heißt es beispielsweise, die Juden stellten die "Vergasungslüge " nur auf, um "das deutsche Volk" zu demütigen, auszubeuten oder auszusaugen...... "Deutsche, wehrt euch... !", klingt es dann wie im alten Lumpenblatt, dem "Stürmer". Es dreht sich dann also, bei Licht besehen, nicht (oder eben: nicht nur) um eine falsche Behauptung, eine Lüge, sondern diese Lüge ist jetzt gewissermaßen dynamisch instrumentalisiert worden, umgesetzt in virtuelle Aktion, in Schmähung, Hetze, Diffamierung, suggestives Nahelegen von Vandalismus und Aktion. Das Leben ist vielgestaltig - auch diese seine durchaus widerwärtige Seite. So müssen die Strafgerichte hundert Auslegungs-, Wertungs- und Abgrenzungsfragen zu klären versuchen.

Die rechtliche Prämisse aber lautet: Stellt sich die Lüge bei realistischer Betrachtung aller Zusammenhänge als Agitation dar, erfüllt sie regelmäßig den Tatbestand der Volksverhetzung (sog. qualifizierte "AL"). Sonst bleibt es bei Beleidigung.

Dieses Mitteilungsblatt ist bislang nicht zur Fachpostille entartet, und ich verabscheue die Vorstellung, zu einer solchen Entwicklung selbst beizutragen. Aber irgendwie muß ich in öffentlich so "umstrittener " Sache meiner Darlegungslast genügen. Ich rücke deshalb, ohne weiteren Kommentar, einen Fundstellenblock ein mit der Behauptung, daß dort alles Nötige steht:

· NStZ 1994,14o (BGH)

· NJW 1982,1545 (Celle)

· NStZ 1981,262 (Hamm)

· NStZ 1981,258 (BGH v.14.1.81); vgl. Holz MDR 81,974)

· NJW 1981, 128o (Köln)

· NJW 198o,45 (BGHZ v. 18.9.79)

· MDR 1978/333 (Schleswig)

5. In der Debatte wirbeln Gerichts-Schelte und rechtspolitische Nachbesserungspostulate wild durcheinander. Darauf macht der DRiB in seiner Presse-Erklärung vom 15.4.94 mit Recht aufmerksam.

Rechtspolitisch erhebt der DRiB die Forderung (ähnl. schon früher Marqua DRiZ 1985, 228), die "einfache AL" durch besonderen Tatbestand mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren zu bedrohen. Dabei dürfte er die große Mehrheit publizistischer Stimmen auf seiner Seite haben. Das ist ein neues Thema und ein weites Feld. Ich möchte es nicht ganz auslassen und will meine Skepsis nicht verhehlen:

Studiert man die vielfach publizierten Begründungen (instruktiv schon Hans Engelhard in FAZ 7.4.1984:" Hier ist Strafrecht nötig -Argumente für das "Neonazismus-Gesetz") und reduziert sie auf ihren Kern, so bleibt durchweg zwar der achtenswerte und sympathische Wunsch, ein "Zeichen" zu setzen und richtige "Signale" zu geben; aber Kriminologie und seriöse Hypothesen über Ursachen menschlicher Handlungen kommen viel zu kurz. Das gut Gemeinte ist nicht immer schon das Gute, und mit lauterer Gesinnung allein kann der Gesetzgeber das Land schwerlich regieren.

Vielleicht wird der Bundestag dem Hang und Zwang zu dem, was man zutreffend "symbolische Gesetzgebung" nennt, nicht widerstehen und der strafrechtlichen Praxis ein paar neue oder angereicherte Paragraphen bescheren. Die Extremisten, unbelehrbar, wie sie sind und wie sie zutreffend apostrophiert zu werden pflegen, werden ihr Reden, Schreiben und Agitieren mehr oder weniger prompt auf die neuen Grenzen einrichten (irgendwo werden immer Grenzen der Strafbarkeit sein, es sei denn, man schafft sich das Problem vom Halse und rottet die Extremisten wie ein "Krebsgeschwür" aus, was Herrn Gerster -CDU - für die REPs ja immerhin eingefallen ist (FAZ vom 11.4.94). Wieder werden dann die Gerichte Grenz-Entscheidungen fällen, und über kurz oder lang wird der Bundestag ein neues, weiteres " Zeichen " setzen.

Ich persönlich notiere mir jetzt eine Wiedervorlagefrist von zwei Jahren. Wenn meine Prognose sich dann als Irrtum erwiesen hat: umso besser ! Vermutlich werden wir uns dann aber, allen Wohltaten des Gesetzgebers zum Trotz, mit den gleichen (hoffentlich nicht schlimmeren!) Problemen herumschlagen wie heute.

Günter Bertram