Wie wiederholt berichtet, befaßt sich seit fünf Jahren eine Projektgruppe unter Federführung des Hanseatische Oberlandesgerichts mit der Errichtung eines Mahnmals für die Opfer nationalsozialistischer Justiz am Sievekingplatz und der Umgestaltung des Sievekingplatzes. Ich habe diese Projektgruppe geleitet und dieses Amt Ende vergangenen Jahres niedergelegt. Die Beschreibung jahrelanger Gleichgültigkeit der zuständigen beteiligten Fachbehörden füllt Seiten in diesem Mitteilungsblatt. Der aktuelle Anlaß für meine Resignation war - wie immer in solchen Fällen - eine Kleinigkeit. Der Verwaltungsweg zu einem Mahnmal mußte wohl unter den Hamburger Verhältnissen in die Sackgasse führen. Nur private Initiative hätte uns - rückwirkend betrachtet - zum Ziel führen können. Ich kann niemanden ermuntern, diesen Weg zu gehen. so nötig nach wie vor das Mahnmal ist. Man/frau braucht dazu nie erlahmenden Idealismus und die grenzenlose Fähigkeit, Widrigkeiten zu ignorieren oder kraftvoll aus der Welt zu schaffen.
Was geschieht jetzt? Die Projektgruppe unter Leitung des Oberlandesgerichtspräsidenten beschloß, am 8. Mai 1995 am Oberlandesgerichtsgebäude eine Bronzetafel zu installieren. Ihr Text ist angesichts gemachter Erfahrungen nicht in großer Runde diskutiert, sondern von den Kollegen Passauer und Hahnfeld entworfen worden. Dies verlagert die Diskussion über die angemessene Aussage praktischerweise in die Zeit nach Anbringung der Tafel. Die schiefbeinige Ankündigungstafel auf dem Sievekingplatz wird - so hört man - erhalten bleiben, um das Mahnmal doch noch anzumahnen, käme es denn jenseits der Jahrtausendwende zu einer Umgestaltung des Sievekingplatzes.
Soweit der einstweilige Abschluß 10jähriger Diskussion, die mit der Absicht begann, eine Tafel am Oberlandesgerichtsgebäude anzubringen............ Nur damit es nicht ganz in Vergessenheit gerät: Es galt, den Opfern der Unrechtsjustiz nationalsozialistischer Zeit auf einem würdigen Platz ein Gedenkzeichen zu setzen und damit zugleich ein Mahn-Mal für uns Heutige zu errichten. Nicht allein um die in ihrem Grunde unmögliche Bewältigung des Vergangenen geht es dabei. Gegen die tägliche Trägheit der Herzen müssen wir aus der Vergangenheit lernen und gegen sie brauchen wir ein Denkzeichen. Im Alltag widerstehen - den Bequemlichkeiten der Anpassung und des Schweigens, wo das offene Wort angebracht ist - dies müssen Bürger, Juristen, Richter und Staatsanwälte auch heute und jeden Tag wieder.
Nur "Menschen, die in stillem Zwiegespräch mit sich selbst fragen, ob sie mit einem Mörder, einem Spitzel, einem Rassisten, einem Unterdrücker - nämlich sich selbst - leben wollen, besitzen die Kraft zu einem eigenen Urteil und sind unter der Diktatur gewappnet gegen das Mitmachen". Das eigene Urteil soll uns stärken gegen Anpasserei und Duckmäusertum. "Zivilcourage, Mut zur eigenen Meinung, Fähigkeit zur Sachargumentation statt Anpasserei, Karriere- und Sicherheitsdenken" hat Innensenator Hartmuth Wrocklage gerade jungen Beamtenanwärtern abverlangt. Er hätte hinzufügen müssen, daß es angesichts eines allgemeinen Verlangens nach Harmonie diejenigen nicht immer leicht haben werden, die seinen Rat befolgen. Und dennoch.
Ist es in dieser Stadt wirklich unmöglich, einen Zaun zu versetzen, einen Platz zu schaffen, eine künstlerisch gestaltete Fläche anzulegen, einen großen Baum zu pflanzen, ein Kunstwerk einzubinden, das unser Gedenken tragen kann? "Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist", sagte Rabindranath Tagore - noch ist die Nacht ziemlich finster und auch der Vogel ist nicht in Sicht.