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Schamzerpörung

Scham ("Hamburg schämt sich") und Empörung müssen von der Hamburger Volksseele Besitz ergriffen haben, wenn man einigen Medien und Politikern glaubt, die hier ab 2. Februar d.J. eine kleine Weile die Bühne beherrscht hatten: über den Freispruch zweier Neo-Nazis durch einen Hamburger Amtsrichter.

Darüber, ob das Urteil sozusagen "objektiv richtig" ist, wird gestritten. Auch über die subjektiven Feststellungen, die der Richter getroffen hat oder hätte treffen können oder sollen, gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt; also wird man weitersehen. Nicht darum geht es, sondern um den üblen Stil einer Kampagne.

Der Hamburgische Richterverein hat am 6. Februar 1995 folgende Presseerklärung abgegeben:

"Die von einigen Politikern und Presseorganen gegen den Richter vorschnell geführten Angriffe gehen über das Maß vertretbarer Kritik weit hinaus. Ihre Tendenz, den Richter und die gesamte Hamburger Justiz in die Nähe des Rechtsextremismus zu rücken, ist infam. Insbesondere die zum Mannheimer Urteil im Fall Deckert gezogenen Parallelen liegen neben der Sache. Dort standen in den schriftlichen Urteilsgründen Sätze, in denen antisemitische Parolen mit augenscheinlicher Zustimmung verwendet wurden. Hier aber hat ein Richter sich nicht in der Lage gesehen, die Schuld der Angeklagten mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen. Damit war für ihn der Freispruch zwingend und unvermeidlich.

Für den Vorstand des Hamburgischen Richtervereins

Dr. Makowka"

Die Bergedorfer Zeitung, ein sonst eher bedächtiges Blatt, hatte offenbar den Ehrgeiz entwickelt, sich noch am 04.02.95 in die vorderste Front der laufenden Kampagne einzuhängen, indem sie den Amtsrichter zum späten Weggefährten des blutrünstigen Volks-gerichtshofspräsidenten Freisler ernannte ("Das Recht - ein Mythos?"). Daraufhin hatte ich der Redaktion folgendes zu bedenken gegeben:

"Ein Nachahmer Roland Freislers ist er also, der "untragbare" Richter, der am 01.02.1995 zwei Neo-Nazis freigesprochen hat; wie hier in der BZ, so schäumte die publizistische See bis zum Wochenende und wollte ihr Opfer haben. Dann kippte sie plötzlich um - die Interviews wurden bedächtiger: Man müsse wohl prüfen, manches sei mißverständlich oder mißverstanden; der Richterspruch als solcher sei sicher falsch, aber das werde die Berufung ja klären.

Was war geschehen? Es hatte sich herumgesprochen, daß der junge Amtsrichter natürlich kein "Freisler" ist, auch kein "Rechter", noch nicht einmal ein Konservativer, kein "Law-and-Order"-Mann, sondern ein "Liberaler", ein ausgesprochen bedächtig-skrupelhafter Mensch, für den die Hamburger Anwaltschaft die Hand ins Feuer legt. Der Amtsrichter hat damit - hoffentlich - das Schlimmste hinter sich; die wilden Bedrohungen, der anonyme Telephonterror gegen seine ganze Familie, ein publizistischer Pranger, dessen Spuren allerdings heilen langsam.

Ist die Welt damit wieder in Ordnung? Man setze den Fall, der Richter habe als "konservativ" gegolten. Hätte die Welt dann davon abgelassen, seinen Kopf zu fordern? Schwerlich! Und wäre dieses Verlangen dann etwas anderes gewesen als ein Skandal, als die unverfrorene Mißachtung simpelster Regeln eines Rechtsstaats? Die Frage stellen, heißt sie beantworten - hoffentlich auch für die Redaktion der BZ!"

Vielleicht hatte man bei der BZ angenommen, der Mangel an Ernsthaftigkeit ihres wilden Kommentars werde den Lesern ohnehin nicht verborgen geblieben sein, so daß er einer Richtigstellung nicht bedürfe. Jedenfalls landete meine Zuschrift dort offenbar im Papierkorb.

Günther Bertram