Der Landesverband Hamburg des Naturschutzbundes hatte Strafrichter und Staatsanwälte sowie weitere bekannte Interessenten aus der Justiz zu einer Besichtigung seiner Vogelberingungsstation in der Reit in den Vier- und Marschlanden am 6. September 1995 eingeladen. Die Einladungen des NABU für die Justiz haben schon Tradition. Früher erfolgten sie im Rahmen des wissenschaftlichen Besuchsprogramms des Oberlandesgerichts. Wegen des im Verhältnis zu seinem Echo immensen Verwaltungsaufwands hat der NABU die Einladungen diesmal selbst verschickt.
Der Naturschutzbund will mit diesen Einladungen nicht nur für seine Naturschutzziele in Hamburg werben, sondern auch ein wenig Rechenschaft für die Bußgeldzuweisungen an ihn, verbunden mit einem kleinen Dankeschön, ablegen.
Während die bisherigen Ausflüge zu den Informationszentren Duvenstedter Brook und Wedeler Marsch führten, wo Schulklassen und Publikum sachkundig an die Natur herangeführt werden, diente der Besuch der Reit dazu, eine ganz andere Tätigkeit des NABU aufzuzeigen.
Das Naturschutzgebiet "Reit" im Flußmarschengebiet der Elbe ist etwa 38 ha groß und besteht im wesentlichen aus einer Schilfwildnis. Dieser Feuchtlebensraum hat sich in vielen Jahrzehnten abseits der Millionenstadt Hamburg auf dem Gelände einer früheren Ziegelei entwickelt, die die obere Tonschicht abgebaut hatte. Solche Biotope ziehen viele Vogelarten, insbesondere Seltenheiten an. Genannt seien Rothalstaucher, Zwergrohrdommel, Große Rohrdommel, Rohrweihe, Fischadler, Beutelmeise, Bartmeise, Blaukehlchen und viele Rohrsängerarten. Insgesamt sind mehr als 200 Vogelarten im Laufe der Jahre in der Reit beobachtet worden.
Der diesjährige Herbstbesuch galt weniger einer ausgiebigen Vogelbeobachtung. Denn die Kleinvögel im Schilf bekam man nicht ruhig vor das Glas. Man hörte ihre Lockrufe und sah sie über die Schneisen huschen.
Dafür konnten die rund ein Dutzend Teilnehmer der Exkursion die Vögel aus allernächster Nähe sehen: in der Hand eines Beringers. Seit 1971 betreibt der NABU im Schilfgebiet der Reit eine Beringungsstation. Die Beringungsarbeit ist seit über zwanzig Jahren in internationale Projekte eingebunden. Während durch jahrzehntelange Beringung zunächst Zugwege und Überwinterungsgebiete aufgedeckt wurden, sollte ein erstes internationales Projekt seit 1973 Trends in der Bestandsentwicklung ausgewählter Singvogelarten aufzeigen; von 37 Kleinvogelarten zeigen 70 % Abnahmen des Bestandes. Weitergehende Ziele verfolgt das seit 1994 laufende "Europäisch-afrikanische Singvogel-Zug Stationsnetz", das jetzt schon von Skandinavien und Schottland bis weit in den Süden Afrikas reicht.
Fett = Energie brauchen die Vögel für ihre Reise vom Nordkap bis Südafrika. Wo und wann die Singvögel die Energie aufnehmen, ist kaum erforscht. Die Wissenschaft möchte mit dem neuen Programm ihre altbekannte Neugier befriedigen; die Naturschützer hoffen aber auch, Erkenntnisse für Schutzmaßnahmen zu erhalten.
Wie wenig Fett manch ein Vogel "auf den Rippen" hatte, konnten die Teilnehmer sehen, wenn der Beringer ihm das Kleingefieder auseinanderpustete. Nachdem der Vogel auch sonst vermessen, gewogen, im Computer registriert und beringt war, wurde er durch eine Schleuse in der Wand wieder in Freiheit gesetzt. Erleichtert folgten ihm die Blicke der besorgten Damen, wenn er unbeschadet dem nächsten Busch zuflog.
Die Teilnehmer waren dabei, als die Vögel aus den Netzen - über 300 m Netzlänge - geholt und in Leinensäckchen gesteckt zur Station gebracht wurden. Dabei wurde deutlich, wie viel schwieriger Zwillingsarten wie Fitis und Zilpzalp oder Sumpf- und Schilfrohrsänger in der Hand zu unterscheiden sind, als wenn sie im Frühjahr ihren arteigenen deutlich unterscheidbaren Gesang ertönen lassen. Erst die Vermessung des Gefieders und Fußes gab letzte Sicherheit bei der Artbestimmung.
Ein Rundgang um die Reit beendete den Ausflug. Dabei konnten besonders im Westen Großvögel wie Mäusebussard, Graureiher, Kormoran und verschiedene Entenarten beobachtet werden. Aber auch Pflanzen und Frösche zogen die Aufmerksamkeit auf sich, und viele Fragen zur Natur konnten von dem führenden Biologen, Herrn Spitzenberger, beantwortet werden.
Auf diesem Spaziergang wurde die Idee geboren, Ende Mai 1996 den Ausflug zu wiederholen, um den reichen Frühjahrsgesang in der Reit zu studieren. Interessenten können sich für eine schriftliche Einladung über Tel.: 697089-0 schon jetzt anmelden.
Bußgeldzuweisungen erreichen den Naturschutzbund über den Bußgeldfond.
Dietrich Otto, RiAG i.R. und 2. Vorsitzender NABU Hamburg