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Von Glanz und Elend eines Präsidenten

Ein Präsident trägt seine Bürde

Zumeist mit Hoheit und mit Würde.

Dies gilt auch, sieht man es bei Lichte,

für Präsidenten der Gerichte,

In denen schon seit Olims Zeiten

Regieren Rang und Förmlichkeiten.

Wie muß - so denkt man allgemein -

Doch dieses Amt beschwerlich sein,

Das einem für des Lebens Rest

Nur wenig Rest zum Leben läßt!

Dies fängt für den geplagten Mann

Schon morgens mit der Kleidung an.

Konnt' früher er fast alles tragen,

Geziemt sich nun der steife Kragen;

Korrektheit stets und Strenge walte,

Kurz, das Gesetz der Bügelfalte!

Sogar für den, der gar nicht eitel,

Setzt sich dies fort im graden Scheitel,

In makelloser Nagelkur

Und stoppelfreier Glattrasur.

Dies alles schließlich gar nichts nutzt,

Sind nicht die Schuhe frisch geputzt.

Was ist die äußere Gestaltung

Indes verglichen mit der Haltung?

Sie fordert stetig graden Rücken,

Präsidialen Glanz beim Blicken,

Vor allem jeden Tag aufs neue

Autorität und Grundsatztreue.

Dies gilt an jedem Ort und immer,

Selbst wenn man ganz allein im Zimmer.

Am Schreibtisch kann man nicht mehr gähnen,

Zum Dämmerschlaf zurück sich lehnen,

Geschweige denn ganz traumverloren

Kurzzeitig in der Nase bohren.

Man sieht: mit schlichter Menschlichkeit

Ist es vorbei für alle Zeit;

Streng wird der Mann, wo er auch weilt,

Imperativ von Kant ereilt.

Doch wird dies ungetrübte Bild

Von manchen nur bedingt erfüllt.

Der Präsident in unserem Fall

Weicht gänzlich ab vom Ideal.

An "Tugend", wie sie aufgeführt,

Ihn leider herzlich wenig ziert.

Zu wünschen läßt bereits der Mann,

Sieht man sich nur sein Outfit an:

Der Anzug, älter meist und grau,

Sitzt fast an keinem Punkt genau.

Die Jacke platzt ganz ungebeten

An Schultern, Taille aus den Nähten

Und läßt, wo Alterspolster sprießen,

Sich nur in Glücksmomenten schließen.

Der Hose Schicksal scheint besiegelt,

Sie wird drum auch nicht mehr gebügelt.

Der Schlips sitzt gänzlich unbeschwert

Schief dort, wo er nicht hingehört.

Am Schuhwerk haften machen Arten

Von Erd' und Pflanzen aus dem Garten.

Mit Bart und Haaren wollt' ich enden,

Doch woll'n wir uns beiseite wenden;

Auch sie - so registriert man mild -

Veredeln kaum das äußre Bild.

Man sieht: mit Glanz und derlei Sachen

Ist bei ihm nicht viel Staat zu machen.

Auch Hoheit, Würde, Gloria

Sind nicht mal ansatzweise da.

Selbst grade Haltung, steifer Rücken

Sind äußerlich kaum zu erblicken.

Worin - so fragt man leicht verstört -

Besteht denn nun des Mannes Wert?

Was zeichnet ihn in diesem Haus

In präsidialer Weise aus?

Mir scheint: eins läßt sich nicht verhehlen:

Gerad die Dinge, die ihm fehlen,

Der Mangel "hehrer" Eigenschaft

Hebt seine Überzeugungskraft.

Sein leicht defekter Aufzug schon,

Das Fehlen falscher Prätention,

Humor auch und Natürlichkeit

Bewirken, daß zu jeder Zeit

Ein jeder fast mit diesem Mann

Ganz ohne Hemmung reden kann.

Dabei wird man ganz ungestört

Von ihm geduldig angehört,

Darf überdies auch mit Vertrauen

Zumeist auf sein Verständnis bauen.

Zum Glück beläßt er's vielerorten

Wenn möglich nicht bei schönen Worten,

Ist bei Problemen, wie man sieht,

Um Rat, um Lösung gar bemüht.

Was folglich redend er verkündet,

Sich mit dem Tun in Einklang findet.

Da beides sich bei ihm vereint,

Er allseits glaubwürdig erscheint. -

Weiß in persönlichen Bereichen

Er integrierend auszugleichen,

Ist auch in der Gerichtsverwaltung,

Der planend-ordnenden Gestaltung

Er, wie ihn beinah jeder kennt,

In hohem Maße kompetent.

Er weiß nicht nur zu projektieren,

Kann Pläne auch realisieren,

Kennt alle Ebenen genau -

Die Spruchkörper, den "Unterbau"

Und kümmert sich seit jeher schon

Um ihre Koordination. -

Mit Effizienz und Standvermögen

Sieht man ihn ebenso sich regen,

Wenn es nach außen hin vonnöten,

die Hausinteressen zu vertreten.

Justizbehörde, OLG

Erleben ihn geschickt und zäh.

So geht auch im Senatsgehege

Konflikten er nicht aus dem Wege,

Zeigt gar, wie gut erinnerlich,

Hartnäckig, oftmals sperrig sich.

Recht deutlich sich hier offenbart

Ostpreußisch-zähe Wesensart. -

Sie tritt hervor in anderem Licht

Beim Bierabend am Landgericht.

Mit Spannung wird hier stets erwartet,

Daß er zum Soloauftritt startet.

Meist bringt mit Ironie und Spott

Er Festgefügtes aus dem Lot.

Er attackiert Institutionen,

Heilige Kühe, Amtspersonen,

Fühlt sich besonders dort gereizt,

Wo "Hoheit" sich und "Würde" spreizt.

Man sah schon manchen Gast erbleichen

Und baldigst indigniert entweichen.

Den von ihm ausgelösten Trubel

Quittiert die Richterschaft mit Jubel.

Zumeist glänzt er - mal laut, mal leise -

Durch höchst skurrile Redeweise.

Zugleich verzieht, wie auf der Bühne,

Er hintergründig keine Miene;

Sie bleibt auch ernst, fast unbelebt,

Wenn vor Gelächter alles bebt.

So zeigt der Mann sich, je nach Sicht,

In überaus verschied'nem Licht.

Der Kern stimmt mit dem äußeren Schein

Nur bruchstückweise überein.

Zum Glück erstrahlt die Kernsubstanz

Weit stärker als der Außenglanz.

Zum Schluße seh' ich leicht verstört,

Daß hier die Zeitform oft verkehrt:

Was ich als Gegenwart berichte,

Liegt meist zurück und ist Geschichte.

Doch scheint in "höheren" Bezirken

Noch viel bis heute fortzuwirken.

So seufzt betrübt fast jede Kammer:

Daß er nun weg ist, welch ein Jammer!

Wir danken ihm mit Blick zurück

und wünschen für die Zukunft Glück!

Oft geht das Leben spannend-heiter

Auch für den Ruheständler weiter!

Hans-Georg Dahm