Pünktlich zum Weihnachtsfest kam die Überraschung. Schriftlich
und vom Präsidenten des Amtsgericht. Dieser teilte den Richtern am
Amtsgericht Hamburg unter dem 8. Dezember 1995 - Eingang bei den Richtern
des Dez. III d am 21. Dezember 1995 - mit, daß der Hamburger Senat
eine Verordnung nach dem GVG erlassen habe, nach der der Bereitschaftsdienst
an den Wochenenden und den Feiertagen für den Bezirk des Landgerichts
Hamburg dem Amtsgericht Hamburg übertragen wird.
Sinn und Zweck der Verordnung: Man wollte auch die Richter der sog.
Außengerichte zur gleichmäßigen "Pflichterfüllung"
heranziehen. So weit, so gut. Doch nun zur Überraschung: Gleichzeitig
teilte der Präsident des Amtsgerichts mit, daß nunmehr zwar
nach dem Wortlaut des § 22 c Abs. 1 S. 3 GVG für die Einteilung
des Bereitschaftsdienstes das landgerichtliche Präsidium vorgesehen
sei. Doch, so erfuhren die Amtsrichter, dabei handele es sich um ein redaktionelles
Versehen. Das amtsgerichtliche Präsidium sei weiterhin zuständig.
Dies war erstaunlich. Wie konnte es nur zu dieser wundersamen Gesetzesmutation
kommen? Ist das Gesetz trotz eindeutigen Wortlauts überhaupt einer
Auslegung zugänglich? Ist es nicht sinnvoll, daß das Gesetz
die Richter der Außengerichte vor einer Einteilung durch ein Präsidium
schützen will, auf dessen Zusammensetzung diese Kollegen keinen Einfluß
nehmen können, sondern nur die Richter eines der von der Einteilung
betroffenen Amtsgerichtes? Und welche Folgen hat es, wenn die eingeteilten
Richter aufgrund eines rechtswidrigen oder gar nichtigen Beschlusses -
weil von einem offensichtlichen unzuständigen Gremium erlassen - tätig
werden und - wie es der Bereitschaftsdienst in aller Regel zur Folge hat
- Beschuldigte in Haft nehmen? Nennt man so etwas nicht gemeinhin Freiheitsberaubung?
Vor allem der zuletzt genannte Grund veranlaßte mehrere Richter,
an den Präsidenten des Amtsgerichtes heranzutreten.
Was sich in der Folge abspielte, soll in Form eines Protokolls dargestellt
werden:
Mittwoch, den 27.12.95:
Acht Richter des Dez. III d legen in einem Schreiben dem Präsidenten
des Amtsgerichtes ihre Bedenken dar. Sie bitten um Herbeiführung eines
entsprechenden Beschlusses des zuständigen landgerichtlichen Präsidiums.
Donnerstag, den 4.1.96:
Eine Antwort des Präsidenten liegt noch nicht vor. Drei der oben
genannten Richter sind vom Amtsgerichtspräsidium für das kommende
Wochenende am 06./07.01.96 zum "Telefonischen Bereitschaftsdienst" eingeteilt.
10.00 Uhr: Nach entsprechender Voranmeldung empfängt der Präsident
des Amtsgerichts zwei der für das Wochenende eingeteilten Kollegen.
Diesen teilt der Präsident mit, daß er für eine Änderung
seiner Rechtsauffassung keine Veranlassung sehe. Zur Klärung der Frage
und zur Herstellung von Rechtssicherheit werden die Kollegen auf den Verwaltungsrechtsweg
verwiesen.
14.00 Uhr: Die zum Bereitschaftsdienst eingeteilten drei Richter beantragen
beim Hamburger Verwaltungsgericht, im Wege der einstweiligen Anordnung
festzustellen, daß der fragliche Beschluß des Präsidiums
des Amtsgerichts nichtig ist, hilfweise, daß sich die Antragsteller
wegen Rechtswidrigkeit des Beschlusses an diesen nicht zu halten brauchen.
15.00 Uhr: Das Verwaltungsgericht teilt den Antragstellern telefonisch
mit, daß es am morgigen Tag um 12.00 Uhr zu entscheiden gedenke.
Freitag, den 5.1.96
10.00 Uhr: Das Verwaltungsgericht läßt einen der Antragsteller
telefonisch wissen, daß der Präsident des Amtsgerichts mitgeteilt
habe, daß voraussichtlich der "Telefonische Bereitschaftsdienst"
mangels Alarmlage nicht stattfinde. Man werde in diesem Falle nicht heute
entscheiden. Den Antragstellern fehle das Rechtschutzbedürfnis. Die
ansonsten für den Eildienst am kommenden Wochenende eingeteilten Kollegen
seien ja schließlich keine Antragsteller.
11.24 Uhr: Die Antragsgegnerin, die Justizbehörde, rügt schriftsätzlich
die Passivlegitimation. Gleichzeitig verweist sie darauf, daß der
Hintergrunddienst für die Antragsteller nicht stattfinden werde.
12.00 Uhr: Eine Premiere!! In der Vergangenheit war es nicht möglich,
daß die eingeteilten Richter über die Alarmlage per Telefonanruf
informiert wurden, sondern die Richter mußten sich selbst - teilweise
in Unterbrechung einer Hauptverhandlung - informieren, und zwar frühestens,
dafür aber pünktlich, um 13.45 Uhr. Aber besondere Situationen
erfordern besondere Mittel. Jedenfalls erreicht Frau Robe einen der Antragsteller
und teilt diesem mit, daß der telefonische Bereitschaftsdienst ausfalle.
Die beiden weiteren Antragsteller können nicht erreicht werden.
13.44 Uhr: Ein weiterer Antragsteller ruft bei Frau Robe an und erhält
Kenntnis vom Wegfall der Alarmlage.
13.45 Uhr: Der dritte Antragsteller wird nach Anruf von dem Wegfall
informiert.
13.50 Uhr: Der Präsident teilt den Wegfall dem Verwaltungsgericht
per Fax mit.
13.55 Uhr: Die Antragsteller erhalten vom Verwaltungsgericht telefonich
die Botschaft, daß es nunmehr nicht mehr am Freitag entscheiden wolle
(Grund siehe oben).
14.15 Uhr: Die Vizepräsidentin des Amtsgerichts telefoniert mit
einem der Antragsteller. Man habe die Rechtslage erneut geprüft. Man
sei nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, daß doch das Präsidium
des Landgerichts die Einteilung vorzunehmen habe.
Montag, den 8.1.96
Das Präsidium des Amtsgerichts tritt zusammen. Die bisher gefaßten
Einteilungsbeschlüsse für den Bereitschaftsdienst werden aufgehoben.
Mittwoch, den 17.1.96
Die Antragsteller erhalten ein Schreiben des Amtsgerichtspräsidenten
vom 12. Januar 1996. Nun ist es offiziell. Das Präsidium habe die
Rechtslage erneut geprüft und seine Rechtsauffassung nicht aufrechterhalten.
Die bisher den Bereitschaftsdienst betreffenden Beschlüsse seien aufgehoben
worden, und man habe das landgerichtliche Präsidium um eine Entscheidung
ersucht.
Die Antragsteller erklären daraufhin den Rechtsstreit gegenüber
dem Verwaltungsgericht in der Hauptsache für erledigt. Sie beantragen,
der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen.
Mittwoch, den 14.2.96
Die Antragsgegnerin schließt sich der Erledigungserklärung
an.
Dienstag, den 20.2.96
Das Verwaltungstgericht faßt den Beschluß, daß das
Verfahren eingestellt wird und die Antragsteller die Kosten des Verfahrens
zu tragen haben!
Gründe: Es entspreche der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens
den Antragstellern aufzuerlegen, da sie bei einer Entscheidung in der Hauptsache
vermutlich unterlegen wären. Es sei schon nicht ersichtlich gewesen,
daß ein Rechtsschutzinteresse bestanden habe. Denn der telefonische
Bereitschaftsdienst habe nicht stattgefunden. Dies hätten die Antragsteller
auch am 5. Januar erfahren. Auf den Umstand, daß die Antragsteller
im Februar erneut eingeteilt gewesen seien, könnten sich diese nicht
berufen, denn im Zeitpunkt des die Erledigung herbeiführenden Ereignisses
habe es an der besonderen Eilbedürftigkeit gefehlt.
Zudem hätten die Antragsteller ihr Begehren gegen die falsche
Antragsgegnerin (Justizbehörde, Anm. d. Verf.) gerichtet. Für
die Verteilung der Geschäfte sei gemäß § 22 c GVG
nicht die Justizbehörde, sondern das Präsidium des Landgerichts
zuständig. "Das vorliegend entgegen der gesetzlichen Regelung der
Präsident des Amtsgerichts tätig geworden ist, mag durchaus die
Rechtmäßigkeit der vorgenannten Regelung tangieren, kann aber
nicht die Zuständigkeit der Justizbehörde begründen."
Fazit: In der Sache hatten die Antragsteller wohl schon Recht. Nur
die Kosten dürfen sie dennoch tragen. Ansatzweise wird nun verständlich,
weshalb immer mehr Bürger am Justizwesen verzweifeln.
Volker Berling