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Zum Tode von
Frau Alice Prausnitz

Alice Prausnitz war nach Ursula Thamm die zweite Frau, die nach Kriegsende 1945 in den hamburgischen Justizdienst übernommen wurde. Geboren am 26. März 1906, studierte sie in Hamburg, Genf, München und Kiel und bestand ihr erstes Staatsexamen 1929 in Kiel. Nach der Referendarzeit in Kiel bestand sie das Assessorexamen 1933 in Berlin. Als "Halbjüdin" wurde sie vom Justizdienst ausgeschlossen. Bis Ende des Krieges schlug sie sich in Lübeck, danach in Leipzig schlecht und recht durch. Im Mai 1945 wurde sievon den Amerikanern in Leipzig als Rechtsanwältin zugelassen, im September 1948 als Notarin. Nachdem sie einige Zeit unter der russischen Besatzung gearbeitet hatte, setzte sie sich 1951 nach Hamburg ab. Im November 1951 wurde sie beauftragte Richterin beim Landgericht Hamburg, im Mai 1952 Landgerichtsrätin und im September 1960 Landgerichtsdirektorin und Vorsitzende einer der beiden Wiedergutmachungskammern beim Landgericht Hamburg. Diese leitete sie, bis sie 1974 im Alter von 68 Jahren in den Ruhestand ging. Frau Gisela Wild schreibt über sie in dem Buch "Recht und Juristen in Hamburg": "Alice Prausnitz ist die erste Landgerichtsdirektorin in der Hamburger Justiz, eine mutige Frau, die engagiert für die Gleichberechtigung eintrat und sich dagegen verwahrte, daß Frauen nur in Mietekammern und typischen "Kochtopfprozessen" eingesetzt würden."

Ich lernte Frau Prausnitz erstmals Mitte der 60er Jahre, damals Präsidialrichter beim Landgericht Hamburg, kennen. Die Wiedergutmachungskammern waren damals im Zippelhaus in bescheidener Umgebung untergebracht. Immer wieder hatte ich Gelegenheit, das Zippelhaus zu besuchen und mit Frau Prausnitz Gespräche zu führen. Eine bescheidene, aufrechte und beeindruckende Frau, die in den Zivilkammern 7 und 16 (damals schon Mietekammern) und in den Zivilkammern 14 und 22 ihre richterliche "Lehrzeit" durchgemacht hatte, jeweils versehen mit hervorragenden Beurteilungen. Aus den 70er Jahren erinnere ich ein Gespräch, in dem der damalige Landgerichtspräsident Dr. Walter Clemens Frau Prausnitz zur Senatspräsidentin vorschlug. Aber die Zeit war noch nicht reif.

Frau Prausnitz war mit Hingabe und der Bereitschaft zu hoher Pflichterfüllung Richterin. Sie galt als "Mutter" insbesondere jüngerer Richterinnen, die sie aufgeschlossen und fair beurteilte. Als Rechtsreferentin des Frauenrings setzte sie sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein: ohne Pathos oder ideologischen Überschwang. Regen Anteil nahm sie an der Arbeit des Hamburgischen Richtervereins. Ihr leidvolles Schicksal in der NS-Zeit behielt sie für sich.

Ihr Wechsel von Leipzig nach Hamburg beschäftigte sie: In einem Brief an den damaligen Vizepräsidenten Günther Olters schrieb sie: "Der Anfang in der Zivilkammer 7, bei den Kochtopfprozessen, war für mich, die aus den schwierigen Verhältnissen in Leipzig in den Beginn der Wohlstandsjahre kam, sehr eindrucksvoll. Ich mußte meine Maßstäbe sehr verändern und den Begriff Luxus durch den der alltäglichen Üblichkeit ersetzen." In einem Brief aus dem Jahre 1987 schrieb sie mir: "Im Zivilprozeß verliert bekanntlich meist die eine Partei, aber ich hoffe, daß sie meist den Gerichtssaal mit der Gewißheit verlassen konnte, daß sie nicht ungerecht behandelt worden ist."

Frau Prausnitz gehörte zu den Richtern, die mit hohem Ansehen das Landgericht verließen. Sie war mit stiller Selbstverständlichkeit ein Vorbild für die Kolleginnen und Kollegen.

Mein Andenken an Alice Prausnitz verbindet sich mit den Namen Dr. Käthe Manasse und Dr. Fritz Valentin, die nach der Judenverfolgung nach Hamburg zurückkehrten, um beim Wiederaufbau der Justiz mitzuhelfen. Ihnen allen haben wir - die wir damals noch jüngere Richter beim Landgericht waren - viel zu verdanken.

Nach ihrer Pensionierung zog sich Frau Prausnitz nach Plön zurück. Oft sagte sie mir, daß die Arbeit am Landgericht ein entscheidendes und prägendes Stück ihres Lebens gewesen sei, dessen sie gern gedenke.

Frau Alice Prausnitz starb im Alter von 90 Jahren in Plön. Wir, die wir sie kennen und erleben durften, sollten ihr ein bleibendes Andenken bewahren. Aber auch die hamburgische Justiz hat ihr, dieser eindrucksvollen Persönlichkeit, viel zu verdanken.

Roland Makowka

Anm. der Redaktion:

Alice Prausnitz hat an dem lesenswerten Band des Deutschen Juristinnenbundes "Juristinnen in Deutschland", München 1984, mitgearbeitet und dort das Kapitel "Juristinnen und Juristinnenbund in der historischen Entwicklung" in sorgfältigen Ermittlungen zusammengestellt. Das Buch kann nur empfohlen werden. Es zeigt die Strecke des Weges, die Juristinnen bisher schon zurückgelegt haben und kann uns nur mit Dankbarkeit gegenüber unseren Vorgängerinnen erfüllen, die uns mühsam und unter Entbehrungen die heutige Stellung erkämpft haben. Gelegentlich sollten wird uns an sie erinnern....................

K.W.