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Ein Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer
Justiz in Hamburg

Einer überraschten Öffentlichkeit teilte es Senator Hoffmann-Riem bereits mit: Das Mahnmal wird nun doch errichtet. Ich möchte es Ihnen in diesem Artikel vorstellen (II.), zuvor kurz auf seine Vorgeschichte hinweisen (I.) und abschließend meine Kritik an dem Vorhaben beschreiben (III.).

I.

Bis 1995 hat eine Projektgruppe dafür gekämpft, ein solches Mahnmal zu errichten - vergeblich. Es war angesichts des Zuständigkeitsdschungels der Hamburger Behörden und des Fehlens einflußreicher Mitstreiter ein zermürbendes Unterfangen. In Erinnerung sind mir besonders zwei Szenen, die dies beleuchten. Die erste ist in der Kulturbehörde angesiedelt. In deren damaligen Räumen in der Hamburger Straße tagte die Kunstkommission, zuständig für Kunst im öffentlichen Raum. Dr. Makowka und ich waren "vorgeladen" - anders kann man das Tribunal nicht bezeichnen. Die versammelte Schar von Kunstfunktionären und Künstlern hielt uns vor, die Justiz sei kunstfeindlich. Sehe man ja - wir hätten die drei granitenen Säulen des Künstlers Becker nicht dauerhaft im Foyer des OLG behalten wollen. Außerdem - was wir uns dächten: Gebrauchskunst wollten wir, dem Künstler sollten inhaltliche Vorgaben gemacht werden, indem ihm ein Mahnmal abverlangt werde. Undenkbar sei dies, Kunst sei autonom. Wir gingen verständnislos auseinander.

Die zweite Szene hat ihren Schauplatz in der Baubehörde. Dort hatten sich Behördenvertreter zum Thema Mahnmal getroffen - auf mein wiederholtes Betreiben als Vorsitzende der Projektgruppe. Der Referent der Kulturbehörde hatte mich dazu gebeten. Der zuständige Mitarbeiter der Justizbehörde - heute nicht mehr in der Behörde beschäftigt - warf mir verärgerte Blicke zu und bemühte sich, mich zu ignorieren. Als wir hinausgingen sagte er, ihm sei unbegreiflich, was ich dort in einer Behördenbesprechung zu suchen gehabt hätte. Der weitere Verlauf der Unterredung gestaltete sich laut und unter Mißachtung der meisten Höflichkeitsregeln.

Dergestalt verliefen nicht alle Kontakte. Es gab auch sehr anregende Begegnungen mit Vertretern der Umweltbehörde und des Bezirksamtes Mitte. Nachdem der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts ohne weitere Diskussion zum 50. Jahrestag des Kriegsendes eine Bronzetafel hatte anbringen lassen, schien das Unternehmen "Mahnmal" nicht mehr zu beleben. Wir haben oft darüber berichtet.

Ebenso konnten Sie häufig über die Vorstellungen der Projektgruppe zu einem Mahnmal in diesen Blättern lesen. Die Grundidee bestand darin, auf einem umgestalteten würdigen Sievekingplatz ein Denkzeichen zu setzen für die Opfer nationalsozialistischer Justiz, das auch den heutigen Richtern und Staatsanwälten steter Anlaß zur Reflektion über das eigene Handeln sein möge. Zur Verwirklichung kam die Idee einer botanischen Lösung auf. Es hätte aus meiner Sicht dem Platz gut angestanden, wenn in der Kreuzung zweier Wege - zwischen OLG und Park einerseits und Zivil- und Strafjustizgebäude andererseits - ein sehr großer Baum gepflanzt worden wäre, der mit auf dem Boden umlaufendem Schriftband seine Bedeutung mitgeteilt hätte. Dieser Baum - lebendig und wachsend - als Hindernis auf dem täglichen Wege, das es zu beachten gilt, hätte das Gedenken auf eine der Justiz angemessene Weise getragen.

Dieser Vorstellung wurde und wird viel Widerstand entgegengesetzt. Es sei "Verharmlosung", einen Justizbaum als Mahnmal zu pflanzen. Ich sehe das ganz anders. Am Bullenhusener Damm oder in der israelischen Gedenkstätte "Yad Vashem" sind gerade diese botanischen Elemente verwendet worden und schaffen einen würdigen Ort des Nach-Denkens.

II.

Nun wird es ein Mahnmal geben. Die ersten Anzeichen sind auf dem Sievekingplatz zu sehen: Die allegorischen Figuren, Rechtssystem, Münzwesen, Welthandel und Sozialversicherung unter Kaiser Wilhelm I sind bereits mit dem reitenden Kaiser vereint. Die Hecken vor dem Oberlandesgericht und zwischen Rasenfläche und Park wurden gerodet. Die Ausschachtungsarbeiten haben dieser Tage begonnen. Für das Werk verantwortlich zeichnen die Künstlerin Gloria Friedmann und das Büro WES & Partner, in dem die architektonische und landschaftsplanerische Arbeit geleistet wurde.

Wie wird das Mahnmal beschaffen sein? Lassen wir die Künstlerin Gloria Friedmann selbst zu Wort kommen:

"Ein Mahnmal birgt die Gefahr, Geschichte festzuschreiben. Das kollektive Gedächtnis, das sich im Denkmal eine Form gibt, kann dann auch zu öffentlichem Vergessen führen.

'Hier + Jetzt': Dies ist eine Gedenkstätte, die versucht, das Wissen um das Geschehene wachzuhalten und gleichzeitig die aktuelle Verantwortung der Justiz anzusprechen. Sind es doch dieselben Gebäude, in denen einst Unrecht gesprochen wurde und in denen heute die Hamburger Bevölkerung Recht sucht.

'Hier + Jetzt' : Ein Ort der Rechenschaft und der Trauer und gleichzeitig ein Ort aktuellen Zeitgeschehens.

'Hier + Jetzt': Eine Mauer, frontal dem Oberlandesgericht gegenübergesetzt. Auf der grauen Betonfläche mahnt kühl und kalt die Zahl 1933 die, die heute Recht sprechen.

'Hier + Jetzt": Dem Park Planten und Blomen und dem städtischen Leben zugewandt, wird die Mauer zur Panoramawand, Träger eines farbigen Bildes, das die Stadt Hamburg in ihrer aktuellen Architekturphase zeigt.

Vor diesem Panorama stehen in ungeordneter Form Eisenstelen verschiedener Höhe und präsentieren dem Beschauer verschiedene Topfpflanzen. Hier zeigt sich neben dem Rosenstock die Brennessel, die Kartoffel ist Nachbar des Lavendels, Heilkräuter stehen neben der Giftpflanze, die exotische Orchidee sonnt sich neben dem heimischen Lauchgemüse. So werden die Pflanzen Symbolträger der Biodiversität, der verschiedenen sozialen Schichten und Aufgabengebiete der Hamburger Bevölkerung, die hier friedlich vor ihrem Stadtbild versammelt ist. Die Pflanzen haben Anspruch auf gerechte Pflege, die ihnen auch dank der Kinder des Justizkindergartens zukommen wird.

Der Entwurf einer Welt der Verschiedenheiten mit gleichem Pflegeanspruch als Metapher für gleichen Rechtsanspruch.

'Hier + Jetzt' fördert somit ein weiterwährendes, aktuelles Gedenken, nicht nur in Bezug auf die Vergangenheit, sondern fordert sein Überlebensrecht jeden Tag neu.

Menschliche Erinnerung ist wie Sandpapier, sie reibt sich ab, wird glatt. Ich hoffe, daß 'Hier + Jetzt" der Aufgabe der Erinnerung ein lebendiges Zeichen setzt."

Soweit Gloria Friedmann.

Hier die Zeichnung des Büros WES & Partner vom 3.6.1997, die uns freundlicherweise den Abdruck gestattet haben. Die Darstellung erfolgt im Maßstab 1:1000.

 

III.

Was ist von ihrem Werk auf dem Sievekingplatz zu halten? Kunst entsteht, wie wir wissen, im Auge des Betrachters. Aber ganz so losgelöst, wie die Mitglieder der Kunstkommission in der oben geschilderten Sitzung meinten, kann die Bewertung hier nicht erfolgen. Es muß erlaubt sein, Grundidee und Ausführung des Mahnmals an seinem Zweck zu messen. Hierzu wird jeder seine eigenen Überlegungen anstellen müssen. Ich teile meine mit:

Senator Hoffmann-Riem ist großer Dank auszusprechen für seine Initiative, ein Mahnmal auf dem Sievekingplatz doch noch zu verwirklichen. Ohne sein Engagement und seinen Einfluß wären wir endgültig auf die besagte Bronzetafel verwiesen.

Die vorgestellten Grundideen Gloria Friedmanns treffen in großem Maße den Inhalt der in der Projektgruppe geführten Diskussionen. Eine botanische Lösung stellt nichts Statisches, Abgeschlossenes dar. Das lebendige Objekt verändert sich, bedarf der Pflege, des Gedenkens. Der Künstlerin ist zu danken für ihren sensiblen Umgang mit dem Thema, das ihr gestellt wurde.

Der Grundgedanke, ein sich veränderndes Objekt zu wählen, um das fortdauernde Gedenken und die eigene gedankliche Arbeit zu symbolisieren, ist durch Pflanzschalen, die der täglichen Sorge bedürfen, gedanklich optimal gelöst. Nach meiner Einschätzung ist die Justiz damit jedoch ebenso überfordert wie die Kinder des Justizkindergartens. Es braucht nicht ausgemalt zu werden, was mit Pflanzen in einer eisernen Pflanzschale an heißen Tagen oder gar Wochenenden geschieht oder wie sehr diese fragilen Gebilde, Symbole der Vielfalt unserer Gesellschaft, vandalistischen Angriffen ausgesetzt sind. Es ist schwer vertretbar, aus dem dadurch entstehenden Zustand Schlüsse auf die Haltung der Justiz zu ziehen, wie es Gloria Friedmann ausführt. Dies gilt nicht nur für die Pflanzschalen, sondern auch für den Zustand beider Seiten der geplanten Mauer vor dem Oberlandesgericht.

Auch diejenigen, die das aus einem Rosenhag bestehende Mahnmal am Bullenhuser Damm begleitet haben, hatten ähnliche Vorstellungen und mußten einsehen, daß die Pflege auch durch Engagierte - Kinder wie Erwachsene - nicht dauerhaft geleistet werden kann. Sie verbleibt bei den städtischen Gärtnern, wie mir Staatsrat Strenge auf einen Brief an den Senator mitteilte, in dem ich meine Bedenken geäußert hatte. Es werde ein Hydrant geschaffen. Man werde auch Pflanzen wählen, die den hiesigen Bedingungen besser entsprächen als die von Frau Friedmann zunächst ausgesuchten. Alles sei mit der Leitung des Parks abgesprochen. Bei den Mitarbeitern des Bauhofes, die die Pflege zu leisten haben, werden die Pläne für das Mahnmal am Sievekingplatz allerdings weiterhin mit Besorgnis beobachtet.

Diese praktischen Bedenken sehe ich auch in Kenntnis dessen, daß Künstlerin und Landschaftsarchitekt den praktischen Aspekt bei der Vorstellung des Mahnmals als bei gutem Willen lösbar dargestellt haben, nicht ausgeräumt. Sicher ist ein dauerhaft gepflegter Zustand bei großem Einsatz erreichbar. Aber wird er - selbst bei gutem Willen - möglich sein? Das Geld ist knapp. Das ehrenamtliche Engagement gering.

Ein weiteres banales und praktisches Problem stellt sich: Die Erkenntnismöglichkeiten der Betrachter. Sie werden vor sich eine Mauer mit der Fotografie der Hamburger Innenstadt und davor einen Wald von Eisenstelen mit verschiedenen Pflanzen sehen. Weiß man um die Symbolik dieser Anordnung, erkennt man ohne weiteres ihren Sinn. Weiß man es nicht, wird man sich verwundert fragen, warum die Erbauer das Gebäude des Oberlandesgerichts hinter einer Betonmauer zu verstecken versuchen und einen Park mit Eisenstelen bepflanzen. Dieses erkenntnistheoretische Problem wird gelöst werden müssen.

Anzumerken wäre noch Folgendes: Die Projektgruppe, die immerhin Vertreter aller Gerichte und Vereinigungen am Sievekingplatz und der Staatsanwaltschaft vereinte und auf deren schriftlich niedergelegten Diskussionen viele Aspekte der jetzt im Bau befindlichen Anlage zurückgehen, ist in die Wiederaufnahme des Projektes in keiner Weise eingebunden worden. Ihre ehemaligen Mitglieder sind nicht einmal von der Wiederaufnahme des Projektes in Kenntnis gesetzt worden. Dies ist nicht der Weg, Mitarbeiter zu ehrenamtlichem Engagement zu motivieren.

Wie bei der Anbringung der erwähnten Bronzetafel wurde die kollegiale Öffentlichkeit am Sievekingplatz vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir können mit solchem Verfahren nicht zufrieden sein. Wir werden das gewünschte Mahnmal zwar erhalten. Aber es wird nicht aus der lebhaften Diskussion der heutigen Justizmitarbeiter geboren werden, sondern uns als fertiges Produkt vorgesetzt werden. Gerade den Diskussionsprozeß haben wir immer als Teil der gebotenen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit angesehen.

Selbst zu Heinrich Heines Zeiten beschlossen die Bürger Frankfurts ein Denkmal, wie wir aus dem schönen Sonett erfahren, das Heine in einen Brief vom 16. März 1822 zitiert und dessen ersten Vers ich den geneigten Lesern nicht vorenthalten möchte:

Hört zu, ihr deutschen Männer, Mädchen, Frauen,

Und sammelt Subskribenten unverdrossen;

Die Bürger Frankfurts haben jetzt beschlossen:

Ein Ehrenmal Goethen zu erbauen.

(Heinrich Heine, Sämtliche Schriften, Hrsg. Klaus Briegleb, Carl Hanser Verlag, 3. Aufl. 1995, Band 2, Briefe aus Berlin, Zweiter Brief).

Nun, ein Ehrenmal ist es nicht, das gebaut werden soll. Die Sache ist ernster. Und deswegen möchte ich trotz aller Vorbehalte gegen Details des Kunstwerks und gegen das Verfahren seiner Durchsetzung dafür plädieren, das Projekt zu unterstützen. Es ist zu spät, wesentliche Veränderungen des Konzepts zu erreichen. Dies wird mit der Künstlerin auch nicht möglich sein. Nur durch das besondere Engagement des Senators wurde es überhaupt möglich, das Thema wieder anzugehen. Wir werden dieses oder kein Mahnmal haben. Dies gilt es zu akzeptieren.

Nach so vielen Jahren - beinahe schon zu spät für eine glaubwürdige Aktion - muß endlich auch in der Hamburger Justiz das Werk des Sicherinnerns ein dauerhaftes nach außen sichtbares Zeichen erhalten.

Die Fertigstellung des Mahnmals wird die Arbeit an diesem Teil unserer Justizgeschichte nicht beenden. Vorhandene Ausstellungen zum Thema müssen gepflegt werden und weitere entstehen. Vorträge und Diskussionen sind nötig. Die verdienstvollen Forschungen der Arbeitsgruppe in der Justizbehörde zur Geschichte der nationalsozialistischen Justiz müssen weitergehen. Es sei an dieser Stelle wiederum zur Lektüre der hervorragenden Publikationen angeregt.

Auf Heinrich Heines Sonett zurückkommend, möchte ich Ihr Augenmerk abschließend auf den Eingang des Gedichtes lenken "Hört zu, ihr deutschen Männer, Mädchen, Frauen, Und sammelt Subskribenten unverdrossen."

Auch Senator Hoffmann-Riem hat zur Unterstützung des Mahnmals durch Spenden aufgerufen. Das Spendenkonto der Justizbehörde für die Errichtung des Mahnmals unterhält die Justizkasse, Kontonummer 104 612 bei der Hamburgischen Landeskasse, BLZ 200 500 00, Stichwort "Spende Mahnmal - 5361/11/5E-2". Näheres teilt Frau Dr. Lamb unter der Tel.Nr. 943-520 mit.

Karin Wiedemann